Die Ideologie des Nationalsozialismus war nicht die Kreation einiger
weniger Theoretiker, sozusagen eine Umsetzung von Hitlers „Mein Kampf".
Viel mehr entstand sie aus einem Konglomerat konservativer, völkischer
und nationalistischer Ideologien, die im 19. Jahrhundert entwickelt worden
waren und dann während der ersten Wirtschaftskrise nach der Reichsgründung
1870 an Schärfe gewonnen hatten. Später trugen dann vor allem
die Katastrophe des Ersten Weltkrieges und die Revolutionen in Russland
und Deutschland ihre Weiterentwicklung. Sie war aber auch kein reines Werkzeug zur Verführung
und Beherrschung der Massen. Wer z. B. die verquasten Tischgespräche Hitlers oder
die Aufzeichnungen Himmlers liest, stellt sehr schnell fest, dass zumindest
einige einige „Führer" auch Opfer ihrer eigenen „Weltanschauung" geworden
waren; von den fatalen Auswirkungen der Rassenideologie auf die Kriegsführung
ganz zu schweigen. Zudem zeichnete sich der Nationalsozialismus unter anderem
dadurch aus, die krassesten Gegensätze scheinbar auszugleichen. So
fand er Unterstützung bei revolutionären Arbeitern wie auch bei
Monarchisten und Großkapitalisten, bei konservativen Kleinbauern
und Handwerkern wie bei technikbegeisterten Studenten und Technokraten.
Diese Widersprüche, die sichtbar im sogenannten „Röhmputsch"
oder der Fritsch-Blomberg-Krise ausgetragen wurden, mussten auch zu Spannungen
innerhalb der nationalsozialistischen Ideologie führen.
Das Anliegen der folgen Seiten, die 1989 als Dissertation veröffentlicht
wurden, ist es die Entstehung, Entwicklung und inneren Spannungen dieser
Ideologie aufzuzeigen. Als Material dient dabei der historische Roman,
der in der fraglichen Zeit das beliebteste Genre der Belletristik war.
Dabei beschränken wir uns nicht auf Romane einer bestimmten politischen
Richtung, sondern untersuchen alle Romane die eine Auflagenhöhe von
mindestens 50.000 erreicht haben. Der historische Bestseller liefert sozusagen
einen Hintergrund, vor dem sich die Entwicklung der nationalsozialistischen
Ideologie abzeichnen soll. Durch die Einbeziehung der Auflagenhöhen
ergibt sich außerdem die Möglichkeit, Aussagen über die
Popularität einzelner Teilströmungen zu machen: wie demokratisch
waren die Autoren und Leser der Weimarer Republik, wie erfolgreich waren
Gleichschaltung und NS-Literaturpolitik, wie äußerten sich verschiedene
Positionen, wie antifaschistisch war die sogenannte „Innere Emigration",
gab es dezidierte Kritik am Nationalsozialismus, was änderte sich
1918, 1933 und 1945?
Nicht zuletzt muss dabei beantwortet werden, was einen nationalsozialistischen
Roman ausmacht. Es wird also auch um Form und Stilfragen gehen, die in
der Architektur und der bildenden Kunst für jeden auf der Hand liegen,
in der Literaturgeschichte jedoch meistens ignoriert werden, da sich hier
die Definitionen ganz einfach aus den Inhalten ableiten lassen. Allerdings
reichte die pure Anhäufung einzelner Ideologeme nicht immer aus, um
sich das Wohlwollen der NS-Literaturkritik zu verdienen. Es sei jedoch
vorweggenommen, dass schwache oder gar negative Protagonisten, Ironie,
kurz alle Distanz schaffenden Techniken, der Verbreitung und dem Konsum
totalitärer Ideologien nicht gerade dienlich sind.
Frank Westenfelder
Genese, Problematik und Wirkung nationalsozialistischer Literatur
am Beispiel des historischen Romans zwischen 1890 und 1945
Frankfurt, Bern, New York, Paris 1989
Andere Internetprojekte des Autors
Kriegsreisende
Sozialgeschichte der Söldner
Bilder-Geschichte
Historienmalerei zwischen Nationalismus und Exotismus
DaF-Materialien für den Unterricht
Deutsch als Fremdsprache
|