III.6. Aufstieg des Nationalsozialismus

Mit der Weltwirtschaftskrise 1929, dem Zusammenbruch der großen Koalition im März 1930 und den für die bürgerlichen Parteien katastrophalen Wahlen vom September 1930(371) beginnt die Endphase der Weimarer Republik, die vom unaufhaltsamen Aufstieg der NSDAP geprägt ist. Die Massenbasis dieser Partei bildet vor allem das Kleinbürgertum und, zu Lasten der DNVP, die protestantische Landbevölkerung. Allerdings gelingt es auch, unter der Arbeiterschaft, besonders den Arbeitslosen, Wähler zu mobilisieren.

Die NSDAP beginnt als rein völkisch-antisemitische Partei, wobei die völkischen Ideen zunächst bestimmend sind(372). Je mehr die NSDAP aber Ende der zwanziger Jahre zu einer dynamischen Massenbewegung wird, um so mehr verliert das völkische Element an Bedeutung, statt dessen erlangen die Ideen des revolutionären Nationalismus immer größeren Einfluß(373). Auf die Spannungen, die sich aus "völkischer Weltanschauung und nationalsozialistischer Kampfbewegung" ergeben, hat schon Martin Broszat hingewiesen. Er geht zwar von einer weitgehenden weltanschaulichen Identität aus, zeigt aber, wie die NSDAP aus taktischen Gründen völkische Grundsätze aufgibt und sich durch die neue Organisation immer weiter von typisch völkischen Kreisen entfernt(374).

Für die NSDAP um 1930 ist gerade dieses Doppelgesicht charakteristisch; ideologisch stützt man sich vorwiegend auf die antimodernistische völkische Blut- und Boden-Ideologie des von den Erscheinungsformen des modernen Kapitalismus bedrohten Mittelstandes und agrarischer Interessengruppen, andererseits sind Wahlkampf und Massenorganisation völlig auf der Höhe des Industriezeitalters:

Die von Hitler geprägte NSDAP stand zwar ideologisch auf den Schultern bürgerlichen-alldeutscher Nationalisten und antisemitisch-völkischer Sektierer der Vorkriegszeit. Nach Stil, Organisation und propagandistischer Dynamik war sie jedoch Avantgarde, von Hitler, Goebbels und ihren Helfern bewußt nach den Kriegs- und Revolutionserfahrungen des 20. Jahrhunderts geformt.(375)
Die nationalsozialistische Propaganda greift Ideen aus dem gesamten Bereich der Konservativen Revolution auf, denen nichts hinzugefügt wird, die - im Gegenteil - trivialisiert und banalisiert werden, um eventuelle Widersprüche zu unterdrücken.

Die nationalsozialistische Weltanschauung ist "eine Weltanschaung für viele"(376); sie muß es sein. Aus wahltaktischen Gründen werden die radikalsten Positionen aufgegeben. 1929 erfolgt der Ausschluß des radikalvölkischen Thüringer Gauleiters Artur Dinter, der sich für eine Vermischung von germanischer und christlicher Religion eingesetzt hat. Statt dessen formuliert man die Parole vom "positiven Christentum", unter der alles verstanden werden kann, von einem deutschen "Kristentum" bis hin zum Katholizismus(377). Auf der anderen Seite folgt 1930 der Bruch mit dem teilweise nationalbolschewistisch beeinflußten "linken", norddeutschen NSDAP-Flügel, der Austritt Otto Strassers und die Ersetzung des obersten SA-Führers Pfeffer von Salomon durch Ernst Röhm(378). Selbst die antisemitische Propaganda wird ab 1930 im Zeichen des Legalitätskurses zurückgenommen(379).

Es wäre jedoch falsch wegen der taktischen Kompromisse der NSDAP-Führung davon zu sprechen, daß es eine nationalsozialistische Weltanschauung nie gegeben hätte oder diese reiner Opportunismus gewesen wäre(380). Eberhard Jäckel belegt - ausdrücklich gegen diese Thesen -, daß Hitler eine schlüssige und in sich logisch geschlossene Weltanschaung besessen hat(381). Diese Weltanschaung, die von Antisemitismus und dem Streben nach Lebensraum am entscheidensten geprägt ist, schlägt sich in Hitlers Geschichtsbild nieder(382). Geschichte ist für ihn der stete Kampf von Völkern um Lebensraum. Völker sind dabei keine sozio-kulturellen Einheiten, sondern ethnisch-biologische Gruppen, Rassen. Dabei "werden gesellschaftlich-politisch bedingte Unterschiede zwischen den Völkern <...> ontologisiert und zu `Wesensverschiedenheiten' erklärt"(383). Dieser primitive Sozialdarwinismus, bei dem der Kampf zum höchsten Sinn wird, gilt als Grundlage jeder historischen Entwicklung. Der Staat, die Nation werden "Mittel zum Zweck", die die Machtmittel und das Menschenpotential zur notwendigen Expansion bereitstellen müssen (384). Die Rasse muß sich im Lebenskampf aber nicht nur ständig ausbreiten, sie ist auch von innerer Auflösung und Zersetzung bedroht. Alles, was die Geschlossenheit des Volkskörpers bedroht, oder seine Grenzen nach außen verwischt, wird auf die Rassenvermischung, auf das Judentum zurückgeführt, wobei man auf die schon im Kaiserreich beliebten Thesen des Alldeutschentums zurückgreifen kann. Kapitalismus, Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus und Pazifismus gelten durchweg als Erscheinungsformen des jüdischen materialistisch-rationalen Geistes. Wie sehr diese Vorstellungen auf säkularisierte christliche Ideen zurückgreifen, wurde schon mehrfach betont(385). Der paradiesische Urzustand der Rassenreinheit ist durch die Rassenmischung oder die Sodomie - den Sündenfall - beendet worden. Er kann erst wieder erreicht werden, wenn die reine, blonde Rasse allein die Welt beherrscht.

Über all dem steht der Grundgegensatz Arier-Nichtarier, Gut - Böse. Es ist offensichtlich, daß diese vermeintliche Rassenlehre dazu dient, ein psychopathisches Freund-Feind-Denken - Xenophobie - pseudowissenschaftlich zu verbrämen(386). Die herausragende Stellung Hitlers in der NSDAP(387) verstärkt die Bedeutung der Rassenlehre innerhalb der nationalsozialistischen Weltanschauung. Das bedeutet jedoch nicht, daß Rassismus und Antisemitismus für einen Nationalsozialisten notwendige Kriterien sein müssen. Nicht zu bestreiten ist allerdings, daß sich in ideologischen Streitfragen meistens Hitlers Vorstellungen durchgesetzt haben.

Versucht man die elementaren, nicht variablen Grundzüge der nationalsozialistischen Weltanschaung zu beschreiben, so ergibt sich:
1. Eine Gemeinschaftsideologie: Alles außerhalb dieser Gemeinschaft gilt als feindlich. Der innere Zusammenhalt wird über Feindbilder hergestellt. Die Gemeinschaft strebt nach Expansion und Eroberung.
2. Die innere Struktur der Gemeinschaft entspricht der straffen, hierarchischen Gliederung des Militärs. Die Bindung erfolgt nicht über demokratische Abstimmung, sondern nach dem Prinzip von Führer und Gefolgschaft.
3. Der Zusammenhalt wird über mystisch-irrationale Begriffe hergestellt, die der Weltanschaung den Charakter einer Ersatzreligion geben, die keiner rationalen Analyse unterworfen werden darf(388).

An dieser Zusammenstellung wird erkennbar, daß es sich hierbei am ehesten um ein Staatsmodell nationalrevolutionärer Prägung handelt. Die völkische Ideologie liefert mehr die Schlagworte: Volk und Rasse als Synonyme für Gemeinschaft, den Osten als Expansionsziel und die Mythen vom deutschen Blut und deutscher Seele. Die eigentliche völkische Utopie vom patriarchalischen, förderalistischen Ständestaat mit seinen kleinbürgerlichen Bauernhöfen und neubelebter Innerlichkeit wird zwar immer noch propagiert,steht aber für die führenden Nationalsozialisten längst nicht mehr zur Diskussion. Broszat hält die völkischen Sektierer, die anfangs den Stamm der NSDAP gebildet haben, nur noch für eine "Randerscheinung", die allerdings aufgrund ihrer Narrenfreiheit das äußere Bild des Nationalsozialismus noch stark mitbestimmen(389). Es ist sicher zu einfach, wie Wolfgang Emmerich aus den völkischen Parolen der NSDAP zu schließen, daß völkische und nationalsozialistische Weltanschauung identisch sind, und die Blut- und Boden-Ideologie als "Kernstück" der faschistischen Ideologie auszugeben( 390). In einer sehr detaillierten Arbeit, die diese Ideologie als Leitbild nationalsozialistischer Propaganda am Beispiel Niedersachsens untersucht, wird das Bekenntnis zu Blut und Boden als ein reines "Lippenbekenntnis <...> als ein Mittel für rein propagandistische Zwecke" entlarvt(391).

Das nationalsozialistische Geschichtsbild ist allerdings noch bis nach 1933 mit dem völkischen weitgehend identisch. Obwohl man das Volk über die Nation stellt und deshalb die Unterscheidung zwischen großdeutscher und kleindeutscher Geschichtsschreibung ablehnt(392), greift man doch auf die kleindeutsch-borussische Geschichtsinterpretation zurück. Auf die Bevorzugung der völkischen Ahnenreihe - Widukind und Heinrich der Löwe an Stelle Karls des Großen und der Hohenstaufen - durch Hitler, Himmler und Rosenberg soll bei der Behandlung der sich daraus ergebenden Konflikte noch näher eingegangen werden(393). Da man jedoch die historische Utopie als Drittes Reich vor sich sieht, wendet man sich vom Spenglerschen Pessimismus ab und sieht statt dessen in dem ewigen Auf und Ab den "ständigen Kampf um die Verwirklichung von Werten"(394). Das heißt, da angeblich schon immer um dieselben Werte gekämpft worden ist, erscheint Geschichte immer als Spiegel der Zeit um 1930, mit den gleichen Menschen, Kämpfen und Zielen. Man flieht nicht mehr romantisch in die Geschichte, man holt sie heran, gebraucht sie für die politischen Ziele der Gegenwart. Gegenüber den Völkischen tritt die Militär- und Führergeschichte in den Vordergrund. Führertum und Heroismus werden sogar noch vor der Rasse zu entscheidenden Merkmalen der nationalsozialistischen Geschichtsschreibung.

Für die nationalsozialistische Literatur ist auf die Verknüpfung von völkischen Blut- und Boden-Romanen und nationalrevolutionärer Freikorps- und Weltkriegsliteratur schon hingewiesen worden (395). Benützt man die Verbindung dieser beiden ideologischen Ansätze und der entsprechenden literarischen Formen als grundlegende Definition für nationalsozialistische Ideologie und Literatur, so muß sie auch nach diesen Seiten abgegrenzt werden.

Der nationalsozialistische historische Roman hat in der Zeit der Wirtschaftskrise und des Kampfes um die politische Macht die nationalsozialistische Ideologie zu propagieren und dabei die ihr innewohnenden Widersprüche zu verdecken. Der völkische Teil ist im wesentlichen eine mittelständische Verteidigungs- und Integrationsideologie, deren Hauptvorstellungen Blut und Boden, Rasse, aber auch ein verschleierter bürgerlicher Individualismus sind, der sich in romantisch-kitschigen Fiktionen von Bauern oder der deutschen Seele äußert. Der andere, der nationalrevolutionäre Teil besteht hauptsächlich aus der Propagierung von Heroismus und Führertum. Die harmonische Volksgemeinschaft, der sämtliche individuellen Interessen unterzuordnen sind, orientiert sich am preußischen Staatsmodell. Man erstrebt nicht die Konservierung eines Mittelstandsparadieses, sondern die historische Endzeit, die totale Mobilmachung. Beiden gemeinsam sind die prozeßfeindlichen Geschichtsvorstellungen, die Verherrlichung ewiger Werte, die Ablehnung des Rationalismus und die Vorliebe für selbsterschaffene Mythen.

Werden diese beiden Themenkreise in einem historischen Roman kombiniert und wird gleichzeitig versucht, gegenwärtige Wertvorstellungen als zeitlosen, ewigen Mythos in die Vergangenheit zu transformieren, so ist die Bezeichnung "nationalsozialistisch" zutreffend. Dominiert die Blut- und Boden-Ideologie vor Führertum und Kriegsverherrlichung, handelt es sich um einen völkischen Roman. Kotzdes und Jansens Ordensromane können somit ohne weiteres als nationalsozialistisch bezeichnet werden, obwohl sie sicher dem völkischen Flügel innerhalb der NSDAP zuzurechnen sind. Kolbenheyers "Paracelsus" ist dagegen immer noch von einem zu starken Individualismus bestimmt, auch tritt der Heroismus fast nur als seelischer Konflikt auf. Bluncks Urvätersaga ist wiederum ebenfalls ein Beispiel nationalsozialistischer Literatur, hier werden geradezu vorbildlich Heroismus, Führerkult, Bluts- und Geschichtsmythen kombiniert. Die Romane von Bartels, Löns und Hinrichs sind eigentlich typisch völkisch, enthalten bestenfalls durch ihre Radikalität einen nationalsozialistischen Anstrich. Fehlt dagegen die Blut- und BodenIdeologie und konzentriert sich die Handlung um kriegerische Ereignisse, verbunden mit dem Herausstellen einer zentralen Führerfigur, so ist die Bezeichnung nationalrevolutionär zu bevorzugen, so zum Beispiel bei den Romanen von Molo, Naso und Gmelin. Mit dem zunehmenden Führerkult um Adolf Hitler steigert sich allerdings auch die Bedeutung der Führergestalten im nationalsozialistischen Roman. Der neue Typus des NS-Romans, die Mischung aus Bauern- und Kriegsroman, läßt sich für die Zeit vor 1933 am besten an zwei Beispielen demonstrieren, an Georg Schmückles "Engel Hiltensperger"(1930) und an Will Vespers "Das harte Geschlecht"(1931).

Schmückles Roman spielt zur Zeit der Bauernkriege im Allgäu und in Süddeutschland. Engel Hiltensperger, ein einfacher Priester und Bauernsohn, wird dabei zum Führer des Aufstandes. Er reist nach Italien, nimmt dort an der Schlacht von Pavia teil und durchwandert halb Deutschland. Er, der blonde "Leutpriester vom Auerberg, der einen eisernen Würfel im Zeitspiel zu werfen berufen war"(396), ist der vom Schicksal gesandte Führer und Organisator; er mobilisiert Sickingen, Hutten und als "armer Kunrat" die Bauern. Daß die Figur des einen großen Bauernführers die historischen Tatsachen etwas zu sehr strapaziert, bemerkt sogar die NS-Literaturgeschichte(397).

Das große Ziel Hiltenspergers ist ein neues starkes Reich, die sozialen Parolen dienen ganz offen nur der Mobilisierung der Massen:
"Ein Reich, niemert untertan dann Gott und dem Kaiser! Ein Volk so zusammensteht in Not und Fahr wider Tod und Tuifel. Freiets der Luther von Rom, so freiets der Hiltensperger von Herrenfron und Fessel! Kein ander Lieb und Ziel gehabt, den die deutsche Nation frei zu machen unter eim starken Kaiser <...>!(398)
Dieses neue Reich soll ständisch geordnet sein, Bauern, Bürger und Ritter gliedern sich unter einer starken Spitze. Dementsprechend werden auch die Bürger positiv dargestellt, bis auf die Großkapitalisten Fugger, die ebenfalls am Elend Deutschlands schuld sein sollen. Die Ritterschaft ist dagegen schon sehr verkommen, meistens besteht sie aus Raubrittern und Säufern. "Und dennoch stecket viel gueter Sinn und onverbraucht Kraft in denen Kerlen, fehlt bloß ein recht Ziel und einer, so's ihnen weiset"(399). Die Gegner des gesunden Volksorganismus sind Hochadel und Klerus:"Pfaffen und Fürsten seind des Kaisers Totengräber! Ritter, Pauren und die in den Städten müssen uffstahn und dem Kaiser wiedrum geben was des Kaisers"(400). Fürsten und Pfaffen gebrauchen das römische Recht - "das fremde,wurzellose"-, um die alten Freiheiten von Bauern und Rittern einzuschränken (401).

Die Bauern, obwohl dem großen Ziel untergeordnet, werden als unwüchsige Kraft dargestellt. Sie sind nicht, wie bei Ganghofer, gute Untertanen und gläubige Christen, in ihnen lebt noch alter Brauch und Bauerntrotz:
Seit zehn Jahren war kein Pfarrer mehr auf der Kanzel gestanden, war keine Messe mehr gelesen worden. So hatte es Johannes von Riedheim, Fürstabt von Kempten befohlen! Und die Bauern verhielten in wildem Trotz. Sie stiegen ins Ehebett, bis ein vagierender Priester sie segnete, und sie starben zähneknirschend ohne Sakrament - aber sie unterschrieben ihre Leibeigenschaft nicht.(402)
Was ihnen vorgeworfen wird, ist, daß sie während des Aufstandes das große Ziel vergessen und jede Disziplin verlieren: "<...> im Fressen und Saufen stecken blieben, beim Fressen und Saufen totgschlan"(403). Schmückle kritisiert ihr mangelndes Durchhaltevermögen, wobei durchaus auch Parallelen zur Dolchstoßlegende gezogen werden(404). Außerdem muß er das militärische Versagen der Bauern, ihren fehlenden Heroismus verarbeiten, was ihm nicht ohne moralinsaure Vorwürfe möglich ist. Gelingt es den Bauern allerdings, sich unter einem richtigen Führer zu sammeln, so kämpfen sie wie ihre Vorfahren; nicht das soziale Milieu bestimmt die Tapferkeit, sondern die Erbanlagen und der Führer:
Wildes Heldentum ist erwacht in den Seelen der Geknechteten. Tapferer und todestreuer haben die größten Helden der Ge schichte nicht gekämpft.(405)
Das Scheitern des Aufstandes ist nur zum Teil die Schuld der Bauern; weit mehr verantwortlich sind Sickingen, der das "Spill verdorben" hat und Luther:
Erst Öl ins Fuir gossen, hernach zetermordio geschrieen, da die Flammen gepraßlet. Hundertundzwanzigtausend tote Pauren, Herr Doktor Martinus, klagent vor Gottes Richterstuhl!(406)
In Hiltenspergers Abwesenheit hören die Bauern auf die falschen Führer und scheitern(408).

Über weite Strecken des Romans werden Landsknechte geschildert und Krieg und Kampf verherrlicht. Hiltensperger ist mit Georg von Frundsberg, dem Vater der Landsknechte, befreundet. Am deutlichsten wird die nihilistische Landsknechtsideologie an der Beschreibung der schwarzen Knechte, einem Haufen deutscher Landsknechte, die auf französischer Seite gegen das Reich kämpfen: "Keinen anderen Glauben hatten sie als den an ihr Unglück, kein ander Evangelium als ihren Treueid"(408). Damit stellt Schmückle den Heroismus über die völkisch-konservativen Werte, wie Familie, Vaterland und Religion. Die schwarzen Knechte sühnen ihr Vergehen an der Nation durch ihren heroischen Opfertod, der zur letzten Instanz wird. Die schwarze Fahne der Knechte wird im Tod geweiht zur Blutfahne, die Hiltensperger als sakrales Symbol nach Deutschland mitnimmt,um damit den Aufstand zu führen:
Aber mitten im Haufen der Schwarzen flatterte hoch noch eine Fahne. Die hielt der Christoph von Lupfen getreu, wie's der Landsknechte Eid befahl. Als sie ihm die Hand abschlugen, hielt er sie mit den Zähnen und wickelte seinen todwunden Leib darein, als er von drei Hellebarden durchbohrt zu Boden sank.(409)
Längst bevor die SS ihre Bedeutung erlangt, beschreibt Schmückle Rituale, Motto und Symbolik dieses Kriegerordens. Mit der schwarzen Fahne nimmt Hiltensperger noch den verletzten Florian Geyer - der später zum Namenspatron einer SS-Division werden soll- als Bauernführer mit nach Deutschland.

Die Einstellung zur Religion zeigt den Übergang vom nationalen Protestantismus zur Beschwörung völkischer Mythen. Hiltensperger ist ein "Leutpriester", der wie Luther dem Volk in seiner Muttersprache predigt. Er ist außerdem verheiratet, national und romfeindlich. Doch damit nicht genug: Schmückles wirkliche Liebe gilt dem germanischen Heidentum, von dessen fortwirkender Tradition im Bauerntum er anscheinend überzeugt ist:
Wie ein Bild im Bilde wandelnd grasten die beiden Schafe des alten Stechelin um den uralten Opferstein, auf dem einst das Blut von Wutes Rossen dampfte. Hier war der Urväter geheiligte Malstatt, ein bessere Thingstätte hätte der Bauernmeister und Leutpriester Hiltensperger nicht finden können. (410)
Hiltenspergers Hunde heißen wie Odins Wölfe, Geri und Freki. Der Kampf gegen das Christentum wird jedoch nicht nur aus nationalen Gründen geführt; Schmückle stört die humanistische Tradition des Christentums, während das alte Heidentum seinem völkischen Heroismus mehr zu entsprechen scheint:
Kein Allgäuer hat je den rechten Backen geboten, wenn man ihn auf den linken schlug, und im tiefsten Innern stand's fest, daß der rotbärtige Gott, wenn er über die Fluren brauste, ein zornmütiger Gott war.(411)
Typisch für den Roman ist die triviale Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Auf der einen Seite gibt es die edlen, starken Gestalten, mit den "treuherzigen blauen Augen, die, wenn es sein mußte, Blitze schleudern konnten, vor denen der härteste Landsknecht das Zittern bekam"(412). Unter solchen Menschen ist die Verständigung einfach, denn "wenn sich aber zwei offene Männer mit klaren ehrlichen Augen gegenübersitzen, so wissen sie bald, woran sie miteinander sind"(413). Ganz anders verhalten sich die Negativcharaktere: "Der Raitenauer aber war ein hämisch grausamer Mann, und sein unstetes Auge konnte keinen freien Blick aushalten." Er stirbt dann auch "wie ein räudiger Hund"(414).

Ein weiteres Indiz für die Trivialität des Romans ist, daß Schmückle die ganze Handlung auf seinen Helden konzentriert. Damit soll wohl seine überragende Stellung als Führer unterstrichen werden, aber es wirkt einfach übertrieben, wenn Hiltensperger fast mit allen großen Männern des frühen 16.Jahrhunderts verkehrt: mit Florian Geyer, Ulrich von Hutten, Franz von Sickingen, Frundsberg, Luther, Leonardo da Vinci, Kaiser Maxmilian - ihm hat er sogar persönlich das Leben gerettet - und Karl V. . Hiltensperger schnitzt bei Leonardo ein Bildnis seiner Frau als Gottesmutter. Diese Frau wird zum Opfer eines geilen Abtes, der sie als Hexe foltern und verbrennen läßt. Das Motiv des Hexenprozesses, an dem im historischen Roman immer Toleranz und Humanismus demonstriert wurde, dient hier dazu, den Haß auf den kirchlichen Gegner zu schüren. Schmückle bedient sich Vergangenheit wirklich nur, "um seine Vorstellungen von der Gegenwart zu propagieren"(415). Geschichtliche Entwicklung wird negiert, der Ruf nach dem Führer ist damals wie in der Gegenwart derselbe, nur ein "verstauchter Fuß hets ze Fall gebracht"(416), und so geht am Schluß symbolisch über Deutschland die Sonne unter, aber die Hoffnung auf einen neuen Führer bleibt.

Schmückle benützt nur zum Teil, hauptsächlich zu Anfang, das Genre des Bauernromans, sonst handelt es sich bei "Engel Hiltensperger" viel mehr um einen Landsknechts- oder Führerroman. Auf dem Totenbett verpflichtet dann auch der Bauernsohn Hiltensperger seinen Sohn, Kriegsmann zu werden, da der Bauernstand fortan unwichtig sein wird. Die wichtigsten Werte entstammen dem ideologischen Umfeld der Nationalrevolutionäre. Heroismus, Führertum und ein militärisch straff organisiertes Reich stehen vor den konservativen Wünschen des bedrohten Mittelstandes, der lediglich als biologisch gesundes Bauerntum das Material bildet, mit dem der Führer seine großen Ziele verwirklicht. Die Kombination von Heroismus und Führertum mit der totalen Mobilmachung des Mittelstandes für die eschatologischen Ziele der völkisch-nationalen Geschichtsmystik kennzeichnet den nationalsozialistischen historischen Roman, der seine völkischen Ursprünge noch weiter als Jansens oder Kotzdes Romane hinter sich gelassen hat.

Mit dem Verzicht auf das Historische und der Konzentration auf die Führerfigur, der, da sie ganz ihrer historischen Mission lebt, wirkliche Individualität fehlt, nähert sich Schmückles "historischer Roman" dem ahistorischen Epos. Hans Georg Meier stellt fest, daß, im Gegensatz zu Kolbenheyers "Pausewang" und "Paracelsus", die eine individuelle Entwicklung durchlaufen, in Bluncks Roman "Die große Fahrt" ein Idealtypus beschrieben wird, der von Anfang an über ein höheres Bewußtsein verfügt und deshalb keine Entwicklung mehr durchmacht(417). Hiltenspergers Charakter ist ebenfalls von Anfang an fest, er hat weder individuelle Wünsche noch Probleme oder ordnet diese zumindest seiner historischen Mission unter, an der er dann heroisch, aber unverändert scheitert. Auf Schmückles nationalsozialistisches Führerepos trifft auch zu guten Teilen zu, was Inge Herrle an Stifters "Witiko" festgestellt hat, dessen Rezeption erst nach erstem Weltkrieg beginnt(418): Ein allgemeingültiges Gesetz steht über dem Individuum, trotz realistischer Darstellung wird eine "ideale Welt" geschildert, es fehlen Dynamik und Entwicklung. Die wesentliche Funktion des Epos besteht nach Herrle darin, die Handlung aus der Zeit in den Mythos zu entrücken: "Die epische Welt wird ein sakraler Bezirk"(419).

Will Vespers Roman "Das harte Geschlecht" erzählt die Geschichte des Wikingers Ref und spielt vorwiegend in Nordeuropa. Im Gegensatz zu Schmückles Roman enthält er keine direkten Anspielungen auf die politische Situation der Gegenwart. Worin die Funktion des Romans besteht, macht Vesper jedoch gleich zu Anfang deutlich und offenbart damit einen anderen wesentlichen Aspekt nationalsozialistsicher Geschichtsinterpretation:
Die Geschichten, die ich berichten will, geschahen vor nun tausend Jahren. Da könnte man meinen: Was gehen uns so alte Geschichten an? Aber tausend Jahre, heißt es mit Recht, sind vor Gott wie ein Tag, und die Menschen von damals und die von heute sind so verschieden nicht. Auch damals gab es Gute und Böse, Kluge und Dumme, Fleißige und Faule, Helden und Hasenfüße, Wahrhaftige und Lügner,ehrliche Kerle und gemeine Schufte, und manche brachten es sogar fertig - damals wie heute -, von alledem etwas zu gleicher Zeit zu sein. Auch damals hieß es: Jeder ist seines Glückes Schmied - wenn Gottes Sonne ihm dazu scheint.<...> Und dann - ist es ja unser eigenes Blut, das auch in jenen Zeiten in den Herzen der Menschen floß und lebte. Das Blut strömt,ein unversiegbarer Strom, von den ältesten Zeiten zu uns her. Und so leben in den fernsten Geschlechtern der Väter auch schon wir, und in uns leben heute und gegenwärtig sie, von denen wir stammen, deren Blut in uns fließt, auch nicht als unser Eigentum. Sondern wir sind nur wie das Flußbett, durch das der ewige Blutstrom dahinbraust, von den Vätern zu unseren Kindern und Enkeln bis in die fernste Zukunft.(420)
Vesper will vorbildliches Verhalten aufzeigen, das wegen der Blutsbande im gegenwärtigen Deutschland immer wieder auftreten kann und - dazu will der Roman beitragen - soll. Daß dies keine historische Sichtweise ist, muß nicht näher erläutert werden. Der junge Ref, ein von der Familie unverstandener Taugenichts und Tagträumer, wächst auf einem isländischen Bauernhof auf. Nach dem Tod seines Vaters versucht ein starker Nachbar, Refs Mutter die besten Weiden abzunehmen und erschlägt dabei einen ihrer Schafhirten. In diesem Moment scheint Ref zu erwachen, er tötet den Nachbarn und beweist nun den ganzen Roman hindurch seine überragenden Fähigkeiten. Er übt mehrmals Rache an scheinbar überlegenen Feinden und wird einer der berühmtesten Bootsbauer Skandinaviens. Diese Kunst hat er nur anhand eines kleinen Modells erlernt. Ref macht keine richtige Entwicklung durch, er wird auch nicht erzogen, den äußeren Einflüssen entzieht er sich, und als dies nicht mehr geht, scheinen seine inneren Anlagen hervorzubrechen. Vom einfachen Bauernsohn bringt es Ref zu einem reichen Gefolgsmann König Knuts von Dänemark und stirbt schließlich bei seinem Sohn Björn, der inzwischen Marschall bei Wilhelm dem Eroberer ist.

Ref hat drei Söhne, "einen Bauern, einen Viehzüchter und einen Kriegsmann"(421). Alle drei ahnen schon als Kinder ihre Veranlagung und ihren späteren Stand. Vesper wertet nicht direkt, aber der Roman endet mit der Aufforderung des Kriegers Björn an seine Frau ihm "Jungens" zu schenken, "daß die gute Rasse nicht ausstirbt"(422). Hier erkennt man den Unterschied zur typisch völkischen Literatur, obwohl der Roman von dieser Seite auch stark beeinflußt ist. Ref siedelt zwar immer wieder, ist aber viel mehr Seemann und Krieger als Bauer, und am Ende steht die rasante militärische Karriere seines Sohnes, der die von den Völkischen bevorzugten Angelsachsen als normannischer Eroberer bekämpft.

An der Einteilung der Söhne ist zu erkennen, wie sehr der Mensch zu Typus wird, der kaum noch individuelle Züge trägt. Vesper bewertet eher das Menschenmaterial als das Individuum:
Grims Söhne, Skuf, Bjarni und Gaut kamen auch herein. Es waren große kräftige Burschen, ein wenig ungewandt, aber stark wie Bären, eine gute Zucht.(423)
Ähnlich soldatisch hält es Ref mit der Religion. Zuerst bleibt er lange den germanischen Göttern treu; aber als er sich dann in Dänemark bekehren lassen muß, wird die Bibel heroisch uminterpretier: Jesus wird zum Führer und die Jünger zu treuen "Gefolgsmannen ihres Herrn"(424).

In Stil und Form greift Vesper ganz bewußt auf die isländischen Sagas zurück. Er beschreibt kaum innere Vorgänge oder historische Details. die Sprache wird auf ein möglichst einfaches Niveau reduziert; fast alle Dialoge werden mit dem Wort "sagte" geführt. An Stelle der charakterlichen Entwicklung oder eines historistischen Kulturbildes werden die Taten eines innerlich statischen Menschen - eines Typus - dargestellt. Die Saga soll so zur passenden ewigen Form des kargen, harten, soldatischen Lebens werden, das keiner historischen Wandlung unterworfen ist, so wie Ref zum Typus des ewigen Kriegers wird.

Einer der Hauptunterschiede zwischen den Romanen von Schmückle und Vesper ist, daß Schmückle den Kampf ums Reich zum zentralen Thema macht, während sich Vesper mit der Darstellung des heldischen Menschen begnügt. Schmückles Roman ufert zum Epos aus, in dem alles angehäuft wird, was dem Autor wichtig und verwertbar erscheint. Durch ausführliche Darstellungen des Lokalkolorits und durch eine altertümelnde Sprache versucht Schmückle, Authenzität zu vermitteln. Vesper dagegen verknappt und reduziert seinen Stoff, um die wesentlichen archetypischen Grundzüge seines Typus vorzuführen. Beide beschreiben Typen, die zwar weit aus der Masse herausragen, aber doch nicht zu richtigen Individuen werden. Kolbenheyer ist in seinem völkischen Romanen nie wirklich über den bürgerlichen Bildungsroman hinausgekommen und kann seinen Individualismus und den seiner Protagonisten allenfalls durch theoretische Anmerkungen verschleiern. Schmückle und Vesper dagegen machen gerade durch ihre Rückgriffe auf vorbürgerliche literarische Formen - Epos und Saga - deutlich, wie stark sie von der Massengesellschaft geprägt sind.

Beide Romane sind ohne die völkische Blut- und Boden-Ideologie nicht denkbar, diese ist aber nicht das Ziel, sondern der Ausgangspunkt. Es dominiert die Ideologie des revolutionären Nationalismus; ihre Helden sind zwar Bauernsöhne, werden aber zu Führern und Soldaten, und auch ihre Erben werden Krieger, die völkischen Bauern dagegen sind lediglich Menschenmaterial. In den völkischen Romanen von Bartels , Löns und Hinrichs wurde der Bauer nur für eine Krisenzeit mobil gemacht, um dann wieder in seine zivile Existenz zurückzukehren. Für Schmückle und Vesper ist der Krieg jedoch offensichtlich der höchste Daseinszweck, dem sie bedenkenlos das Glück ihrer Protagonisten opfern. Vesper schildert die glänzende Karriere eines Genies und Schmückle den Kampf eines charismatischen Führers um die Verwirklichung einer eschatologischen Utopie. Bei beiden sind die Geschichtsvorstellungen prozeßfeindlich; es geht um ahistorische, ewige Werte. Wegen dieses Geschichtsbildes, der zentralen Bedeutung von Krieg und Kampf und den Einflüssen der Blut- und Boden-Ideologie kann man beide Romane als typisch nationalsozialistisch bezeichnen. Dabei ist zu beachten, daß sich diese nationalsozialistische Literatur von der üblichen Romanform entfernt, wie sie auch die Geschichte negiert.

© Frank Westenfelder


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