IV.1. DER HISTORISCHE ROMAN IM DRITTEN REICHVieles, was die historischen Romane der Weimarer Republik an Gegenbildern zur modernen Gesellschaft entworfen haben, versprachen die Nationalsozialisten zu ändern. Der historische Roman verliert als Medium somit 1933 seine oppositionelle Haltung und bekommt die Aufgabe zugewiesen, das neue Regime zu legitimieren. Mit dem Verlassen der Opposition werden jedoch die bisher verdeckten Gegensätze mit der nun selbst zu verantwortenden Realität konfrontiert. Der "Widerspruch von Wollen und Handeln, von antimodernem Selbstverständnis und objektiver Modernisierungsfunktion"(1) bestimmt jetzt die Politik, die Ideologie und auch die Literatur. Um diesen Widerspruch in den Romanen aufzuzeigen, die in der Mehrzahl die Wünsche und Sehnsüchte des bedrohten bürgerlichen Mittelstandes zu artikulieren, ist es notwendig kurz auf dessen veränderte soziale Situation einzugehen und die Grundzüge nationalsozialistischen Denkens, besonders die Vorstellungen von Geschichte und Moderne, darzustellen.Nach der Machtübernahme sind die Nationalsozialisten zwar auf die Zusammenarbeit mit Reichswehr, Verwaltung und Industrie angewiesen, der Machtausbau, gegenüber den konservativen Koalitionspartnern, erfolgt jedoch sehr zielstrebig. Die neue Hierarchie gliedert sich meistens nach dem Führerprinzip, mit der obersten Instanz Adolf Hitler(2). Die neuere Forschung betont, daß dieses System keine monolithische Geschlossenheit zeigt, sondern von ständigen Kompetenzstreitigkeiten, regelrechten "Fehden" der einzelnen NS-Größen, gekennzeichnet ist(3). Durch die wirtschaftliche Situation des Reichs ist gekennzeichnet durch ein gigantisches Rüstungsprogramm und durch Autarkiebestrebungen in der Ernährung und Rohstoffversorgung. Die Hauptnutznießer dieser neuen wirtschaftlichen entwicklung sind die Schwerindustrie und die chemische Industrie; aber auch unter der Arbeiterschaft gewinnt die NSDAP an Popularität, da ein deutlicher Rückgang der Arbeitslosigkeit spürbar wird - 1939 sind im "Reich" bereits 200 000 Gastarbeiter beschäftigt(4). Durch die zentrale Bedeutung der Großindustrie wird der bislang verteufelte Modernisierungsprozeß weiter beschleunigt. Der Trend zum Großbetrieb, Konzern, Urbanisierung und Proletarisierung des gewerblichen Mittelstandes geht jetzt verstärkt weiter. Vor allem der Mittelstand liefert die zusätzlichen Arbeitskräfte für die Rüstungsindustrie(5). Mit dem Reichserbhofgesetz und den Siedlungsprogrammen wird zwar der Umschwung zur völkischen Politik propagiert, man hilft damit aber nur einer relativ kleinen Gruppe von Bauern und unterstützt auch hier die Entwicklung zum Großbetrieb(6). Von den ganzen konservativen Mittelstandsforderungen wird keine richtig erfüllt, auch nicht die oft versprochene Auflösung der Warenhäuser. Ständestaatsideen werden zwar noch längere Zeit in der NS-Literatur behandelt, bleiben aber reine Propaganda(7). Genauso wächst die ersehnte "Volksgemeinschaft" nicht organisch zusammen, sondern wird technokratisch gleichgeschaltet. Die teilweise sehr förderalistischen völkischen und jungkonservativen Staatsvorstellungen von der Selbstverwaltung von Zünften und Gemeinden oder der relativen Autonomie einzelner Reichsteile müssen der Willkürherrschaft eines zentralistischen Staates weichen. Dafür eröffnen sich manchen Kleinbürgern, sofern sie rücksichtslos und intelligent genug sind, neue Karrieremöglichkeiten. Am auffälligsten deomonstriert das NS-Führerkorps selbst diese neuen Karrieren.Hans Dieter Schäfer weist darauf hin, daß von 1933 bis 1939 die Gesamtaufstiegsmobilität" doppelt so groß ist wie in den letzten sechs Jahren der Weimarer Republik(8). Die immer wieder propagierte Volksgemeinschaft entpuppt sich als Verschleierungsideologie. Da sich der deutsche Faschismus real immer weiter vom Ideal einer ständische-kooperativen Gesellschaft entfernt, ist der Bauernstaat auch nicht mehr die zu realisierende Utopie; die Bauern sollen nur noch das "Menschenmaterial" für die kommenden Kriege abgeben und züchten. Selbst die so oft beschworene Familie wird unter diesen Zuchtaspekten rationalisiert, in der Extremform des "Lebensborn" ist die Verachtung der traditionellen Familie nicht mehr zu übersehen. Die NS-Weltanschaung entfernt sich somit immer weiter von der völkischen Blut- und Boden-Ideologie, die zum ideologischen Versatzstück verkommt(9). Der zentrale Gemeinschaftsbegriff ist der der Rasse(10), der wesentlich aggressiver als der Begriff des Volkes verstanden wird. Mit ihm läßt sich das sozialdarwinistische Grundprinzip am leichtesten darstellen; an die Stelle der Völkergemeinschaft tritt der Rassenkampf. Die Rassenlehre liefert die zur Integration notwendigen inneren und äußeren Feindbilder und legitimiert gleichzeitig das Elitebewußtsein der "in-group": Durch die nationalsozialistische Rassenlehre wurde das blaue Blut als arisches oder nordisches Blut gewissermaßen nationalisiert und eine Völkeraristokratie begründet, selbstverständlich als elitäre herrschaftsmission.(11)Gemeinschaft und Führertum werden dem Volk mit Hilfe einer rein emotionalen Propaganda eingehämmert. Die Berufung auf den Irrationalismus als Erkenntnismethode ist somit grundlegend, da jede distanzierte, materialistische Analyse dieser Werte und der eigenen Lage unterbleiben muß(12). Der Unterschied zum Irrationalismus der Weimarer Republik besteht im wesentlichen im rationellen Gebrauch der neuen Möglichkeiten der Propaganda - Presse, Rundfunk, Schule und Parteitage -, die das Regime völlig ausschöpft. Dienst und Opfer für Volk und Führer steigert die Propaganda zum religiösen Akt(13). Auffällig ist die fetischartige Verwendung von Gegenständen - Fahnen, Ehrendolche, aber auch nationale Tempel und Ordensburgen -, die dabei den Rang von sakralen Gegenständen erhalten. Am deutlichsten ausgeprägt sind diese pseudoreligiösen Kultformen bei der SS(14). Mit dem "Heilsereignis" der Machtergreifung am 30.1.1933 hat für die Nationalsozialisten die Geschichte ihren sinnvollen Endpunkt erreicht(15). Vergangenheit wird "bestimmt als die noch unvollkommene Gegenwart"(16). Geschichte ist allerdings nicht die kontinuierliche Entwicklung zur Gegenwart - die Fortschrittsidee der Aufklärung wird am stärksten bekämpft(17) -, sondern das ewige Ringen um die gleiche Idee. Genau darum zeichnet sich Geschichte auch durch große und durch unwichtige Epochen aus, in denen man der Realisierung der Utopie näher oder ferner gestanden zu haben scheint. Ebenfalls abgelehnt, abgelehnt werden nun die organischen Kreislauftheorien … la Spengler, die plötzlich zu pessimistisch erscheinen(18). Allerdings bleibt eine starke Affinität zum organischen Geschichtsbild bestehen, da auch die die Nationalsozialisten in der Geschichte immer nur die Wiederkehr des ewig Gleichen sehen(19). Für Hitler ist Geschichte die "versteinerte Wiedergabe der Politik"(20). In diesen Zussmmenhang paßt auch, daß die Nazis glauben, "mißglückte" Ereignisse revidieren zu können, zum Beispiel mit dem Sieg über Polen die Niederlage des deutschen Ritterordens bei Tannenberg, mit dem Frankreichfeldzug den Westfälischen Frieden oder mit dem Krieg gegen die Sowjetunion das Ende des Gotenreiches in Südrußland(21). Für das nationalsozialistische Geschichtsverständnis sind Rasse, Führertum und Irrationalismus die bestimmenden Momente(22). Die rassische Geschichtsschreibung sieht wie Hitler in der Geschichte den ständigen Kampf zwischen Völkern um Lebensraum, wobei sich die Stärkeren zu Lasten der Schwachen ausbreiten. Aber auch hier tritt der Einfluß der Blut-und Boden- Ideologie zurück. Boden als Heimat wird nicht als geschichtsbildender Faktor gesehen, er erscheint nur als zu erobernder Lebensraum(23). Bei der Darstellung dieser Kämpfe stehen jedoch immer die großen einzelnen, die Führer, im Mittelpunkt und gerade nicht das Volk oder die Rasse. So wird ganz apodiktisch behauptet: "Geschichte ist Führergeschichte", denn "im Handeln seiner Führer erscheint das Handeln eines Volkes"(24). Man lehnt zwar die individualistische Geschichtsschreibung ab, aber diese Ablehnung erweist sich "weitgehende Verbalkonstruktion"(25), da mit der Führergeschichte die Methode, Geschichte als die Geschichte großer Männer zu schreiben auf die Spitze getrieben wird. Die mythische Geschichtsschau erklärt die Geschichte nicht kausal, sondern deutet sie symbolisch, sie wird zum nationalsozialistischen Wunschbild der Welt. Die "Geschichte sagt nicht wie es war, sondern wie es hätte sein sollen"(26). Die Historiographie verzichtet dabei völlig auf Tatsachenforschung und wendet sich immer mehr der Sage und dem Mythos zu: Geschichtsbehandlung hat also die paradoxe Aufgabe für den nationalsozialistischen Dichter, die Historie zu vertreiben und dagegen den Sagenschatz des Volkes zu vermehren.(27)Bei dieser Sakralisierung bestimmter Bereiche ist eine willkürliche Auswahl nach den Bedürfnissen der Gegenwart recht einfach. Zur breiten Verwendung historischer Themen in Lesebüchern ist festzustellen: "Das Selektionsprinzip ist das des Aktualismus unter dem Primat der Politik"(28). Da diese Vorstellungen weder historische Prozesse noch die Fremdheit anderer Epochen anerkennen, sind sie eigentlich ahistorisch, geradezu geschichtsfeindlich. Vor allem wegen des Verhältnisses zu Geschichte stellt sich bei der Behandlung des Nationalsozialismus die Frage nach seinem Verhältnis zu Moderne und Rationalismus(29). Die zentrale Bedeutung der Industrie bei der Aufrüstung einer Armee, die mit modernen Waffen und Taktiken ihre ersten Gegner in "Blitzkriegen" vernichtend schlägt, die Produktion von Wunderwaffen, die Zentralisation der Verwaltung und die Verwertbarkeit des Menschen bis hin zu seiner industriellen Vernichtung geben dem Dritten Reich durchaus das Gesicht eines modernistischen, technokratisch-rationalen Staates. Auch in der Architektur setzt man nicht den romantisierenden Historismus fort, sondern wendet sich in vielen Bereichen dem Funktionalismus zu(30). Der Blut- und Boden-Ideologe Heinrich Himmler soll zwar erst auf Druck Hitlers vorgesehenes Siedlungsland in den Ostgebieten zur geplanten Industrialisierung freigegeben haben(31), andererseits versöhnen sich aber ab 1937 mit den Kriegsabsichten gerade die radikal-völkischen Kreise mit Industrie und Technik, und die SS erliegt im Laufe des Krieges immer mehr einem Wunderwaffenmythos(32). Es ist deshalb müßig, darüber nachzudenken, ob die Nationalsozialisten die Industrialisierung jemals zugunsten eines Bauernstaates rückgängig gemacht hätten(33). Wenn Expansion und Imperialismus unabdingbare Kriterien eines faschistischen Staates sind, schließt dies eigentlich schon die Realisierung bäuerlich-mittelständischer Utopien aus. Wichtiger erscheint die Frage, ob der Nationalsozialismus, wenn er sich, wie manche Nationalrevolutionäre, durch das Erkennen ihrer Notwendigkeit zur Realisierung der Moderne entschließt, überhaupt in der Lage ist, diese adäquat zu erfassen. Ein Denken, das den Irrationalismus zur Methode erhebt, sich auf ein starres Freund-Feind-Denken beschränkt, Kampf und Führertum verherrlicht und historische Entwicklung negiert, muß einfach unfähig sein, einige der grundlegenden Prinzipien der Moderne - Rationalismus, Prozeßdenken und Kooperation - anzuwenden. Wie stark die Orientierung an großen historischen Vorbildern die politische Struktur des Dritten Reiches beeinflußt, hat schon Robert Koehl beschrieben(34). Daß eine Ämtervergabe nach dem Muster mittelalterlicher Lehen und Kompetenzstreitigkeiten, die wie Fehden ausgetragen werden, nicht den Bedürfnissen eines modernen Industriestaates entsprechen ist offensichtlich. Auch das Führerprinzip wird einer modernen Bürokratie nicht gerecht(35). Über die Versuche, auf kapitalistische Wirtschaftmethoden einzugehen, urteilt Koehl: "But onely rarely were Nacional Socialists able to escape from their own romanticism and wihful thinking"(36). Trotz seines starken Interesses an technischen Neuerungen lehnt Hitler die Relativitätstheorie als "jüdische Physik" ab und behindert so die Entwicklung einer deutschen Atombombe(37). Herbert Mehrtens kommt zu dem Schluß, daß die Naturwissenschaften dort am effektivsten bleiben, wo sie sich die stärkste Unabhängigkeit vom System bewahren können(38). Auch die verheerenden Auswirkungen der Rassenlehre wurde schon dargestellt(39). Iring Fetscher verweist darauf, daß der NS-Ostimperialismus von dem Machtstaatsdenken des 18.Jahrhunderts geprägt ist. "In ihrer Beurteilung der Machtverhältnisse auf der Welt wurden sie Opfer ihrer eigenen Ideologie(40). Die Mystifizierung der Technik, die ihren Höhepunkt im Wunderwaffenmythos findet, läßt die sinnvolle Beurteilung ihrer Möglichkeiten nicht mehr zu(41). Am deutlichsten wird das Unverständnis der Moderne bei der Verherrlichung des germanisch-faustischen Erfinders. Nach Hitlers Auffassung wird die Technik von genialen Einzelpersonen entwickelt(42). Anstelle von Grundlagenforschung und Weiterentwicklung setzt das Rüstungsministerium immer wieder auf "Erfindungen". Ludwig folgert daraus, daß der Nationalsozialismus als Ideologie vorurteilsfreier Forschung diametral entgegenstand. Seine Anhänger verfingen sich im Kriege in der selbstgelegten Schlinge, da sie verlangten, daß sich auch die Wissenschaft den von ihnen geschaffenen Voraussetzungen anpassen müsse. Nicht zuletzt gehörten dazu aber völkisch rassistische Irrlehren, die zur Lösung wissenschaftlicher Grundaufgaben nicht nur nichts beitrugen, sondern sie behinderten und verzögerten.(43)Das elitäre faschistische Denken kann sich anscheinend technische Entwicklungen in anonymen Großlabors nicht vorstellen. Ludwig spricht dabei vom "naiv-heroischen Charakter des deutschen Soldatentums"(44). Als Konsequenz ist das nationalsozialistische Deutschland ab 1943 den Alliierten auf fast allen Gebieten technisch unterlegen(45). Die Nationalsozialisten erliegen wie die deutsche Bevölkerung dem eigenen Wunderwaffenmythos. Himmler überlegt schon 1940, ob nicht Sagen wie die vom fliegenden Hammer Thors auf Wunderwaffen der Germannen hindeuten: "Neue siegbringende Waffen und Kampfmittel sollten sich so wie einst Siegfrieds Schwert Balmung aus völkischen Geheimkammern beziehen lassen" (46). Der irrationale Glaube an eine Wiederholung der Geschichte wirkt auch auf die großen Propagandisten, Hitler und Goebbels. Immer wieder hoffen sie auf ein Zerbrechen der feindlichen Koalition wie im Siebenjährigen Krieg nach dem Tod der Zarin. Nach Roosevelts Tod herrscht bei Goebbels eine fast euphorische Stimmung. Barthel spricht in diesem Zusammenhang von einer "autosuggestiven Funktion", die die Propaganda auf die NS-Führer selbst hat(47). Der Nationalsozialismus akzeptiert zwar die modernen technischen Errrungenschaften, um sie für den geplanten Krieg zu benützen(48); dieser Vorgang ist aber ein Willensakt, den die eigene Weltanschauung, den die eigene Weltanschauung in pseudoreligiöse Bereiche hebt. Die "Mystik des Fliegens"(49) oder die "Sachlichkeit eines Maschinengewehrs" verhindern das Erkennen der rationalen und komplexen modernen Gesellschaft. Das Begriffsschema des Faschismus reduziert komplexe Sachverhalte auf ein einfaches Schema, auf soldatische Lösungen. "Der Faschismus und seine Nebenströmungen waren ja - philosophisch gesprochen - zu einem guten Teil Vereinfachungsbewegungen"(51). Der daraus abgeleitete faschistische Funktionalismus hat die Logik und Ästhetik eines Geschosses, genauso radikal, dynamisch und unflexibel(52). Das rationale Handeln der Nationalsozialisten verläßt im Grunde nie den irrationalen Rahmen , der durch ihre Ideologie abgesteckt ist(53). IV.2. Nationalsozialistische LiteraturpolitikDer Prozeß der Machtübernahme läßt sich in bezug auf die Literatur am besten an der Preußischen Akademie der Künste der Künste verfolgen(54). Jüdische Autoren und solche, die sich für Sozialismus und Pazifismus eingesetzt haben, werden entfernt. Andererseits versucht man konservative bürgerliche Autoren zur Mitarbeit zu bewegen, um so dem NS-Kulturbetrieb einen würdigen Anstrich zu geben. Goebbels' Bemühungen um Thomas Mann und Stefan George sind bekannt(55). Die preußische Akademie der Künste verliert ungefähr die hälfte ihrer alten Mitglieder, den Höhepunkt markiert dabei der Ausschluß des ehemaligen Vorsitzenden Heinrich Mann.Von der alten Besetzung sind als Autoren historischer Romane im Rahmen dieser Arbeit wichtig: Hermann Hesse, Ricarda Huch, Erwin Guido Kolbenheyer, Walter von Molo, Wilhelm Schäfer, Wilhelm von Scholz und Ina Seidel. Hesse hat die Akademie 1930 verlassen, Kolbenheyer und Schäfer sind 1931 aus Protest gegen die demokratischen Tendenzen der Akademie ausgetreten. Es verweist auf die ideologische position des historischen Romans, daß die Nationalsozialisten niemanden von den Autoren dieses Genres auszuschließen brauchen. Ihr demokratisches Engagement beweist Ricarda Huch, die 1933 aus Protest gegen den Ausschluß Heinrich Manns die Akademie verläßt. Im März 1933 wird die Akademie mit völkisch-nationalen Autoren ergänzt, von denen folgende historische Romane geschrieben haben: Werner Beumelburg, Hans-Friedrich Blunck, Paul Ernst, Erwin Guido Kolbenheyer, Agnes Miegel, Wilhelm Schäfer und Will Vesper. Im Oktober folgt noch die der katholischen Neuromantik zuzurechnende Enrica von HandelMazetti. Damit bedanken sich die Nationalsozialisten für geleistete Dienste und verhelfen ihren Parteigängern zu Lasten von Juden und Demokraten zu Erfolg und Karriere. Neben der Umbesetzung werden die Kompetenzen der Akademie eingeschränkt und weitgehend vom Propangandaministerium wahrgenommen, ihr selbst bleiben fast nur noch Repräsentationsaufgaben. Von den Autoren historischer Romane sind allerdings drei Nichtmitglieder der Akademie betroffen: Max Brod, Lion Feuchtwanger und Bruno Frank. Alle drei sind Juden und müssen deshalb das Land verlassen. Für Frank und Brod kann man die Ansicht vertreten, daß sie allein aus Rassegründen abgelehnt werden, denn ihre historischen Romane wären für die Naitonalsozialisten inhaltlich mindestens ebenso rezipierbar gewesen wie die von Hesse, Seidel und Handel-Mazetti. Einzig Feuchtwanger hätte wohl auch als "Arier" das Land verlassen müssen. Konkrete Auswirkungen auf die Literatur hat ihr sofort einsetzende Funktionalisierung als Propagandainstrument. Den ersten spektakulären Bücherverbrennungen vom 10.Mai folgt bald die gezielte Säuberung von Bibliotheken, in deren Verlauf manche fast die Hälfte ihres Bestandes verlieren(56). Der Säuberung folgt die Lenkung des Literaturbetriebs. Dietrich Strothmann, der die NS-Literaturpolitik ausführlich beschrieben hat, nennt vier Hauptkontrollmittel: die šberwachung der Autoren, die Verlagslenkung, die Steuerung des Buchhandels und die Lenkung des Büchereiwesens(57). Die zahlreichen Einfluß- und Zensurmaßnahmen führen dazu, daß der Buchmarkt bis 1938 fast völlig von linientreuer Literatur beherrscht wird(58). Strothmann erwähnt noch eine Gruppe sogenannter unerwünschter Autoren, denen es möglich gewesen ist, im "Dritten Reich" zu veröffentlichen. Unter ihnen findet man eine ganze Reihe von Autoren historischer Romane, auf die im Einzelfall noch eingegangen wird(59). Ein weiteres Mittel, Literaturbetrieb einzuschränken und zu kontrollieren, ist das "Kritikverbot" vom 27.11.1936, das nur noch Buchbesprechungen in Form einer inhaltsangabe mit einer anschließenden Empfehlung zuläßt(60). Die Literaturkritik, die damit fast völlig auf ästhetische Wertungen verzichten muß und nur den weltanschaulichen Gehalt zu beurteilen hat, verkommt zu einem "Zeitungsbericht" über die Taten des Romanhelden(61). Andererseits wird versucht, die Produktion und den Verkauf erwünschter Literatur durch Werbung, Ausstellungen, Preise und Empfehlungslisten für Büchereien zu fördern. Diese Art der Literaturpolitik führt bald zu einer Flut von historischen sowie Heimat- und Bauernromanen(62), gegen die sich offiziellen Stellen mit dem Schlagwort vom Konjunkturliteratentum zu wehren versuchen. Es wird beklagt, daß die Autoren vor den Gegenwartsproblemen in die Geschichte ausweichen, und versucht, die Flut von historischen Romanen - allein 1938 über 100 - einzudämmen, aber die Versuche, Autoren in größerem Maße für Zeitromane zu gewinnen, bleiben erfolglos(63). Auch in seinen Bemühungen die Literatur zu kontrollieren zeigt der NS-Staat keine einheitliche Linie, sondern stütz sich auf mehrere gegeneinander arbeitende Institutionen(64). Es lassen zwei Konkurrenten ausmachen: das Propagandaministerium unter Goebbels, mit der Reichskulturkammer(RKK) mit Indizierungsvollmacht und der Jahresschau des deutschen Schrifttums, sowie die Rosenberg-Dienststelle mit einem enormen Stab an Lektoren und den Organen "Völkischer Beobachter", "Nationalsozialistische Monatshefte", "Nationalsozialistische Bücherkunde" mit dem Jahresgutachtenanzeiger, allerdings ohne die Berechtigung, Verbote auszusprechen(65). Im wesentlichen dreht sich der Streit darum, daß Rosenberg, der dem extrem völkischen Flügel der NSDAP zuzurechnen ist, die Literatur zu einem Transportmittel und Schulungsmedium völkischnationaler Weltanschauung machen will. Goebbels dagegen schätzt den Propagandawert der Literatur nicht besonders hoch ein - er hat andere Mittel zur Verfügung - und möchte sie mehr zur Unterhaltung und als Repräsentationskunst einsetzen. Gerade deshalb bemüht er sich um die Integration prominenter Künstler; "sein Maßstab waren nicht deren weltanschauliche Orientierung, sondern ihre künstlerische Wirksamkeit, vor allem ihre Popularität"(66). Rosenberg klagt in seinem tagebuch über Leute, die, statt Weltanschaung zu verbreiten, wieder zurück zu "Brot und Spielen des alten Roms" wollen(67). Bezeichnend ist die Auseinandersetzung um den Expressionismus, den Goebbels und Teile des NS-Studentenbundes zur arteigenen Kunst erklären wollen. Dieser Streit wird im September 1934 von Hitler gegen den Expressionismus entschieden(68), was aber wohl eher an Hitlers kleinbürgerlichem Kunstverständnis liegt als an dem Verhältnis Faschismus-Expressionismus(69). In diesem Fall hat sich noch einmal der völkische Teil der NSDAP durchgesetzt. Da die NS-Literatur ihrem Selbstverständnis nach rein inhaltlich bestimmt ist(70), ist es angebracht, zuerst die wesentlichen inhaltlichen Kriterien herauszustellen. Aus der Entstehung dieser Literatur aus völkischem Blut- und Boden-Schrifttum und nationalistischem Kriegsroman ergibt sich die Verpflichtung zur Darstellung von "gesundem Volkstum" und von einem Heroismus, der teilweise zu einem regelrechten Totenkult übersteigert wird, bis zur "Perversion der Nekrophilie"(71). Die Darstellung heroischer Führerfiguren gilt als absolutes Muß. Schmückles "Engel Hiltensperger" und Bluncks "König Geiserich" gelten als vorbildhaft(72). Es spricht für die Bedeutung des Führerprinzips, wenn in einem Roman über Hannibal sogar ein nichtarischer semitischer Führer verherrlicht werden kann, der an den mangelnden rassischen Qualitäten seines Volkes scheitert, während sie bei ihm selbst anscheinend keine Rolle spielen(73). Da diesen Inhalten religiöser Charakter zukommt, muß eine irrationale Grundhaltung immer gegeben sein. die inhaltlichen Anforderungen, denen die NS-Literatur genügen soll, lassen sich analog zur NS-Weltanschauung aufstellen: Heroismus, Gemeinschaft und Irrationalismus(74). Die Literaturwissenschaft lehnt es in der Regel ab, die NS-Literatur unter formalen und stilistischen Gesichtspunkten zu sehen. Vondung empfiehlt, neben den drei inhaltlichen Kriterien lediglich noch die Kombination aus "offiziellem Selbstverständnis" und "individuellem Bekenntnis"(75). Es stellt sich die Frage, ob man es sich damit nicht zu einfach macht. Niemand, der NS-Architektur betrachtet, bei der der ideologische Gehalt nur über die Form vermittelt werden, würde behaupten, es gäbe keinen nationalsozialistischen Baustil. Es dominiert ein gigantomanischer, versachlichter Neoklassizismus, in dem sich Größe und Allmacht des Staates manifestieren sollen. Das Gigantische - eigentliche Unklassische - degradiert den Menschen vor diesen Gebäuden zum Liliputaner, zum Nichts(76). Mit dem Rückgriff auf die klassizistische Form soll zweifelsohne ein ahistorischer Ewigkeitsanspruch symbolisiert werden(77). Bei diesem Streben nach Ewigkeits- und Endzeitwerten handelt es sich allerdings nicht um einen völkisch-romantischen Antimodernismus. Der hatte im Historismus der Gründerzeit mit Rückgriffen auf die mittelalterliche Gotik und Romanik seinen Höhepunkt. Das neuschwanstein eines weltfremden Fürsten und die neogotischen Fassaden neureicher Unternehmer sind symptomatisch für das Geschichtsbild dieser Zeit. Zwar läßt sich Himmler, ganz in dieser Tradition, eine alte Burg zur Gralsburg mit Tafelrune und Gruft ausbauen, kennzeichnet damit aber eher seine Position als völkisch-esoterischer Außenseiter(78). Der NS-Neoklassizismus greift dagegen mehr Moeller van den Brucks preußischen Stil auf, der sich durch kühle soldatische Sachlichkeit gegen die Romantik absetzt. Die Neugestaltung des königlichen Platzes in München wird wie folgt beschrieben: Alles kleinliche Grünzeug auf dem Platz selbst ist verschwunden und einer großzügigen steinernen Plattenfläche gewichen. Dem neuen Raum ist damit jedes Natürlich-Zufällige genommen und ihm eine strenge steinerne Form gegeben.(79)Das hat nichts mehr mit romantisch-organischem Denken zu tun. Ferner fällt auf, daß der Neoklassizismus Schinkels nicht nur an Größe übertroffen, sondern auch vereinfacht - funktionalisiert - wird. Der ungegliederte, schmucklose Vierkantpfeiler findet nicht bei Industriebauten Verwendung(80), sondern auch auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg. Wie bei den typisierten Heroen Brekers läßt sich die Auswirkung der modernen Industrie erkennen. Der Rückgriff auf die Klassik ist notwendig, da eine modernistische Architektur ihre Zeitbedingtheit und ihre Vergänglichkeit verraten würde. Nur in der klassischen Form läßt sich der Ewigkeitsanspruch ausdrücken, dessen latenter Nihilismus jedoch deutlich wird, wenn Speer Hitler gegenüber den "Ruinenwert" seiner Bauten preist; sie sollen noch nach Jahrhunderten des Verfalls ihren römischen Vorbildern gleichen. Für die Literatur des "Dritten Reichs" wurden klassizistische Stiltendenzen nur bei einigen nicht eindeutig nationalsozialistischen Autoren - zum Beispiel Bennn und Jünger - festgestellt, sonst lehnt gerade die völkische Literaturwissenschaft den Klassiszimus als liberal-bürgerlich ab(82). Ein merklicher Unterschied bei der Bewertung ästhetischer Kriterien besteht jedoch zwischen den Rezensionen in Zeitschriften und der NS-Literaturgeschichtsschreibung. Die wichtigsten Literaturgeschichten zur zeitgenössischen Literatur sind Helmut Langenbuchers "Volkhafte Dichtung der Zeit"(1933) und Arno Mulots "Die deutsche Dichtung unserer Zeit"(1938). Charakteristisch für beide ist die thematische Gliederung - Soldat, Bauer, Gottschau, Geschichte -, die weder Gattungen noch literarische Strömungen oder verschiedene Epochen berücksichtigt. Dies bestätigt die zentrale Bedeutung des Inhalts und die Nebensächlichkeit der Form(83). Beide widmen bekannten völkischen Autoren der Weimarer Republik - besonders Scholz, Ernst, Schäfer, Kolbenheyer, Strauß und Torney, Blunck und Beumelburg - größte Aufmerksamkeit, während junge NS-Autoren kaum erwähnt werden. Darus wurde schon der Schluß gezogen, daß ein Großteil der NS-Literatur vor 1933 geschrieben worden ist(84), was sich aber mit inhaltlichen Kriterien nicht bestätigen läßt. Die Ursache ist aber vielmehr darin zu sehen, daß die neue, genuin nationalsozialistische Literatur eben den oft negierten ästhetischen Forderungen nicht gerecht wird. Im Bestreben, deutsche Kunst aufzulisten, bleibt der NS-Literaturwissenschaft fast nur die Möglichkeit, konservative und völkisch-nationale Literatur, die auch schon in den Literaturgeschichten der Weimarer Republik ihren festen Platz hat(85). Langenbucher kanonisiert noch im Anhang in Form von Kurzbiographien die volkhaften dichter, während bei Mulot auch christliche und konservative Autoren - Federer, Molo, Klepper - erwähnt werden. Die 1936 erschienene "Deutsche Dichtung der Gegenwart" von Christian Jenssen setzt sich schon ablehnend mit Expressionismus und Reportageliteratur auseinander, um dann sogar Neuromantiker wie Handel-Mazetti, Hesse und Huch als "Meister der volkhaften Dichtung" anzuführen(86). Ähnlich verhält es sich mit den Literaturgeschichten von Kindermann, Linden und Langer(87). Die biographischen Lexika "Die Dichter unserer Zeit"(1938) und "Deutsche Literatur der Gegenwart"(1942) enthalten bis auf die die Emigranten, sämtliche gutbügerlichen Autoren, auch die der "Inneren Emigration"(88), wobei deren Beurteilungen oft wesentlich besser ausfallen als die bewährter NS-Autoren. Die meisten Autoren, die von Strothmann aufgrund negativer Buchbesprechungen in NS-Zeitschriften als unerwünscht bezeichnet, werden Ende der Dreißiger Jahre in den Literaturgeschichten kanonisiert, während die Autoren von angepriesenen Büchern oft nicht erwähnt werden. Für die NS-Literaturgeschichte läßt sich bei der Auswahl der Autoren folgender Trend ausmachen: Die größte Aufmerksamkeit wird den schon in der Weimarer Republik bekannten völkischen Autoren gewidmet, die fast alle Mitglieder der preussischen Akademie der Künste sind; diejenigen, die sich schon vor 1933 am vehementesten für die Blut- und Boden-Ideologie einsetzten - zum Beispiel Jansen und Kotzde - werden eher aus Dankbarkeit kurz erwähnt. So heißt es in einem Aufsatz zum historischen Roman von 1934: Die kraftvolle Schlichtheit Gmelinscher Geschichtsdarstellung ist gleichfalls weit entfernt von jener deutschen Treuherzigkeit und biederen Reckenhaftigkeit der Werner Jansenscher Romane.(89)Autoren, die noch nach 1933 direkt nationalsozialistisches Gedankengut propagieren, werden nur selten aufgenommen. Dieser Trend verstärkt sich im Laufe der Jahre, als immer offensichtlicher wird, daß die Weltanschauungsromane auf einem künstlerisch sehr niedrigen Niveau stehen(90). Selbst ein inhaltlich einwandfrei als nationalsozialistisch zu bezeichnender Roman wird von Rosenbergs Zeitschriften als zu trivial abgelehnt(91). Trotz einer vorwiegend inhaltlich arbeitenden Literaturkritik gibt es ästhetisch-formale Kriterien, denen die einfache Propagandaliteratur nicht genügt. Diese Kriterien werden weitgehend von den literarischen Strömungen übernommen, die als Vorläufer anerkannt werden. Es handelt sich dabei um die Gegenströmungen zum Naturalismus: Neuromantik, Heimatkunst und Neuklassik. Der Expressionismus wird erst nach längerer Diskussion abgelehnt, da er nicht den gutbürgerlichen Vorstellungen mancher NS-Führer vom Gesunden und Schönen der Kunst entspricht(92). Die Neuromantik wird zwar akzeptiert, wobei man den Autoren jedoch oft Weltfremdheit und Schwärmerei vorwirft, was nur bedeutet. daß sie sich den tagespolitischen Fragen zu sehr entziehen. Ferner entwickeln sich aus der Art des nationalsozialistischen Denkens gewisse formale Kriterien, die die Literatur einfach prägen müssen. Aus Heroismus und Führerkult ergibt sich die Forderung nach dem positiven, vorbildlichen Helden,der nicht von seiner Umwelt geprägt, sondern aufgrund seines höheren Bewußtseins dazu bestimmt ist, diese zu formen oder heroisch daran zu scheitern. Immer wieder wird Seelenschau anstelle von Psychologisierung verlangt; man will Archetypen statt Analyse. Zur Darstellung dieses nicht in momentanen subjektiven Vorstellungen befangenen Helden eignet sich am besten ein auktorialer Erzählstil. Da diese Führer sozusagen ahistorische Konstanten sind, entfernt man sich vom bürgerlichen Bidungsroman und zeigt Typen, freilich keine modernen, sondern deutsch-germanische Archetypen - Führer, Krieger, Bauer, Mutter oder Gottsucher. Für Helmut Vallery ist dies eine unbewußte Reaktion auf die Moderne: So spiegeln die Romane unfreiwillig die Atomisierung der bürgerlichen Gesellschaft des 20.Jahrhunderts und die damit einhergehende Entpersönlichung des Individuums.(93)Ebenso verbietet sich von selbst die Darstellung negativer und schwacher Protagonisten(94). Die Gemeinschaft, die ja nicht bloßer Selbstzweck ist, sondern die militante Gefolgschaft des Führers, wird durch dessen vorbildliches Verhalten auf ihn eingeschworen(95). NS-Literatur ist also keineswegs, wie zum Teil die völkischen Bauernromane, Wunschliteratur(96), sie hat Erziehungsfunktion, soll zu Einsatz und Opfer mobilisieren. Da eine Entwicklung des Helden nicht stattfindet oder auf ein einzelnes Erweckungserlebnis beschränkt wird, nähert sich der NS-Roman - wie schon an Schmückles "Engel Hiltensperger" demonstriert - dem Epos an. In einer idealen Welt wird vorbildliches Verhalten demonstriert. Autor, Protagonist und Leser werden zu einer "Kommunikationsgemeinschaft"(97), in der es keine Differenzen geben darf, das heißt, sämtliche literarischen Stilmittel, die Distanz schaffen könnten, wie Satire, Ironie, Verfremdung dürfen nicht verwendet werden(98). Die auktoriale Erzählhaltung und eine oft pathetische und moralisierende Sprache sorgen für die Einbindung des Lesers in die höheren Wahrheiten des Autors. An der NS-Literatur fällt unter anderem ihre abgrundtiefe Humorlosigkeit auf; es wird zwar des öfteren von heiteren oder lustigen Situationen geschrieben, aber zu lachen hat der Leser eigentlich nichts. Grundlegend ist eine Ästhetik, die nicht abstößt. Diese kann sehr einfach und trivial sein, muß aber immer noch den Anforderungen von Schönheit entsprechen, denn schockie- rende Darstellungen und starke Enttäuschungen der Leseerwartungen schaffen ebenfalls Distanz. Da nur die grob schematische Unterscheidung zwischen Freund und Feind möglich ist, verbietet sich jede dialektische Darstellung von Problemen (99). Der Feind kann nicht verstanden werden, er bleibt im Bereich des Bösen, was zu einer starken Vereinfachung der jeweiligen Problematik führt. Ferner muß auf die Beschreibung komplexer oder widersprüchlicher Persönlichkeiten verzichtet werden. Die pseudoreligiöse Botschaft der Romane bedingt zumeist einen pathetischen Stil, der auch auf christliches Vokabular zurückgreift. In der mehr völkischen Literatur bezieht man sich gerne auf die Edda, was aber mit derselben Absicht geschieht. Ganz in diesem Sinne urteilt die Literaturkritik: "das Buch ist kein historischer Roman, es ist ein Bekenntnis"(100). Neben dem Hang zum Pathos zeigt sich als zweite Tendenz die Verknappung der Sprache. Das "ewig Soldatische" versucht man in einer Art Sagastil zu fassen, der karg und holzschnittartig wirkt. Sowohl pseudoreligiöses Pathos wie auch die grob vereinfachende Sprache bedeuten Verzicht auf die Darstellung von Realität zugunsten von höheren Wahrheiten und Einsichten, die keiner näheren Erklärung bedürfen oder gar hinterfragt werden können(101). Dem entsprechen die bevorzugten literarischen Formen von Epos und Saga. Es kann in diesem Zusammenhang eigentlich nicht mehr von nationalsozialistischen "Romanen" gesprochen werden, da mit dem Verzicht auf die realistische Darstellung der Welt und ihrer Probleme wichtige inhaltliche Kriterien des Romans aufgegeben werden. Der Nationalsozialismus muß in der Literatur wie in der Architektur auf klassische Formen zurückgreifen, da er eben nicht Modernes, sondern Ewiges symbolisieren will. Im Epos dokumentiert sich der Wille zum Momumentalen, die Seitenzahl scheint die künstlerische Leistung beweisen zu müssen. Beliebt ist die Trilogie zur Darstellung von zyklischen Geschichtsvorstellungen (102). Wenn Blunck seine "Saga vom Reich" dreibändig in Verse packt, kann er das Nibelungenlied an Umfang übertreffen(103). Neben dem Epos scheint die Saga die Form zu sein, die sich zur Darstellung des nordischen heroischen Menschen am besten eignet. Es werden Typen dargestellt, die vom Schicksal getrieben kämpfen und dabei siegen oder heroisch untergehen. Diese Sagas haben außer ihrem Interesse an vergangenen Zeiten mit romantischer Geschichtsflucht wenig gemein. Der historische Roman um die Jahrhundertwende hatte in der Vergangenheit die harmonische ständische Gesellschaft gesucht, in der sich das individuelle bürgerliche Glück - meist dargestellt an einer Liebesgeschichte - verwirklichen konnte. Die NS-Saga dagegen reduziert die komplexe Welt auf klare Freund-Feind-Verhältnisse und sakralisiert heroischen Kampf und Opfertod; auf den persönlichen Glücksanspruch wird verzichtet. Eine ähnliche Funktion wie die Saga erfüllt die Novelle, die mit ihrer strengen, knappen Form das Preußisch-Soldatische ausdrücken soll. Daß sich diese Formbestrebungen nicht nur auf die NS-Literatur beschränken, sondern in der deutschen Literatur seit 1930 eine Reaktion auf die zerrütteten Zustände der Weimarer Republik darstellen, hat bereits Hans-Dieter Schäfer herausgearbeitet (104). Dieses Krisenbewußtsein äußert sich unter anderem in einer Bevorzugung historischer und mythischer Themen - auch bei den Emigranten -, einem Wiederaufleben von vormodernen Stilen und einem Vordringen klassizistischer Stilnormen(105). Der Klassizismus ist prägend für die NS-Kunstauffassung; er wird gegen das Chaos der Republik gestellt, gegen die "Aufsplitterung der expressionistischen Moderne"(106). Was nach Schäfer die typischen Stilmerkmale der bildenden Kunst sind, läßt sich durchaus auch auf die Literatur übertragen: "Klassizismus", "sakrale Kunst" und "trivialer Naturalismus"(107). IV.3. Der nationalsozialistische historische RomanDer historische Roman wird nach der Machtübernahme zu einer der beliebtesten literarischen Gattungen in Deutschland(108). Die von den Nationalsozialisten ständig wiederholten Beschwörungen der deutschen Geschichte liefern den Autoren massenhaft Stoff zu immer neuen Darstellungen von deutscher Größe und deutschem Heldentum. Schriftsteller, denen aktuelle Gegenwartsromane zu problematisch erscheinen, flüchten in die Geschichte oder üben wie die Autoren der "Inneren Emigration" in versteckten historischen Gleichnissen Kritik an der Realität des Dritten Reichs(109). Meistens bietet sich der historische Roman jedoch an, nach längst eingeübten Mustern opportunistische Unterhaltungsliteratur abzuliefern. Dies führt zu einer derartigen Flut von historischen Romanen, daß sich die NS-Literaturkritik bald gegen das "Konjunkturliteratentum" zur Wehr zu setzen versucht (110) und sogar noch 1940 von einer "seuchenartigen Verbreitung der sogenannten historischen Romane" spricht(111).Die Abwehr geht zum Teil auch darauf zurück, daß der historische Roman neben seiner Unterhaltungsfunktion als wichtiges Medium zum Transport von NS-Ideologie - insbesondere ihres Geschichtsbildes - gilt(112). Durch die Darstellung vorbildlicher Taten und Ereignisse der deutschen Geschichte soll dem Leser die Größe seiner Vergangenheit vorgeführt werden, allerdings nicht zur Erbauung, sondern als mahnende Verpflichtung: Hier ist die Wunschbildfabrikation in vollem Gange; einem Volk mit einer sehr unerquicklichen politischen Gegenwart werden Bilder einer vorgeblich heroischen Vergangenheit gezeigt, und zwar in der Absicht, daß es sich mit dieser Vergangenheit identifiziert und den gegenwärtigen Problemen im Sinne dieser heroischen Vergangenheit begegnet.(113)Der Leser erscheint als Glied einer endlosen Ahnenkette, die für ihn zur historischen Verpflichtung wird(114). Da jedoch die Führer der Gegenwart Ziel und Streben der Ahnen bestimmen, findet eine Enthistorisierung der Geschichte im Sinne des gegenwärtigen politischen Interesses statt. Langenbucher will von "geschichtlicher Dichtung" nur dort sprechen, "wo eine einzelne Gestalt oder ein bestimmter Zeitraum durch den Dichter so zum Symbol, zum Gleichnis geworden sind, daß wir beim Lesen des Geschichtlichen als einer Äußerlichkeit vergessen und des darin lebenden Gegenwärtigen nur um so stärker und zwingender bewußt werden." Geschichtliche Dichtung muß für ihn "Vorbild und Gegenwart" sein(115). Wenn die Bezeichnung "Roman" für einen Großteil der NS-Literatur schon fragwürdig erscheint, so ist die Bezeichnung "historisch" völlig unrichtig. Wollte man die Begriffe korrekt anwenden, so hätte es keinen einzigen nationalsozialistischen historischen Roman gegeben. Treffender wäre es, von einer Epik zu sprechen, die sich historisierender Fabeln bedient. Da sich die Bezeichnung "historischer Roman" jedoch in der Forschung eingebürgert hat und außerdem auf die Traditionslinien der NS-Literatur verweist, soll diese Bezeichnung trotz ihrer Fragwürdigkeit beibehalten werden. Die NS-Literaturkritik warnt davor, "allzu eilfertig <...> äußere Parallelen zwischen Gegenwart und Vergangenheit" herzustellen; Modernisierungen sollen unterbleiben, statt dessen soll die "ewige deutsche Gegenwart" dargestellt werden(116). Das kann eigentlich nur bedeuten, daß der Autor nicht zu plump vorgehen, den Anschein des Historischen wahren und dabei verdeckt die Gegenwartsideologie unterbringen soll: Die weltanschaulichen Fragen dürfen nicht erklärt oder diskutiert werden, nein, die Repräsentanten der Weltanschauung, die Kämpfer der Ideen müssen durch ihr Leben aussprechen, was die Haltung beinhaltet.(117)Der historische Stoff soll demnach seine Differenz zur Gegenwart "unmerklich" verlieren(118). Der historische Roman dient also nicht der Ausbildung eines historischen Bewußtseins, sondern der Manipulation der Leser für die politischen Ziele der Gegenwart. Hierzu wird er mit Vorliebe auf ein jugendliches Publikum zugeschnitten. Eine Dissertation von 1937 weist zwar auf die Gefahren hin, die durch "einseitige Parteinahme", "Situationsinteresse" und die "naive Einstellung des Kindes zur historischen Wahrheit" bei der Lektüre solcher Romane auftreten können, plädiert dann aber doch für deren Verwendung(119). Da an den Schulen das Fach Geschichte "den Hauptteil an politischer Indoktrination" übernimmt, gerät es dabei, nach Kurt-Ingo Flessau, zum "säkularisierten Religionsunterricht"(120), in dem der historische Roman gezielt verwendet wird(121). Auch bei Aufbau von NS-Büchereien nehmen historische Romane im relativ kleinen Bereich der schönen Literatur mit einem guten Drittel wohl den bedeutendsten Raum ein(122). Aufgrund dieser Funktionalisierung und Politisierung setzt sich der nationalsozialistische historische Roman gegen zwei seiner konservativen Vorgänger ab, den Professorenroman und den neuromantischen Roman(123). Der historische Roman soll sich nicht romantisch der Vergangenheit zuwenden, sondern diese zum "Symbol des Gegenwärtigen und zeitlos Gültigen" hochstilisieren(124). Den Professorenromanen Dahns und Freytags wird die Verbürgerlichung der großen Heroen vorgeworfen. Außerdem zerstöre Freytags Positivismus den erwünschten Geschichtsmythos, Freytag und Dahn fühlten sich der Vergangenheit überlegen. Als Vorläufer der eigenen Literatur gilt deshalb eher Stifters "Witiko", da er wie diese einen Mythos beschreibe(125). Obwohl im Dritten Reich diese Romane weiterhin beliebt bleiben, wird mit dieser Kritik die neue Literatur aufgefordert, auf Realismus und Historismus zu verzichten, Geschichte nicht romantisch zu verklären, sondern sie zum ahistorischen Mythos der politischen Gegenwartsprobleme zu erheben. Die bedeutendsten NS-Autoren historischer Romane, denen auch die Literaturgeschichten jener Zeit die größten Abschnitte widmen, sind Erwin Guido Kolbenheyer, Hans-Friedrich Blunck und Werner Beumelburg. Von ihnen sind die Vorzeigestücke des historischen Romans zu erwarten(126). Auch die älteren völkischen Autoren - Strauß und Torney, Miegel, Löns, Schäfer, Ernst - werden immer wieder als vorbildlich herausgestellt, für die Neuproduktion historischer Romane nach 1933 bleiben sie jeodch unbedeutend(127). Der historische Roman bietet wie der Kriegsroman den Vorteil, sich auf reale Ereignisse stützen zu können. Durch das Zitieren der Geschichte soll den ideologischen Mythen des Dritten Reichs Realität verliehen werden. Der von Hans V. Geppert für den historischen Roman als grundlegend beschriebene "Hiatus zwischen Fiktion und Historie"(128), die unaufhebbare Differenz zwischen der Schilderung des Autors und dem "was war", muß überspielt werden: "Wir haben es hier mit dem Bemühen zu tun, diesen Hiatus selbst zu leugnen, eine Identität von Fiktion und Historie zu behaupten"(129). Helmut Vallery analysiert gründlich die Methoden, deren sich der historische NS-Roman bedient, um seinen Realitätsanspruch zu unterstreichen(130). Die wichtigsten sind die Hinweise auf historische Daten und Chroniken, ein ausführliches Lokalkolorit, eventuell eine altertümliche Sprache - besonders bei Kolbenheyer und Schmückle - zur Demonstration der historischen Kenntnisse des Autors und des öfteren eine "wissenschaftliche" Einleitung. Vallery nennt zwei Hauptmethoden zur Aktualisierung der Geschichte: die Enthistorisierung und den direkten Bezug auf die Gegenwart(131). Obwohl die NS-Literaturkritik die zweite als die plumpere weitgehend ablehnt, finden sich auch dafür einige Beispiele(132). Viel wichtiger ist aber die Enthistorisierung, indem man die Geschichte zur rational nicht zugänglichen Heilsgeschichte macht, vor allem durch die "Heiligsprechung des Dichters", der als Prophet die höheren Wahrheiten verkündet(133). So schreibt die NS-Literaturgeschichte: "Allzeit stiegen die großen Dichter hinab zu den Müttern, um diesen das Geheimnis des menschlichen Daseins abzuringen"(134). Aus dem nationalsozialistischen Literatur- und Geschichtsverständnis lassen sich demnach einige formale Voraussetzungen für den historischen Roman ableiten. Am idealsten erscheinen klassische "zeitlose" Formen wie Epos und Saga, beispielhafte Ereignisse können auch in Novellen beschrieben werden. Das Epos findet seine höchste Steigerung in der Trilogie, die allerdings nie historische Entwicklung darstellt, sondern einzelne heroische Höhepunkte. Der historische Roman verzichtet damit auf den ihm früher eigenen Entwicklungsgedanken, der für die bürgerlichen Romane Freytags und Wicherts noch charakteristisch war(135). Die historische Handlung wird auf den positiven und heroischen Protagonisten konzentriert, der als Führertypus und Werkzeug des Schicksals ebenfalls keine Wandlung durchläuft. Ein auktorialer Erzählstil, oft durchsetzt mit Kommentierungen, soll die Handlungen des Helden jeder Kritik entheben und gleichzeitig dem Erzähler den Anschein des objektiven Historikers geben. Der vorgetäuschte Realitätsanspruch führt in der Regel zu ausführlichen naturalistischen Schilderungen. Die Sprache selbst ist meistens pathetisch bis pseudoreligiös, um die besondere Bedeutung der Botschaften zu unterstreichen. Das Historische wird zum Ewigkeitswert stilisiert, wobei direkte Propaganda und aufdringliche Aktualisierung vermieden wird. Verzichtet wird auf romantypische Charakteristika, wie Entwicklung und Individualismus. Zurücktreten vor der Verwirklichung der höheren Aufgaben muß auch das private Glück , das im Roman meistens durch eine Liebesgeschichte dargestellt wird. Die vorliegenden nationalsozialistischen historischen Romane sind auf diese formalen Kriterien hin zu überprüfen. Der wichtigste Punkt bei ihrer Beurteilung bleibt immer noch ihre šbereinstimmung mit der nationalsozialistischen Weltanschauung, deren wesentliche und unveränderbare Elemente die Vorstellung einer hierarchisch gegliederten Gemeinschaft, Heroismus und Irrationalismus sind. VI.4. Fraktionen im nationalsozialistischen historischen RomanDas oft widersprüchliche Konglomerat der NS-Weltanschauung, besonders die Tatsache, daß die NSDAP nicht zuletzt wegen ihrer kleinbürgerlich-antimodernistischen Parolen an die Macht gekommen ist, dann aber den Modernisierungsprozeß noch beschleunigt, läßt auf Gegensätze innerhalb der Partei schließen, die sich auch in der Literatur niederschlagen müssen. Da der historische Roman kein parteieigenes Organ ist, sondern ein noch relativ freies Medium, können sich in ihm sämtliche Gruppen artikulieren, die mehr oder weniger mit dem neuen Staat einverstanden sind. Die Beliebtheit des historischen Romans und seine oberflächliche Entfernung vom aktuellen politischen Geschehen lassen sogar eine versteckte Kritik am System zu; eine Möglichkeit, die von den Autoren der "Inneren Emigration" benützt wird. Bei dem Bedürfnis der Nationalsozialisten nach historischer Ausstattung ist vieles rezipierbar, wenn es nicht gerade grundsätzlich gegen ihre Weltanschauung verstößt. So lassen sich selbst an systemkonformen Romanen immer noch verschiedene Staats- und Gesellschaftsvorstellungen erkennen.IV.4.1. Genuin nationalsozialistische historische RomaneDer nationalsozialistische historische Roman geht im wesentlichen auf den völkischen Bauernroman und den nationalrevolutionären Kriegs- und Freikorpsroman zurück. Das heißt, die Bauern müssen entweder militarisiert werden, wodurch sie ihre Funktion für die kleinbürgerliche Utopie verlieren, oder der Soldatenstaat muß zur Realisierung der Blut- und Boden-Ideologie in Marsch gesetzt werden.Diese beiden Ansätze lassen sich an zwei historischen Romanen demonstrieren, an Wolfgang Schreckenbachs "Die Stedinger"(1936) und an Fritz Helkes "Fehde um Brandenburg"(1936). Beide sind NS-Romane, wobei der erste mehr aus der völkischen und der zweite mehr aus der nationalrevolutionären Richtung kommt. Beide werden zur Anschaffung für Volksschulbüchereien empfohlen(136) und erreichen von den empfohlenen und nach 1933 erschienenen historischen Romanen die höchsten Auflagen und die beste Position in den NS-Literaturgeschichten. Es spricht für die weitgehende Trivialität der NS-Literatur, wenn ein guter Teil ihrer bedeutenden Werke auch als Bücher für die Jugend gepriesen werden. In diesen Jugendbüchern wird der Leser zwar ziemlich direkt angesprochen, aber auch hier soll direkte Propaganda vermieden und die "Botschaft" durch vorbildliches Verhalten vermittelt werden. Schreckenbachs "Die Stedinger" ist oberflächlich betrachtet ein Bauernroman, ähnlich wie Hinrichs "Volk am Meer". Thema ist der Kampf der Stedinger im 13.Jahrhundert gegen den Erzbischof von Bremen und die Grafen von Oldenburg. Mit Acht und Bann belegt widerstehen sie mehreren Kreuzfahrerheeren, um am Ende heldenhaft unterzugehen. Die Stedinger werden von den Nationalsozialisten als vorbildliches germanisches Bauernvolk verehrt; an ihren Kampf gegen die Kirche und ihren heroischen Untergang wird mit Feiern und der Errichtung einer nationalen Gedenkstätte bei Altenesch - dem Ort ihres letzten Kampfes - erinnert. Schreckenbach geht es hier darum, ein herausragendes, heldenhaftes und tragisches Beispiel aus der deutschen Geschichte zu beschreiben. Er benützt dazu auch die Form der Saga und eine getragene, aber knappe Sprache. Auffällig ist außerdem der moralisch wertende Eingriff des Autors. Um den Roman noch stärker an die nordischen Sagas anzulehnen, wird ihm ein Motto aus der Edda vorangestellt: Besitz stirbt, Sippen sterben,Mit dem Bezug auf dieses Motto schließt der Roman in sakralem Ton. Das Opfer der Stedinger geht ein in die Mythen des deutschen Volkes: "Hier schließt das Buch vom Heldenkampf und Untergang der Stedinger. Der Ruhm aber, den sie erworben haben, dauert ewig." Um den Mythos dieses "ewigen" Volksschicksals aufrechtzuerhalten, unterschlägt Schreckenbach, daß die Stedinger erst um die Jahrtausendwende das Land besiedelten und sich dann von der Herrschaft des Erzbischofs befreien wollten; seine Stedinger leben "seit unvordenklicher Zeit" im Land, viel länger als die christliche Kirche(137). Der Hauptfehler der Stedinger ist, daß sie nicht rechtzeitig auf ihre Führer hören und die für die Landesverteidigung notwendigen Opfer bringen. Als endlich die richtigen Führer gewählt sind - sie kommen als Bauern aus dem Volk -, sind bereits einige schwerwiegende Fehler gemacht worden. In der Krise jedoch steht das Volk "einig und geschlossen <...> hinter seinen erwählten Führern"(138). Der Volksgemeinschaft wird alles untergeordnet, das Opfer ist für sie das höchste Ziel: Mit beinahe froher Ungeduld ersehnte Bolko plötzlich den Tag, an dem er der Heimat seine Liebe mit dem Schwert in der Faust würde beweisen können.(139)Bemerkenswert ist, daß diese Volksgemeinschaft über der germanischen Sippe steht; womit ein zeitgenössischer Anspruch in die Vergangenheit übertragen wird. Wenn vom Blut gesprochen wird, bezieht sich das immer auf das Volk und nicht auf die Familie. Ein Stedinger Priester, der für sein Volk kämpft und deshalb als Ketzer verbrannt wird, begründet sein Handeln mit der Stimme des Blutes(140). Verräter werden gnadenlos umgebracht; es erschlägt dabei der Vater den Sohn, und die Schwester des Verräters Nome Holling verrät diesen an die Stedinger, um sich nach seinem Tod samt dem Hof selbst zu verbrennen(141). Hier wird die Sippenhaft heroisch selbst vollzogen. Der Kampf gegen Adel und Kirche, die bäuerliche Volksgemeinschaft und die selbstgewählten Führer entsprechen einer völkischen Gesinnung. Diese wird aber zur nationalsozialistischen, da es nicht mehr um die konservative Bewahrung des Bauernstaates geht, sondern um seine restlose Militarisierung. Das Opfer für eine aussichtslose Sache wird pseudoreligiös verbrämt: Der Ruhm der Stedinger ist wichtiger als ihr Leben. So wird das Angebot des Bischofs, sich zu unterwerfen, mit der Parole "lieber tot als Sklav"(142) abgelehnt. Es ist eine hohle Phrase, wenn Schreckenbach, nachdem alle Stedinger in einem wahren Nibelungenkampf einer riesigen šbermacht unterlegen sind, behauptet: "So fanden die Stedinger ihr Ende, weil sie sich nicht unter den Erzbischof beugen wollten und die Freiheit lieber hatten als Leben"(143) Die Freiheit, ihr Leben einem ruhmvollen Opfertod vorzuziehen, hatten sie allerdings nicht. Freiheit bedeutet für Schreckenbach das Opfer des Einzelnen zum Ruhm des Ganzen. Mit der Militarisierung der Volksgemeinschaft und der Verherrlichung des Opferrituals geht Schreckenbach wesentlich weiter als dies in ähnlichen älteren Bauernromanen - von Bartels, Löns und Hinrichs - getan wird. Seine Bauern und Führer haben denn auch den letzten Rest an Individualismus verloren; sie sind nur noch standardisierte Typen. Der Roman "Fehde um Brandenburg" von Fritz Helke schildert die Kämpfe im spätmittelalterlichen Brandenburg beim Ausbau der Landesherrschaft zwischen den Anhängern des alten Feudalsystems - den Quitzows - und dem neuen Kurfürsten Friedrich von Hohenzollern, der die moderne Staatsidee vertritt. Die Politik der Hohenzollern erscheint nicht als historischer Prozeß, sondern als mythisches Werden des preußischen Staates als Vorgänger des Dritten Reichs. Friedrich vertritt deutlich nationalsozialistische Elite- und Staatsvorstellungen, allerdings nationalrevolutionärer Provenienz: Der Adel vergißt, daß er auserwählt ist vor den Massen des Volkes, um diesem Volk Hüter und Schützer zu sein! Daß harte Pflichten sich an seine Rechte binden, daß seine Rechte nur durch diese Pflicht bestehen!(144)Als Herrscher will er dem Land etwas geben und dafür auch die Quitzows, "diese trotzigen Bären gewinnen(145). Die Quitzows dagegen werden als wilde und urwüchsige Angehörige des brandenburger Adels geschildert, ihre Führungsposition legitimieren sie nicht mit ihrer Abstammung, sondern durch Leistung: "Was ich bin, das bin ich aus mir selbst, durch meines Geistes und meines Armes Kraft!"(146) Vor allem durch das Propagieren preußischer Staatsvorstellungen … l Spengler oder Jünger und der Verbindung von Leistung und Elite rückt der Roman in die Nähe der nationalrevolutionären Ideologie. Typisch ist auch, daß die Personen des Romans keine Bauern, sondern Krieger und Führer sind, und daß ein Thema der preußischen Geschichte behandelt wird. Der Qualitätsmaßstab bei der Beurteilung von Menschen ist ihre militärische Verwendbarkeit, durch die sich auch die Bürger auszeichnen können(147). Nationalsozialistisch wird der Roman durch das Einfließen der Blut- und Boden-Ideologie, die dem zu schaffenden "preußischen Staatswesen" das imperialistische Ziel weist: Im deutschen Osten brennt es. <...> Wieder einmal ist die deutsche Grenzmark in Gefahr, der slawischen Invasion zu erliegen, die deutsche Ritter vor Jahrhunderten schon einmal gebrochen haben. Die Ordensritter bitten Brandenburgs mächtigsten Mann um seine Hilfe gegen die Polen. Und der Quitzow versagt sich. Er hat nicht begriffen. Er hat nicht erkannt, welche Aufgabe Brandenburg zugefallen ist im deutschen Raum.(148)Der Autor läßt keinen Zweifel daran, "worum es in Deutschland geht", gegangen ist und immer gehen wird. Dieser an Quitzow gerichtete Erzählerkommentar gilt nur dem Leser, dem völliges Einverständnis suggeriert wird und dem damit die Verpflichtung zukommt, Quitzows verfehlte historische Mission aufzunehmen. Sein ahistorisches Geschichtsverständnis von den ewig gleichbleibenden Aufgaben bringt Helke schon im Vorwort zum Ausdruck: Denn, mögen auch die Formen des äußeren Lebens sich beliebig wandeln, die Kräfte, die im letzten unser Schicksal gestalten, bleiben die gleichen für Zeit und Ewigkeit.(149)Helke negiert ausdrücklich den historischen Prozeß, der mit dem Ausbau der Landesherrschaft durch die Hohenzollern in Brandenburg stattfindet. Für ihn bricht nur Ewiges schicksalhaft hervor. Statt einer Entwicklung stellt er ein heroisches Beispiel dar, das am Schicksal der Quitzows durchaus einen nihilistischen Grundzug verrät: In Quitzow kämpft die Sippe, längst ihrer völkischen Bindung entkleidet, in Friedrich zeigt sich der gleiche Begriff schon wieder zum Volkhaften ausgeweitet. Zum ersten Male tritt in ihm das staatliche Prinzip sichtbar in Erscheinung. Und so ist diese Fehde auch schon im voraus entschieden. Aber wie sie geführt wurde, das ist wesentlich und beispielgebend.(150)Helke führt in seinem Roman nur noch Typen vor. Dies wird vor allem im Vergleich mit den früheren Preußenromanen von Flex und Naso augenfällig, deren Protagonisten sowohl eine Entwicklung durchlaufen wie auch Individualität besitzen. Die Statik des Romans ist aber nicht nur auf Handlung und Protagonisten beschränkt; sie ergreift auch das "Historische", das neben den zu Ewigkeitswerten erhobenen nationalsozialistischen Vorstellungen völlig verlorengeht. Ähnlich wie Schreckenbach benützt Helke eine knappe, reduzierte Sprache, die auf die Darstellung von Realität zugusten des "Wesentlichen", des heroischen Beispiels, verzichtet. Für beide Bücher sind somit in engerem Sinn die Bezeichnungen "Roman" und "historisch" falsch. Am historischen Beispiel stilisieren sie ein Opferritual; dieses Ritual wird durch die Sagaform der Kritik entzogen und als ewiggültiger Mythos des deutschen Volkes ausgegeben. Die Entwicklung zum nationalsozialistischen historischen Roman läßt sich am besten am Werk Hans-Friedrich Bluncks vorführen. Während der Weimarer Republik hatte er noch als völkischer Prophet mit seinen Gottsucherromanen der germanisch-deutschen Seele nachgespürt und hatte, abgesehen von seinem "Hein Hoyer", die konkreten Beispiele aus der deutschen Geschichte vermieden. Zwar nähert er sich auch mit diesen Romanen durch die Verherrlichung übermenschlicher Führer beträchtlich der nationalsozialistischen Weltanschaung; es fehlt aber zumeist die Mobilisierung der Massen für die völkisch-nationalen Ziele. Sein "Hein Hoyer" von 1922 ist unter den historischen Romanen das früheste Beispiel von NS-Literatur, obwohl er wegen des weitgehenden Fehlens der Blut- und Boden-Ideologie auch dem nationalrevolutionären Lager zugeschlagen werden kann. Die typisch nationalsozialistische Mischung aus völkischem und nationalrevolutionärem Gedankengut findet sich erst in drei nach nach 1933 erschienenen historischen Romanen - "Die große Fahrt"(1934), "König Geiserich" (1936) und "Wolter von Plettenberg"(1938) -, in denen der ideologische Gehalt immer mehr den imperialistischen Zielen des Nationalsozialismus angepaßt wird. Der Held des Romans "Die große Fahrt" ist der ehemalige deutsche Pirat Diderik Pining. Als Statthalter Dänemarks auf Island entdeckt er, wie die Wikinger, das Land hinter Grönland - Amerika - und träumt von dessen Besiedlung(151). Diesem Traum vom neuen Reich wird alles untergeordnet und geopfert. Beispielhaft opfert Pining seine Gefühle, seine Liebe zu Deike Witten: Was war er, Statthalter der nordischen Meere, was war seine Liebe zu einer Frau, was waren Menschen, da es um die Völker ging?(152)Deike will nur bei ihm bleiben, wenn er die Seefahrt aufgibt, Kurze Zeit trägt er sich mit dem Gedanken, Bauer zu werden und zu heiraten, doch dann opfert er sein persönliches - bürgerliches - Glück dem großen heroischen Ziel, dem Kampf. Die Frau wird von Blunck auf die Funktion reduziert, das künftige Menschenmaterial zu gebären: "Daß sie einst unter mir fahren, Weib! Dafür gebarst du sie." <...> in seinen Gedanken fuhren mit den Männern viele Frauen nach Westen, weit nach Westen, um ein Volk zu gebären.(153)Wegen seiner Kompromißlosigkeit verliert er seine Frau an seinen Gegenspieler, den Bauernführer Grettir. Trotz der Betonung der biologischen Vitalität der Bauern demonstriert Blunck hier den wesentlichen Unterschied zwischen dem Bauern beziehungsweise dem Bürger, der sein Glück und seine Interessen verfolgt und darüber das große Ziel vergißt, und dem Soldaten und Führer, der bereit ist, alles zu opfern und deshalb auch alles zu verlangen. "Weiber sind für die Bauern, aber nicht für Männer vorm Tod"(154), muß sich Pining von einem alten Seefahrer ermahnen lassen. Die Bauern sind zwar gutes genetisches Material, jedoch unfähig für das große Ziel die nötigen Opfer zu bringen. Wie die Frauen werden sie zur Besiedlung des zu erobernden Lebensraumes verplant, der ein Reich für die Söhne des Statthalters werden soll(155). Wichtiger als die Bauern ist für Blunck die Hanse. Vom Reich allein gelassen, hat sie sich in mehreren Kriegen ausgeblutet und nicht mehr die Kraft, sich auf ein derartig großes Unternehmen einzulassen. Bei der Beschreibung Deutschlands und der Hanse werden Bluncks politische Ziele offensichtlich. Die Reformation wird bei ihm zur "deutsch-nationalen Bewegung"(156), die unter der Führung der Hanse einen erfolgreichen deutschen Imperialismus hätte einleiten können, wenn sie nicht am Egoismus der Parteien gescheitert wäre; am Ende bleibt wieder einmal nur der Heroismus der Krieger: Die Hanse war eines der letzten scharfen Schwerter des Reichs, aber sie war durch Kriege und Eheeinschränkungen volksarm und müde geworden. Nur ihre Freibeuter hatten noch den unbändigen Willen, in die Weite zu schweifen, sie waren den Abenteurern gleich, die für Portugal den Seeweg nach Indien, für Spanien die neue Welt entdeckten. Es gab indes keine Flagge über ihnen, sie zerstreuten sich im Dienst aller Herren, und was sie an namemlosen Heldentum schufen, ging unter vor der Geschichte.(157)Die Ursachen für den Niedergang der Hanse sind für Blunck nicht organisatorischer oder ökonomischer, sondern biologischer Natur: "sie waren an Gut und Söhnen verstoßen und verarmt, niemand durfte wissen, wie leer die Schatzkammern und die Wiegen der Städte waren"(158). Weil die Hanse die Bauern als Menschenreservoir vernachlässigt und sich auf die Funktion als "Seefahrer und Händler" reduziert, schwinden ihre Städte "weg wie Schnee in der Sonne"(159). Eine Hoffnung Deutschlands ist seine begeisterte Jugend, zum Beispiel Pinings Sohn Dierk. Mit der Reformation will er Deutschland von Rom befreien und ein nordisch-deutsches Christentum schaffen(160). Dieser reine Idealismus ist allerdings nicht nur positiv zu beurteilen, er ist zu sehr Schwärmer und Träumer, der sich auf ein inneres Reich beschränkt(161). So muß er sich vorwerfen lassen: "Wußt ich's nicht, Deutscher! Rede vom Himmel, indes die Erde verteilt wird"(162). Ihm fehlt die notwendige Härte des Vaters. Er überredet diesen, seinen Feind Grettir zu begnadigen, was letzten Endes das Scheitern des Unternehmens verursacht. Die Utopie von Macht und Größe, die nur von einem übermenschlichen Führer verwirklicht werden kann, weist Blunck als überzeugten Nationalsozialisten aus. Das Volk bleibt im Roman Material und Dekoration. Die Leistungen der Isländer, die Pinings Expeditionen ausrüsten müssen, werden sehr schlecht beurteilt, da sie nicht willig genug opfern. Dagegen spiegelt Blunck Tragik und Not nur in Pinings Liebesleid. Auch die Sprache verrät die Mißachtung des Volkes, der Massen zugunsten der Führer: "Da tat der Abt sich mit dem Landrat Grettir zusammen und war bereit zu kämpfen"(163). Gemeint sind natürlich nicht die hohen Herren, die sich wohl kaum in Kämpfe einlassen, sondern ihre verfügbaren Mannschaften. Geschichte ist für Blunck ein heroisches Beispiel(164). Dem Leser wird nicht die Gelegenheit zu Kritik oder Distanz gegeben, er wird eingegliedert in die Gemeinschaft der gefühlsmäßig Wissenden. Blunck liefert keine Analyse; er fordert nur den Glauben an eine Utopie, die im NS-Staat verwirklicht werden soll: Es fehlt jegliche Gesellschaftskritik.<...> Statt die Möglichkeit eines realen Ausweges für Deutschland aufzuweisen, wird auf eine utopische und mystische Gesellschaft <...> verwiesen.(165)Bluncks nächster Roman "König Geiserich" zeigt einen Führer, der sein Volk tatsächlich in ein neues Reich führt. Der Roman beginnt damit, daß das Bauernvolk der Vandalen nach langer Wanderung in Spanien von Römern und Goten hart bedrängt wird. In dieser "Notzeit"(166) wird Geiserich als der Tüchtigste zum Führer. Um alle Widerstände zu überwinden und die Vandalen zur Vormacht im Mittelmeer zu machen, muß er erst einen einigen starken Volkskörper schaffen. Die größten Hindernisse dabei, der Sippenstreit zwischen zwei Adelsgeschlechtern und der Religionsstreit ziwschen Arianern und Katholiken, werden von Geiserich erbarmungslos beseitigt. Den Grund zu immer neuen Konflikten liefern Verrat und Intrigen von Frauen; so steigert sich der Roman in einen regelrechten Frauenhaß hinein. Des öfteren stößt man auf Sätze wie: "Frauen können Völker zerstören, Geiserich. Wir müssen hart sein!" oder: "wie viele Reiche sanken dahin um der Frauen willen". Um die vernichtende Wirkung der Weiblichkeit zu unterstreichen, wird sogar die Nibelungensage erzählt, obwohl das historische Burgunderreich erst zur selben Zeit vernichtet wurde(167). Diese Angriffe Bluncks verraten eine ausgeprägte Angst des soldatischen Mannes, den zum Heldentum notwendigen Triebverzicht nicht leisten zu können(168), sie sind ebenso eine Wendung gegen die politisch engagierten Frauen der Weimarer Republik, die sich nicht auf die gewünschte Gebärfunktion reduzieren lassen wollen. Genau darin liegt auch hier ihre einzige Bestimmung, weshalb es Geiserich immer wieder danach verlangt, "dumpf sich in viele Frauen einzusenken"(169). Geiserich will kein förderalistisch-ständisches völkisches Reich, sondern den Machtstaat. Blunck verwendet deshalb des öfteren das Wort "Staat"(170). Dieser Staat ist nach der nationalsozialistischen Interpretation des preußischen Dienstideals aufzubauen, das bedeutet die Unterordnung des persönlichen Interesses unter das vom Führer bestimmte Gemeinwohl. Den größten Verzicht und die größte Leistung vollbringt - wie Pining - Geiserich(171). Blunck legt nahe, in Geiserich den ersten Diener des Staates zu sehen, der auf sein privates Glück und seine Liebe verzichtet und dem Staat selbst seine Söhne opfert(172). Diesem neuen Staat und seinen neuen Gesetzen muß sich auch die alte Herrenschicht beugen. Geiserich, selbst ein gesellschaftlicher Aufsteiger, wählt die neue Führungsschicht nach Leistung aus. Er beseitigt die alten völkischen Rechte und errichtet nach nationalsozialistischem Muster eine Diktatur: Er ernannte Führer und Amtner, er baute aus der Beute eine Flotte, größer als man sie brauchte. Er sammelte eine neue Schicht um sich, Männer, die aus allen Stufen kamen, oft ohne Namen und zuweilen sogar ohne Schwertruhm.(173)Das Gemeinwohl, dem Geiserich angeblich Leben und Glück opfert, wird zum Vorwand, die totale Mobilmachung nach dem Willen des Führers zu vollziehen. Das Volk selbst wäre ohne seinen Führer zum Untergang verurteilt. Geiserich weiß, "stärkere Völker kommen über jene, die ohne starke Führer sind, und ihre Stunden verklingen"(174). Den Auftrag zu seiner historischen Mission erhält er von Gott selbst, der ihm in einer Vision erscheint (175). In Gott erkennt Geiserich aber nur die Pflicht, sich am sozialdarwinistischen Kampf zu beteiligen: "Denn er wußte, daß Gott nur dem zum Sieg verhalf, der sich wehrte und um sich schlug"(176). Durch Formulierungen wie "er wußte" macht Blunck Geiserich zum Inhaber höherer Einsichten. In den Kampfbeschrei- bungen wird die Handlung wie üblich auf Geiserich und seine Gegenspieler konzentriert, die völlig allein zu agieren scheinen (177). Soweit könnte man den Roman noch der ideologischen Richtung des militanten Nationalismus zurechen. Als typisch nationalsozialistisch kann man ihn vor allem aufgrund der Methoden bezeichnen, mit denen Geiserich die Vandalen zur Großmacht machen will. Er führt eine Landreform nach dem Muster des Reichserbhofgesetzes durch, fordert Rassentrennung zwischen Römern und Germanen sowie eine germanische Allianz und plant wie Himmler die organisierte Rassenaufzucht: Neue Pläne wuchsen; er nahm sich vor, Gesetze aufzugeben, nach denen niemand in die Dhingversammlung kommen und niemand Beamter werden dürfe, der nicht schon ins Volk eingewachsen, - der nicht drei Söhne oder vier Kinder sein eigen nannte. Mochte er Kinder annehmen, wenn sein Weib unfruchtbar blieb. Mehr noch! Niemandem sollte bis dahin sein Erbe, sein Hof bestätigt werden! Pachtbürger sollte er bleiben! - Breiten mußte sich das Volk!(178)Solche Vorstellungen machen den Roman zu einem nationalsozialistischen Propagandaepos. Noch konkreteren politischen Zielen als der Eroberung ferner Reiche wendet sich Bluncks Roman "Wolter von Plettenberg" zu. Der Deutschordensmeister in Livland, Plettenberg, verteidigt das Abendland gegen einen übermächtigen Feind, gegen den Zar Iwan der Schreckliche. Das von vielen Konflikten zerrissene Ordensgebiet - Balten gegen Deutsche, Bürger gegen den Orden, der Erzbischof gegen die Reformation - wird unter dem Druck der äußeren Bedrohung zusammengeschweißt, um einen jahrelangen totalen Krieg durchzustehen. Um die immer wieder auftretenden Interessengegensätze zu überwinden, wird dem Volk vom Schicksal ein Führer gesandt: Livland war ein kleines Reich von Deutschen, Liven, Esten und Letten, in dem seit Jahrhunderten Adel und Erzbischöfliche, Städte und Ordensritter um die Burgen rangen, in dem erst jetzt, vom Schicksal gesandt, der Meister des Deutschordens, Wolter von Plettenberg, die Macht aller Einzelnen überwunden und unter sich vereinigt hatte.(179)Der Führer entscheidet auch den Krieg; die anderen - Ritter, Bauern, Bürger und Landsknechte - sind nur Instrumente seines Willens: "Nun kam es nicht auf jene Truppen an. Fing man Plettenberg, war der Krieg gewonnen"(180). Die Kriegsursache wird von Blunck ins mystisch-schicksalshafte entrückt. In Iwan dem Schrecklichen entsteht dem Abendland "aus dem Dunkel"(181) ein neuer Gegner, der den ewigen Kampf zwischen dem Abendland und dem Osten wieder aufnimmt: Plettenberg sieht, wie überall von Osten her Tartaren, Russen und Mongolen gegen die alte Welt anstürmen, er sieht die deutschen Bürger in den Städten Polens und Schwedens, die Bauern in Siebenbürgen und in Ungarn, er sieht die Ritter an der baltischen Küste auf der Wacht. Es geht ihm nicht um Livland allein, es geht um das Schicksal der alten Herrenvölker, wie auch um das der Menschheit, die sich auf sie verließ.(182)Auch Plettenberg ist der Inhaber höherer und ewig gültiger Weisheiten, die für den Leser zur Verpflichtung werden. Ganz ungeniert stilisiert Blunck seinen Protagonisten zum Verteidiger der "Menschheit", zu der die östlichen Völker offensichtlich nicht zählen; die sogar deren Erzfeind und das Böse schlechthin darstellen. Die Balten dagegen bezeichnet er als den Deutschen verwandt, in seinen Großmachtvorstellungen spielen also bereits "Hilfsvölker" eine Rolle. Der Kampf zwischen dem "Volkstum" der "jungen Völker" und dem "russischen Menschentum" wird zur abendländischen Aufgabe hochstilisiert(183). Wie später in der Waffen-SS wird ganz Europa aufgefordert, sich unter deutscher Führung am Kampf gegen die Flut aus dem Osten zu beteiligen: In vielen Teilen des Reichs brachen junge Ritter auf, um dem Deutschen Orden beizustehen. Aus England und aus Frankreich, aus Schweden und aus Italien kamen Freiwillige, um gegen den zu helfen, der gleich den Türken die Alte Welt bedrohte und zerschlug.(184)Abgesehen von der Ungereimtheit, in bezug auf Europa gleichzeitig von jungen Völkern, alten Herrenvölkern und alter Welt zu sprechen, ist Blunck auch nicht in der Lage, seine mystischen Volkstumskämpfe als die Kämpfe von Völkern zu schildern. Volk und Blut als die angeblichen Triebkräfte der Geschichte spielen in der Handlung keine bedeutende Rolle, sie sind nur formbares Material der Führer. Nach Plettenberg ist Iwan der Schreckliche die wichtigste Figur des Romans. Seine unermeßlichen Horden sind weniger Grundlage als Ausdruck seiner Macht. Den Kampf zwischen Livland und Rußland verherrlicht Blunck, noch extremer als die Historiographie des 19.Jahrhunderts, als den Kampf zweier Giganten: "Die beiden Unüberwindlichen hatten sich miteinander gemessen, und der Deutsche hatte gesiegt"(185). Wie die anderen Blunckschen Führer muß auch Plettenberg auf sein Glück, auf seine Liebe verzichten, um durch sein eigenes Opfer vorbildlich zu wirken(186). Die von ihm geliebte Maria Godenboge stirbt bei der Verteidigung einer Festung wie eine Märtyrerin. Am Ende des Romans läßt Plettenberg ein steinernes Marienbild mit den Zügen der Toten anfertigen, das allgemein verehrt wird. Verzicht, Opfer und Helden erhalten eine sakrale Weihe. Kult und Religion dienen völlig säkularisiert dazu, den Opfertod für die Ziele des Führers als höchstes Ziel zu propagieren. Diese grundlegende Botschaft wird noch mit allerlei gegenwärtiger Ideologie angereichert: So mit der Idee einer europäischen Allianz, besonders mit den Balten, den "roten Brand über dem Land im Osten" abzuwehren(187). Für den zeitgenössischen Leser ist die Parallele zu den Nachkriegskämpfen im Baltikum leicht zu ziehen. Die drei nach 1933 erschienenen historischen Romane von Blunck unterscheiden sich nicht nur von seinen Gottsucherromanen der Weimarer Republik, sie lassen auch eine Entwicklung erkennen (188). Die wichtigsten ideologischen Gemeinsamkeiten sind der Führerkult, die totale Mobilmachung für die imperialistischen Ziele des Führers, die Blut- und Boden-Ideologie und ein dazugehöriges organisches Geschichtsverständnis. In allen Romanen wird die notwendige Opferbereitschaft am vorbildlichen Verzicht des Führers auf sein persönliches Glück vorgeführt. Einige dieser Ideologeme erfahren eine deutliche Steigerung ins Mythisch-Sakrale. Der Liebesverzicht wird von der Auflösung der eheähnlichen Verbindung Pinings über Geiserichs Opfer bis zum Marienmythos im "Plettenberg" gesteigert. Analog steigert Blunck den Führerkult. Pining hat durchaus noch Gemeinsamkeiten mit seinen Soldaten und ringt mit seinen inneren Bedürfnissen, Geiserich steht dagegen schon weit über seinem Volk und wird zum Ausführenden göttlicher Ratschläge. Wolter von Plettenberg ist eigentlich kein Mensch mehr, er wird dem Abendland vom Schicksal gesandt, völlig rein, wie seine Liebe zu Maria, und frei von Zweifeln strebt er seinem Ziel zu(189). Parallel zu dieser Mythisierung wird Blunck in einigen Punkten immer konkreter. Die Reihe geht vom sagenhaften Amerikafahrer über einen germanischen König zur deutschen Ostpolitik im Baltikum. Sie zeigt den šbergang von relativ utopischen Kolonialträumen zur aktuellen Ostexpansion. Blunck verzichtet auf "Flausen" wie "Abenteuerfahrten" und fordert direkt zum Akzeptieren der Zustände und zur Opferbereitschaft auf. "Der Autor kommt jetzt in brutaler Deutlichkeit, seine Geduld ist erschöpft"(190). Mit der Steigerung der Opferbereitschaft der Bevölkerung, die im "Plettenberg" völlig unproblematisch ist, werden auch die Kampfbeschreibungen immer ausführlicher. In "Die große Fahrt" sind sie noch äußerst knapp gehalten: Beim Nordkap vereinigte er sich mit Lütte Lüdekin und überfiel die Russen, als sie sich plündernd längs der Küste zerstreut hatten. Und er verbrannte einige ihrer Schiffe.(191)In "Geiserich" wird nur eine große Seeschlacht etwas ausführlicher beschrieben, wobei jedoch auch die taktische Lage im Vordergrund steht. Im "Plettenberg" erstrecken sich die Kampfbeschreibungen ausführlichst und gewaltverherrlichend über einige Seiten(192). Todes- und Fahnenkult werden dabei zum Ritual: "Her mit der Fahne!" brüllte Hammerstädt, aber der Fähnrich ließ sie ihm nicht. Der Ritter hieb ihm die Hand ab, da hielt der Todwunde den Schaft mit der Linken, er biß mit den Zähnen ins Tuch und versuchte, es zu zerreißen.(193)Alle drei Romane enthalten die wesentlichen Elemente der nationalsozialistischen Weltanschauung. Eine hierarchische Ordnung mit einem charismatischen Führer an der Spitze wird für eine opferreiche Expansionspolitik in Marsch gesetzt. Mit den Anforderungen an den Einzelnen steigert sich auch der Irrationalismus zum pseudoreligiösen Kult. Die Romane werden dabei immer mehr zur direkten NS-Propaganda, was mit einer Häufung von Gegenwartsideologemen und einer zunehmenden Trivialisierung verbunden ist, so daß "Plettenberg" auch noch den letzten Rest an literarischer Qualität vermissen läßt. Das von Blunck so oft vorgeschobene Gemeinwohl entlarvt er selbst als reine Phrase, wenn die Romane mit ihrem historischen Hintergrund verglichen werden. Pinings Amerikafahrten wurden, falls sie jemals stattgefunden haben, vergessen. Das Reich der Vandalen ging so schnell unter, daß dies sogar den Tadel der NS-Ideologen hervorgerufen hat, die als Ergebnis der westgermanischen Wanderungen hauptsächlich den Verlust an Volkskraft und Osteuropas beklagen(194). Plettenbegs Livland wurde bald nach ihm polnisch, dann schwedisch und schließlich von 1721-1918 russisch, ohne sich in eine Steppe zu verwandeln. Von den heroischen Volkskämpfen bleibt also nichts als der Ruhm der Führer, den Blunck dann auch besonders betont: Sein Weg war übermenschliche Tat, Pflicht, Opfer und Einsamkeit der Großen. Er hörte Gottes Ruf und den seines armen Volkes; er wirkte die Freiheit und Macht seines Reichs; er verlor darüber, was das Leben der anderen hellt und köstlich macht.Aber kann man Besseres über einen Mann berichten?(195)Trotz der historischen Bedeutungslosigkeit bleibt die Legende, das Beispiel von den heroischen Taten vergangener Führer. Das ist ein als Heroismus getarnter Nihilismus. IV.4.2. Völkische historische RomaneTrotz verbaler Reminiszenzen entwirft Blunck in seinen historischen Romanen eine ganz andere Welt als die der völkischen Ideologen. Die politischen Ziele und die Rolle des Volkes kommen der nationalsozialistischen Realität sogar wesentlich näher als die kleinbürgerlichen Wunschträume völkischer Bauernromane. Um diesen internen, oft unterdrückten Differenzen im historischen Roman auf die Spur zu kommen, ist es notwendig, die wichtigsten historischen Metaphern der völkischen Fraktion zu untersuchen.Im Führerkorps der NSDAP wird die völkische Fraktion vor allem durch Himmler und Rosenberg vertreten. Rosenberg möchte gerne als religiöser Erneuerer des Dritten Reichs gelten, wobei sein "Mythos des 20.Jahrhunderts" die Funktion einer völkischen Bibel übernehmen soll(196). Seele und Religion verkörpern sich für ihn nur noch in der nordischen Rasse. Als arteigene Religionsform gilt die mittelalterliche Mystik, Meister Eckehart wird dabei zum "größten Apostel des nordischen Abendlandes"(197). Sein ganzer Haß richtet sich gegen das Christentum, insbesondere den Katholizismus. Aber auch das zentralistische Führerprinzip hätte Rosenberg gerne durch ein mehr föderalistisches System, "eine Monarchie auf republikanischer Grundlage"(198), ersetzt. In seiner Rede "Der deutsche Ordensstaat" von 1934 beteuert er, Hitler nicht vorgreifen und nur eventuelle Regelungen für dessen Nachfolge entwerfen zu wollen(199). Er möchte aber, daß anstelle des Halbgottes Cäsar nach dem Ordensprinzip von den Unterführern mitregiert wird. Zur Unterstützung verweist er auch auf das germanische Thing. Seine historischen Vorbilder können ebenfalls als typisch völkisch bezeichnet werden; er erwähnt vor allem Armin, Widukind, Heinrich den Löwen, den deutschen Orden und heroische Bauernaufstände(200). Eine ähnliche Weltanschauung vertritt Heinrich Himmler. Bei ihm führen manche Gedanken jedoch zu konkreteren Versuchen, da er über eine wesentlich stärkere Machtposition verfügt(201). Himmlers Vorstellungen sind durch seine Artamannenvergangenheit noch viel stärker geprägt als Rosenbergs Ideen von Darr‚s Blut- und Boden-Ideologie. Ostkolonisation und Menschenzüchtung sind für ihn heilige Aufgaben(202). Ganz in organischen Gesichtsvorstellungen befangen, wendet er sich gegen Cäsarismus und Imperialismus. Sie sind für ihn nur eine letzte Blüte deutscher Geschichte, "eine Blüte faschistischer Art", nach der Deutschland im Laufe weniger Jahrhunderte absterben müsse. Seiner Meinung nach wird von Hitler jedoch gerade dieser Weg vermieden, denn: er will zurück zur Quelle des Blutes, er verwurzelt uns wieder mit dem Boden, sucht wieder Kraft in den Quellen, die vor zweitausend Jahren, die vor Jahrhunderten verschüttet worden sind.(203)Mit dem Rassismus verbindet sich bei Himmler, ähnlich wie bei Rosenberg, eine Vorliebe für völkische Mystik(204). Religiöse Bindungen sind für ihn unbedingt erforderlich, das "artfremde" Christentum, besonders der Katholizismus, muß durch einen nationalen Kult ersetzt werden(205). Dazu fördert er eine Wiederbelebung germanischer Religionsformen, unter anderem durch das Errichten nationaler Kultstätten, zum Beispiel Sachsenhain in Verden, Externsteine, Thingstätte "Stedingsehre" und die Gräber von Heinrich I. und Heinrich dem Löwen. Manche der neuen Kultübungen orientieren sich stark an christlichen Zeremonien(206). Von zentraler Bedeutung ist für ihn der Ahnenkult, der das Individuum zum Glied einer endlosen Ahnenkette degradiert. Sich selbst sieht er gerne als Reinkarnation Heinrichs I. und Heinrichs des Löwen, deren historische Mission - die Ostkolonisation - er fortsetzen will(207). An Heinrich I. bewundert Himmler besonders seine Ostpolitik, die Ablehnung, sich von der Kirche zum römischen Kaiser salben zu lassen, und die föderalistische Struktur seines Reichs: "Er war der erste unter Gleichen"(208). Neben seinem fortwährenden Interesse an den Germanen, die für ihn eine Art paradiesischer Urgesellschaft verkörpern, nimmt wohl der deutsche Ritterorden unter seinen historischen Vorbildern die bedeutendste Stellung ein(209). In ihm scheinen sich einige völkische Wunschvorstellungen in idealer Weise zu verbinden: Die Vorstellungen von einer elitären Kriegerkaste, die sich die Ostexpansion zum Ziel gesetzt hat, gehen einher mit Ritterromantik und Frömmigkeit - Himmler schätzt den Marienkult als etwas vorchristliches(210) -, außerdem gilt der deutsche Ritterorden spätestens seit Spenglers "Preußentum und Sozialismus" als Vorgänger des preußischen Staates. Die einzige Kritik Himmlers am Orden richtet sich gegen das Zölibat, wobei seine Vorstellungen nicht unwesentlich von den historischen Romanen Werner Jansens beienflußt sind(211). Konflikte ergeben sich für die völkische Fraktion immer wieder mit Hitler. Dieser gibt sich in Religionsfragen ganz als Pragmatiker und versucht, den "Spintisierereien eines Rosenberg und eines Himmler ein Ende zu bereiten"(212). Genauso abschätzig stellt er sich zur Germanenverehrung. Der "freie" germanische Bauer mag ihn als Menschenmaterial für seine zukünftigen Kriege interessieren, aber nicht als Grundlage einer Utopie. Seine historischen Ahnherren sieht er nicht wie Himmler oder Rosenberg in Arnim und Widukind, sondern in den römischen Kaisern und Karl dem Großen. Er schwärmt nicht von einer mittelständisch-förderalistischen Bauernrepublik, sondern vom Krieger- und Sklavenstaat Sparta, in dem 6000 Herren über 345 000 Sklaven geherrscht hätten (213). Die Ostkolonisation ist ihm deshalb auch kein inneres Bedürfnis, sondern eine Notlösung, die die "Vernunft gebietet"; so formuliert er salopp: "Lieber gehe ich zu Fuß nach Flandern als zu Rade nach Osten"(214). So banal diese Auseinandersetzungen auch klingen mögen, in ihnen zeigt sich doch der Konflikt zischen völkischer Kleinbürgerutopie und faschistischen Machtstaatsgedanken (215). Diese Konflikte können zuerst durch den wirtschaftlichen Aufschwung und dann durch den Eroberungskrieg überdeckt werden. Ähnlich wie während des Ersten Weltkriegs verspricht der Krieg sowohl der Industrie als auch den Blut- und Boden-Ideologen die Erfüllung ihrer Wünsche(216). Es ist jedoch offensichtlich, daß die völkische Literatur, im Gegensatz zur mehr faschistischen, die am preußischen Beispiel Machtstaat und totale Mobilmachung verherrlicht, sich immer weiter von der sozialen Wirklichkeit des Dritten Reiches entfernt. Sie wird so zur reinen Wunschliteratur, die die wahren Ziele des deutschen Faschismus verschleiert: Ähnlich wie die Kolonialliteratur täuscht sie darüber hinweg, daß Imperialismus und Faschismus in erster Linie industriellen Zwecken dienen. (217)Darr‚ wollte noch einen "Neuadel aus Blut und Boden", der neue Mensch sollte gerade an der Landarbeit gesunden(218). Diese Ansicht vetritt auch Himmler, während sich in den Kreisen um Hitler die Meinung herausbildet, daß der nordische Eroberer zu schade für die Landarbeit sei (219). Diese verschiedenen Vorstellungen führen sogar zu einem Streit der Vorgeschichtsforscher, ob die Urgermanen nun nomadische Eroberer oder seßhafte Bauern gewesen seien(220). Die "Polarität" zwischen Soldat und Bauer wird auch von der Sekundärliteratur bemerkt, die versucht, die historische "primitive Todfeindschaft" im Sinn der Gegenwart umzudeuten, in "das Aufeinander-Angewiesensein von Bauer und Soldat, von friedlicher Kulturtat und kriegerischer Wehrhaftigkeit" (221). Doch trotz dieser künstlichen Harmonisierung bleibt dieser Konflikt im historischen Roman bestehen und kann als Unterscheidungsmerkmal benützt werden. Die folgenden völkischen historischen Romane widersprechen der NS-Weltanschaung nicht, zeigen sogar eine weitgehende Übereinstimmung. Allerdings domininiert in ihnen die Blut- und Boden-Ideologie gegenüber den totalitären Staatsvorstellungen. Auffallend ist auch, daß zum Thema des deutschen Ritterordens und zur Ostkolonisation verschwindend wenig Titel bis zu Kriegsbeginn erscheinen, die auch in Auflagenhöhe und Rezeption unbedeutend bleiben(222). Dies erklärt sich sicher damit, daß dieses Thema schon während der Weimarer Republik genügend ausgeschlachtet worden ist und sich der Bedarf leicht mit Neuauflagen der Romane von Wichert, Jansen, Kotzde und Miegel abdecken läßt. Man kann aber auch annehmen, daß für die Völkischen zunächst andere Probleme dringender erscheinen, denn ab 1939 hat der deutsche Ritterorden im historischen Roman wieder Auftrieb. Der beliebteste völkische historische Roman, der auch in den NS-Literaturgeschichten immer ausführlich erwähnt wird, ist der "Femhof"(1934) von Josefa Berens-Totenohl, der mit dem Roman "Frau Madlene"(1935) fortgesetzt wird. Berens-Totenohl erklärt dem Leser im Vorwort, daß ihr angenommener Zweitname die Gegend im Sauerland bezeichnet, in der im 14.Jahrhundert die Handlung spielt. Über die alten Namen und Sagen - die Historie wird am Ende des zweiten Romans zur Sage - stellt sie so die Verbindung zur Vergangenheit her. Sie legitimiert sich durch ihre eigene "blutmäßige" Verbindung zur Heimat, deren Geschichte zu erzählen: Josefa Berens-Totenohl schreibt und gestaltet nicht für sich, durch sie spricht vielmehr die Erde und das Schicksal der Menschen, sie kündet und formt nur, was das Blut ihr aufgetragen und was dieses Blut an uralter Überlieferung ihr zutrug. Das aber ist ihre Gnade.(223)Die Handlung ist einfach: Auf dem einsamen Wulfshof lebt der starke urwüchsige Wulfsbauer mit seiner stolzen Tochter Madlene. Der junge Bauer Ulrich hat einen Ritter, der seinen Besitz und seine Ehre verletzt hat, erschlagen und muß deshalb seine Heimat verlassen. Er wird Knecht auf dem Wulfshof. Aufgrund ihres angeborenen Herrentums scheinen er und Madlene für einander bestimmt. Der Wulfsbauer duldet dieses Verbindung aber nicht, da Ulrich nur ein Knecht ist. Als Madlene mit Ulrich flieht, erwirkt er beim Femegericht das Todesurteil, das er persönlich vollstreckt. Madlene gebiert Ulrichs Sohn, unter dem der Hof seine zweite Blüte erlebt. Von Madlenes Kampf um Hof und Sohn erzählt der zweite Band, in dessen Verlauf der alte Wulf vom Blitz erschlagen wird. Am Ende wird Madlene durch ihr starkes vorbildliches Verhalten zu einer volkstümlichen Heiligen, bei der sich die Frauen Rat und Kraft holen. Der tote Wulf wird zur Sagengestalt; wie Wotans wilde Jagd tobt er in Sturmnächten über die sauerländische Berge. Durch diese Legende wird der Bezug zur Gegenwart hergestellt. Die Personen des Romans handeln nicht nach ihren Bedürfnissen, sondern stellen sich heroisch ihrem Schicksal und folgen ihrer Bestimmung bis zum Untergang. Madlene rechtfertigt vor ihrem Vater Ulrichs Totschlag, da er wie jeder Bauer den Feind erschlagen habe, der in seine "Ehre eingebrochen" sei. Sie liefert ihm damit nur Motiv und Verpflichtung, Ulrich zu erschlagen: "Nahe stand ihm nur das Eine: das was jeder Bauer tun würde, in dessen Hof und in dessen - Ehre - ja: Ehre ein anderer einbräche".(224) Auch zur Begründung der Beziehung zwischen Madlene und Ulrich reicht gewöhnliche Liebe nicht aus; sie ist Bestimmung. Am Anfang des Romans rettet Ulrich die ertrinkende Madlene. Madlene verspricht dem Vater, noch vorher einen "Unfried" zu bringen, und Ulrich weiß nicht, was ihn in dieser Gewitternacht hinaustreibt (225). Ihre Liebe bricht symbolträchtig in der Osternacht hervor, als das Volk, nach alten heidnischen Bräuchen Wotan und Freya verehrend, den Frühling und mit ihm die "blühende, fruchtreiche Zeit" feiert(226). Der Einzelne soll verpflichtet werden, sämtliche privaten Glückswünsche dem Land, aus dem er stammt, und dessen Traditionen unterzuordnen. Bei den vorbildlichen Charakteren des Romans - Ulrich, Madlene, Wulfsbauer - treten dabei auch keine inneren Konflikte oder Unsicherheiten auf. Sie erfüllen getrieben ihre Bestimmung. Berens-Totenohl bevorzugt bei der Beschreibung der Menschen, um ihre Erdverbundenheit zu suggerieren, organische Metaphern (227): "Wenn ein Baum morsch ist, fällt er, und kein Stützen hilft. Das Land aber bleibt. Das welkt nicht. Es baut neue Bäume. Das Land ist euer Hof. Die neuen Bäume seid ihr."(228)Hier, wie an der Beschreibung des Wulfsfriedhofes, der alle Wulfe seit Urzeiten vereint(229), zeigt sich die religiöse Botschaft des Romans. Die Wulfe sind zwar heimliche Heiden und Ketzer, aber eigentlich Pantheisten; Wotan und Freya sind nur Symbole der Naturkräfte. Die wirkliche Religion bezieht sich auf Sippe, Hof, Erde und Blut. Wer sich dem bedingungslos unterwirft, erlangt in der Volkssage Unsterblichkeit. Die Bauern sind einzig Familie und Besitz verpflichtet, ansonsten müssen sie ihre Freiheit gegen Kirche und Fürsten verteidigen. Politik und gesellschaftliche Veränderungen sind für den Wulfshof Bedrohungen. Geschichte verläuft fernab des politischen Geschehens nur als Generationenfolge. Die Wulfe sind frei, weil sie stark sind. Mit dieser "blutsbedingten" Leistungsfähigkeit erheben sie sich über unfreie Bauern und Dienstleute. Sie müssen allerdings ständig bereit sein, ihre Selbstständigkeit gegen die großen Territorialherren zu verteidigen: Durch alle Fährnisse hindurch hatten die Wulfe ihr Besitztum frei erhalten und zu einer Macht emporgebracht, die unangetastet stand an der ewigbrennenden Grenze zwischen den drei Fürsten. (230)Die Wulfsbauern werden zur Chiffre für den bedrohten Kleinunternehmer, stark traditionsbewußt und immer noch selbständig. Knechte sind in den Familienbetrieb integriert. Die gesellschaftliche Bedrohung geht von den Großen und deren Monopolbestrebungen aus. Auch der Krieg erweist sich als existenzbedrohend und wird als zerstörerisch abgelehnt. Die Landsknecht sind Gesindel, das selbst zum Knecht nicht taugt. Nach "unten" versucht Moritz Jahn diesen völkischen Mittelstand in seiner Erzählung "Die Geschichte von den Leuten an der Außenfohrde"(1936) abzugrenzen. Jahn erzählt in einem Sagastil, der in seiner Knappheit über den Vespers noch weit hinausgeht. Die Erzählung beginnt in ganz archaischem Ton: Garbrand hieß ein Mann, der an der Außenfohrde lebte, seine Frau hieß Gjauke. Sie waren beide bei sechszig Jahren; sie hatten nur eine Tochter, die sie Geisa nannten <...>. Es war noch ein anderer Mann in Garbrandsheim Haat mit Namen und von geringer Herkunft; sie achteten ihn wenig besser als einen Knecht, und es war ihm gleich. Da waren auch noch zwei Mägde auf dem Hofe.(231)Hier ist schon der grundlegende Konflikt der Erzählung angelegt, der zwischen bäuerlichen Herren und Knechten, die Knechte aufgrund ihres niedrigen Charakters sind. Knechte sind kaum mehr wert als Vieh. So wird zum Beispiel erwähnt, daß Garbrand wenig Schaden durch die Flut hatte, außer daß sie ihm drei Knechte - allerdings durch deren eigene Schuld - nahm(232). Da alle Nachbarn weggezogen sind, Bleibt Garbrand nichts anderes übrig, als seine Tochter mit Haat zu verheiraten. Geisa gebiert drei Söhne von Haat - die Mägde, mit denen er schläft, gebären dagegen nur Töchter -, denen sie teilweise mit List Namen aus Haats niederer Sippe gibt. Die Söhne geraten alle nach Haats Art, und da sie zu feige sind, sich in der Fremde Frauen zu rauben, wie es die Mutter fordert, schwängern sie ihre Halbschwestern. Geisa trifft gerade Vorbereitungen, das Haus samt Bewohnern zu verbrennen, als Neusiedler ankommen, von denen Haat mit seinen Söhne erschlagen wird. Geisa beweist jetzt ihre ganze Größe: "Als Geisa vor den Toten stand, beugte sie sich zu keinem nieder"(233). Sie heiratet den Sohn der Ankömmlinge, dieser heißt Bur - Bauer - im Gegensatz zu Haat, waß Haß bedeutet (234). Obwohl inzwischen über vierzig, bekommt sie nun einen artgerechten Sohn, den sie nach ihrem Vater Garbrand nennt, und der später ein mächtiger Mann wird. In dieser Erzählung wird die herrschende Gegenwartsideologie nicht direkt angesprochen, und doch bestimmt sie den Inhalt. Jahn reduziert das Verhalten seiner Figuren auf ihr Blut und ihre Erbanlagen. Er macht damit dasselbe wie Berens-Totenohl, nur verzichtet er auf jegliches Beiwerk. Mit Rückgriff auf die Saga betont er den Ewigkeitswert seiner Aussagen und mit der grob vereinfachenden Sprache stellt er exemplarisches Verhalten dar, bei dem es weder Zweifel noch Widersprüche gibt. Die Möglichkeit durch Sprache Realität zu erfassen, wird dabei einfach negiert. Ein radikal-völkisches Machwerk aus dem Umfeld der Ludendorff-Bewegung ist die Romantrilogie "Das Blutgericht am Haushamerfeld" (1933), "Es muß sein"(1936) und "Ums Letzte"(1937) von Karl Itzinger. Er erzählt darin vom Aufstand protestantischer Bauern während des Dreißigjährigen Krieges. Die Bauern wehren sich gegen die Gegenreformation und zu hohe Steuern und erliegen nach heroischem Kampf einer erdrückenden Übermacht. Die Reformation bezeichnet Itzinger als Luthers "völkische Sendung", "die Roms geistige Alleinherrschaft auf germanischen Boden zerstörte"(235). Seine Bauern sind derart treudeutsch, daß die Beschreibungen oft kitschig wirken: "Und so haben denn im Lande ob der Enns die Burschen harte Fäust' und die Mädchen weiche Herzen"(236). Der Haß des Autors gilt allem Fremden, besonders den welschen Jesuiten und den kroatischen Soldaten, aber auch der Habsburger Monarchie und dem Adel, der das Volk im Stich läßt. Ein Kampfruf der Bauern erinnert sicher nicht zufällig an die SA: "Pfaffenbluet und Herrensaft gibt den Waffen guete Kraft"(237). Die Bauern erscheinen als typische Vertreter einer konservativen Revolution; sie kämpfen gegen eine ungerechte Obrigkeit, für einen starken Nationalstaat, ein Reich mit einem Kaiser und für ihr altes Recht(238). Diese konservativ-revolutionären Ansichten spricht explizit ein Student aus: "Von den Rosenalpen im Land Tirol bis hinauf zur Bernstein küste an des Nordmeeres Wellen wohnt und schafft das deutsche Volk! Groß und herrlich wäre es wie kein zweites auf Gottes Erde! Leider liegt es schon die längste Zeit krank und hilflos darnieder, von Neid und Zwietracht zerfressen.<...> Darum stellen wir uns zusammen und erheben die Hand wider die vielen Herren! Ein einzig's Volk wollen wir sein und einen einzigen Herren wollen wir haben! Nit die Obrigkeit soll gestürzt werden, sondern das Unrecht, nit Rebellion wollen wir machen, sondern Ordnung schaffen." (239)Völlig ahistorisch ist es, wenn der Student das Reich, das im 17.Jahrhundert nur bis Pommern reicht, auch noch mit Etsch und Memel begrenzt. Die Bauern fallen schließlich den Intrigen der Jesuiten und einer Übermacht von Landsknechten zum Opfer. Der Verfasser kann aber bemerken: "Sie alle starben mit der Waffe in der Hand". Durch die Verherrlichung des Heldentodes sollen die Romane ein "Denkmal" sein(240). Vor allem durch seine Heroisierung der kämpfenden Bauern und der vehementen Ablehnung des Katholizismus und der Habsburger verrät der Autor seine völkische Position. Da die Bauern einen starken Nationalstaat anstreben, kann man die Romane auch als nationalsozialistisch bezeichnen. Im Gegensatz zu Bluncks Romanen verzichtet Itzinger auf den gottgesandten Führer, er beschreibt statt dessen, wie Wolfgang Schreckenbach, einen Volksaufstand, bei dem die Führer aus dem Volk hervortreten. Der bedeutendste Bauernführer - Stefan Fadinger - stirbt bereits im zweiten Buch. Wegen des fehlenden Führerkultes und der ausgeprägten Obrigkeitsfeindlichkeit ist der Roman eher als völkisch zu bezeichnen. Am unverhohlensten propagiert Heinrich Bauer in seinem Roman "Florian Geyer"(1935) gegenwärtige Ideologie. Obwohl Bauer ein bekannter und auch von Himmler geschätzter Autor ist, wird er von der NS-Literaturgeschichtsschreibung völlig ignoriert, sein "Florian Geyer" sogar ausgesprochen ablehnend rezensiert. Es wäre einfach, mit dem Zitieren der im Roman vorkommenden Gegenwartsideologie Seiten zu füllen; es sei deshalb nur darauf hingewiesen, daß er aus fast nichts anderem besteht. Der Roman verherrlicht den deutschen Bauern, das alte germanische Recht, das deutsche Volk, die Nation, das Reich, den deutschen Ritterorden, Florian Geyer als übermenschlichen Führer und dessen "schwarze Schar" als heroische Elitetruppe der Bauernschaft(241). An den Beispielen von Itzinger und Bauer zeigt es sich, daß es nach 1933 offensichtlich nicht mehr ausreicht - wie noch in den Blut- und Boden-Machwerken von Jansen und Kotzde - inhaltlich möglichst viel gegenwärtige Ideologie unterzubringen. Diese Romane werden zwar auch gut verkauft, aber Literaturwissenschaft und Literaturkritik stützen sich auf die "dezenteren" Romane von Berens-Totenohl oder Jahn, die die Gegenwartsideologie nicht direkt ansprechen, sondern durch ihr heroisches Beispiel zu wirken versuchen. Häufung und Radikalität von NS-Ideologemen, wie es Wippermann vorschlägt(242), können somit kein ausreichendes Kriterium zur Bestimmung von NS-Literatur sein. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, auf den bedeutendsten völkischen historischen Roman einzugehen, der nach 1933 erschienen ist: Kolbenheyers "Das gottgelobte Herz"(1938). In den Literaturgeschichten wird ausführlich auf ihn eingegangen, die Rezensionen sind überschwenglich(243). Kolbenheyer behandelt darin die Zeit der deutschen Mystik. Er ist damit, sich rückwärts durch die deutsche Geistesgeschichte bewegend, am Ausgangspunkt der deutschen "Volksseele" angekommen. Für ihn ist die Geschichte ein steter Kampf der nordisch-germanischen Seele gegen den rationalen mediterranen Geist, der vor allem durch die katholische Kirche das vitale deutsche Volk zu unterdrücken versucht. Dieser Kampf ist entsprechend Kolbenheyers zyklischem Geschichtsbild von einem ewigen Auf und Ab gekennzeichnet(244). Einen der großen Befreiungsversuche der deutschen Seele - die Reformation - hat er in seiner Paracelsus-Trilogie behandelt; den ersten sieht er in der deutschen Mystik, die er als "Pubertätsregung" der germanischen Seele gegen den mediterranen Geist bezeichnet(245). Der Roman besteht aus drei Handlungsebenen, die nur sehr lose miteinander verknüpft sind. Die erste Handlungsebene wird vornehmlich durch das Seelenleben der Nonne Margarete Ebner ausgefüllt, wodurch der Roman sich zumindest oberflächlich stark an das Muster des Bildungsromans anlehnt. Die zweite Ebene beschreibt das politische Geschehen der Zeit, den Kampf zweier Gegenkönige und die Einflußnahme des Papstes gegen die Herausbildung einer deutschen Zentralgewalt(246). Am knappsten ist die zentrale Handlungsebene gehalten, die sich mit dem Wirken Meister Eckharts und dessen Auseinandersetzungen mit dem Papst befaßt. Was Eckhart klar erkannt hat und in seinen Predigten zum Ausdruckbringt, äußert sich in Margarete als Verkörperung der Volksseele dumpf und unter unsäglichem Leid. Mulot spricht von "des Meisters souveränem, männlichen Geist" und stellt sicher im Sinne Kolbenheyers fest: Eckhart repräsentiert die höchste Glaubensmöglichkeit seines Volkes, Margarete Ebner aber die volksbiologische Glaubenswirklichkeit ihres Jahrhunderts.(247)Diese besondere Begabung der Frau zur unbewußten seelischen Empfindung wird auch im Roman formuliert: "Gott sucht sich selber in einem Volke, und sein Verlangen verlautet am offenkundigsten im Weibswesen"(248). Eckhart dagegen weiß genau, um was es geht: Es mußte der Geist in äußerster Schulung und letzter Schärfung dahin gelangen, daß er das lauernde Gift der Vernunft überwand, dann stand er nicht mehr in der Mitte, sondern auf der Schwelle und fand das Tor offen. (249)Im Rahmen dieser Arbeit kann nicht überprüft werden, wie genau Kolbenheyer den historischen Eckhart wiedergibt. Die geforderte Vernunftfeindschaft wird vom Leser auf jeden Fall auf die Gegenwart bezogen, und Kolbenheyer präsentiert diese Botschaften als ewiggültige Wahrheiten, die allerdings eine nihilistische Grundkomponente verraten: "<...> der Funken Gottes ruhet in mir, schaffet dem Ewigen die Kenntnis seiner selbst, denn ohne meine Seele wär er ewig ein Nichts geblieben und in der leeren Gottheit."(250)Gott verliert hier, wie Hanimann feststellt, jede Transzendenz und wird zum Ausdruck der biologischen Lebenskräfte(251). Diese klare Erkenntnis ist Margarete verwehrt, sie wird zum Opfer des Konflikts zwischen dem Drängen ihrer Seele und dem kirchlichen Dogma: Kolbenheyer beschreibt ausführlich ihre Jugend in einem Patrizierhaus in Donauwörth - im Roman "Werde". Ihr Vater ist, wie die anderen Vaterfiguren Kolbenheyers, stark, gewalttätig und aufbrausend; der Typus des vitalen, deutschen Menschen. Durch den breiten Raum, den die Schilderung des Elternhauses im Roman einnimmt, erreicht Kolbenheyer zweierlei; er fügt Margarete in die Reihe ihrer Ahnen ein(252), Vitalität, Fanatismus und nüchterner Geschäftssinn sind in ihr wirksam als Erbanlagen des Vaters. Sie repräsentiert den Gegensatz zwischen der Welt des jungen kraftvollen Bürgertums und der unnatürlichen Qual des Klosterlebens. Gerade durch Margaretes gesunde Erbanlagen, die zu Frausein und Mutterschaft drängen, ist ihr Opfer gewaltig; nur ihre fast übermenschliche Sehnsucht und ihr Wille treiben sie weiter. Leid und Triebunterdrückung werden derart ausführlich beschrieben, daß es für den Leser selbst zur Qual wird(253). Kolbenheyer verherrlicht allerdings nicht die Triebunterdrükkung im Dienste der Institution(254), das Klosterleben wird von ihm als artfremd abgelehnt. Er führt dazu besonders die Figur der alten Trugenhovin ein, eine alte weise Frau, die noch tief in germanisch-heidnischen Traditionen verwurzelt ist, einer "Wächterin" des Volkstums und deshalb "bei aller Frömmigkeit dem Wesen feind, das die Mehrung des Blutes hemmt"(255). Im letzten Teil des Romans trifft die Trugenhovin noch einmal auf Margarete, die, um die Weltlichkeit in sich abzutöten, seit Tagen weder ißt noch trinkt und halb entrückt auf einem Brett liegt. Für die Trugenhovin ist das Brett ein "Werkzeug des Tüfels", sie fordert Margarete auf: "Stand uf, iß und trink, ein Menschenkind unter Menschen!"(256) Doch für Margarete gibt es nur noch den Weg in den subjektiven Wahn, bis sie manchmal nicht mehr unterscheiden kann und will, was Traum und Realität ist(257). Sie erleidet wochenlange Starrkrämpfe und wird stigmatisiert und in diesem Wahn - für den Nichtchristen Kolbenheyer können die Wundmale der Stigma- tisation nur Zeichen von Wahnsinn sein - bricht doch ihre eigentliche Bestimmung durch. Der Roman endet mit einem ekstatischen Erlebnis. Margarete säugt eine hölzerne Figur des Jesusknaben: Sie empfand ein menschliches Berühren seines Mundes, und wie es kräftig an ihr sog. Ohne Willen saß sie auf ihrem Lager in einem großen, göttlichen Erschrecken und ließ es gesche- hen. Sie war in ihrem Leben nie noch seliger gewesen.Kolbenheyer ist es mit diesem Roman - im Gegensatz zu Paracelsus-Trilogie - gelungen, zu seiner völkisch-irrationalen Botschaft die passende Form zu finden. Dadurch, daß nicht mehr der große, einsame Wissende im Mittelpunkt steht - Eckhart bleibt Randfigur -, wird Margarete als Ausdruck der Volksseele glaubhafter als Paracelsus. Trunz stellt dazu fest, daß Kolbenheyer nicht mehr die "großen, geistigen Wegfinder" beschreibt, sondern Durchschnitt und Irrweg"(258). Außerdem verweist Kolbenheyer des öfteren auf die starke volkstümliche Wirkung der Mystiker, die gewissen Sehnsüchten des Volkes entsprochen haben müssen(259). Der Roman enthält kaum theoretische Äußerungen zur Mystik, statt dessen wird Seelenschau betrieben. Der Leser soll durch das naive Miterleben und nicht durch Argumente überzeugt werden. Die Archaisierung der Sprache verbürgt einerseits historische Authenzität, andererseits läßt sie dem Leser die Welt der Ahnen vertraut erscheinen(260). Dem gegenüber steht das volksfremde Latein des Klerus, das in akkuratem Hochdeutsch wiedergegeben wird. An einem fiktiven Gespräch Eckharts mit dem Papst in Avignon (261) demonstriert Kolbenheyer den grundlegenden Unterschied zwischen der kalten, rationalen südländischen Art und dem vitalen, gefühlsbetonten Deutschtum. Der Papst stellt fest: "Ihr seid anders dort in dem Waldland"(262). Er verzichtet allerdings darauf, Eckhart als Ketzer vor Gericht zu stellen, da er es für unmöglich hält, daß diesen das Volk rational verstehen kann. Dabei übersieht er die wesentliche Komponente von Eckharts Predigten: Wußte der Papst nicht, daß es eine Predigerstimme gab, die aus der Gemeinde wuchs wie eine Offenbarungsnot und dem Prediger selbst nicht mehr als Eigenes galt, sondern als Empfangenes? (263)Diese Stelle beweist auch, daß Kolbenheyer in seinen historischen Romanen nicht nur ewiges Volkstum geschickt historisierend einkleidet, sondern auch auf die politischen Veränderungen der Gegenwart reagiert. Sein Pausewang kann 1910 noch als wilhelminischer Bürger seinen Frieden mit der Gesellschaft machen und dabei seiner Innerlichkeit frönen. Paracelsus wird während der Weimarer Republik zum unverstandenen Rufer in der Wüste; das Volk ist noch nicht bereit. Diese Schwierigkeiten kennt Eckhart einige Jahre später nicht mehr; die ekstatische Einheit zwischen Volk und Führer ist hergestellt. Kolbenheyers Vertrauen in diese neue Gemeinschaft ist nicht nur wesentlich fester, sie wird auch literarisch überzeugender umgesetzt als zum Beispiel bei Blunck, der nur nihilistische Führerschablonen produziert. Kolbenheyer führt seinem Leser nicht einfach einen vorgefertigten Helden vor, um dann im Stil des Abenteuerromans weiterzuerzählen, er läßt ihn Irrwege durchleiden und gibt im dafür das Versprechen der Ekstase. Der Roman fordert den Leser mehr als die übliche NS-Literatur und ist deshalb der einzige von den bekannten historischen Romanen, der ausdrücklich nicht als Jugendbuch empfohlen wird(264). Daß der völkische Blut- und Ahnenmythos nicht nur auf Nationalsozialisten wie Kolbenheyer oder Blunck beschränkt ist, belegt der Roman "Lennacker. Das Buch einer Heimkehr"(1938) von Ina Seidel. Der Roman erzählt in zwölf novellenartigen Geschichten die Entwicklung einer protestantischen Pfarrerfamilie von der Reformation bis ins 19.Jahrhundert. Die Verbindung wird über eine Rahmengeschichte hergestellt. Der junge Oberleutnant Hans Lennacker kommt Weihnachten 1918 krank aus dem Krieg zurück und besucht seine Tante, die als Oberin in einem evangelischen Damenstift lebt. Dort fällt er in einen zwölftätigen Fieberschlaf und erlebt träumend die Geschichte seiner Ahnen. Das Träumen wird damit "zur Fähigkeit des Schauens"(265). Bezeichnend ist, daß die Pfarrer der einzelnen Erzählungen immer ohne Vornamen nur Lennacker genannt werden und so zu einer einzigen Person verschwimmen, die dem modernen, kranken und heimatlosen Individualisten Hans Lennacker die Integration ermöglicht. Die heilsame Verbindung zu den Ahnen stellt auch Seidel über das Blut her, sonst hätte sich eher die beliebte Form der Familienchronik oder einzelne Erzählungen der Tante angeboten. Die Tante ist nur der Katalysator, der das Unbewußte aktiviert. Hans Lennacker verfügt über Erinnerungen, die weder er noch die Tante haben können. Die Einzelerzählungen sind bis auf eine, die die Zeit der napoleonischen Kriege beschreibt, weitgehend von direkt ausgesprochenem völkisch-nationalen Gedankengut frei. In der Rahmengeschichte kommt dies jedoch deutlich zum Ausdruck. Die Tante hält den Oberleutnant Hans Lennacker nur für würdig, in die Ahnenreihe aufgenommen zu werden, weil er das EK I trägt(266). Hans lobt die Frontgemeinschaft als einzig positives Erlebnis des Krieges und sieht in ihr die Urzelle für eine neue Gesellschaft (267). Ebenso wird von Führern gesprochen, die allein die Opfer bringen, da die Masse nur selten von einem großen Gedanken ergriffen wird(268). Seidels Roman mag in erster Linie für eine Erneuerung des Protestantismus stehen, ist aber schon im formalen Aufbau ohne völkischen Blutsmythos und Irrationalismus nicht denkbar und ist in seinen wenigen konkreten politischen Aussagen durchaus dem Bereich der Konservativen Revolution zuzurechnen. IV.4.3. Nationalrevolutionäre historische RomaneObwohl die ohnehin bestenfalls sehr vage formulierten staatssozialistischen Ideen nicht realisiert werden, kommt die Entwicklung des Dritten Reichs den nationalrevolutionären Staatsvorstellungen wesentlich näher als irgendwelchen völkischen Utopien und ermöglicht in der Regel eine problemlose Kooperation. Von nationalrevolutionärer Seite sind deshalb auch nicht die ideologischen Differenzen zu erkennen wie bei den Völkischen. Das preußische Vorbild wird von den Nationalsozialisten ohne Vorbehalte rezipiert. Von manchen Historikern wird zwar, sicher nicht ganz zu Unrecht,darauf hingewiesen, daß die Nationalsozialisten das Preußenbild verfälschten und pervertierten(269), aber durch die zunehmende Verwaltung und Militarisierung der Gesellschaft und durch die Vorstellungen von Dienst und Opfer kommt die NS-Realität preußischen Idealen wesentlich näher als den vielbeschworenen germanischen.Preußen findet sich dann auch bei allen NS-Größen unter den historischen Vorbildern. Friedrich der Große wird zu einer bevorzugten Chiffre für übermenschliches Führertum. Rosenberg verherrlicht "Friedrich den Einzigen", und Himmler ist besonders vom spartanischen Pflichtbewußtsein des Soldatenkönigs angetan(270). Der politischen Lage entsprechend bevorzugt Goebbels Preußen für die Propaganda(271). Für Hitler ist Friedrich der Große als Identifikationsfigur von besonderer Bedeutung. Schon in "Mein Kampf" erscheint er als "Denkmal" und nicht als Individuum, "außerhalb jeder Diskussion, jeglicher Kritik enthoben" bleibt er die einzig wirklich positive Figur in Hitlers Geschichtsbild(272). Beispielhaft ist auch Friedrichs bewußtes Kalkül eines militärischen Risikos in den schlesischen Kriegen für Hitlers Eroberungskriege (273). In nationalrevolutionären Kreisen ist man zwar weniger in der Blut-und Boden-Ideologie und anderen völkischen Mythen verhaftet, aber die Gedanken von einer militärisch expansiven, nach innen harmonischen Volksgemeinschaft sind auch hier grundlegend. Die einzig wichtige Uminterpretation des Geschichtsbildes, die hier stattfinden muß, ist die vom kleindeutsch-borussischen Staat zum großdeutschen Reich oder Imperium. Diese fällt allerdings sehr leicht, da man nicht den föderalistischen Reichsbegriff jungkonservativer oder katholischer Provenienz übernimmt, sondern Reich als Ersatz für den imperialistischen Staat setzt. Somit verknüpft man Preußen im nachhinein mit dem "ghibellinischen Gedanken" (274). Von den Autoren, die nach 1933 Dienst am Staat und Soldatentum im historischen Roman thematisieren, ohne dies mit der völkischen Blut- und Boden-Ideologie zu verknüpfen, ist Werner Beumelburg, der schon in der Weimarer Republik zu den bekanntesten Autoren des revolutionären Nationalismus zählte, der erfolgreichste. Seine "Preussische Novelle"(1935) kann geradezu beispielhaft für die nationalrevolutionäre historisierende Literatur gelten(275). Die knappe, klassische Novellenform wird von ihm verwendet, um am einem unbedeutenden Beispiel die wesentlichen und ewigen Werte des Preußentums zu demonstrieren. Werner von Romin, der letzte Sprößling einer alten preußischen Offiziersfamilie, dient während des Siebenjährigen Krieges im Eliteregiment seines Vaters. Schon zu Anfang der Novelle wird auf das Weiche und Individualistische in Werners Wesen hingewiesen. Er sehnt sich nach Frieden, nach einem sinnvollen Studium und nach Liebe. Beim Betrachten der Bilder seines Vaters und seines gefallenen älteren Bruders - vorbildliche Soldaten - wird seine Andersartigkeit verdeutlicht(276). Als Werner in der Schlacht einen Vorposten nicht bis zum letzten Mann verteidigt, wird er vom eigenen Vater zum Tod verurteilt, dann aber vom König begnadigt, um sich erneut bewähren zu können. Verwundet auf dem Schlachtfeld liegend, erkennt er im Traum das preußische Gesetz, das ihn zu Pflicht und Opfer mahnt: "Man muß es, weil man einsieht, daß man es muß. Es ist eben nicht nur der Vater, dem man gehorcht, sondern es ist eine ganze Reihe vom Vater über den Großvater bis zum Urahn. Und es ist noch mehr. Es ist - wie soll ich es sagen? - ein Begriff, dem man geopfert wird".(277)Bei der Verteidigung einer Festung erhält Werner die Gelegenheit zur Sühne. Er gehört zum Bataillon, das kämpfend bis zum letzten Mann den Rückzug des Regiments deckt. Die Novelle endet mit der Beschreibung des toten Werner von Romin, der inmitten eines Haufens gefallener Kroaten liegt, nicht weit von ihm sein Diener Krischan Hundt. Mit dieser Szene, die durchaus etwas Idyllisches hat - der treue Hundt stirbt mit seinem Herrn, Werners Wunden sind Ehre - und Sühnezeichen -, ist Werner würdig, in die Reihe seiner Ahnen aufgenommen zu werden; das preußische Gesetz ist erfüllt. Helga Karrer-Linke hat mit Bezug auf Rolf Geisslers Untersuchung zur Weltkriegsliteratur darauf hingewiesen,daß nach dem Schema des positiven Entwicklungsromans versucht wird, besonders junge Leser zu willigen "Opfertieren" zu erziehen. Beumeleburg bedient sich dabei nicht, wie sonst in der NS-Literatur üblich, eines herausragenden Führers, sondern eines "mittleren Helden"(278). Es bleibt jedoch nicht beim Schema des Entwicklungsromans. Mit den Figuren des Vaters und des sich opfernden Sohnes werden christliche Motive handlungsbestimmend. Beumelburg stellt im wesentlichen eben nicht die Entwicklung eines Individuums dar, sondern die Passionsgeschichte eines Typus, des preußischen Soldaten. Neben Beumelburg ist Hans Heyck der Autor, in dessen historischen Romanen weiterhin die nationalrevolutionäre Position vertreten wird. Mit seinen Romanen "Friedrich Wilhelm I."(1936) und "Der große König"(1940) propagiert er die für ihn wichtigsten Elemente der preußischen Staatsidee. Die Romane sind weitgehend frei von völkischem Gedankengut, sogar die militärischen Führer- qualitäten werden zugunsten ihres staatsmännischen Wirkens vernachlässigt, was von der Literaturkritik kritisiert wird(279). Heyck verherrlicht mit seinen preußischen Königen weniger die großen einzigartigen Führer, sie sind für ihn vielmehr Ausdruck des Preußentums. Der Sinn ihres Lebens ist die völlige Hingabe zum Dienst an Staat und Volk. Für Friedrich Wilhelm, den Soldatenkönig, ist der Staat eine "Galeere"(280), auf der alle erbarmungslos arbeiten müssen. Er selbst muß dabei das Beispiel geben: Ein König darf auch in diesen Sachen kein Privatmann sein: was er besitzt, hat der Krone zu gehören, und was der Krone gehört, das hat dem Staat zu dienen! Der Staat hinwiederum, das ist der König, und nur der König; - vorausgesetzt, daß er sich als Diener seines Staates betrachtet und alles, was er für sich fordert, wieder hinausgibt, damit es das Wohl des Volkes fördert.(281)Friedrich Wilhelm bricht die Vorrechte von Städten und Adel, um alles der Zentralgewalt unterzuordnen. Heyck nähert sich dabei den Spenglerschen Vorstellungen vom preußischen Sozialismus. Der Dienst am Staat wird für Friedrich Wilhelm zur Religionsausübung, wobei von Heyck die bekannte Frömmigkeit des Soldatenkönigs unterschlagen wird. Friedrich Wilhelms Religiösität äußert sich vorwiegend kulturkämpferisch in Angriffen gegen den Katholizismus, die Jesuiten und Habsburg. Er geht sogar so weit seinen Protestantismus nationalistisch und sozialdarwinistisch zu modernisieren, "<...> denn preußisch leben heißt als Protestant leben: zu protestieren gegen die römische Fremdherrschaft! Heißt: sich als wahrer Deutscher erweisen und sich behaupten als Diener Gottes, der keinen Deutschen verläßt, solange der Deutsche seinen Gott nicht verläßt! Zu behaupten aber vermag sich nur der Starke!"(282)Friedrich gibt sich ganz als deutscher Patriot. So erobert er Pommern - nach Heyck - nicht als brandenburgischer Territorialfürst, sondern weil er es "als Pfahl im Fleisch des deutschen Reiches empfunden hatte"(283). So soll sein Sohn nicht nur Preuße, sondern auch Deutscher werden. Wenn der Roman auch von der Blut- und Boden-Ideologie frei ist, so verrät er doch ein ähnliches Geschichtsbild. So spricht Heyck beim Kampf gegen die Türken vom "uralten Gegensatz zwischen morgenländischer Massenwildheit und abendländischer Manneszucht" (284). Heycks zyklisch-mystische Geschichtsvorstellungen offenbaren sich vor allem bei der Schilderung des Schwedenkönigs Karl XII.: Wie einstmals die Jarle der Jomswikinger, die aus dem Norden vorbrachen und südlichere Gestade mit Waffenlärm und Raub erfüllten, so war auch dieser gekrönte Jarl in den Süden vorgestoßen(285).Auffällig ist, daß der Roman eine ganze Reihe von antisemitischen Äußerungen enthält. Da ist von "schmierigen Juden, die in geiler Lüsternheit" eine nackte Frau "beglotzen" die Rede, einmal haut sogar der König höchstselbst einem "Juden den Buckel voll"(286). In der Nähe der NS-Propaganda bewegt sich auch Heycks Jargon, in Worten wie "Geschmeiß" oder "Schmarotzergewimmel" äußert sich ein brutales Freund-Feind-Denken(287). Der Roman "Der große König" beschreibt das Leben Friedrichs des Großen und liest sich somit wie eine Fortsetzung zu "Friedrich Wilhelm I.". Schon die Gliederung des Romans - vier Bücher in zwei Bänden - läßt erkennen, daß Heyck wirtschaftlichen und politischen Fragen besondere Bedeutung einräumt. Das erste Buch handelt von den ersten beiden schlesischen Kriegen, das zweite von der folgenden Aufbauphase, das dritte vom Siebenjährigen Krieg und das letzte vom wirtschaftlichen Strukturwandel und der Blüte Preußens. Molo hatte in seinem "Fridericus" das militärische Führergenie Friedrichs des Großen verherrlicht und mystifiziert und dazu die ganze preußische Geschichte in einer ahistorischen symbolischen Schlacht konzentriert; Beumelburg reduziert seine Preußenvorstellungen auf ein beispielhaftes Opferritual. Im Gegensatz dazu sind Heycks Bemühungen von einer beeindruckenden Sachlichkeit. Über hunderte von Seiten beschreibt er ohne Pathos den Aufbau und das Funktionieren des preußischen Staates, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht. Dadurch, daß die Kriege jeweils von langen Aufbauphasen abgeschlossen werden, wird der Krieg - trotz der heroischen Schlachtenschilderungen - gegenüber der Innenpolitik sekundär. Heycks nationalrevolutionäre Anschauungen äußern sich unter anderem darin, daß er Friedrich zum Vertreter eines elitären Leistungsprinzips macht, das sich gegen die Monarchie und die Vorrechte des Adels richtet: In einer Monarchie freilich war nicht gewährleistet, daß stets der Beste die Krone trug; hier galt das Recht der Erstgeburt, und die Natur wandelte oft unerwünschte Pfade: sie ließ Schwächlinge als Thronfolger geboren werden und zur Herrschaft berufene Prinzen als Nachkömmlinge verwelken! (288)Preußen ist für Heyck auch die einzige Hoffnung für ein kommendes deutsches Reich(289), Habsburg und der Katholizismus dagegen werden von ihm aus einer typisch preußisch-kleindeutschen Position abgelehnt(290). Während er Preußen schon eine deutschnationale Politik unterstellt, verurteilt er Maria Theresia, die um Schlesien zurückzuerobern, die Interessen des Reichs verraten habe(291). Zu den bereits bekannten Ausfällen gegen das Judentum kommt in diesem Roman noch rassisch begründeter Ostimperialismus. Bei der Schilderung Polens wird Heycks Haß auf Juden, Jesuiten und Polen besonders deutlich: Adel, Klerus und Judentum beuteten in würdiger Gemeinschaft ein Volk aus, das gewohnt war zu schweigen, sich zu beugen, die Faust im Sack zu ballen, fleißig zu beten und unmenschlich zu fluchen, gelegentlich aber seine sarmatischen Urinstinkte in fesselloser Gemeinheit auszutoben.(292)Aber auch die Ostkolonisation wird jetzt zu Preußen Aufgabe. Heyck stellt Preußen ausdrücklich in die Tradition des deutschen Ritterordens, dessen historische Mission fortgesetzt werden muß; "einen Schutzdamm gegen die chaotisch wirbelnden Kräfte des Slawentums,vor allem gegen die russische Riesenwoge zu bilden."(293) Während Heyck mit diesem propagierten Ostimperialismus auf die beginnende nationalsozialistische Expansion reagiert, bleibt er mit seiner Ablehnung Habsburgs einige Jahre hinter den offiziellen Positionen zurück, die sich an der Beumelburgschen Reichsmystik wesentlich besser nachweisen lassen(294). Sehr zeitgemäß ist dagegen Heycks Englandfeindschaft. Friedrichs Verbündete sind korrupt, verraten und meucheln. Heyck verfällt dabei meist in einen moralisierenden Tonfall und übernimmt von Spengler den Begriff der "Seeräubernation"(295). Typisch für das noch auf die Jugendbewegung zurückgehende nationalrevolutionäre Gedankengut ist das Männerbündische des Romans. Immer wieder betont Heyck Friedrichs Frauenfeindschaft. so etwas wie Gefühl und Zärtlichkeit kann nur zwischen Männern aufkommen, zwischen Soldaten: <...> doch Friedrich hebt ihn empor, umarmt ihn gerührt und streichelt ihm zärtlich die hageren Wangen. "Mein alter Zieten", sagt er, "Er hat ja weißgott die Augen voller Wasser - !"(296)Heycks Romane verraten zwar eine Annäherung an die nationalsozialistische Weltanschauung, enthalten aber kaum völkisch-antimodernistisches Gedankengut und zelebrieren auch keinen Führerkult wie zum Beispiel Blunck. Die Könige sind eher Symbole der preußischen Staatsidee. Dieser Staat ist denn auch der eigentliche Protagonist der Romane. Heycks Verherrlichung des preußischen wird dabei zu einer kritiklosen Bejahung der gegenwärtigen Zustände, die ja Heycks Vorstellungen wesentlich näher kommen als denen der extremen völkischen Ideologen. Wie in der Weimarer Republik eignen sich Seefahrer- und Kolonialromane nach den Preußenromanen am ehesten als Transportmittel nationalrevolutionärer Ideologie. Jetzt interessiert allerdings weniger die sozialrevolutionäre Thematik von Hanse und Likendeelern, sondern mehr die verfehlte Möglichkeit einer deutschen Expansion, wie sie in Bluncks "Die große Fahrt" beklagt wird. Bruno Brehm beschreibt in seinem Roman "Die schrecklichen Pferde"(1934) den Welserzug in Venezuela 1532. Die Protagonisten des Romans, der deutsche Troßbub Jörn und der junge spanische Maure Francisco, erleben den Kampf der tapferen Indios, die Geldgier und Grausamkeit der spanischen Söldner und die Niederlage der Welser, die Brehm selbst kommentiert: "Ein deutscher Traum von Größe und Macht verblutete in fremder Erde"(297). Ohne Pathos und Gegenwartspropaganda versucht Brehm, nach dem Muster des Abenteuerromans, bei Jugendlichen die Lust nach Ferne und Abenteuer anzusprechen, wobei das Verlangen geweckt werden soll, Opfer und Heldentum mit einer sinnvollen deutschen Kolonialpolitik zu verbinden. Bemerkenswert ist dabei, daß Brehm für die Indios Stellung nimmt und die Grausamkeit der Spanier verurteilt. Der deutsche Ketzer und der spanische Maure sind von der Intoleranz der spanischen Inquisition bedroht. Diese Kritik richtet sich einerseits gegen das katholische Spanien, und andererseits stützt sie die Legende von einer vorbildlichen Verwaltung der deutschen Kolonien. Ganz deutlich werden die nationalrevolutionären Vorstellungen von einer deutschen Kolonialverwaltung in Felix W. Beielsteins Roman "Der große Imhoff"(1939). Imhoff, ein friesischer Adliger, tritt in die Dienste der holländischen ostindischen Kompanie und demonstriert dort, zuerst als Verwalter von Ceylon, dann von Java, preußisch-deutsches Dienst- und Pflichtbewußtsein: "Von Morgen bis Abend? Das ist Knechtsdienst - Herrendienst hat vierundzwanzig Stunden und darüber"(298). Während die anderen Angestellten der Kompanie - Franzosen, Polen und Holländer - faul und korrupt sind, zeichnen sich die Deutschen durch Fleiß und Unbestechlichkeit aus(299). Imhoff ist gegen die von den Holländern praktizierte Unterdrückung der Eingeborenen, er akzeptiert ihre völkische Eigenart und "seine großen gütigen Vaterhände" sorgen für sie(300). Da sich die Deutschen auf diese Weise als vorzügliche Kolonialverwalter legitimiert haben, klagt Imhoff, daß viele Deutsche in holländischen Diensten statt "für Kaiser und Reich, für die deutsche Nation, für das deutsche Volk" kämpfen und sterben(301). Auch für Beielstein ist die Beschreibung von Verwaltungs- und Wirtschaftsproblemen wichtiger als die von militärischen Aktionen. Die neue Welt ist für ihn ausdrücklich eine des Handels und der Kaufleute(302), was zumindest im Vergleich zur völkischen und nationalsozialistischen Literatur, eine positive Einstellung zur Moderne erkennen läßt. Vergleicht man die der nationalrevolutionären Fraktion zuzurechnenden historischen Romane von Beumelburg, Heyck, Brehm und Beielstein mit denen Bluncks, der von den nationalsozialistischen Autoren dieser Position am nächsten kommt, so verzichten sie hauptsächlich auf die rassistische Legitimation des Imperialismus und den Führerkult. Staatsidee und Dienst- und Opferritual bilden immer noch die höchsten Werte, während Blunck sie bedingungslos dem Genie des Führers unterordnet. Da aber auch die mehr nationalrevolutionären Autoren die Autorität des Führers nicht antasten, ergeben sich dadurch keinerlei Konflikte. Völlig verschieden sind diese Hymnen auf den totalen Staat allerdings von den regressiven Utopien der völkischen Blut- und Boden-Literatur. IV.5. Machtkampf und Änderungen im GeschichtsbildDie Widersprüche innerhalb des Nationalsozialismus lassen sich am eindrucksvollsten an historischen Romanen nachweisen, die sich mit demselben Thema befassen. Viele Konflikte werden vermieden, da die einzelnen Fraktionen und Autoren in ihre jeweilige Lieblingsepoche ausweichen. Bei der Interpretation der deutschen Kaisergeschichte stoßen jedoch die unterschiedlichen Interessen aufeinander. Da die nationalsozialistische Historiographie ihren wichtigsten Streit um die mittelalterliche Kaisergeschichte führt und zu diesem Thema eine ganze Reihe von historischen Romanen vorliegen, kann daran gezeigt werden, wie das Genre an der Diskussion, an der sich auch die NS-Größen beteiligen, teilnimmt. Da der Forschung allerdings bei der Datierung und Gewichtung dieser Auseinandersetzung einige Fehler unterlaufen sind, soll hier nur auf die wichtigsten Punkte eingegangen werden.Bei dem Streit um die deutsche Kaisergeschichte handelt es sich um ein Aufleben des alten Sybel-Ficker-Streites, und ähnlich wie die deutsche Geschichtswissenschaft nach der Reichsgründung zur großdeutschen Geschichtsinterpretation überwechselt, ändert sich nach der Machtübernahme die Beurteilung der mittelalterlichen Ahnengalerie(303). Die einzelnen Gruppen streiten sich um die Bevorzugung von Karl dem Großen oder Widukind, Barbarossa oder Heinrich dem Löwen, Weltpolitik oder Ostkolonisation, universalistischem Reich oder völkischem Nationalstaat. Aufgrund ihrer völkisch-kleindeutschen Geschichtsinterpretation verurteilen die Nationalsozialisten die Italienpolitik der Staufer und verdammen Karl den Großen als "Sachsenschlächter"(304). Verden an der Aller und der Braunschweiger Dom - die Grabstätte Heinrichs des Löwen - werden zu nationalen Weihestätten, die besonders von Himmler und Rosenberg gefördert werden(305). Nach Arnim gilt Widukind als der "Ahnherr" der Deutschen, auf ihn folgt dann "tausend Jahre später Adolf Hitler als unmittelbarer Fortsetzer des Werks Hermanns des Cheruskers und des Herzogs Widukind"(306). Karl der Große und Widukind werden zu polaren weltanschaulichen Prinzipien hochstilisiert: "Der Kampf spielte sich ab zwischen dem römischen Kaisergedanken und der germanischen Königsidee"(307).Es folgt das Paar Heinrich der Löwe und Barbarossa. Der Staufer wird nicht so stark angegriffen, man wirft ihm nur seine sinnlose Italienpolitik vor, während Heinrich eine erfolgreiche Ostkolonisation betrieben habe: Am deutlichsten sehen wir es wieder bei Barbarossa, der immer wieder das Blut neuer germanischer Scharen vergoß in Italien und Palästina, bis Heinrich der Löwe, der Niedersachse, dagegen rebellierte und ihm die Gefolgschaft versagte. Hieraus ergab sich, daß die Sachsenherzöge den Ackerboden für das kommende deutsche Volk schufen.(308)Auch Hitler scheint sich zunächst für diese Interpretationsweise auszusprechen. Er nennt in "Mein Kampf" nur drei wesentliche und bleibende Erscheinungen , die aus dem "Blutmeer" der deutschen Geschichte hervorgegangen sind: Die Eroberung der Ostmark, die Eroberung des Gebietes östlich der Elbe und die Schaffung des brandenburgisch-preußischen Staates. Ferner stellt er fest: "Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten". Anstatt Kolonialpolitik zu betreiben, soll sich Deutschland wieder auf der "Straße der Ordensritter" in Marsch setzen.(309) Nachdem er jedoch selbst zum Führer des neuen Reichs aufgerückt ist, drängt es Hitler danach, eine repräsentativere Ahnengalerie zu erstellen, wobei für nur noch die mittelalterlichen Kaiser in Frage kommen. Nach seiner Ansicht ist nun Karl der Große "einer der größten Menschen der Weltgeschichte, da er es fertig gebracht hat, die deutschen Querschädel zueinander zu bringen". Und: Die Kaisergeschichte ist das gewaltigste Epos, das - neben dem alten Rom - die Welt je gesehen hat. <...> Fünfhundert Jahre lang war das unbestritten die Herrschaft der Welt.Heinrich den Löwen dagegen bezeichnet er als einen "Kleinsiedler", der durch seine "Treueeidsverletzung" gerade eine erfolgreiche Italienpolitik der Staufer verhindert habe(310). Hitler spricht des öfteren davon, daß er Himmler und Rosenberg gewarnt habe, Karl den Großen weiterhin zu diffamieren(311). Die öffentliche Diskussion entflammt 1935 nach dem Vorstoß namhafter Historiker, die mit dem Buch "Karl der Große oder Charlemagne? Acht Antworten deutscher Geschichtsforscher" versuchen, Karl den Großen für die nationale Geschichte zu retten(312). Auf dieses Buch wird von nationalsozialistischer Seite zuerst mit vehementer Ablehnung reagiert, dann aber werden die eigenen Positionen langsam geräumt(313). Hitler rehabiliert schon auf dem Nürnberger Parteitag 1935 Karl den Großen(314), und Goebbels instruiert 1936 die Propagandaleiter, daß Karl der Große nichts geringeres gewesen sei "als der Schöpfer der deutschen Reichsidee"(315). Das SS-Organ "Das schwarze Korps" bezeichnet es Ende 1936 als "töricht", "die Italienpolitik der größten deutschen Könige des Mittelalters mit billigen Schlagworten lediglich als unnatürlich und landfremd zu verurteilen"(316). Auf dem Erfurter Historientag kommt es 1937 noch einmal zum Streit, den Hitler dadurch beendet, daß er Karl und die übrigen Kaiser in die Reihe seiner Vorfahren aufnimmt(317). Völlig auf die neue Linie ist auch die HZ eingeschwenkt, wenn 1938 Karl dem Großen die Einigung des deutschen Volkes durch "Blut und Eisen" bestätigt wird und 1939 die Bezeichnung "Sachsenschlächter" bestenfalls noch völ- kischen Schriftstellern zugestanden wird(318). Als 1937 im Festzug zum "Tag der deutschen Kunst" die deutsche Geschichte aufmarschiert, ist außer dem Karl dem Großen und den Staufern nur Heinrich I. vertreten, dagegen fehlen Widukind und Heinrich der Löwe(319). Nach den Lehrplänen sollen an den Schulen Karl und Widukind, Barbarossa und Heinrich der Löwe gleichrangig behandelt werden, bis unter dem Einfluß des Krieges auch hier Karl bevorzugt wird. Selmeier bemerkt zu diesen raschen Veränderungen der Geschichtsbücher: "Nur die Kurzlebigkeit des Dritten Reichs hat dem nationalsozialistischen Regime das Einstampfen und Umschreiben erspart"(320). Unter dem Einfluß der außenpolitischen Erfolge sinkt der "Nationalheld Widukind" dann ab in die Rolle "einer politischen Provinzgröße des Frankenreichs"(321). Nach 1940 ist die Entscheidung endgültig zugunsten der deutschen Kaiser gefallen. In einem 1941 erschienenen Artikel zum "Schrifttum der Stauferzeit" spricht der Verfasser nur noch von der "Glanzzeit des staufischen Jahrhunderts", während ein Buch, das noch für Heinrich den Löwen Stellung bezieht, als das Werk eines "Einhundertfünfzigprozentigen" abgelehnt wird(322). Ein anderer Artikel setzt sich 1942 ganz offen für "Das Erbe Karls des Großen" ein(323). Selbst Himmler stellt 1941 fest, daß er Karl wegen der Sachsenmorde eigentlich verabscheuen müßte, dies jedoch die einzige Möglichkeit war, das Reich zu bilden, das Europa viele Male vor dem Ansturm Asiens rettete(324). Dieser Umschwung im NS-Geschichtsbild wird von der westdeutschen Forschung zum Teil ignoriert, wohl auch weil man Karl den Großen zur historistischen Illustration von christlichem Abendland, EWG und deutsch-französischer Verständigung selbst benötigt. Mit der konservativen Abendlandideologie knüpft man nahtlos, wenn auch dezent an die offizielle nationalsozialistische Geschichtsinterpretation der vierziger Jahre an, postuliert aber einen Kontinuitätsbruch, der von Hitler schon zehn Jahre früher eingeleitet worden war(325). In der Regel wird der Umschwung in der Interpretation der Kaisergeschichte zwar beobachtet, aber zu spät datiert. Eine Reihe von Historikern weist auf den Zusammenhang von erfolgreicher expansiver Außenpolitik und Eroberungskrieg hin, was sicher die Umwertung beschleunigt, aber nicht initiiert hat(326); andere betonen die Bedeutung der Historiker, die wohl kaum in der Lage gewesen wären, wenn ihr Vorstoß 1935 nicht im Trend gelegen hätte(327). Daß der Einsatz für die deutschen Kaiser bereits 1935 sehr angebracht war, läßt sich damit belegen, daß Rosenberg die entsprechenden Stellen in seinem "Mythos" zwischen 1934 und 1935 umgeschrieben hat und auch 1936 edierte Reden abgeändert und mit speziellen Einleitungen versehen hat, was nur mit einer Einflußnahme Hitlers zu erklären ist. Als Beispiel sei hier auf die Stelle des "Mythos" verwiesen, die die Umwertung der Kaiserpolitik bereits vor den Historikern leistet: Ausgabe bis 1934: Widukind kämpfte zwar für sich, aber zugleich für die Frei heit aller nordischen Völker. Er unterlag; aber kein Zweifel darf heute mehr darüber bestehen, daß wir zu den Kräften stehen, die ihn leiteten und nicht zu denen, welchen Karl der Große zum Siege verhalf.Ausgabe 1935: <...> aller nordischen Völker. Wobei Karl der rauhe Gründer des Deutschen Reiches als politische Einheit bleibt. Es ist zweifelhaft, ob ohne ihn dies Machtgebilde entstanden wäre. Nach der Wiederherstellung der Ehre der 1000 Jahre geschmähten Niedersachsen gehen beide großen Gegner ein in die deutsche Geschichte: Karl als Gründer des deutschen Reiches, Widukind als Verteidiger der germanischen Freiheitswerte.Die Italienzüge der deutschen Kaiser bezeichnet Rosenberg bis 1934 noch als "Wahnsinnsfahrten" und ab 1935 als "Eroberungsfahrten"(328). Dieser Positionswechsel läßt sich ebenfalls an einigen Reden Rosenbergs zur deutschen Geschichte nachweisen(329). Um die Kontinuität und die sich wiederholenden Muster dieser Auseinandersetzung zu belegen, ist es notwendig, kurz auf die wichtigsten historischen Romane hinzuweisen, die bis 1933 zum Thema der Kaisergeschichte erschienen sind. Dies sind von Felix Dahn "Bis zum Tode getreu"(1887), von Hermann Löns "Die rote Beeke"(1912), von Paul Schreckenbach "Markgraf Gero"(1916) und "Das Recht des Kaisers"(1922), von Werner Jansen "Heinrich der Löwe"(1923) und "Verratene Heimat"(1932), von Hans-Friedrich Blunck "Stelling Rotkinnsohn"(1924), von Otto Gmelin "Das Angesicht des Kaisers"(1927) und "Konradin reitet"(1933). Dahns Erzählung spielt in der Zeit nach den Sachsenbekehrung. Ein sächsischer Freibauer und seine Frau, die fast völlig der wilhelminischen Familie nachempfunden sind, werden von korrupten fränkischen Grafen in ihrer Existenz bedroht. Diese negativ gezeichneten Verwaltungsbeamten entsprechen den außenpolitischen Gegnern des deutschen Reichs - Aquitanier, Dänen, Langobarden und Wenden. Vor diesen Feinden und der Willkür der Grafen kann nur Kaiser Karl Schutz gewähren. Die Grafen sind vereinfacht "die Bösen", und alle Freien haben "nichts zum Schutz als das Schwert an der Seite, den Himmelsherrn da droben und - Kaiser Karl zu Aachen"(330). So hält der Sachse gegen den eigenen rebellischen Bruder und bis zum vermeintlichen eigenen Untergang Karl den Treueeid. Dieser erscheint in höchster Not wie Harun al Raschid als einfacher Königsbote verkleidet, bestraft die bösen Grafen und belohnt den treuen Sachsen mit dem Grafentitel. Für Dahn steht die Rebellion gegen den Monarchen nicht mehr zur Diskussion, er ist im Gegenteil die einzige Hoffnung des bedrohten Mittelstandes. Kaiser Karl wird in diesem schmalzigen Liebes- und Familienroman zum rettenden Märchenprinzen. Der Monarchist Schreckenbach verherrlicht mit seinem "Markgraf Gero", der die Slawen angemessen als "hündisches Volk behandelt" (331), zwar den Ostkolonisator, der aber gleichzeitig treu seinem Kaiser dient und dessen Italienpolitik unterstützt. Die gewaltsame Christianisierung ist für den Protestanten Schreckenbach durchaus ein positives Ereignis: "Wir sind Christen geworden durch das Schwert des großen Karl"(332). Sein 1922 erschienener Roman "Das Recht des Kaisers" formuliert schon im Titel die wesentliche Botschaft. Der Streit zwischen Welfen und Staufern gilt hier als nationales Unglück(333), das mit der Hochzeit eines Sohnes Heinrichs des Löwen mit einer Nichte des Kaisers beendet werden soll. Die welfische Position kennzeichnet Schreckenbach als Empörung und Verrat, die dem Reich schaden(334). Bei Schäfer manifestiert sich bereits die Niederlage des Weltkrieges. Karl der Große gilt ihm noch als typisch deutscher Herrscher (335), die Italienpolitik der deutschen Kaiser lehnt er jedoch bereits als "Fremdherrschaft" ab(336). Das früheste populäre Beispiel einer völkischen Gegenposition findet man 1912 in Löns'"Die rote Beeke", wo Karl voll Haß als dekadenter, artfremder, orientalischer Herrscher beschrieben wird(337). Während der Weimarer Republik ergreifen die meisten Romane zum Thema dieselbe Partei: Jansens "Heinrich der Löwe", Bluncks "Stelling Rotkinnsohn" und am extremsten Jansens "Verratene Heimat". Vor diesem Hintergrund wird erst die völlig andere Interpretation eines Autors wie Gmelin deutlich: Er verherrlicht mit seinem Roman "Das Angesicht des Kaisers" und der Erzählung "Konradin reitet" die Staufer als heroische Existentialisten, die allein im vergeblichen Kampf ihre Bestimmung erfüllen. Für die Blut- und Boden-Ideologie und die Ostkolonisation interessiert sich Gmelin offensichtlich nicht, ihm geht es nur um das Leben der Übermenschen. Wenn sein Friedrich II. mit Elefanten, Negern und Harem in Deutschland Einzug hält, so ähnelt die Beschreibung der Schilderung der Hofhaltung Karls des Großen bei Löns; aber was bei Löns zum Zeichen von Dekadenz und Entartung wird, gilt hier als angemessene Umgebung des Weltkaisers. Für die Zeit der Weimarer Republik kann man also feststellen, daß die populären historischen Romane zur Kaiserpolitik meistens eine völkische Position beziehen; selbst einer der bekanntesten völkischen Zeitromane - Hans Grimms "Volk ohne Raum"(1926) - beklagt Karls Sieg über die Niedersachsen(338). Es erstaunt also nicht, daß die NS-Geschichtswissenschaft nach 1933 lieber die historische Belletristik zu ihrem Vorgänger erklärt als die Historiographie(339). Löns' Schlagwort von der "roten Beeke" wird auch von Rosenberg übernommen(340). Von den bekannteren nach 1933 erschienenen historischen Romanen beschäftigen sich zwei mit dem Konflikt zwischen Barbarossa und Heinrich dem Löwen: "Kaiser und Herzog"(1936) von Werner Beumelburg und "Der Löwe"(1936) von Mirko Jelusich. Beide ergreifen mehr oder weniger stark für den Welfen und gegen die Italienpolitik der Staufer Partei. Es erscheint zwar auch Literatur zu den Staufern, jedoch nicht in solcher Anzahl und ohne die Popularität der Welfenliteratur zu erreichen(341). Es ist also falsch, davon zu sprechen, daß der "neue Welfenkult" im historischen Roman wenig Resonanz findet(342). Problemloser ist für die Nationalsozialisten die Verwendung des Stauferkaisers Friedrich II., ihm fehlt der welfische Gegenspieler, und man kann seine antiklerikale Politik hervorheben. Von Beumelburg erscheint schon 1934 eine Schrift zu Friedrich II., in der er den Staufer als großen Führer beschreibt, der sich dem "Anruf des Schicksals" unterwirft, trotzdem bezeichnet er die Italienpolitik als "verhängnisvollen Wahn" und "unseligen Zwang zur Ferne"(343). In seinem Roman "Kaiser und Herzog" übernimmt er die frühe NS-Position, die die Ostkolonisation als einzige Realpolitik anerkennt. Fast wörtlich wird sogar eine Formulierung aus Hitlers "Mein Kampf" wiederholt: "Die Deutschen <...> schauen immer nach Westen und Süden, aber sie vergessen den Osten und den Norden"(344). Ebenfalls Parteivokabular benützt Beumelburg, wenn er wie Rosenberg Barbarossas Vorgänger "Karl den Franken" nennt(345). Beumelburg versucht jedoch, auch Barbarossa für die deutsche Geschichte zu rekrutieren. Beide - Heinrich der Löwe und Barbarossa - werden zu Vorkämpfern des Reichs. Aber gerade hier zeigt sich seine idealistische ahistorische Geschichtsauffassung. Das Handeln der Gegenspieler wird nicht mit der Territorialpolitik erklärt, beide werden nur zu schablonenhaften Verkörperungen des deutschen Menschen: der nüchterne Realist und der geniale Schwärmer. Beide müssen ihrer schicksalhaften Veranlagung folgen. Schon der junge Heinrich ahnt seine Bestimmung: "Es ist unser welfisches Unglück, daß wir nicht träumen können, und es ist euer staufischer Wahn, daß ihr das träumen nicht lassen könnt.<...> man müßte aus beiden eine Einheit schmelzen, das müßte die richtige Mischung ergeben."(346)Da die Italienpolitik des träumerischen Staufers immer sinnloser wird und dabei nur Heinrichs Herzogtum, die einzige Stütze des Reichs, zerschlagen wird, ist Beumelburgs Parteinahme offensichtlich; er vermeidet aber die menschliche Abwertung Barbarossas. Da er versucht, überparteilich zu sein, gibt er manchmal den unter NS-Schriftstellern üblichen auktorialen Erzählstil auf, wenn er Formulierungen benützt wie "Niemand weiß" oder "Bekannt ist nur"(347). Die eigentlichen Negativfiguren des Romans sind die deutschen Fürsten, denen "Eigennutz und Eigensucht" wichtiger sind als die Größe des Reichs(348). Beumelburgs Reich ist keine lockere Föderation, sondern der zentralistische, expansive Machtstaat. Heinrich wird somit zu einem verhinderten Vorgänger Preußens, seine Reichseinigungsversuche fallen noch einmal dem Partikularismus der Fürsten zum Opfer. Wesentlich deutlicher noch bringt Jelusich die Positionen der Partei zum Ausdruck. Die Abwertung Barbarossas wird von ihm unmißverständlich vollzogen: "Er denkt nicht mehr ans Reich - nur noch an sich und sein Geschlecht"(349). Der Löwe kämpft dagegen für höhere Ziele: "Nicht seine Macht - die des Reiches ist es, die er fördern will"(350). Dieser Löwe spricht auch unverblümt und pathetisch von Deutschland: "Deutschland, das einzige große Deutschland - das ist das Ziel, das jeden Opfers wert ist"(351). Am Schluß des Romans erklärt Jelusich den Löwen zum "Vorläufer und Verkünder"(352). Wenn Heinrich die staufische Italienpolitik ablehnt, so ist seine Argumentation vom Achsenbündnis zwischen dem faschistischen Italien und Nazi-Deutschland geprägt: "Welsch ist welsch und deutsch ist deutsch, und Gott selber will es nicht, daß eines der Völker das andere unterdrücke"(353). Die Ostkolonisation muß dagegen gottgewollt sein. Ganz in Trivialität versinkt Jelusich, wenn er bei der Charakterisierung von Freunden und Feinden sein schematisches SchwarzWeiß-Denken verrät. Heinrichs treuester Paladin ist riesenhaft mit großen treuen Hundeaugen, ebenso gesund und stark sind die Lübecker Bürger(354). Der Antityp ist der Intellektuelle, der Kanzler Rainald von Dassel. Von Beumelburg noch durchaus positiv dargestellt(355), ist Rainald nun "ein junger Kleriker, zartgliedrig, behend, mit listigen, ruhelos umherschießenden Blicken", der fortwährend mit seinen Pergamenten raschelt (356). Rainald treibt mit seinen Intrigen den Kaiser in den Untergang und bezeichnet sich selbst als "ruina mundi" (357). Beide Romane können als nationalsozialistisch bezeichnet werden wegen der Verherrlichung heroischer, vom Schicksal gesandter Führer, ihres ahistorischen Geschichtsbildes und der Bedeutung der mit der Blut- und Boden-Ideologie gerechtfertigten Ostkolonisation. In beiden werden nur Typen beschrieben, die sich entsprechend ihrer Veranlagung - der bei Jelusich auch noch das Aussehen entspricht - verhalten. Beumelsburgs Darstellung ist etwas zurückhaltender; er versucht, eine Spannung darzustellen, wo Jelusich ganz einseitig Partei nimmt. Nachdem die NS-Historiographie in ihrer Beurteilung der Kaiserpolitik umgeschwenkt ist, bleibt Beumelburgs Roman immer noch rezipierbar, während Jelusich wegen "tendenzhafter Darstellung" kritisiert wird(358). Die einzig positive Darstellung der Kaiserpolitik, die eine höhere Auflage erreicht, ist Otto Gmelins Erzählung "Das Reich im Süden"(1937). Gmelin hatte schon in der Weimarer Republik die Staufer Friedrich II. und Konradin als rastlose Übermenschen verherrlicht. Mit seinem neuesten Buch wendet er sich einem weniger bekannten Kapitel der Kaisergeschichte zu, der Italienpolitik der Ottonen. Aber auch hier bezieht er Position für die deutsche Kaiserpolitik, die er ausdrücklich nicht auf die Ottonen beschränkt. Nachdem wieder einmal ein deutsches Herr sinnlos in Italien geopfert worden ist, stellt Gmelin die Frage nach dem Sinn. Damit für den Leser keine Zweifel bestehen bleiben, richtet der Autor, wie des öfteren in der Erzählung, die Antwort direkt an ihn: Wir Deutsche des zwanzigsten Jahrhunderts verstehen die Idee jenes deutsch-römischen Kaisertums nicht mehr, sie erscheint uns sinnlos, falsch und wie ein ungeheurer, gefährlicher und gefräßiger Irrtum deutschen Wollens. Aber wie manches unseres Tuns und Wollens wird späten Geschlechtern unserer Nachfahren nach abermals tausend Jahren abermals wie ein solcher Irrtum erscheinen. Wir wissen es nicht. auch uns bleibt nur dasselbe wie unseren Ahnen vor tausend Jahren: Die Treue. Die Ideen wandeln sich im Wandel geschichtlichen Werdens, aber die Dienstbereitschaft und Opferbereitschaft kann immer dieselbe sein.(359)Gmelin postuliert damit einen heroischen Existentialismus nationalrevolutionärer Prägung. Treue, Opferbereitschaft und die Idee des Imperiums gelten ihm mehr als Ostkolonisation, Rassereinheit und andere völkische Werte. Er steht damit in Opposition zur NS-Geschichtsinterpretation, besonders wenn er Otto III. als großen Kaiser und einen Deutschen "in allen Zügen" bezeichnet(360), zu dem die offizielle Geschichtsschreibung bemerkt: Otto III., ein Mischling, rassenseelisch stark vorderasiatisch bestimmt, zwischen überspanntem Imperialismus und asketischem Mystizismus schwankend, will den von Kaiser und Papst gemeinsam beherrschten christlichen Universalstaat mit der Hauptstadt Rom begründen. Deutschland soll Nebenland werden.(361)Gmelin ist mit seiner Erzählung wie mit seinem Hohenstaufenroman der Entwicklung um einige Jahre voraus. Auf seine unkritische Verherrlichung der mittelalterlichen Kaiser und ihres Imperiums schwenkt der Nationalsozialismus erst in den vierziger Jahren ein. Das Beispiel zeigt auch, daß der nationalrevolutionäre Heroismus von der Entwicklung mehr begünstigt wird als der völkische Antimodernismus. Ist man trotz des Bevorzugung Heinrichs des Löwen geneigt, die Hohenstaufen als deutsche Kaiser zu akzeptieren, so richtet sich gegen Karl den Großen ein regelrechter Haß. Er gilt der völkischen Gesichtsschreibung als undeutscher Franke und wird vor allem wegen seiner Sachsenkriege und der damit verbundenen Christianisierung angegriffen. Seine Rehabilitation verläuft wesentlich schwieriger als die Barbarossas. So lobt eine Rezension noch 1939, daß der Verfasser eines Widukindromans Karl den Großen als "rücksichtslosen und grausamen Herrscher darstellt" und "keine Entschuldigung für die unmenschliche Grausamkeit des Geiselmordes, die Bluttat von Verden" hat(362). Im historischen Roman werden die Hohenstaufen nie eindeutig verurteilt, und ab 1939 geht die Tendenz eher dahin, die großen deutschen Kaiser zu bevorzugen(363). Zu Karl dem Großen erscheint nach 1933 kein einziger Roman, mit seinem Gegner Widukind dagegen befassen sich bis 1939 sieben Romane: die zwei bekanntesten sind "Weking"(1938) von Fritz Vater und "Der Herzog und die Könige" (1939) von Kurt Pastenaci. Hervorzuheben ist außerdem der Roman "Fürst Widukind der Sachsenführer"(1936), denn es ist einer der ganz wenigen historischen Romane, die nach der ersten Auflage verboten werden. In den Romanen von Vater und Pastenaci kommt völkisch-nationalsozialistisches Gedankengut derartig direkt zum Ausdruck, daß man sie auch als SS-Romane bezeichnen könnte. Vaters Sachsen zitieren aus der Edda(364), und ihre jungen Krieger werden in einer Art religiösem Orden im Ostaraholze erzogen(365). Der SS-Wahlspruch "Ehre und Treue" steht ihnen "über allem"(366). Pater beschreibt Karl als jähzornigen, grausamen Herrscher und als Kirchenknecht und die Massenhinrichtung in Verden als grausame Metzelei(367). Widukind dagegen ist der wahre völkische Führer, "dem das Schicksal besondere Vollmachten gegeben hatte"(368). Besonders auffällig ist Vaters Ablehnung der christlichen Religion. Als ihren Gegensatz beschreibt er immer wieder germanische Kulthandlungen, in deren Mittelpunkt die Externsteine als eine Art germanisches Stonehenge stehen. Es geht Vater allerdings weniger um die germanische Religion als um einen pathetischen Blut- und Opferkult: Gesegnet ist das Blut, das in die Heimaterde fiel; es wird wachen über ihr, daß sie nie verloren geht. Gesegnet ist die Heimaterde, die der Tapferen Blut trank; sie wird es wiedergeben, hundert Tropfen für einen.(369)Die eigentliche Religion gilt dem Volk: Er ließ sich fangen von den Klängen des Liedes und seine Seele von ihnen hintragen zu der großen Seele seines Volkes, die uralt war und ewig sein wird, auch wenn wir vergangen sind.(370)Vater überträgt hier Wekings fiktives Erlebnis auf das "Wir"- Gefühl der Leser. Eine andere Art, dem Leser Vaters Einsichten zu vermitteln, sind visionäre Vorausahnungen. So wissen die Auserwählten unter den Sachsen, daß Karls universalistisches Reich zerfallen muß und statt dessen ein nordisch-germanisches Reich entstehen wird(371). Damit dennoch für den Leser nichts, aber auch gar nichts offenbleibt, verkündet Vater selbst im Nachwort die Vollendung des "germanischen Reichs deutscher Nation" durch Adolf Hitler (372). Für Himmler ist die freiwillige Unterwerfung Widukinds und seine spätere Taufe dessen einziger Makel. Er vermutet deshalb sogar eine entsprechende Fälschung der fränkischen Reichsannalen (373). Vater entspricht diesem Wunsch; sein Weking ist geflüchtet oder gefallen, seine Taufe ist jedenfalls eine Lüge der Pfaffen (374). Wie Rosenberg erwähnt Vater jüdische Zwischenhändler, die mit den Franken ins Land kommen. Die Ähnlichkeit der Textstellen ist so frappierend, daß ein Zufall wahrscheinlich auszuschließen ist (375). Pastenacis Roman ist schon von der Umwertung des Geschichtsbildes beienflußt, ansonsten verherrlicht er wie Vaters "Weking" Widukind als völkischen Führer und die Externsteine als germanisches Heiligtum(376). Als Gegner der nordischen Sachsen gilt der Süden, der durch die katholische Kirche vertreten wird. Der Kampf zwischen Süden und Norden wird von Pastenaci, wie schon von Dahn und Kolbenheyer, zum ewigen Prinzip erhoben (377). Anders als Vater beschreibt Pastenaci Karl den Großen als positive Figur (378). Die Hinrichtung der Geiseln in Verden ist zwar auch für ihn ein "Morden", ist aber die Voraussetzung zur Schöpfung des Reichs. Das Ziel ist die Versöhnung von Franken und Sachsen, die dann symbolisch in Verden ihre Heere vereinigen und gemeinsam die Dänen besiegen. "Beide Stämme durch Jahrhunderte verfeindet, wurden in Jahrzehnten ein Volk, weil gemeinsames Blut in ihren Adern fließt"(379). Am Ende des Romans ahnt Karl, daß Widukind durch seine Unterwerfung siegte. Während er sein übervölkisches Reich zerfallen sieht, weiß er, daß dem vom Widukind geschaffenen Volksstaat die Zukunft gehört(380). Wie das deutsche Heer im 1.Weltkrieg bleibt auch Widukind, entgegen den historischen Tatsachen, "im Kriege unbesiegt"(381); Karl bittet um Frieden und Widukinds Taufe ist nur noch eine rein formale Angelegenheit, bei der es ihm von Karl erlassen wird, den alten Göttern abzuschwören(382). Ganz anders interpretiert Käthe Papke diesen Vorgang. Für sie ist die Christianisierung der Sachsen das wichtigste Ergebnis der Sachsenkriege. Sie dienen bei ihr weniger der fränkischen Expansion, sondern erscheinen als der symbolische Kampf zwischen Christus und Wodan, in dessen Verlauf Widukind die Überlegenheit des Christentums anerkennen muß: Ja - Widukind hatte sehr scharfe Vergleiche gezogen, zumal in den letzten zwei Jahren. Und alle waren zu ungunsten der alten Götter ausgefallen. Leuchtend hell stand Christus, der Gott der Franken, vor seinem Geistesauge.(383)Während der Taufe wird Widukind regelrecht von heiligen Schauern überflutet(384). Papke verfällt in ihrem Missionierungseifer in ein ähnliches aggressives Pathos, wie es bei den NS-Schriftstellern üblich ist: Christus hatte über Sachsen gesiegt, - Christus siegte über die Wenden, die Preußen, die Pommern, - und Christus wird einst siegen über die ganze Welt.(385)Ansonsten wird mit den üblichen Versatzstücken Widukind immer wieder als "Führer" verherrlicht und beschworen (386). Man kann vermuten, daß Papkes Roman ein paar Jahre später geduldet worden wäre, wenn sie ihr aggressives Christentum an Pommern oder Preußen demonstriert hätte (387). 1936 sind die Sachsenkriege jedoch ein zu umstrittenes Thema, und so wird der Roman nach der ersten Auflage verboten. IV.6. Vom völkischen Kleindeutschland zur EuropaideeIm letzten Kapitel wurde gezeigt, daß allein durch den Prozeß der Machtübernahme - ähnlich wie nach der Reichsgründung 1871 - das Bedürfnis entsteht, die eigene Führungsposition mit der deutschen Kaisergeschichte zu legitimieren. Diese Interpretation beginnt sich ab 1935 duchzusetzen, obwohl einige dogmatisch völkische Theoretiker - vor allem Himmler - weiter, an einem kleindeutschen Geschichtsbild festzuhalten versuchen. Mit der erfolgreichen Außenpolitik - der Annektion von Österreich und der Tschechoslowakei - beginnt 1938/39 eine neue Phase(388). Die Vorbildlichkeit des mittelalterlichen Kaiserreichs steht jetzt außerhalb jeder Diskussion. Man greift nun sogar auf die von Völkischen und Deutschnationalen mit Haß verfolgten Habsburger zurück(389). Der habsburgisch-katholische Reichsmythos soll dazu dienen, die Herrschaft über Mitteleuropa zu legitimieren(390).Es muß nicht weiter ausgeführt werden, daß diese Nutzbarmachung des habsburgischen Mythos auf die ihm zugrundeliegende Vorstellung vom Vielvölkerstaat verzichtet. Eine 1937 in Wien entstandene Dissertation stellt das Reich noch ausdrücklich dem Staatsgedanken gegenüber und lehnt deshalb die Imperien Alexanders des Großen und Roms ab. Als Utopie gilt eine förderalistische Friedensordnung aus vielen Völkern und Staaten(391). Auf der anderen, der kleindeutschen Seite beunruhigt dieses "Überwuchertwerden der nationalen Idee" die borussisch-konservative Geschichtswissenschaft(392). Nach dem Sieg über Frankreich und mit dem Krieg gegen Rußland gewinnt die Mitteleuropaidee verstärkt an Bedeutung. Unter der Führung des Reichs soll das Abendland nun wieder den Kampf gegen den " ewigen" Ansturm aus dem Osten aufnehmen(393). Dies führt außerdem zu einer positiveren Einstellung gegenüber dem Christentum als abendländische Ideologie(394). Von der Geschichtswissenschaft wird "das Reich als europäische Ordnungsmacht" verherrlicht(395). In einem Aufsatz in den NS-Monatsheften von 1944 wird es sogar ausdrücklich abgelehnt, die Balkanvölker als Slawen zu bezeichnen, da sie sich im Kampf gegen den Osten in der Reichsordnung zusammengeschlossen hätten(396). Im Kreuzzug gegen die Sowjetunion - dem Unternehmen "Barbarossa"(397) -stellt die SS unter Berufung auf die Reichsidee die Divisionen "Das Reich", "Prinz Eugen", "Hohenstaufen" und später sogar die französische "Charlemagne" auf, aber keine wird nach Widukind, Heinrich dem Löwen oder den preußischen Königen benannt. Selbst Himmler bezieht sich in einer Rede vor dem Führerkorps der SS-Division "Das Reich" nur noch auf die Kaiser: Seid euch klar, daß dieses Reich weit zurückreicht. Es reicht zurück in die Zeit der Hohenstaufen, der Sachsen und des Frankenkaisers Karl des Franken.(398)Der nationale Gedanke wird dabei immer mehr aufgegeben, man bevorzugt nun Schlagworte wie "Das neue Europa" oder "Großgermanisches Reich"(399). Vor dem Reichstag beschwört Hitler den "ewigen" Kampf des Abendlandes: Denn so wie einst die Griechen gegenüber den Karthagern nicht Rom, Römer und Germanen gegenüber den Hunnen nicht das Abendland, deutsche Kaiser gegenüber den Mongolen nicht Deutschland, spanische Helden gegenüber Afrika nicht Spanien, sondern alle Europa verteidigt haben, so kämpft Deutschland auch heute nicht für sich selbst, sondern für den gesamten Kontinent.(400)Daß fast die Hälfte der Germanen auf Seiten der Hunnen und die deutschen Kaiser nie gegen den Mongolen kämpften, wird zugunsten der "höheren Wahrheit" verschwiegen. Entsprechend der Mischung und Veränderung konservativer Ideologie verschiedenster Provenienz bildet die Darstellung der Reichsidee im historischen Roman ein breites Spektrum. Es reicht von der NS-Propaganda eines Blunck bis hin zu den katholischen Reichslegenden Gertrud von Le Forts. Bei der Beurteilung dieser Literatur ist genau auf die Interpretation der Formel "Reich" und auf das Entstehungsdatum zu achten. Durch den ideologischen Richtungswechsel der Nationalsozialisten werden Romane verwendbar, die anfänglich der offiziellen Ideologie nicht entsprechen. Es sollen in diesem Rahmen Romane behandelt werden, die bis 1938, also vor der Expansion, erschienen sind. Sie geben damit weniger die augenblickliche Realität wieder, sondern entwerfen Programme, die erst später erfüllt werden, oder setzen sehr verdeckt den Reichsgedanken gegen den NS-Staat ab. Blunck propagiert bereits 1938 in seinem "Wolter von Plettenberg" die nationalsozialistische Abendlandideologie(401). Blunck ist damit der ideologischen Entwicklung etwas voraus. Er fordert ein zentralistisches und expansives Imperium, mit dem sich die völkisch-kleindeutschen Ideologen erst im Laufe des Krieges aussöhnen. Dies unterstreicht die Vorbildlichkeit der Blunckschen Romane. Ganz auf derselben Linie liegt der Roman "Der Reiter auf dem fahlen Pferd"(1937) des Schweizers Emanuel Stickelberger. Nach Stickelberger ist der Kampf Asiens gegen das Abendland ein sich ewig wiederholender, schicksalshafter Akt. Um diesen Kampf über jede rationale Begründung zu erheben, beginnt der Roman mit einem doppelten Vorspiel, in dem der Konflikt mystisch verklärt wird. Im ersten Vorspiel erteilt Buddha nach dem Hunnensturm 453 den Befehl, in achthundert Jahren die Herrschaft Asiens über die Welt zu verbreiten. Durch Intrigen des Todesgottes werden die Mongolen mit der Ausführung des Befehls betraut. Das zweite Vorspiel -"Im Zeichen des Kreuzes" - erläutert an der Prophezeiung eines alten Zisterzienserabtes das Schicksal des Abendlandes. Das Abendland droht ungefähr alle achthundert Jahre von Asien überrollt zu werden. Als Beispiele nennt er den Trojanischen Krieg um 1300 v.Chr., die Perserkriege um 500 v. Chr., die Hunnen um 450. Zu erwarten ist nun um 1200 der neue Angriff Asiens, angeführt von dem Reiter auf dem fahlen Pferd der Apokalypse, verkörpert in Dschingis Khan. Wenn Europa diesen Angriff überstehen sollte, wäre in weiteren achthundert Jahren mit dem nächsten zu rechnen(402). Das eigentliche Anliegen des Autors ist der Kampf gegen den Bolschewismus im 20.Jahrhundert, zu dem er im Achthundertjahresabstand historische Vorläufer sucht. Wenn die historischen Daten nicht passen, wie zum Beispiel beim Trojanischen Krieg oder den Türkenkriegen, werden sie einfach verfälscht oder entfallen ganz. Die Handlung dreht sich um Dschingis Khan und seinen abendländischen Gegner, Herzog Heinrich I. von Schlesien, der aufgrund der Prophezeiung die Abwehr Schlesiens vorbereitet. Beide scheinen schicksalhaft verbunden zu sein, sie sind im selben Jahr geboren und haben im selben Jahr geheiratet. Aber während Dschingis Khan mit Lust zerstört und erobert, kultiviert Heinrich mit deutscher Hilfe das unterentwickelte polnische Schlesien. Stickelberger hebt hier besonders die angebliche kulturelle Unterlegenheit der Polen hervor, wenn er von der "polnische(n) Wirtschaft" spricht oder abfällig feststellt, als die fleißigen Deutschen ein Kloster gebaut haben, "rissen die Polen das Maul auf"(403). Das Reich zerfleischt sich im Krieg zwischen Staufern und Welfen, während die Mongolen weiter in Richtung Europa vorstoßen: "Und die Völker des Abendlandes fahren fort, sich zu zerfleischen, blind für die Vorzeichen des nahenden Verhängnisses"(404). Nur im Osten hält der schlesische Löwe gute Wacht(405). Zum Kampf kommt es erst unter den Nachfolgern der großen Gegner. Heinrich II. wird dabei zum "Retter der abendländischen Völker"(406). Dies gelingt ihm unter anderem, weil ihm zur Unterstützung einige hundert überzeugte Europäer zu Hilfe eilen: geistliche Haudegen aus aller Herren Ländern, aus Frankreich, den Niederlanden, Britannien, Spanien, Italien. Ein trostvolles Sinnbild des Zusammenstehens aller in der ge meinsamen Gefahr, aber an Zahl einige hundert nur im Ganzen.(407)Auch Stickelberger nimmt hier die Propaganda der Waffen-SS für ihre europäischen Freiwilligenverbände vorweg. Dies, die vom Schicksal gesandten Führer, die Bedeutung der Ostkolonisation und das mystisch-zyklische Geschichtsverständnis machen den Roman zu einem herausragenden Beispiel nationalsozialistischer Literatur. Eher von nationalrevolutionärer Seite wird die Reichsideologie von Walter von Molo und Werner Beumelburg vertreten. Molo hat mit seinem "Fridericus" bereits recht früh ein Beispiel nationalrevolutionärer Literatur gegeben. Nach 1933 gehört er als Mitglied der Preußischen Akademie der Künste zu den repräsentativsten Dichtern des Dritten Reichs. Obwohl er besonders von völkischer Seite angegriffen wird, wird sein "Fridericus" immer noch in den höchsten Tönen gelobt(408). Da Molo gemeinsam mit Frank Thiess nach 1945 den Begriff der "Inneren Emigration" einführt und für sich beansprucht, ist es besonders aufschlußreich, seinen 1936 erschienenen Roman "Eugen von Savoy, heimlicher Kaiser des Reichs" kurz zu untersuchen. Untypischerweise ist dieser Eugen kein nordischer Deutscher, sondern ein kleiner verwachsener Franzose, der nur gebrochen deutsch spricht. Das Vorbild aller Ordnung ist aber auch hier das Reich: "Das Reich aber", sprach der Kaiser mit veränderter Stimme und mit großen ehrerbietigen Augen, "das wird nur langsam. Das Reich, das ich mein'."(409)Der Kampf gegen die östliche Barbarei - hier gegen die Türken - wird zur Sache ganz Europas: Eugen zog an der Spitze der Jugend Europas von neuem in den Krieg." Als sogar ein Enkel Ludwigs des XIV. zu ihm stößt, fragt er ihn: "Darf ich ihr Ansuchen dahin auffassen, daß sie endlich Europa als Einheit anerkennen und sich gemeinsam gegen die Barbarei wenden, gegen die ich Zeit meines Lebens gekämpft habe?"(410)Als Hauptgegner dieser höheren Reichsordnung wird von Eugen vor allem der Egoismus der Fürsten, besonders der preußischen, angegriffen(411). Doch der Borusse Molo ist recht leicht zu entlarven: Sein Reich ist nicht der katholisch-förderalistische Vielvölkerstaat der Habsburger, sondern das preußisch-deutsche Imperium. Eugen erkennt am Vergleich Frankreich-Deutschland die Vorteile des Zentralismus und klagt. "Wir waren einmal ein herrliches und mächtiges Volk unter einem starken Kaiser"(412). Wovon der Savoyer dieses "Wir" ableitet bleibt unklar, aber Molo geht noch viel weiter, wenn er ihm eine typisch preußisch-deutsche Ahnengalerie erstellt, von Widukind, dessen "Blut" in seinen Adern fließt, über die Staufer, die in Italien für die deutsche "Art" gekämpft hatten, bis zu Luther, "dessen Lehren der Norden folgte"(413). Die Habsburger dagegen verhindern immer wieder in ihrer Gier eine sinnvolle Nutzung von Eugens militärischen Siegen. Molo führt diese Umwertung sogar so weit, daß Eugen sein politisches Testament mündlich an Friedrich den Großen weitergibt und diesen damit zu seinem Nachfolger in Sachen Reich macht. Der Roman ist angefüllt mit zahlreichen heroischen Schlachtenschildeungen, in denen der Kampf zum freudigen Jugendabenteuer banalisiert wird: der junge Kurfürst von Bayern schlug jubelnd Köpfe von den Türkenschultern ab. Laut und durchdringend jauchzte er mit den Lauten seiner heimatlichen Berge(414).Immer wieder wird Eugen als übermenschlicher Führer präsentiert, ein großer Politiker und genialer Feldherr, der ganze Schlachten durch seinen persönlichen Einsatz entscheidet(415). Im Gegensatz zur NS-Literatur fehlt dem Roman zwar die Blut- und Boden-Komponente, aber wegen der Utopie des imperialistischzentralistischen Militärstaates, der von einem charismatischen Führer regiert werden soll - dies ist im Roman die verpaßte Chance Österreichs -, kann man ihn der nationalrevolutionären Literatur zuordnen, die in dieser Ausprägung der nationalsozialistischen weitgehend entspricht. Diese Inhalte werden meist direkt auf die Gegenwart bezogen und in trivalster Form angepriesen. Mit diesem Roman kann Molo also auf gar keinen Fall der "Inneren Emigration" oder gar dem heimlichen Widerstand zugerechnet werden(416). In Beumelburgs Romanen nimmt der Reichsgedanke meistens eine zentrale Stellung ein. Sein "Kaiser und Herzog" kommt durch die kleindeutsche Geschichtsinterpretation und das Thema der Ostkolonisation der nationalsozialistischen Weltanschauung am nächsten. Er versucht dabei, das Unglück des Reichs mit dem Kampf der beiden Geschlechter zu erklären, die für ihn gleichzeitig die gegensätzlichen Pole der deutschen Seele verkörpern. In "Reich und Rom"(1937) ist für ihn der Kampf der deutschen Seele gegen Rom im Zeitalter der Reformation eine Grundbedingung für ein künftiges Reich. Beumelburg berichtet hier recht sachlich, es geht ihm vor allem um die verpaßte Chance, durch eine Reichsreform ein starkes zentralistisches Reich mit einer Nationalkirche zu schaffen. Neben der katholischen Kirche greift er vor allem den Egoismus der Reichsstände, der Fürsten und des Kaisers an. Statt eines einzelnen Führers erscheinen fast alle bedeutenden Personen des frühen sechszehnten Jahrhunderts. Hier wird auch Beumelburgs nationalrevolutionäre Einstellung deutlich: Die positiven Helden sind alle Revolutionäre und Krieger: Sickingen, Florian Geyer, Hutten und Hipler. Da das Reich aber am Religionsstreit und am Egoismus der Parteien zerbricht, bleibt Beumelburgs konservativen Revolutionären nur der heroische Tod. Sakralen Charakter erhält das Reich in Beumelburgs Roman "Mont Royal"(1936). Ein junger Moseldeutscher sucht zur Zeit Ludwigs des XIV. das Reich. Auf die Frage, wo denn dieses Reich noch zu finden sei, erhält er eine Antwort, die von jedem konservativen Revolutionär der Weimarer Republik stammen könnte: "Das Reich <...> ist überall da, wo einer dafür streitet und leidet. <...> Das Reich, mein Lieber, das mußt du wissen, ist in jedem Baum, in jedem Acker, in jedem Haus und in jeglicher Brust, die dafür schlägt."(417)Da dieses Reich also erst durch Opfer und Glauben entsteht, widmet ihm der junge Jörg sein Leben im Kampf gegen Türken und Franzosen. Immer neue Qualen muß er durchleiden, bis er am Ende verkrüppelt und einsam stirbt: Seine ganzes Leben lang spricht er nur ein Gebet - "Unser Reich komme" -, das in bewußten Gegensatz zur christlichen Version gestellt wird. Das Christentum wird von dem einfachen Bauernjungen säkularisiert und auf das weltliche Reich übertragen: "Für den Glauben kann ich nicht sterben, aber für das Reich will ich sterben"(418). Die Bauern, die den Toten finden, erwarten fast, daß er aufsteht und spricht(419). So wird der geschundene Jörg zur Christusfigur, die nach einer langen Passionsgeschichte für das irdische Reich stirbt. Jörg gründet im französisch besetzten Moselland eine Widerstandsorganisation und bietet so, einschließlich eines Fememordes, unübersehbare Parallelen zu den Freikorpskämpfern im besetzten Ruhrgebiet. Die jungen Nationalisten um Jörg werden von der deutschen Obrigkeit fast genauso verfolgt wie von den Franzosen. Gegenüber dieser alten Obrigkeit entwirft Jörg die Utopie eines nationalen Reiches, das sich statt auf Söldner auf Freiwillige, "die "Auslese des Volkes" stützt, "deren jede einzelne von dem Glauben beseelt ist, für den Staat und für das Reich zu kämpfen"(420). Prophetisch sieht Jörg, wie das Volk die fürstliche Obrigkeit hinwegfegen wird, aber er weiß, diese Ideale werden in Blut ertränkt werden; sein Reich wird erst danach entstehen als "eine Herrschaft der strengsten Zucht und der unbeschränkten Verpflichtung gegen das Volk"(421). Beumelburg vermischt hier die Inhalte von Jüngers "Arbeiter" mit religiösem Pathos. Dieses Pathos nimmt Beumelburg in seinem Friedrich-Roman "Der König und die Kaiserin"(1938) wieder zurück. Auch mit der Verwendung von Gegenwartsideologie ist er hier wesentlich dezenter als der selbsternannte innere Emigrant Walter von Molo. Beumelburg bemüht sich relativ nüchtern, Friedrich den Großen und Maria Theresia als gleichberechtigte Vorläufer des gegenwärtigen Deutschland darzustellen(422). Dies gelingt ihm zum Teil dadurch, daß er sie ihre zeitgemäßen politischen Interessen verfolgen läßt und nicht wie in seinem "Kaiser und Herzog" den Protagonisten nur zeitgenössische Propaganda in den Mund legt. Die preußischen Könige verfolgen egoistisch ihre politischen Ziele, auch gegen Kaiser und Reich(423). Friedrich begründet nüchtern und sachlich den geplanten Angriffskrieg: "Ich habe alles in der Hand, was ein Fürst nötig hat, ich habe meine Truppen und einen großen Kriegsschatz, ich besitze alle nur erdenklichen Vorteile gegenüber meinen Nachbarn."(424)Sehr ausführlich wird im Roman auch die Diplomatie beschrieben, die dazu dient, Bündnisse und Verträge rein nach Nutzen zu schließen oder zu brechen. Weder Friedrich noch Maria Theresia wissen um ihre historische Bestimmung, um das kommende Reich. Diese Vision ist für den Leser nur aus den Erzählerkommentaren zu entnehmen, wie zum Beispiel zur Schlacht von Roßbach: Sie malte ein Bild von der Zukunft, das von der Idee eines neuen Reiches bestimmt war, eines Reiches von nordischer Prägung. (425)Der Roman schließt mit einem gesperrt gedruckten Absatz, in dem Beumelburg die historische Bedeutung des Königs und der Kaiserin verdeutlicht, mit ihrem tragischen Kampf die Idee des Reichs in den Herzen aufzuwühlen, damit sie zwei Jahrhunderte später vollstreckt werden konnte. Das heroisch-soldatische Geschichtsbild Beumelburgs offenbart seinen idealistischen Ansatz: Was ist Menschengröße, was sind Völkerschicksale, gemessen am Ablauf der Jahrhunderte. Sie versinken darin gleich Stei nen <...>. Aber die Kunde von ihnen bleibt ewig, und ihr Nachhall wirkt fortzeugend als Mahnung und Stärkung kommender Geschlechter.(426)Hier spricht wieder der Nationalrevolutionär, der die Weltkriegsniederlage mit einem existentialistischen Heroismus verarbeiten will und dabei - etwas abgewandelt - auf dasselbe Edda-Zitat zurückgreift, das Schreckenbach seinen Stedingern vorangestellt hat. Diese sachlich-heroische Position läßt sich auch auch an den Schlachtenbeschreibungen aufzeigen. Da wird in stundenlanger "blutiger Arbeit" einfach "Menschenmaterial" zerschlissen, für den Soldaten bleibt als Lohn am Ende wieder einmal nur die Ehre: Die Dragoner des Generals Bonin verbluteten. Ihnen folgte des Fürsten eigenes Regiment Alt-Anhalt. Diesen folgen die Kürassiere auf dem Fuße in den Tod und in die ewige Ehre.(427)Diese Beschreibung ist wesentlich distanzierter als die seitenlangen naturalistischen Schlachtenschilderungen Molos, soll aber gerade dadurch das preussisch-soldatische adäquat zum Ausdruck bringen. Beumelburg fordert die großdeutsche Variante des preußischen Militärstaates. Friedrich formuliert einmal recht konkret die nationalrevolutionäre Opfertheorie: "Es ist nicht die Aufgabe der Herrscher, ihre Völker glücklich zu machen <...>. Aber es ist ihr Beruf, sie stark zu machen und wach zu erhalten. Das Glück <...> steht schon am Anfang des Niedergangs, aber die Not bildet das Tor zur Größe."(428)Auch das österreichische Volk muß zur Größe - das heißt zum Krieg - gezwungen werden, denn es wittert in Maria Theresia "eine Gefahr für seinen ohnehin schon kümmerlichen und ärmlichen Frieden"(429). Obwohl er sich der Blut- und Boden-Ideologie enthält, kommt der Roman, besonders nach dem "Anschluß" Österreichs, mit seiner Verherrlichung von Krieg und Opfer den nationalsozialistischen Bedürfnissen mehr entgegen als die meisten völkischen Bauernromane(430). Daß der Reichsgedanke auch weiterhin auf jungkonservative oder katholische Art verherrlicht werden kann, zeigen die historischen Romane von Gertrud von Le Fort, Henry Benrath, Gerhard Ellert und Gertrud Bäumer. Le Forts "Legende der letzten Karolinger" mit dem Untertitel "Das Reich des Kindes"(1934) mystifizziert das Reich Karls des Großen als die Einheit des Abendlandes. Es ist für sie "das heilige Reich", seine Teilung ist eine der "Todsünden der Karolinger"(431). Mystisch wird Europas Zukunft beschworen, wenn das Volk ahnungsvoll zur Teilung des Reiches in Verdun sagt: Dort "werden noch einmal die christlichen Völker ihr Blut vergießen"(432). Die Einheit des Abendlandes wird gefordert, weil das Reich "das Tor gegen Asien" gegen den "ewigen Völkersturm" aus dem Osten schützen muß(433): Denn immerdar, wenn die Völker des Abendlandes wanken und untereinander zerfallen, so erhebt sich der Sturm aus Asia, - also war es, - also war es, als das Reich der Römer versank, und also wird wird es sein bis an das Ende der Zeiten. (434)Le Fort zieht eine Parallele zwischen dem letzten Karolinger, Ludiwg dem Kind (893-911), und Jesus, sowie Ludwigs Mutter Uta und Maria. Ludwigs früher Tod gilt als Opfer, "daß ein neues Reich werden kann!"(435) Die Legende fordert keine Revanche gegen Frankreich oder einen völkischen Staat, verherrlicht auch keinen heroischen Führer, sondern steht ganz in der Tradition katholisch-föderalistischen Reichsvorstellungen. Aber gerade durch diese eschatologischen Reichshoffnung, den Opfermythos und vor allem das ahistorische Bild vom ewigen Kampf gegen Asien kommt sie in die Nähe der nationalsozialistischen Weltanschauung, nach 1940 wird sie geradezu als Propagandaschrift verwertbar. Durch die Legendenform, mit der ein Anspruch auf höhere mythische Wahrheiten erhoben wird, leistet Le Fort eine künstlerische Umsetzung des Themas, die nur von den besseren NS-Autoren erreicht wird. Die Literaturkritik lobt dann auch besonders den chronikalen Legendenstil als angemessenen künstlerischen Ausdruck bei der "mythisch-magische(n), dem deutschen Menschen auf ewig unveräußerliche(n) und heilige(n) Idee des Reiches"(436). Wie stark sich die Legende den nationalsozialistischen Geschichtsvorstellungen annähert, bestätigt außerdem eine Dissertation aus der Zeit: Auf der Grundlage der historischen Quellen erhebt sich der Bau der Legende, der Totenstarre des trockenen Berichts entrissen, aber nicht der Wirklichkeit, denn in die Sphäre des seelischen emporgehoben bleibt alles reale, ewige Wirk lichkeit. (437)Le Fort ist sich über diese Interpretationsmöglichkeit klargeworden, denn sie setzt die geplante Trilogie "Die drei Kronen", deren erster Teil die Legende bilden sollte, nicht fort, sondern beginnt in ihrem Roman "Die Magdeburgische Hochzeit"(1938), Kritik an den herrschenden Zuständen zu üben(438). Das Imperium der Habsburger in seiner größten Ausdehnung unter Karl V. verherrlicht Gerhard Ellert in seinem Roman "Karl V." von 1935. In unaufhörlichen, sinnlosen Kriegen versucht Karl, sein Reich zusammenhalten. Er wird in der Nachfolge der römischen Kaiser zum "Herren des Abendlandes" und sein Reich zur zeitlosen Utopie: Wenn dieser Tag den Grundstein legen könnte zur Verwirk lichung eines Weltreiches, wie es die alten Kaiser geträumt haben! Immer wieder hebt sich der Gedanke aus dem Strom der Jahrhunderte, versinkt und ersteht aufs neue.(439)Dieses Reich könnte das Mittelmeer beherrschen, die Türken vertreiben, Frankreich niederhalten und wäre ein großartiger Wirtschaftsraum(440). Mit seiner positiven Darstellung Karls V. steht Ellert im Gegensatz zur nationalsozialistischen Geschichtsschreibung, die nicht bereit ist, Karl zu den deutschen Führern zu rechnen, und in ihm, dem wesensfremden Spanier, den "Inbegriff gieriger Herrschaftsgelüste über Seelen und Reich" sieht(441). Karl regiert keinen völkischen Nationalstaat, sondern eine Föderation aus "vielen Völkern"(442). Er führt seine Kriege haupsächlich mit spanischen und italienischen Soldaten, die mindestens genauso tapfer kämpfen wie die deutschen Landsknechte. Dies mag zwar historisch richtig sein, aber normalerweise sind die "welschen" Soldaten ein Negativtopos des historischen Romans. Ellert verzichtet auch auf Gegenwartspropaganda und versucht nur, ein möglichst komplexes Bild Karls zu zeichnen. Man kann diesen Roman durchaus nicht als nationalsozialistisch bezeichnen, aber durch seine Verherrlichung eines großen Kaisers und des Imperiums, auf einen literarischen Niveau, das die üblichen NS-Romane weit übertrifft, wird auch er für die Nationalsozialisten benutzbar (443). Das Reich als Föderation selbstständiger Nationen stellt Henry Benrath in seinem Roman "Die Kaiserin Konstanze" (1935) dem zentralistisch regiertem Imperium gegenüber. Konstanze, die Königin des normannischen Sizilien, wird mit dem deutschen Kaiser Heinrich VI. vermählt und bringt damit die sizilianische Nation als Mitgift in das staufische Reich ein. Heinrich und die Deutschen unterdrücken daraufhin brutal das eigenständige Sizilien. Der Machtmensch Heinrich kann zwar mit Gewalt das Reich noch zusammenhalten, aber nach seinem Tod muß es sofort zerfallen. Ihm gegenüber steht die mütterliche Konstanze, die die friedliche Integration Siziliens als selbstständigen Teil des Reichs anstrebt: Hätte sie in Sizilien wirklich mit Sizilianern regieren und sich auf die kaiserliche Macht als ultima ratio stützen können, sie hätte anderes erreicht als der nicht mehr zu rechnungsfähige Fanatiker, der "das Reich" sagte und immer nur den "Kaiser" meinte.(444)Damit wird nicht nur einer der größten deutschen Kaiser und Führer als herrschsüchtiger und unzurechnungsfähiger Fanatiker dargestellt, sondern auch, ob gewollt oder nicht, eine grundlegendere Kritik an der politischen Realität des Dritten Reiches geübt als in manchen Werken der sogenannten Inneren Emigration. Der Berater und Freund Konstanzes, Lothar von Ingelheim, entwirft einmal ausführlich das Modell einer "Confoederation", einem "Reich, dessen übernationale Ordnung für die Außenpolitik gilt, dessen Teile aber sonst selbstständig sind"(445). Diese Position wird von der NS-Literaturkritik bekämpft: Man läßt im heutigen schicksalsreichen Augenblick deutscher Geschichte nicht so offensichtlich den Süden über den Norden triumphieren!Interessant ist dabei, da es auf die mangelnde literarische Qualität der NS-Romane verweist, daß der Roman deshalb als "gefährlich" bezeichnet wird, weil er eben diese Qualität besitzt(446). Benrath kritisiert aber nicht nur den deutsch-staufischen Imperialismus, er stellt auch dem machtbessenen Tyrannen die mütterliche Herrscherin gegenüber. Konstanze wird somit zum humanistischen Gegenpol des NS-Heroismus. Die zentrale Bedeutung dieses Themas wird durch das dem Roman vorangestellte Motto unterstrichen: Wir sind Hüterinnen Wachen ist unser Auftrag Unser Amt ist Frieden Die Tat ist des Mannes, doch wiegt sie gering vor dem Großen Erbarmen (Stoa, Delphi II.)Benrath hat in seinen drei bekanntesten historischen Romanen nur nichtdeutsche - sogar zwei "nichtarische" - Herrscherinnen dargestellt: Neben der Sizilianerin Konstanze noch die Griechinnen Galla Placida und Theophano(447). Auch dadurch entfernt er sich von den üblichen Mustern des Genres. Was seine Romane trotzdem für den Nationalsozialismus rezipierbar macht, ist ihre literarische Qualität und die Möglichkeit, diese Königinnen als zeitlos-heroische Charaktere zu interpretieren. Benraths Kritik am imperialistischen Machtsstaat bleibt zurückhaltend und ist den beiden folgenden Romanen nicht mehr so deutlich. Mehr im Sinne der christlichen Abendlandideologie verherrlicht Gertrud Bäumer mit ihrem Roman "Adelheid"(1936) den Reichsgedanken. Durch die Ehe Adelheids mit Otto I. wird Burgund ein Teil des Reichs. Bäumers Roman fehlen zwar Gegenwartspathos, Nationalismus oder Rassismus, aber das Reich wird zum mythisch-religiösen Begriff, der in Adelheid und Otto seine Verkörperung findet: Die Gestalt Adelheids - das ist die Gegenwart der gottbegnadeten Kraft, die das Reich erbaute, die es zur gebietenden Mitte der europäischen Geschichte machte und zur irdischen Form des Reiches Christi weitete.(448)Otto wird als Werkzeug des Schicksals ausgegeben: "Nicht er erfand das Reich. Das wachsende Reich rief ihn an seinen Platz"(449). Im Zusammenhang mit dem Reich verwendet Bäumer bevorzugt die Begriffe "Christenheit" und "Abendland". Adelheid selbst ist Europäerin, ihr Wesen hat sich über die "Stammesart ins Allgemeinere, ins Abendländische" erweitert(450). Die Ostkolonisation wird euphemistisch verbrämt zur christlichen Mission. Dabei gerät Bäumer in die Nähe des nationalsozialistischen Vokabulars: Es war schön, auf dieser Brustwehr zu stehen, an die in unerschöpflichen Wellen das Völkermeer des unbekannten Ostens brandete.(451)Die Schlacht auf dem Lechfeld ist eine der zentralen Stellen: Der Tod ist die angemessene Sühne für die Verräter, und Otto, der Retter Europas triumphiert: "Heil dem Erretter Europas! Heil dem Vater des Vaterlandes! Heil dem Kaiser!"(452) Im Gegensatz zu Benrath problematisiert Bäumer die Reichsidee nicht, sondern verherrlicht sie in vom Schicksal erwählten Idealfiguren, wodurch der religiöse Charakter des Reichs unterstrichen wird. Die Romane von Ellert, Benrath und Bäumer sowie Le Forts Legende können alle als nicht-nationalsozialistisch bezeichnet werden. Von allen wird ein föderalistischer Reichsgedanke vertreten, der sich weder mit einem Nationalstaat noch mit einem völkisch-rassischen Reich vereinbaren läßt. Auffällig ist, daß die Romanhelden - ausländische Herrscherinnen, Karolinger und Karl V. - nicht dem Repertoire der völkisch-nationalen Geschichtsschreibung entstammen, von dieser sogar zum Teil abgelehnt werden. Der propagierte Reichsgedanke oder gar die Abendlandidee werden erst Jahre später von der NS-Propaganda aufgegriffen und sind zur Zeit des Erscheinens der Bücher noch nicht üblich. Die größte Affinität zu den Bedürfnissen der Propaganda findet sich bei den christlichen Autoren Le Fort und Bäumer. Die Furcht vor einem Angriff aus dem Osten, vor dem nur das Bollwerk des christlichen Abendlandes schützen kann, schlägt oft genug in Aggression um, wie die positive Bewertung der Ostkolonisation zeigt. Wie bei den Nationalsozialisten wird die Abwehrhaltung gegenüber Rußland als mythisches Schicksal der rationalen Analyse entzogen, wobei dann auch jede historische Distanz verloren geht. Dieses vermeintliche Wissen um ewige Wahrheiten und Werte führt bei den christlichen Autoren zu einer ähnlich sakralen Überhöhung der beschriebenen Herrscher, des Reichsbegriffs und der Sprache, wie sie bei dem Nationalsozialisten Beumelburg zu finden ist. In Ellerts "Karl V." geht es zwar auch um die Vormachtstellung eines starken Reichs in Europa, aber dieses Reich ist nicht nur föderalistisch strukturiert, es wird am Beispiel der Eroberung Südamerikas auch das Problem einer brutalen Expansion, verbunden mit der Christianisierung, angedeutet(453). Die einzige durchgehende Kritik an einem expansiven und zentralistischen Imperium findet sich jedoch bei Benrath. IV.7. "Innere Emigration",Kritik und WiderstandBei der Behandlung der nichtnationalsozialistischen Literatur und der Frage nach ihrer Nähe oder Ferne zur offiziellen Ideologie, stößt man auf den Bereich der sogenannten Inneren Emigration. Die Bemühungen, sich dem NS-Literaturbetrieb zu entziehen oder ihm gar Widerstand entgegenzusetzen, kommen aus nationalkonservativen Kreisen, dem Umfeld der Konservativen Revolution und - hier ist die Gegnerschaft am ehesten auszumachen - von christlichen Schriftstellern(454). Einerseits kann Widerstand eigentlich nur von diesen Gruppen geleistet werden, da bürgerlich-liberale und sozialistische Autoren nicht mehr die Möglichkeit haben zu publizieren, andererseits kann man von ihnen kaum eine fundamental demokratische Kritik am Regime erwarten. Was man jedoch von dieser Literatur erwarten sollte, ist ein Festhalten an einer humanistischen Tradition, die dem herrschenden Heroismus entgegensteht. Unter diesem Gesichtspunkt können vor allem katholische Schriftsteller die konsequenteste Kritik am Nationalsozialismus üben, da sie noch über ein relativ geschlossenes Wertesystem verfügen, das mit der herrschenden Weltanschauung nicht im selben Maße Berührungspunkte hat wie das des norddeutschen Protestantismus.Der historische Roman bietet, wie zeitlose mythologische Themen, die Möglichkeit, sich der Realität zu entziehen oder eventuelle sogar versteckte Kritik zu üben. Auf die Bevorzugung griechisch-mythologischer Themen von den Schriftstellern der "Jungen Generation" als Reaktion auf die als abstoßend empfundene Gegenwart hat Hans-Dieter Schäfer verwiesen(455). Für die Schriftsteller, die im allgemeinen der "Inneren Emigration" zugerechnet werden oder, wie Molo, diese Bezeichnung einfach für sich beanspruchen, ist der historische Roman das bevorzugte Genre. Es geht allerdings nicht an, Staatsschriftstellern wie Schäfer, Blunck und Kolbenheyer eine "Emigration in die Historie" zu bescheinigen(456). Klieneberger stellt in einer Untersuchung zur "Inneren Emigration" fest, daß alle von ihm untersuchten Autoren während des Dritten Reichs Bestseller-Autoren waren; dies ist, seiner Ansicht nach, nur möglich, da sie mit dem Nationalsozialismus gewisse ideologische Gemeinsamkeiten aufweisen, "certain interests and ideas which were generally in vogue"(457). Die Gemeinsamkeiten, die für dieses "Dickicht der Inneren Emigration" charakteristisch sind, versucht besonders Reinhold Grimm hervorzuheben, anstatt diese Autoren zu rehabilitieren(458). Da es hier nicht um das Verhalten einzelner Autoren geht, sondern Romane im weltanschaulichen Kontext des Genres betrachtet werden sollen, ist als Ausgangspunkt der Definitionsversuch von Wolfgang Brekle am sinnvollsten. Brekle möchte die Klassifizierung der Literatur nur an der Haltung im Werk festmachen und dabei zwischen nichtfaschistischer Literatur - Literatur, die keine faschistischen Einflüsse zeigt, sich aber auch nicht gegen den Faschismus wendet - und antifaschistischer Literatur - Literatur, die sich mit dem Faschismus und seiner Ideologie auseinandersetzt - unterscheiden. Er muß dabei allerdings zugeben, daß diese Grenzen nicht immer eindeutig sind(459). Der Begriff "Innere Emigration" ist für eine Einteilung der nichtnationalsozialistischen Literatur wenig brauchbar und außerdem schon zu abgenützt. Man kann weder Molos "Eugenio" noch Papkes "Widukind" als nichtnationalsozialistisch bezeichnen, dazu bewegen sich beide viel zu sehr innerhalb der gängigen Klischees und Wertvorstellungen. Es soll deshalb unterschieden werden zwischen verwendbarer Literatur - das heißt Romanen, die aus einer anderen Position heraus geschrieben werden, aber aufgrund starker ideologischer Übereinstimmung vom Nationalsozialismus propagandistisch benützt werden können -, kritischer Literatur, die zwar auch Gemeinsamkeiten enthält, aber doch Kritik formuliert, und Literatur, die nationalsozialistische Weltanschauung und Realität so weit als möglich kritisiert; erst, wenn letzteres der Fall ist kann man von antifaschistischer Literatur sprechen. IV.7.1. Verwendbare LiteraturAls verwendbar kann man die Romane von zwei der populärsten Vertreter der "Inneren Emigration" bezeichnen: "Der Großtyrann und das Gericht"(1935) und am "Am Himmel wie auf Erden"(1940) von Werner Bergengruen und "Der Vater"(1937) von Jochen Klepper. "Der Großtyrann" und "Der Vater" sind während des Dritten Reichs äußerst erfolgreich, werden nicht verboten und des öfteren geradezu überschwenglich rezensiert(460).Bergengruens "Großtyrann" wurde bereits in den zwanziger Jahren konzipiert und erscheint dann 1935(461). Kein regelrechter historischer Roman - weder Ort noch Zeit werden präzisiert - schildert er relativ ahistorisch die Diktatur in einer fiktiven italienischen Renaissancestadt. Bergengruen geht es weder um die Historie noch um die Nutzbarmachung der deutsch-völkischen Vorgeschichte, sondern um ein zeitloses, ewiggültiges Exempel (462). Der Großtyrann beauftragt Nespoli, den Leiter seiner Geheimpolizei, mit der Aufklärung eines Mordfalles. Im Verlauf der Untersuchungen verstricken sich sämtliche Hauptpersonen des Romans in Intrigen und Falschaussagen. In der Stadt herrscht durch die Bespitzelung ein Klima der Angst(463). Dieser Atmossphäre entspricht ein schwüles Wetter, das die Menschen am rationalen Denken hindert. Der Autor entrückt damit politische Vorgänge in metaphysische Bereiche(464). Die Verdächtigen nehmen alle Schuld auf sich, doch selbst die versuchte Selbstanschuldigung des Färbers und Laienpredigers Sperone entlarvt der Großtyrann als den eitlen Versuch, Christus ähnlich zu werden. Die größte Schuld trifft jedoch den Großtyrannen, der den Mord aus Staatsräson selbst begangen hat und der Versuchung nicht widerstehen konnte, seine Mitmenschen zu versuchen. "Ne nos inducas in tentationem" ist dann auch das Motto des Romans und sein in der Präambel festgelegtes Anliegen ist es, zu berichten von den "Versuchungen der Mächtigen". Dem Großtyrann wird nicht sein Mord vorgeworfen, sondern seine Selbstvergottung, daß er über sich nicht mehr das Recht und die Macht Gottes anerkennen will und nur noch bereit ist, seine eigenen Grundsätze zu respektieren, aber keinerlei Maßstäbe, "die außerhalb seiner entstanden sind"(465). Durch seine Reue am Ende des Romans überantwortet er sich wieder der Gnade Gottes, und ein gegenseitiges Verzeihen bildet den Abschluß. Der Roman enthält gewisse Anspielungen auf die Realität des Dritten Reichs: Die Bauleidenschaft des Großtyrannen, seine Sicherheitsbehörde, die als "Orden" bezeichnet wird(466), und das Klima der Angst und Denunziation. Der Großtyrann nennt sich selbst ein Werkzeug der "Vorsehung" und ist bemüht, eine "Bruderschaft" junger Idealisten um sich zu sammeln(467). Die wichtigste Parallele ist aber die soziale Situation innerhalb des Stadtstaates. In der Stadt herrschten vorher die alten Patriziergeschlechter, der Großtyrann dagegen ist ein Aufsteiger aus niederer Schicht. Er vergibt Ämter nach Leistung und nicht nach Geburt: "Mir liegt an Männern, nicht an ihren Vätern" (468). Während die alten Geschlechter erst langsam die neuen Machtverhältnisse akzeptieren, wird der Großtyrann als Populist vom einfachen Volk geliebt, allerdings nicht, weil er dessen Lage verbessert, sondern weil er den Herrenstand bedrückt(469). Seinem moralischen Gegenspieler Diomede gegenüber gesteht der Großtyrann, daß er den verborgenen - das heißt den eigentlichen - Willen des Volkes nur als Gewaltherrscher, nicht aber unter Beachtung der ehemaligen Verfassung oder der Parteien realisieren kann(470). Aber auch der jugendlich reine Idealist Diomede hat schon während seines Rechtsstudiums in Bologna erkannt, daß ein Staatswesen mit einem "Gewaltherrn an seiner Spitze selbst dem Letzten seiner Zugehörigen eine Kräftigkeit gibt, wie sie nicht sein kann, wo Kürschner und Wollkrämer um Amtssitze hadern"(471). Bergengruen lehnt demnach weder den faschistoiden Machtstaat und dessen charismatischen Führer ab, noch fordert er eine Kontrolle der Macht durch das Volk(472). Er verlangt lediglich die Unterordnung des Herrschers unter ein sehr abstraktes und damit weit interpretierbares göttliches Recht. Nachdem der Großtyrann dies erkannt und akzeptiert hat, liebt ihn Diomede wegen seiner menschlichen Fehlbarkeit "stärker als je zuvor und ohne eine Einschränkung " (473). Der Roman kann zwar als Kritik an der NS-Realität interpretiert werden, wenn der Leser in der Figur des Großtyrannen ein positives Gegenbild zu Hitler sehen will; viel eher jedoch kann er als ein Aufruf an die Mächtigen verstanden werden, sich an ein vages göttliches Recht zu halten. Vom Standpunkt der NS-Propaganda ist jedoch nicht einzusehen, warum "Großmut und Seelenadel" den Großtyrannen vom "Führer" abheben sollen(474). Ein guter Tyrann wäre für den Leser nicht nur akzeptabel(475), er ist die Utopie des Romans: "Die Herrschaftsform der Tyrannis wird nicht nur nicht radikal kritisiert, sie wird am Ende des Romans wieder bestätigt"(476). Wesentlich vielschichtiger in der Handlung ist der 1940 erschienene sechshundertseitige Roman "Am Himmel wie auf Erden". Im Gegensatz zur eigentlichen ahistorischen Parabel im "Großtyrann" wendet sich Bergengruen nun wieder ganz dem historischen Roman zu. Er schildert die Berliner Sintflutpanik von 1524, wobei auch der kulturhistorische Hintergrund ausführlich behandelt wird. Das Leitthema ist wieder die Selbstüberschätzung und Fehlbarkeit eines Herrschers, des Kurfürsten von Brandenburg. Durch seinen Hofastronomen Carion erfährt der Kurfürst von einer nahen Naturkatastrophe, die gleichzeitig durch Zeichen und Prophezeiungen dem einfachen Volk angekündigt wird. Um der drohenden Panik vorzubeugen, erläßt der Kurfürst immer strengere Gesetze, die allerdings nicht verhindern können, daß die Angst immer größer wird. Der Kurfürst als Ordnungsfanatiker überschätzt die Wirkung seiner Gesetze und erliegt regelrecht einem "Gesetzesfetischismus"(477). Sein Hauptfehler ist jedoch, daß er, als das Unwetter einsetzt, in Panik aus Berlin flüchtet. In diesem Augenblick der Schwäche zeigt er, daß ihm das vom Autor mit dem Motto "Fürchtet euch nicht" zum Hauptthema des Romans erhobene Gottvertrauen fehlt. Carion dagegen hat sein Schicksal Gott anvertraut und bleibt in der Stadt. Auf dem Tempelhofer Berg erkennt der Kurfürst die höhere göttliche Ordnung und kehrt während des Unwetters in die Stadt zurück, wobei Pferd und Kutscher vom Blitz erschlagen werden. Am Ende des Chaos' treffen sich Kurfürst, Erzbischof und Bürgermeister in der Kirche. Bergengruen symbolisiert damit im religiösen Kult die wiederhergestellte weltliche Ordnung. Alle empfanden es mit Bewegung, daß hier drei Gewalten, die landesherrliche, die geistliche und die städtische, in ihren obersten Vertretern gemeinsam vor dem Gedächtnis des in die Glorie entrückten Kaisers standen und damit die Fortdauer der irdischen Ordnung anzeigten.(478)Carion, der zuvor Brandenburg verlassen wollte, entschließt sich jetzt zum Bleiben: "Zum Leben im Geiste, wie er es bisher geführt hat, trat jetzt das Leben im Gehorsam, das Leben vor dem Angesicht des Schicksals"(479). Man kann hier durchaus einen Seitenhieb Bergengruens gegen die Emigranten erkennen. Bergengruen wollte mit der Darstellung der Sündflutpanik - der Angst vor dem Regen - eine Parallele zur Bombenangst der Berliner ziehen(480). Das Motto "Fürchtet euch nicht" ist also auch als Ausruf zu verstehen, in Pflicht und Gehorsam im Dritten Reich auszuharren. Ein weiteres wichtiges Motiv ist die Analogie zwischen dem Aufruhr der Natur und dem Aufruhr der wendischen Urbevölkerung. Die alten wendischen Naturgottheiten scheinen sich noch einmal gegen die deutsche Bevölkerung, die mit Christentum Kultur und Ordnung verkörpert, empören zu wollen. Bergengruen beschreibt die Wenden im Gegensatz zur üblichen völkischen Literatur historisch exakt als weißblond und blauäugig und mit viel Symphatie. Er konstatiert auch die Rassenmischung der Brandenburger aus Deutschen und Wenden, mit Anspielung auf die NS-Rassentheorien: "Es war ja der Ahnenstolz der Ahnungslosen, daß sie unter ihren Vorfahren keine Wenden und Wendinnen gehabt haben wollten"(481). Andererseits verrät Bergengruen seine Nähe zu organischen Geschichtsvorstellungen, wenn er vom "langsam abwelkenden" Wendenstamm spricht(482). Für ihn ist allerdings der Unterschied zwischen Deutschen und Wenden nicht biologisch-rassisch festgelegt, sondern besteht in den verschiedenen Kulturtraditionen, wobei er jedoch die Überlegenheit der deutsch-christlichen Kultur postuliert. Der heimliche König der Wenden, der Kutscher des Kurfürsten, wird im Finale wie bei einem Gottesgericht vom Blitz erschlagen. Die Vorherrschaft des deutschen christlichen Staates ist für Bergengruen ein historischer Fortschritt, der mythisch als gottgewolltes Schicksal verklärt wird: "Die Götter des wendischen Volkes sind tot, und nur seine Dämonen gehen noch um."(483) Mit dieser Argumentation - nach dem deutschen Überfall auf Polen - liegt Bergengruen zwar nicht auf der Linie des nationalsozialistischen Rassismus, rechtfertigt aber kritiklos den deutschen Ostimperialismus. Ralf Schnell hat auf die Bedeutung der Natursymbolik in Bergengruens "Großtyrann" hingewiesen, die die Ohnmacht des Menschen gegen die sich in der Natur manifestierende höhere Ordnung symbolisiert(484). Im Roman "Am Himmel wie auf Erden" bestimmt diese Symbolik Handlung und Aufbau des Romans. Die Sterne werden zum Spiegel der höheren göttlichen Ordnung(485), sie verweisen auf ein religiöses abendländisches Reich(486). Der Aufstand der Wenden und des deutschen Lumpenproletariats ist gleichzeitig ein Aufstand der heidnischen Götter und der von ihnen verkörperten Natur. Der Mensch wird somit jeder politischen und historischen Verantwortung enthoben. Politische Vorgänge sind nach Bergengruen Naturvorgänge. Da diese Einstellung noch wesentlich stärker als im "Großtyrann" hervortritt und die Unterwerfung unter Ruhe und Ordnung noch deutlicher gefordert wird, kann man keine wachsende Differenz zum Nationalsozialismus feststellen. Noch eindeutiger als Bergengruen legitimiert Jochen Klepper in seinem Roman "Der Vater" den Obrigkeitsstaat. Der Realität des Dritten Reichs setzt er den den patriarchalischen Staat des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. entgegen. Der Begriff des Vaters hat zwei Bedeutungen: Einerseits überantwortet sich Friedrich Wilhelm völlig der Gnade Gottes - des himmlischen Vaters -, andererseits ist er selbst der Vater seiner Untertanen und Soldaten. Der Konflikt mit seinem Sohn, den er für seine Prinzipien zu opfern bereit ist, wird von Klepper in Analogie zum Sohnesopfer Gottes dargestellt(487). Doch auch Friedrich Wilhelms Leben erscheint teilweise als Passionsgeschichte. Sein Recht zu herrschen begründet Klepper im Motto des Romans mit einem Zitat Friedrich Wilhelms: "Könige müssen mehr leiden können als andere Menschen." Friedrich erscheint als Stellvertreter Gottes, der sein eigenes Glück und sein Leben seiner Aufgabe opfert. Gegen zahllose Widerstände und Schicksalsschläge macht er das ererbte bankrotte Preußen zur Großmacht. Klepper thematisiert diesen Gegensatz zwischen dem verschwenderischen Vater - "König Midas" -, der von einem Alchimisten Gold machen lassen will, und dem emsig arbeitenden Sohn - dem "Plusmacher" - in den ersten beiden Kapiteln. Der Konflikt zwischen humanistisch- individualistischen Ansprüchen und dem preußisch-absolutistischen Staatsideal stellt Klepper recht eindringlich am Schicksal des Andreas Bleuset dar. Hier unterscheidet sich der Roman von der üblichen Preußen-Literatur, in der die Brutalität und die Härten der preußischen Armee meistens unterschlagen werden(488). Der gutgewachsene Bleuset entgeht lange erfolgreich den Werbern, bis er dann doch in die Armee gepreßt wird. Wegen seiner Freiheitsliebe wird er immer wieder brutal geschlagen: Die Hände waren ihm vom Stock des Korporals zerschlagen, hatten zerfetzte Haut und blaugrüne Flecken von stockendem Blut. <...> Der König fragte anders als sonst: "Was fehlt ihm?" "Die Freiheit" <...>Klepper, der das Leiden und den Freiheitsdrang Bleusets sehr mitfühlend beschreibt, rechtfertig dennoch die brutale Unterdrückung des Individuums durch das angeblich größere Leid des Königs. Zentral ist aber der Vater-Sohn-Konflikt, der damit endet, daß der Sohn, zerbrochen und angepaßt, ein würdiger Nachfolger zu werden verspricht. Der junge Friedrich erkennt - und dies ist typisch für den Roman - erstmals die Größe des von seinem Vater geschaffenen Preußen, als er das preußische Kontigent im Verband der Reichsarmee betrachtet(490). Klepper ästhetisiert überschwenglich die preußische Militärmaschinerie. Dieses Erlebnis wird noch durch einen anderen Handlungsstrang verstärkt. Der Deserteur Bleuset ist beim Spießrutenlaufen getötet worden, was Klepper quälend eindrucksvoll beschreibt. Danach verläßt sein Bruder voll Haß Preußen und wird Söldner. Aus der Reichsarmee desertiert er aber mit vielen anderen wieder zum preußischen Heer, da dieses in Aufbau und Versorgung am vorbildlichsten ist, und möchte ein "Mustergrenadier" werden(491). Klepper hat am Sohn und am Deserteur Bleuset die Unterdrückung des Einzelnen durch den totalen Staat problematisiert, aber nur, um sie eindrucksvoller zu rechtfertigen. Die Verkörperung Preußens ist für ihn das Militär, er gerät dabei in die Nähe nationalrevolutionärer Vorstellungen. Seine Beschreibung exerzierender Truppen, menschlicher Maschinen, enthält eine erotische Komponente: Schön und strahlend richteten die Reihen sich aus, mit hohen, blitzenden Helmen und blanken Gewehren, in knapp umschließenden, sehr reinen Uniformen, edel und fest. Die Schenkel in den weißen Lederhosen waren wie Marmor, die Schritte gemeißelt, die Bewegung der Scharen schien voller Klarheit wie das Gesetz, nach dem die Gestirne sich drehen. Vollendet waren Gleichmaß und Stille; nur das Leder leise knirschte, das Leder der Riemen und Stiefel.(492)Klepper verrät keinerlei Distanz zur persönlichen Leidenschaft Friedrich Wilhelms; er verwendet selbst Worte wie "Göttersöhne" und "Götterheer"(493). Peinlich wird es für den heutigen Leser, wenn Klepper einen badenden Soldaten im pathetischen Stil des Nationalsozialismus wie einen arischen Übermenschen verherrlicht, wobei auch der Zuchtgedanke nicht ausgepart wird: Und aus den Seen seines Landes stieg ihm das neue Geschlecht empor, machtvollen Leibes und fruchtbar, nahm vom Waldgrund helle Waffen auf und hielt sie, in dem heißen Lichte einem feurigen Schwert gleichend, dem Herrn des Landes dienstbar und wahrhaft entgegen: lachende junge Krieger und Zeuger, Erhalter des Lebens, herrliche Söhne, Brüder und Väter in einem.(494)Selbst die Möglichkeit der Euthanasie wird positiv in Erwägung gezogen(495). An den Blut- und Boden-Kult erinnert eine Soldatenhochzeit, die von einem gemeinsamen Aderlassen Friedrich Wilhelms und seiner Soldaten gekrönt wird. Klepper verwendet dabei eine schwülstige Natursymbolik, die der Zeremonie den Anstrich eines heidnischen Fruchtbarkeitsritus gibt.(496) Auch das dem Buch zugrundeliegende Geschichtsbild ist konservativ. Der Ausbau der Landesherrschaft in Preußen erscheint nicht als notwendiger historischer Prozeß, sondern als das Werk eines großen Einzelnen. Klepper bleibt weitgehend im Rahmen der konventionellen Personen- und Heroengeschichte. Bei ihm wird diese Geschichtsauffassung sogar noch religiös überhöht. Durch die zahlreichen Anspielungen und Parallelen zwischen König und Gottvater sowie zwischen Thronfolger und Gottessohn, wird der Herrscher zum Vollstrecker des göttlichen Willens auf Erden. Dies wird formal noch dadurch unterstrichen, daß Klepper jedem Kapitel ein Bibelzitat voranstellt, das sich auf den König bezieht und ungefähr der Problematik des Kapitels entspricht. Herrschaft wird somit unantastbar, die Entscheidungsbildung für die Beherrschten uneinsichtig, sie können sich nur bedingungslos unterordnen. Bei der Schilderung des Schwedenkönigs Karl XII. verrät Klepper seine zyklische Geschichtsauffassung: Er war wie der Wikingerjarle einer, die nachdem sie die Ostsee und ihre Gestade mit Krieg erfüllt und die Rache des Schicksals auf sich gezogen haben, in den Nebel des Nordens zurückweichen.(497)Diese Stelle entspricht übrigens recht genau den Äußerungen des Nationalsozialisten Heyck zu Karl XII.(498). Der Vergleich mit Heycks Roman scheint sich anzubieten. Klepper kann wesentlich besser als Heyck die Komplexität von Problemen und Personen darstellen; der Leser muß für die Antihelden durchaus Sympathie aufbringen. Trotzdem sind Kleppers Lösungen letztendlich genauso eindeutig wie die Heycks, sie erscheinen sogar noch beeindruckender, da das Problem ja "diskutiert" wurde. Ein wesentlicher Unterschied ist die Sprachgestaltung, die bei Heyck oft einem sachlichen Bericht ähnelt, bei Klepper dagegen mit religiösem Pathos überladen ist, was jede Distanz zwischen Autor und Leser zugunsten einer höheren Wahrheit verschwinden läßt: "Unabänderlich ist das Gesetz", sprach der König, "und um der ewigen Ordnung Willen muß es bestehen; denn alle Ordnung spiegelt Gottes ewiges Maß." Als das die Mutter des gerechten Königs hörte, kam große Angst über sie(499).Zwischen dem religiösen Pathos Friedrich Wilhelms und der Sprache des Erzählers verwischt sich jeder Unterschied. Heycks Sachlichkeit wird dadurch unterstrichen, daß er große Teile seines Romans der Wirtschaftsgeschichte widmet, die bei Klepper weit hinter religiöse Betrachtungen zurücktritt(500). Klepper hat seinen Roman als Kritik am Dritten Reich verstanden(501). Sicher besteht für einen überzeugten protestantischen Monarchisten ein starker Gegensatz zwischen der Regierung Friedrich Wilhelms und Hitlers Willkürherrschaft, der sich unterzuordnen, Klepper nur zu bereit ist (502). Der gläubige Nationalsozialist kann in diesem Roman fast nur Übereinstimmendes mit der Propaganda erkennen. Selbst der sonst sehr wohlwollende Keller zweifelt, ob die Bezeichnung Widerstand auf Klepper angewandt werden kann, und ist auch nur bereit, von "unfreiwilligen Widerstand" zu sprechen(503). Klepper ist mit seiner Verherrlichung der Obrigkeit und der Ästhetisierung des Militärs (504) literarisch wertvoller als die meisten NS-Autoren. Die lobenden Rezensionen und die Beliebtheit des Romans als offizielles Geschenk sind also nur die logische Konsequenz seines Inhalts (505). Die Romane von Bergengruen und Klepper stehen sicherlich für eine andere Position als die des Nationalsozialismus. Inhaltlich unterscheidet sie in erster Linie von der NS-Literatur, daß sie das übliche Schwarz-Weiß-Schema bei der Personenbeschreibung verlassen. Man kann in der differenzierten Darstellung der Gegenpositionen durchaus die Weiterführung einer humanistischen Bildungstradition sehen, die in der NS-Literatur völlig aufgegeben ist. Dadurch gelingt es, vor allem die Stellung des Herrschers zu problematisieren, der in Bergengruens Romanen erst schuldig werden muß, um die wahre Verpflichtung seines Amtes zu erkennen. Auch Kleppers Preußenkönig wird ständig von Selbstzweifeln gequält. Die Lösung ist jedoch in allen drei Romanen ein absolutistischer undemokratischer Staat, dessen Führer sich lediglich einer höheren Ordnung - in diesem Fall der christlichen - unterordnen muß. Andere Positionen werden zwar dargestellt, dann aber mit dieser höheren Ordnung abgelehnt. Bergengruen akzeptiert den Mord aus Staatsräson, sieht in der Unterdrückung der Wenden einen göttlichen Naturvorgang, Klepper legitimiert die Versklavung des Individuums durch die preußische Militärmaschinerie. Das geschlossen-religiöse Weltbild äußert sich bei beiden Autoren in starken Formbestrebungen. Der "Großtyrann" hat durch seine verdichtete Handlung durchaus Novellencharakter und lehnt sich mit seiner Gliederung in fünf Bücher an die klassische Dramenform an. Auch in seinem umfangreichen Roman "Am Himmel wie auf Erden" bleibt Bergengruen bei einer relativ geschlossenen Handlung. Er benützt nur wenige Hauptpersonen, konzentriert die Handlung auf sechs Wochen und auf den Umkreis von Berlin(506). Kleppers Roman ist streng in zwei Teile gegliedert, deren Kapitel jeweils ein Bibelzitat als Motto voransteht. Mit solchen religiösen Motti wird in allen drei Romanen auf die höhere Ordnung verwiesen. Doch auch darin zeigt sich die formale Ähnlichkeit zur NS-Literatur, in der manchmal mit Edda-Zitaten auf die höhere völkische Ordnung verwiesen werden soll(507). Im nationalsozialistischen Roman ist der Führer ein Werkzeug des Schicksals und kein egoistischer Machtmensch. Jenssen bescheinigt Bluncks Geiserich, daß ihm "der unerkannt mahnende Gott, der über dem Werk der Großen waltet, erscheint"(508). Auch Wolter von Plettenberg ist ein edler und selbstloser Führer: Entschlossen und gläubig als Persönlichkeit, klug wägend als Staatsmann, voll Inbrunst, Zweifel und warmen Herzblut als Mensch, überlegen und gelassen im Alter.(509)Auf ihr persönliches Glück verzichten auch Bluncks Führer; sie opfern sich und ihr Gefolge bedingungslos dem höheren Ziel, das zu erkennen allerdings nur ihnen vergönnt ist. Stellt man sich also einen dem Christentum verbundenen Faschismus vor, wie in Spanien oder Portugal, so ist durchaus nicht einzusehen, warum den Romanen von Bergengruen und Klepper die Bezeichnung "faschistisch" vorenthalten werden sollte. IV.7.2. Kritische LiteraturIm folgenden sind fünf Beispiele anzuführen, die im Gegensatz zu Klepper und Bergengruen das Problem von Herrschaft und Gewalt nicht nur problematisieren, sondern auch in einer Gegenposition verbleiben. Es handelt sich dabei um drei katholische Schriftsteller - Andres, Le Fort, Weismantel - und zwei - Thiess, Reck-Malleczewen -, die man grob dem Bereich der Konservativen Revolution zurechnen kann.Stefan Andres erzählt in seiner Novelle "El Greco malt den Großinquisitor"(1936) die Konfrontation zweier individualistischer Gegner der Inquisition - El Greco und der Arzt Cazalla - mit deren oberstem Vollstrecker, dem Großinqiusitor Nino de Guavera. Beide üben Kritik an der herrschenden Brutalität und dem Klima der Angst. Dabei kann der Leser Parallelen zur Realität des Dritten Reichs erkennen. So stellt Cazalla fest: "Wer noch zu leben gedenkt, der lerne das Lügen"(510). Und el Greco sieht den Eskorial, das Zentrum der Macht, als gigantischen Bratrost. "Auf diesem spitzigen Dächerrost liegt die Welt gebraten, und verbranntes Fleisch stinkt"(511). Mit am beeindruckendsten ist wohl die Beschreibung einer Prozession, in der Macht und Gewalt der Inquistion Gestalt annehmen, eine Anspielung auf die NS-Kundgebungen(512). Doch gleichzeitig ist El Greco fasziniert von der Macht, in der er Größe, Tragik und auch Vollstreckung des gottgewollten Schicksals erkennt. Andres symbolisiert diese Erfahrung in einem Naturereignis. Beim Betrachten eines Gewitters erkennt El Greco Größe und Grausamkeit der Natur und überträgt diesen Eindruck auf die Inquisition: "das Große ist furchtbar; Gott ist furchtbar, nicht der Tod, nicht Nino und sein Anhang!"(513). Aufgrund dieser Erkenntnis malt El Greco den Großinquisitor in tragischer Größe, als Mensch, der sich fanatisch einer Idee opfert: "Er ist ein Heiliger um seiner Schwermut willen, ein trauriger Heiliger, ein heiliger Henker!"(514) Der Arzt Cazalla, dessen Bruder ein Opfer der Inquisition wurde, rettet dem todkranken Großinquisitor das Leben und gibt ihm damit die Möglichkeit weiterzumorden. Cazalla und El Greco schließen keinen Frieden mit der Macht, ihnen bleibt die Einsicht von deren Ungerechtigkeit und Grausamkeit. Beide fühlen sich jedoch so stark ihrem Berufethos und der eigenen Gewaltlosigkeit verpflichtet, daß in der beschriebenen Situation Widerstand unmöglich ist. Andres lehnt die Gewaltausübung des Staates ab, indem sie aber für ihn zum Naturereignis wird, konstatiert er die eigene Hilflosigkeit. Die Duldung dieses Buchs durch die Nationalsozialisten ist nur so zu erklären, daß Andres seine Kritik an der spanischen Inquisition übt, die für die völkisch-nationalen Kreise seit langem zu den erklärten Feindbildern gehört. Der Roman "Die Magdeburgische Hochzeit"(1938) von Gertrud von Le Fort beeindruckt weniger durch seine direkten Anspielungen auf die Realität des Dritten Reichs(515), wie zum Beispiel Bergengruens "Großtyrann", als durch eine konsequent durchgehaltene humanistische Geisteshaltung. Le Fort demonstriert dies an der Belagerung und Eroberung Magdeburgs durch den katholischen Feldherrn Tilly. Durch die unvernünftige und intolerante Politik des Kaisers und der Jesuiten wird Magdeburg den Schweden in die Arme getrieben, die es allerdings nur dazu benützen, die kaiserliche Armee zu binden. Der alte Tilly ist bemüht, das katholische Edikt zu verhindern, er will auf der Basis religiöser Toleranz, ein unter dem Kaiser geeintes Reich schaffen, das sich gegen Franzosen und Schweden verteidigen kann. Hier beschwört Le Fort, am Beispiel Kaiser Ottos I., Magdeburgs Gründer, den alten Glanz des Reichs herauf. Die Stadt, das Symbol des Bürgertums, soll des Kaisers treue Magd sein(516). Die Handlung des Romans wird wesentlich dadurch bestimmt, daß die großen historischen Ereignisse in einer Liebesgeschichte allegorisch wiedergegeben werden. Der kaisertreue Willigis muß die Stadt verlassen, seine Verlobte Erdmuth verliebt sich in Falkenberg, den Kommandanten der schwedischen Trupppen, der ihr seine Heiratsabsichten allerdings nur vormacht. Le Forts Einstellung zum üblichen Heroismus wird am Gegensatz zwischen Falkenberg und Tilly - Magdeburgs Brautwerbern - deutlich. Tilly rät dem jungen und enttäuschten Emigranten Willigis eindringlich vom Soldatenleben ab, da es Menschen fast nur zum Negativem verändert(517). Als Feldzeichen führt er eine Standarte mit der Jungfrau Maria zum Zeichen der Gnade und Vergebung. Falkenberg dagegen verführt zuerst Erdmuth und dann die Magdeburger Bürger im Sinne schwedischer Machtpolitik zum Krieg; "denn diese Stadt hier war doch im Grunde auch nur eine hoffärtige, selbstsüchtige, kleinliche Bürgerin"(518). Hier sind einige Parallelen zur Gegenwart zu erkennen: Falkenberg als Volksverführer und Kriegstreiber und Willigis als der Emigrant, der sich aus Enttäuschung dem Feind anschließt. Bei der Erstürmung Magdeburgs ist die Soldateska nicht mehr zu kontrollieren. Magdeburg wird fast völlig zerstört, und zwanzigtausend Menschen verlieren ihr Leben. Tilly gewinnt dem Kaiser lediglich einen Trümmerhaufen und treibt die anderen protestantischen Städte in die Hände der Schweden, der Religionskrieg geht damit auf unabsehbare Zeit weiter. Sinnbildlich wird die stolze Erdmuth von einem Kroaten vergewaltigt. Am Ende des Romans steht als Zeichen der Versöhnung eine gemeinsamer Gottesdienst im zerstörten Magdeburg. Willigis verzeiht Erdmuth und heiratet die kurz vorher geschändete Braut. Le Fort vertritt weder ein fortschrittliches Geschichtsbild, noch fordert sie eine demokratische Gesellschaft, auch die angedeutete Utopie eines christlichen Reichs verrät die konservative Herkunft der Autorin; sie rechtfertigt aber nicht den Machtstaat wie Klepper und Bergengruen, sofern dieser nur ein nebulöses höheres göttliches Recht anerkennt. Die Forderung nach Gnade und Toleranz ist in Le Forts Roman essentiell. Der Staat, der sie ignoriert, muß in endlosem Krieg zugrundegehen. Leo Weismantels biographischer Roman "Gericht über Veit Stoß"(1939) wird in der Literatur zur "Inneren Emigration" nicht erwähnt, obwohl Weismantel zweimal in KZ-Haft saß. Das mag daran liegen, daß die üblichen Anspielungen fehlen. Trotzdem ist in dem Roman eine Geisteshaltung zu erkennen, die mit der nationalsozialistischen Weltanschauung unvereinbar ist. Veit Stoß, ein angesehener Nürnberger Holzbildhauer, investiert sein erspartes Geld bei einem Kaufmann. Dieses Sich-Einlassen mit dem Kapitalismus allegorisiert Weismantel in einem Judasbild. Veit Stoß wird betrogen, rächt sich und wird immer zum Opfer einer ungerechten kapitalistischen Justiz. Der Rat und die Gerichte von Nürnberg brechen oder halten je nach Bedarf ihre Verträge. Veit Stoß wird auf der Folter zerbrochen, gebrandmarkt und geschäftlich ruiniert. Am Ende des Romans erfriert er, einsam und erblindet, auf der Straße. Im Sterben erscheinen ihm seine tote Familie und Maria. Der Roman ist von einer katholisch-innerlichen Haltung geprägt. Auch die Reformation wird abgelehnt, da sie das Reich teilt und Krieg bringt(519). Das Wesentliche ist jedoch, daß die Gesellschaft dem Gläubigen nicht zu seinem Recht verhilft. Veit Stoß beharrt wie Michael Kohlhaas auf diesem Recht und wird dafür systematisch von der staatlichen Autorität zerstört. Dies muß keine bewußte Kritik am Dritten Reich sein, steht aber wegen des unverkennbaren Individualismus und Humanismus der herrschenden Weltanschauung diametral entgegen. Trotz Geschichtspessimismus und Irrationalismus wird die traditionelle katholische Märtyrerfigur zum Gegenbild der zeitgemäßen heroischen Führerfiguren. Am Beispiel der Wiedertäuferbewegung kritisiert von konservativer Seite Friedrich P. Reck-Malleczewen mit seinem Roman "Bockelson. Geschichte eines Massenwahns"(1937) die gesellschaftlichen Zustände des Dritten Reichs. Unter dem Einfluß einiger landfremder Demagogen, vor allem des holländischen Schneiders Bockelson, verkommt die ehemals ständisch-konservative Gemeinde Münster zur populistischen Diktatur. Demagogische Massenverführung, Emigration, Bücherverbrennungen, Denunziation, Hinrichtungen politischer Gegner und übertriebener Prunk und Genußsucht der Herrschenden sind Anspielungen auf die NS-Herrschaft. Reck-Malleczewen betont des öfteren, daß es ihm nicht um das einzelne historische Ereignis geht, sondern um ein Beispiel, das sich auf ähnliche Weise in der Geschichte wiederholt. Er legt dem Leser somit nahe, die Wiedertäuferbewegung mit der NS-Bewegung zu vergleichen. Dazu benützt er eine distanzierte kommentierende Erzählhaltung, die dem Leser Standpunkt und Wertungen des Autors aufzwingt(520). Ein wesentlicher Unterschied zu den meisten Romanen der "Inneren Emigration" ist, daß der Führer keinerlei positive Züge aufweist. In der Beschreibung Bockelsons kulminiert die elitäre und moralinsaure Kritik des Konservativen am kleinbürgerlichen Despoten und Revolutionär: Bockelson aber? Das sind die verschwommenen und versulzten Züge des im Chausseegraben geborenen Bastards, des Kneipen und Hurenwirts, der auch als Literat dilettieren konnte, des abortiv verlaufenen Schneiders, der bei seiner Zunft wahrscheinlich für einen großen Dichter, im Klub der Rhetoriker aber vermutlich für einen geschickten Gewandschneider gehalten wurde.<...> Die Stigmata des in übler Stunde und in üblem Bette gezeugtem, der aus einem Taugenichtsdasein so leicht in die Kloake, aus dem Milieu des Dreckigen aber ins Lasterhafte und aus dem Lasterhaften endlich ins Verbrecherische und Blutdürstige wechselt.(521)Reck-Malleczewen richtet diese Angriffe nicht nur gegen den Führer der Wiedertäufer, sondern auch gegen die Bevölkerung von Münster, wobei auf die überzeitliche Konstante dieser Bewertung verwiesen wird, auf die "ewig" niedrigen Instinkte revolutionärer Massenbewegungen: Immer wird die Kanaille das hassen, was ihrer Gorillastirn nicht eingeht, immer wird der einmal losgelassene Pöbel mit seinem Plattfuß das zertreten, was den eigenen plumpen Fingern nicht gelingen konnte.(522)Reck-Malleczewen zieht historische Parallelen zur Französischen Revolution, der Märzrevolution in Deutschland und der russischen Oktoberrevolution(523). Der Leser kann diese Beispiele mit dem Nationalsozialismus ergänzen. Diese historische "Gleichsetzung des Faschismus mit demokratischen Massenbewegungen" dient in dem Roman nicht nur zur Tarnung gegenüber der Zensur, sie entspricht auch dem konservativen Weltbild des Autors, der die soziale Komponente der Wiedertäuferbewegung fast völlig unterschlägt(524). Er interessiert sich eben nicht für soziale und historische Prozesse, seine Erklärungen zur Entstehung der Wiedertäuferbewegung und des deutschen Faschismus verlieren sich in mythischem Dunkel. Er weiß nur von einem "Massenwahn, von einer rätselhaften, auf ein ganzes Gemeinwesen gefallenen Psychose zu sprechen" und von einem "Sohn des Acheron", die immer wieder auftauchen, wenn alle Werte versinken(525). Aufgrund dieses Geschichtsbildes, bei dem sich die "Grenzen zwischen Historie und Mythos verwischen", rückt Schnell den Roman in die Nähe der NS-Literatur: Historische Parallelisierung, wie sie Reck-Malleczewen vor nimmt, erweist sich in der unterschiedslosen Identifikation geschichtlich unvergleichbarer Entwicklungen als historischer Agnostizismus, der den Autor bei aller subjektiven Feindschaft zum Faschismus in der Ablehnung revolutionärer demokratischer Bewegungen objektiv an der Seite der Faschisten zeigt.(526)Diese Kritik ist weitgehend zutreffend, man muß jedoch auch festhalten, daß durch die vehemente Ablehnung des Führers und des Terrorregimes das Nichteinverständnis mit den gegenwärtigen Zuständen wesentlich deutlicher wird als bei Klepper und Bergengruen. Ebenfalls von konservativer Seite wendet sich Frank Thiess in seinem Roman "Das Reich der Dämonen"(1941) gegen die national- sozialistische Herrschaft. Thiess versucht in seinem Roman, die Geschichte - vor allem Geistes- und Kulturgeschichte - der Antike vom siebten Jahrhundert vor Christus bis ins sechste Jahrhundert nach Christus darzustellen. Es tauchen zwar immer wieder einzelne Herrscherfiguren auf, aber der eigentliche Protagonist des Romans ist die geistige Tradition der griechischen Kultur. Thiess schreibt weder Herrscher- und Kriegsgeschichte noch Sozial- geschichte, sondern eine Art Geistesgeschichte auf organischer Grundlage: "Geschichte ist wesentlich Geistes- und Volkstumsge- schichte"(527). Die antike Kultur ist seiner Ansicht nach im wesentlichen von den Eigenschaften des griechischen Volkes ge- prägt(528). So sind die Ursachen für Revolutionen in der Regel nicht soziale Veränderungen, sondern das unruhige Blut der Grie- chen(529). Thiess verfällt offensichtlich in völkisch-natio- nalsozialistische organische Geschichtsvorstellungen(530). Der Roman enthält allerdings mehrere Stellen, die ohne Schwie- rigkeiten als Kritik an der Realität des Dritten Reichs ver- standen werden können; so zum Beispiel, wenn eine Revolte und die anschließenden Säuberungen dargestellt werden: und die Sieger kommen nicht zur Ruhe, weil sie wegen der großen Zahl der Emigranten die Reaktion fürchten. Aus diesem Grunde suchte man gelegentlich die Emigration dadurch zu verhindern, daß man alle "die nicht dazugehörten", ganz gleich, ob sie "schuldig" oder "nichtschuldig" waren, aus- rottete.(531)Am deutlichsten wird seine Kritik jedoch an der Darstellung des Militärstaates Sparta, die hauptsächlich nach der zweiten Auflage zum Verbot des Romans führt(532). Thiess spricht von der "Ruhe eines gut geleiteten sozial-humanen Gefängnisses", das sich im Gegensatz zum restlichen Griechenland durch "geistige ™de und künstlerische Unfruchtbarkeit" auszeichnet(533). Für ihn ist Sparta ein "ultrasozialistischer Militärstaat"(534). Das ist, wie bei Reck-Malleczewen, die konservative Kritik am Nationalsozia- lismus, für die er wie der Kommunismus das Ergebnis einer Pöbel- herrschaft ist. Nach Thiess entspricht die Tyrannis der Massen- herrschaft und diese einer "kommunistischen proletarischen Dik- tatur"(535). Die Diffamierung der Volksherrschaft als kommunistische Dik- tatur - die Gleichsetzung mit dem Nationalsozialismus bleibt dem Leser überlassen - und das organische Geschichtsbild bringen den Roman in die Nähe der nationalsozialistischen Weltanschauung. Seine Opposition ist deshalb weniger in der Beschreibung von den Diktaturen und den Anspielungen auf die Gegenwart zu sehen, als in der bewußt humanistischen Gegenposition, die er zum NS- Heroismus bezieht. Antike, Christentum und Byzanz werden bei Thiess zu den wichtigsten Grundlagen "abendländischer Zivilisation", die von den jungen "Staatenwildlingen", den Goten und Hunnen bedroht wird(536). Man muß hier an die Ablehnung von Zivilisation, Christentum und Byzanz durch die NS-Geschichts- schreibung denken. Am stärksten sind die Differenzen in der Behandlung der von den Nationalsozialisten verherrlichten Völkerwanderung, wenn Thiess den Germanen eine "kindliche Lust am Verbrennen und Hinmorden" (537) bescheinigt und als Ursache für den Untergang der Goten an- gibt, daß sie eine reine Kriegerkaste waren, die "den Bauernstand genau so verachteten wie die Bildung und das Recht"(538). Dem Heroismus der erobernden Barbaren und der spartanischen Mili- taristen stellt Thiess die Forderung nach Rechtstaatlichkeit und Menschlichkeit entgegen(539): Mir scheint hier liegt die metaphysische Wurzel der beiden geistigen Mächte verborgen, ohne die es keine Geschichte und Entwicklung zu neuerem fruchtbarem Leben gibt: der Macht des Rechtes und der Religion. Die Großtaten der Hunnen und anderer Barbarenvölker sind fruchtlos ins Leere versunken, weil sie weder um die geschichtsbildende Kraft einer Rechtsschöpfung, noch um die Macht der Bindung an etwas Höheres, als es die eigene tierische Gewalt ist, gewußt haben.(540)Man kann diese Gedanken durchaus dem Bereich der Konservativen Revolution zuordnen. Thiess ist antikommunistisch, antidemokra- tisch, elitär und vertritt ein organisches Geschichtsbild. Sein Bekenntnis zum Christentum kommt weniger - wie bei Weismantel oder Le Fort - aus eigener Frömmigkeit als aus der Erkenntnis seiner Bedeutung für eine abendländisch-humanistische Tradition. Den Barbaren und Spartanern als Vorläufern der Nationalsoziali- sten stellt Thiess christliche Caritas, Humanität, Rechtstaat- lichkiet, Zivilisation und Bildung gegenüber. Diese Werte ver- legt Thiess aber ausdrücklich in den Bereich der Metaphysik, entzieht sie so der Einsicht des Lesers und bleibt damit auf einem ähnlichen theoretischen Niveau wie die NS-Autoren. In diesen vier Romanen wird eine humanistisch-christliche Gegenposition zur Realität des Dritten Reichs bezogen. Das Durchhalten dieser Position und nicht nur ihr kritisches Durch- spielen wie bei Bergengruen und Klepper ist wesentlicher als die versteckten Anspielungen auf die Gegenwart. Die Kritik kommt überwiegend von katholischen Autoren, aber auch Thiess stützt seine abendländisch-humanistische Geistestradition auf das Christentum, während Reck-Malleczewen die Ursachen des Massen- wahns in einem allgemeinen Wertezerfall sieht. Es findet sich allerdings bei keinem Autor ein fortschritt- liches Geschichtsbild oder die Forderung nach Demokratisierung oder gar nach Widerstand gegen ungerechte Herrschaftssysteme. Thiess, Reck-Malleczewen und Weismantel schildern zwar Volksauf- stände, die jedoch nie die üblichen konservativen Vorstellungen vom zerstörerisch-chaotischen Schwarmgeistertum verlassen. Dabei ist jedoch zu beachten, daß die Blut- und Bodenliteratur recht häufig bäuerliche Erhebungen in ihrem Sinne interpretiert und heroisiert. Am weitesten scheint Le Fort zu gehen, indem sie das private Glück direkt vom politischen Geschehen abhängig macht. Diese Politik wird nicht wie bei den anderen Autoren als vorge- geben akzeptiert. Das Chaos ist ein Ergebnis des schwedischen Mi- litarismus und des jesuitischen Fanatismus. Der inhaltliche Unterschied zu den Romanen Bergengruens und Kleppers läßt sich am Fehlen eines positiven Ausgangs festmachen. Während Bergengruens Herrscher durch eine Krise ihre Legitimation erhalten und Kleppers Vater sich diese mit seinem Leidensweg erkämpft, bleibt bei Weismantel und Andres die Ungerechtigkeit zynisch bestehen, Thiess'Antike und Le Forts Reichs versinken im Chaos, und bei Reck-Malleczewen konzentriert sich die Handlung ohnehin auf das dem Wahn verfallene Gemeinwesen und dessen Führerclique. IV.7.3. Antifaschistische LiteraturEine konsequent humanistische Gegenposition zur NS-Realität läßt sich nur in drei historischen Romanen feststellen, obwohl auch Le Forts Roman dieser Position nahekommt: in Reinhold Schneiders "Las Casas vor Karl V."(1938), Ernst Wiecherts "Der weiße Büffel oder von der großen Gerechtigkeit"(1937) und in Olaf Sailes "Kepler"(1938). Schneiders Roman wird nach der ersten Auflage verboten, und Wiecherts bereits 1937 geschriebene Legende kann erst, nachdem selbst private Lesungen verhindert wurden, 1946 erscheinen. Sailes "Kepler" enthält keine direkten Anspielungen auf die gegenwärtige politische Situation und wird deshalb von der Forschung nicht zur Literatur des Widerstandes oder der "Inneren Emigration" gezählt. Seine Positionen lassen jedoch eine wesentlich größere Distanz zur herrschenden Weltanschauung erkennen als sämtliche Romane der "Inneren Emigration".Schneider wendet sich am historischen Beispiel der spanischen Konquistadoren kompromißlos gegen Imperialismus und Völkermord. Zur Zeit seines Erscheinens ist der Roman hauptsächlich als Anklage gegen die Judenverfolgung gedacht, bietet jedoch zu den späteren Eroberungen und der Behandlung der slawischen "Untermenschen" noch deutlichere Parallelen. Schneider übt hier wie Andres Kritik am katholischen Spanien, wo sie einfacher anzubringen ist als an der deutschen Geschichte(541). Der Dominikanermönch Las Casas versucht, am Hofe Karls V. Gesetze zum Schutz der Eingeborenen zu erwirken. Die ganze Handlung konzentriert sich auf diesen Spanienaufenthalt Las Casas'. Der Leser erfährt von der Vorgeschichte und der Unterdrückung der Eingeborenen durch Protokolle, Erzählungen und Zeugenaussagen, die teilweise ein sehr konträres Bild ergeben. Las Casas muß sein Anliegen in einer Disputation mit dem Rechtsgelehrten Sepúlveda vor dem Kaiser vertreten. Sepúlveda belegt eindrucksvoll Las Casas' schuldhaftes Verhalten in der Vergangenheit. Er war selbst Plantagenbesitzer und erbarmungsloser Ausbeuter gewesen und hatte sogar, zum Schutz der Eingeborenen, die Einfuhr von Negersklaven empfohlen. Neben dieser Disputation ist die Geschichte des jungen Konquistadors Bernardino de Lares der zweite wichtige Handlungsstrang. Bernardino war mit demselben Schiff wie Las Casas reich und todkrank aus den Kolonien heimgekehrt und erzählt diesem im Fieber abends nach den Disputationen seine Lebensgeschichte. Sepúlveda hat vom Standpunkt der Staatsräson die besseren Argumente, außerdem gelingt es ihm, Las Casas' moralische Inegrität zu untergraben. Las Casas kann sich nur auf das Leid und Elend berufen, das er und Bernardino gesehen und zum Teil mitverursacht haben. Er kommt trotzdem zu der universellen Forderung, daß kein christliches Reich ein anderes Volk unterdrücken darf, ohne die Gnade Gottes zu verlieren. Nach tagelanger Bedenkzeit, während der Bernardino stirbt und sein ganzes Vermögen der Kirche zu wohltätigen Zwecken in den Kolonien vermacht, entscheidet sich der Kaiser für Las Casas. Beide wissen um die geringe Aussicht ihrer Bemühungen. Schneider verdeutlicht dies symbolisch in gefährdeten Ablegen in Las Casas' Schiff(542). Der Leser weiß ohnehin um die historische Irrelevanz dieser Bemühungen (543). Man kann Schneider vorwerfen, daß in seinem Roman die Monarchie nicht in Frage gestellt wird, oder auf seinen grundlegenden Geschichtspessimismus verweisen, aber im Gegensatz zu Bergengruen fordert er nicht nur die persönliche Einsicht des Herrschers, sondern auch das Anerkennen einer allgemein gültigen Ethik in Form von Gesetzen, die es verbieten, fremde Völker auszubeuten und zu unterdrücken. Schneiders Gegenposition zur NS-Weltanschauung äußert sich auch in der Gebrochenheit und Hilflosigkeit seiner Protagonisten und besonders im Verzicht auf eine autoritäre Erzählhaltung, die dem Leser die festgefügte Meinung des Autors aufzwingt. Ernst Wiechert wählt für seine kurze Erzählung "Der weiße Büffel oder von der großen Gerechtigkeit" die konventionelle, besonders bei christlichen Autoren beliebte Legendenform. Er schildert die Unterdrückung der indischen Ureinwohner durch die indogermanischen Eroberer, einer elitären Kriegerkaste. Der junge Vasudeva führt eine Art Guerillakrieg gegen die Eroberer, siegt in einem mythisch beschriebenen Gefecht, erkennt dann unter dem Einfluß seiner Mutter das Unrecht jeder Gewalt und lebt fortan als eine Mischung aus Buddha und Christus in einem Dorf. Von dort macht er sich auf den Weg, um beim Gottkönig Murduk als Sühne für ein von einem Offizier begangenes Unrecht einen weißen Büffel zu erbitten. Murduk verlangt von ihm die Anerkennung seiner Gottähnlichkeit(544), aber Vasudeva widersteht den Korruptionsversuchen und verzichtet auch auf die Chance, den Tyrannen zu ermorden, der erst seine Mutter verbrennen und dann ihn selbst enthaupten läßt. Nach Vasudevas Opfertod bereut Murduk und schickt als Zeichen der Sühne einhundert weiße Büffel mit vergoldeten Hörnern in Vasudevas Dorf. Wiechert schildert zwar wie Bergengruen die Einsicht und Reue des Herrschers, aber während deren Fehler nur ihre Selbstüberschätzung ist, wendet sich Wiechert eindeutig gegen Eroberung und Unterdrückung anderer Völker, die Bergengruen in seinem Roman "Am Himmel auf Erden" mystisch verklärt. Auch das Demonstrationsobjekt ist trotz seiner historischen Ferne brisant. Schneider und Andres kritisieren oberflächlich die katholischen Spanier, die schon immer ein beliebtes Feindbild für die völkische Literatur abgaben. Wiechert dagegen klagt ganz konkret nach dem Muster völkischer Mythen die Eroberungen der vielgepriesenen "arischen Herrenrasse" an, und sein Protagonist gehört nach nationalsozialistischen Gesichtspunkten zu einer minderwertigen "Sklavenrasse". Die Bücher von Schneider und Wiechert bilden deshalb unter den historischen Romanen der "Inneren Emigration" einen extremen Gegenpol zur nationalsozialistischen Weltanschauung und zur tagespolitischen Realität(545), weil sie nur Probleme nicht nur aufzeigen oder einzelne versteckte Anspielungen in ihren Büchern unterbringen, sondern sich bedingungslos zum Prinzip der Gewaltlosigkeit bekennen, die Unterdrückung anderer Völker verurteilen und die Einhaltung dieser Maxime für den Staat als verpflichtend erklären. Es genügt ihnen nicht, wenn sich der Führer des Staates einem unbestimmten Gotteswillen unterstellt, der sehr leicht durch einen ebenso unkonkreten Volkswillen zu ersetzen ist. Demokratische Forderungen oder ein fortschrittliches Geschichtsbewußtsein ist aber auch bei ihnen nicht zu erkennen. So bleibt dem konsequenten idealistischen Widerstand nur die Romanfigur des Märtyrers. In diesem Kontext wird die wesentlich konsequentere Position von Sailes Roman erst richtig deutlich. Kepler erlebt die Zeit des religiösen Dogmatismus - von protestantischer wie auch von katholischer Seite -, des Aberglaubens und des Dreißigjährigen Krieges. Obwohl Saile den Roman "Dem Genius des Vaterlandes" gewidmet hat, beschreibt er keinen heroischen Übermenschen. Die Hauptfigur ist fortwährend Zeuge und Opfer der politischen Auseinandersetzungen, die sein Schicksal und die Romanhandlung stärker bestimmen als er selbst. Sein ganzes Leben ist ein Kampf um die Durchsetzung des kopernikanischen Weltbildes gegenüber religiösen Dogmen und Aberglauben. Ganz im Gegensatz zu seinem, von Max Brod 19816 beschriebenen konservativen Zeitgenossen Tycho Brahe wird Kepler zum Aufklärer, der sich nicht nur für Toleranz und Frieden einsetzt, sondern auch an den historischen Fortschritt glaubt. Die Ursachen für Krieg und Unterdrückung werden nicht wie von anderen Autoren der "Inneren Emigration" mythisch entrückt, sondern den Herrschenden angelastet: Man kann nicht alles menschliche Elend Gott zuschieben, denn er setzt dem Unglück ein Ende, wenn das Böse ausgetilgt ist. Man kann es ihm um so weniger zuschieben, wenn man ein Kaiser ist. Und mit einem Male standen die Bilder vor ihm, die Bilder eines verwüsteten Landes, drüben in der Pfalz, am Rhein in Hessen. Vor wenigen Wochen erst war er dort durch verbrannte Dörfer geritten, an verwüsteten Feldern, an heimatlosen Menschen vorbei, die auf der Landstraße verka men. Das sind deine astronomischen Tafeln, Kaiser Ferdinand! Ein zerstörtes, aus tausend Wunden blutendes Reich! Menschen dem Hunger, dem Elend, dem Tode verschachert! Ist das ein Werk mit dem man bestehen kann? Zweifelst du noch, daß Jahrhunderte kommen müssen, die uns - überwinden? (546)Für Saile ist der Krieg nur in seinen katastrophalen Auswirkungen darstellbar; er denunziert "Fürsten, Offiziere, Bischöfe, Abenteurer und Prälaten" als seine Nutznießer; sein Protagonist erkennt dagegen in den geschundenen und verzweifelten Bauern die einzigen "Helden in diesem Krieg"(547). Kepler steht den Mächten seiner Zeit hilflos gegenüber; er kann seine Mutter nur mit Mühe davor bewahren, als Hexe verbrannt zu werden - sie stirbt dennoch an den Folgen der langen Haft -, seine Bücher werden verboten und verbrannt. Seine Arbeit geht unter im Krieg (548). Was den Roman grundlegend von den Werken der "Inneren Emigration" unterscheidet, ist sein Festhalten am Fortschrittsdenken und die Verurteilung der Mächtigen, die sich nicht auf den Ruf nach dem "guten Herrscher" beschränkt. IV.7.4. "Innere Emigration" und NationalsozialismusBei diesem kurzen Überblick über die historischen Romane der "Inneren Emigration" kam es vor allem drauf an, die Geschlossenheit dieses Begriffs aufzulockern und statt dessen ein Spektrum aufzuzeigen, das von den religiös untermauerten faschistoiden Vorstellungen Kleppers und Bergengruens über Andres' und Le Forts grundlegend humanistische Gesinnnung bis hin zu den dezidierten Absagen an Gewalt und Unterdrückung bei Wiechert, Schneider und Saile reicht. Gerade am Gegensatz Klepper - Schneider zeigt sich, wie stark Schneiders Roman entwertet werden muß, wollte man ihn Kleppers "Vater" oder gar Molos "Eugenio" gleichberechtigt zur Seiten stellen.Man kann keinen Roman, der nur die Auswüchse einer Diktatur kritisiert, "antidiktatorisch" nennen, das tut schließlich auch die NS-Literatur. Nur in Sailes Roman wird die Diktatur in Frage gestellt, sonst geht es lediglich um "gute, gerechte" Herrschaft gegenüber der "schlechten" Willkürherrschaft. Da es nicht vorgesehen ist, daß sich die Beherrschten an der politischen Willensbildung beteiligen, muß der "gute" Herrscher von sich aus im Sinne des Volkes handeln; er wird somit zur Inkarnation eines abstrakten Volkswillens. Ralf Schnell bezeichnet deshalb das monarchische Prinzip bei Bergengruen und Schneider als eine "religiös motivierte Variante des Führerprinzips des deutschen Faschismus"(549). Der Ausweg aus dem Dilemma, sowohl NS-Diktatur wie auch bürgerliche Demokratie abzulehnen, suchen alle Autoren bis auf Saile im Rückzug auf christliche und humanistische Ewigkeitswerte.Das Postulieren dieser Werte schließt allerdings ein progressives Geschichtsverständnis aus und kann sich historisch ändernden Klasseninteressen und Machtverhältnissen nicht gerecht werden. Durch diese Flucht in die Geschichtslosigkeit demonstriert das Bürgertum seinen Verzicht auf sein ehemals vorhandenes Selbstbewußtsein und den damit verbundenen Fortschrittsgedanken. Das Ahistorische der historischen Romane der "Inneren Emigration" bringt sie in die Nähe der NS-Literatur. Der nationalsozialistische historische Roman benützt Geschichte ausnahmslos, um unter dem Vorwand des "Ewigen" Gegenwärtiges darzustellen. Ralf Schnell hat auf die Technik der "historischen Camouflage" in den historischen Romanen der "Inneren Emigration" verwiesen (550), ohne allerdings festzustellen, daß der nationalsozialistische historische Roman eine ähnliche Technik anwendet(551). Reinhold Grimm dagegen betont mehr diese Gemeinsamkeiten, da alle diese Romane die Gegenwart einfach in der Vergangenheit spiegeln(552). Fast sämtliche erzähltechnischen Mittel, die Schnell für die Romane der "Inneren Emigration" herausarbeitet, sind auch für die nationalsozialistische Literatur typisch; neben der historischen Camouflage, die Identifikation des Lesers mit dem Erzählerstandpunkt und die Verwendung eines Mottos, das erstens diese Gemeinschaft verstärken soll und zweitens zur Dechiffrierung aktueller Aussagen dient(553). Ein wichtiges formales Kriterium der Annäherung an die NS-Literatur ist die Konzentration der Erzählperspektive auf den Helden oder Herrscher. Darin äußert sich die Geschichtsauffassung von den großen Männern, die Geschichte machen(554). Die historischen Romane der "Inneren Emigration", die der nationalsozialistischen Weltanschauung inhaltlich am nächsten kommen, stellen diese großen Männer bevorzugt in den Mittelpunkt. Bergengruens Fürsten kommen erst nach Irrwegen zu der höheren Einsicht, die den nationalsozialistischen Führern meist von Anfang an gegeben ist. Am geradlinigsten ist Kleppers "Vater", Friedrich Wilhelms Leiden ist vorbildhaftes Opfer und Legitimation. Durch die Erzählperspektive und die Ungebrochenheit des Protagonisten weist dieser Roman die größte Affinität zur NS-Literatur auf. Am weitesten davon entfernt sich, oberflächlich betrachtet, Thiess, da er die Geschichte eines ganzen Kulturkreises schreibt. Doch, soweit es seine organischen Geschichtsvorstellungen zulassen, wird auch bei ihm Geschichte von den großen Herrschern und Geistesheroen bestimmt. Weismantel, Andres und Le Fort stellen den schwachen Helden dar, der der Geschichte hilflos gegenübersteht. Die Opfer werden dabei zwar beklagt, die Ursachen aber in mythische Bereiche entrückt. Nur Sailes Kepler macht die Interessen der Mächtigen für den Krieg verantwortlich. Reck-Malleczewen verzichtet zwar auf den positiven Helden, behandelt den Leser aber mit seinen moralischen Wertungen äußerst autoritär und bleibt dadurch sprachlich auf der Ebene der NS-Propaganda. Als einziger gibt Schneider zum Teil diese konventionelle Erzählhaltung auf. Er erschließt dem Leser das zwielichtige Vorleben Las Casas' aus Zeugenaussagen und zeig ihm die Hilflosigkeit des Humanismus vor den Argumenten der Staatsräson. Die Schwäche und Fehlerhaftigkeit des Helden ist ein Zeichen des verbliebenen Individualismus dieser konservativen und christlichen Autoren. Während in der NS-Literatur fast nur noch Typen vorgeführt werden, die von Roman zu Roman ausstauschbar sind und auch innerhalb der Romanhandlung kaum eine Veränderung erleben, geben die Autoren der "Inneren Emigration" ihren Figuren meist sehr individualistische Züge. Man könnte behaupten, daß sich darin ein Ignorieren der modernen Massengesellschaft abzeichnet, der der NS-Typus besser gerecht wird; das Entscheidende ist aber, daß hier das Individuum zum Gegenpol der totalitären Massenbewegung. Das Scheitern eines guten Teils dieser Individuen ist ein sicheres Zeichen ihrer historischen Antiquiertheit. So wirkt Veit Stoß wie ein Fossil gegenüber den Praktiken des Kapitalismus. Tilly ist nicht in der Lage, seine eigene Soldateska zu kontrollieren, und Las Casas wird am Widerstand der spanischen Großgrundbesitzer scheitern. Nur Kepler weiß, daß die Geschichte seinen Ideen zum Sieg verhelfen wird. Neben dem Individualismus bildet der Humanismus die wichtigste Gegenposition zur nationalsozialistischen Weltanschauung, er wird deshalb mit einer Vehemenz vertreten, wie sie in den historischen Romanen zuvor nicht nachzuweisen ist. Dem Katholizismus kommt dabei, offensichtlich wegen seiner größeren weltanschaulichen Geschlossenheit, eine besondere Bedeutung zu. Für Thiess und Wiechert, die aus dem Umfeld der "Konservativen Revolution" kommen, wird das Christentum zu einem zentralen Wert. Andres und Weismantel sind als katholische Schriftsteller bekannt, Le Fort konvertiert 1924 zum Katholizismus, Bergengruen 1936 und Schneider 1938. Trotz der oft leidvollen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus (555) und ihrer sicher beabsichtigten Kritik bleiben alle Autoren bis auf Saile einem undemokratischen Obrigkeitsdenken und einem irrationalen Geschichtsbild verhaftet (556). IV.8. Die Literatur im KriegBeginn und Verlauf des Zweiten Weltkrieges beeinflussen massiv das kulturelle Klima in Deutschland, so daß hier eine Zäsur innerhalb der NS-Literatur zu vermuten ist. Die Erfolge der Blitzkriege und die anfänglichen Siege mit relativ geringen Menschenverlusten bewirken die Zustimmung breiter Bevölkerungsschichten und verstärken das Vertrauen in die Führung (557). Diesem Rückhalt in der Bevölkerung wird von den Nationalsozialisten, besonders von Hitler, eine hohe Bedeutung beigemessen. So verzichtet man darauf - im Gegensatz zu England - die Produktion von Konsumgütern zugunsten der Rüstungsindustrie stark einzuschränken(558), und ist auch sonst darauf bedacht, trotz der Propagierung des totalen Krieges, dem Volk zum Ausgleich eine "staatsfreie Sphäre" zu garantieren. Dies führt in den Bereichen Unterhaltung und Erotik zu großen Zugeständnissen. Hans-Dieter Schäfer hat in diesem Zusammenhang auf das bisher unbeachtete Weiterwirken des offiziell diffamierten Amerikanismus hingewiesen (559).Gleichzeitig verstärkt der Krieg noch einmal den von völkisch-konservativer Seite verdammten Modernisierungsprozeß. Der Trend zum Großkonzern zu Lasten des gewerblichen Mittelstandes beschleunigt sich weiter, ebenso die Bevölkerungsbewegung vom Land in die verhaßte Großstadt; selbst die Frauen müssen wieder zur Fabrikarbeit herangezogen werden. Rüstungsproduktion, Kriegsmaschinerie und die perfekt organisierte Judenvernichtung geben dem Dritten Reich den Anschein einer pervertierten, aber logischen Konsequenz des modernen rationalen Staates. Aber gerade an den Auswirkungen während des Krieges offenbart sich die Radikalität und Unverzichtbarkeit der irrationalen und ahistorischen nationalsozialistischen Weltanschauung. Daß es innerhalb dieser von Lebensraum- und Rassegedanken geprägten Weltanschauung immer noch starke Abstufungen gibt, zeigen die Bemühungen, jüdische Arbeitskräfte der Rüstungsindustrie zu erhalten, sowie die Differenzen Hitlers mit Himmler über die Verwendung der Ostgebiete. Himmler - ganz völkischer Ideologe - will im Osten germanische Wehrbauern ansiedeln, Hitler dagegen verlangt die Planung riesiger Industriekomplexe(560). Nachdem, nach der Annektion Österreichs und des Sudetenlandes, die für den Nationalsozialismus der Weimarer Republik noch typischen kleindeutschen Vorstellungen aufgegeben worden waren, rückt man nach den Anfangserfolgen des Krieges auch immer mehr vom Nationalstaatsgedanken ab, fordert eine "Neuordnung Europas" und spricht bevorzugt von einem "großgermanischen Reich" (561). Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß zu Anfang der vierziger Jahre die Frakturschrift ganz aufgegeben wird(562). Nach den ersten Rückschlägen im Krieg gegen die Sowjetunion greift man vor allem jungkonservative und katholische Ideen auf und propagiert die Verteidigung der christlich-abendländischen Kultur (563). Mit dem Reichsbegriff wirbt die Waffen-SS in katholischen Ländern Freiwillige. Volksdeutsche werden in der Division "Prinz Eugen" zusammengefaßt und französische Freiwillige in der Division "Charlemagne", vom "Sachsenschlächter" ist nun nicht mehr die Rede, man wählt sogar opportun den französischen Namen Karls des Großen. Die Geschichtsschreibung stellt der Propangada beliebig uminterpretierbare Namen und Begriffe zur Verfügung. Aus diesem Grund gewinnt auch die preußische Geschichte ab 1942 wieder größere Bedeutung; der Siebenjährige Krieg wird zum Durchhaltebeispiel. Mirow bemerkt zu diesem Wechsel, daß die einzelen historischen Bezüge der NS-Propaganda lediglich "taktisch begründet" sind und nicht echter Ausdruck der Weltanschauung(564). Gleichzeitig kommt jedoch an den im Osten gegen jede politische Vernunft praktizierten Lebensraumideen und der gegen Kriegsende immer hektischer werdenden Judenvernichtung die grundlegende Bedeutung des NS-Geschichtsbildes immer deutlicher zum Ausdruck. Durch die Interpretation von Geschichte als ewiger Kampf ethnologischer Gruppen bekommen der Rußlandkrieg und die Judenvernichtung eschatologische Züge. Hitler stellt schon 1940 fest: Wenn das deutsche Volk seinen "Lebensanspruch" nicht durchsetzen könne, "dann wird dieses Volk vergehen, dann wird es zurücksinken, und es wird nicht mehr lohnend sein, in diesem Volk dann zu leben" (565). Während die Vernichtung der Juden weitgehend im Stillen geschieht, da man mit der Ablehnung der Bevölkerung rechnet (566), wird der Kampf gegen die Sowjetunion zur schicksalshaften Bestimmung Europas und der nordischen Rasse hochstilisiert. Der Literaturbetrieb wird während des Krieges von zwei wichtigen Erscheinungen beeinflußt. Wegen der Papierknappheit bietet die Methode der Papierzuteilung eine neue Form der Zensur, die es ermöglicht, auch das Erscheinen nicht verbotener, lediglich unerwünschter Bücher zu verhindern (567). Andererseits sieht man sich gezwungen, dem durch die Kriegssituation verstärkten Verlangen nach Unterhaltungsliteratur nachzukommen. Hatte man vorher versucht, das Erscheinen von Western, Kriminal- und Frauenromanen durch Verbote zu beschränken, so verlangt jetzt vor allem die Front nach leichter Lektüre, die statt politischer Inhalte mehr Erotik und Spannung bietet (568). Dieses Problem wird symptomatisch von vier 1944 in der Bücherkunde erschienenen Aufsätzen behandelt(569). Es wird dabei unter anderem beklagt, daß das "Seelenleben breiter Volksschichten durch diese unechte und falsche Lektüre vergiftet und zugleich verstädtert und amerikanisiert" wird( 570). Statt dieser Fluchtliteratur lobt man die Darstellung von echten Werten. Nur dem "Unterhaltungsschrifttum für die Frau" wird eine gewisse Bedeutung zugemessen. In Form einer "mittelbaren Beeinflussung" sollen Arbeit, Pflichterfüllung und Erziehungsprobleme zur Sprache kommen(571). Der Bedarf an Unterhaltungsliteratur, die über das Niveau von Krimis und Western hinausgehen soll, eröffnet dem historischen Roman wieder neue Möglichkeiten. So werden zum Beispiel ältere völkische Machwerke wie Barthels "Dithmarscher" oder Löns "Werwolf" im Gegensatz zur Unterhaltungsliteratur als "anspruchsvolle Werke" angepriesen, die durchaus gerne von Soldaten gelesen würden (572). Seine gutbürgerliche Tradition ermöglicht es dem historischen Roman, trotz oft überwältigender Trivialität, einen gewissen Status zu wahren und auf der neuen Unterhaltungswelle mitzuschwimmen. In der NS-Literaturkritik verstärkt sich allerdings der für die Literaturgeschichtsschreibung schon aufgezeigte Trend, literarische Qualität zu verlangen. Nachdem an die Literatur jahrelang fast nur inhaltliche Forderungen gestellt worden sind, rücken jetzt formale Kriterien in den Vordergrund. "Die seuchenartige Verbreitung der sogenannten historischen Romane" wird zwar immer noch angegriffen (573), und man kritisiert, daß vielen jungen NS-Dichtern noch das technische Können fehle, sie ihre Bücher zu rasch zusammengeschrieben haben, "oder in aufdringlicher Weise Parallelen zwischen einer Epoche der Vergangenheit und unserer Zeit herzustellen bemüht waren" (574). Man stellt ein Ende der "historischen Konjunktur" fest und versucht, das durch seine propagandistische Verwendung diskreditierte Genre zu retten (575). Staat oberflächlicher zeitgeschichtlicher Parallelen wird mehr historische Genauigkeit und "Gehalt des Kunstwerks" verlangt: "Zuerst gilt der Gehalt, dann die künstlerische Form und zuletzt erst die Zeitzugehörigkeit des Inhalts" (576). Dieser Gehalt des Kunstwerks meint allerdings die bekannten "ewigen Werte", die ohne Anspielungen auf die Gegenwart in der entsprechenden Form darzustellen sind(577). Als entsprechende Form, diesen "Gehalt" zum Ausdruck zu bringen, wird der historische Roman, als antiquierte Form des 19.Jahrhunderts, abgelehnt: Er entsprang dem spezifisch "modernen Bewußtsein" des Neunzehnten Jahrhunderts, dem "historischen Bewußtsein"; und ist eine Erscheinungsform überhaupt. Den Roman aber wird man ansprechen können als eine Form, in der eine Welt zur Darstellung kommt, der die Götter gestorben sind. Er zeigt den Menschen auf seinem Weg ins Unendliche, auf der Suche nach dem entschwundenen Gott. (578)Bei diesen erstaunlich materialistisch beeinflußten Analysen wird neben dem Verlust der Transzendenz das für den Entwicklungsroman typische Innenleben des Protagonisten, das den Bezug zur Welt verliert, kritisiert(579). Damit entfernt sich die NS-Literatur von einem ihrer wesentlichen Vorläufer, dem völkischen Gottsucherroman. Romantische Sehnsucht nach einer heilen Welt, Thematisierung des Gottesverlustes und Entwicklung des Individuums werden als der neuen Zeit nicht angemessen abgelehnt und damit auch die dafür als typisch erkannte Form des Romans. Geschichte soll zum "realistischen Mythos" des deutschen Volkes werden (580), das Individuum durch den "Typus" ersetzt oder, mit Hilfe der Episodentechnik, das Volk zum eigentlichen Handlungsträger werden (581). Aufgrund dieser Forderungen soll der bürgerliche historische Roman von der "geschichtlichen Dichtung" abgelöst werden, die ihre angemessene Form im Epos findet(582). Zur Untersuchung der nach Kriegsausbruch erschienenen historischen Romane bietet sich die Kategorie des Individualismus geradezu an. Es kann davon ausgegangen werden, daß die eigentliche NS-Literatur das Individuum völlig durch den Typus des Helden und Führers ersetzt, wobei dem Volk nur noch die Statistenrolle bleibt. Die eher als völkisch zu bezeichnende Literatur muß sich dagegen mehr durch ein Fortwirken der bürgerlich-antimodernistischen Strömungen auszeichnen. Das heißt, sofern es sich beim Volk um eine Chiffre für den Mittelstand handelt, kann es positiv dargestellt werden, und die Protagonisten müssen individuelle Züge erkennen lassen. Beide Punkte - Individualismus und mittelständisches Volk - lassen vermuten, daß sich der Modernisierungsprozeß in der Literatur auf andere Weise widerspiegelt als in den geniun nationalsozialistischen Romanen, die in ihm hauptsächlich einen erfolgreichen Militarisierungsprozeß sehen. IV.8.1. Nationalsozialistische EpikDie Entwicklung des nationalsozialistischen historischen Romans soll hauptsächlich an zwei Beispielen verdienter NS-Autoren vorgeführt werden: an "Der Traum vom Reich"(1941) von Mirko Jelusich und "Heinrich König und Kaiser"(1942) von Georg Schmückle. Diese Aussagen werden durch den eher unwichtigen SS-Roman "Herr Heinrich"(1941) von Fritz Vater ergänzt, da an diesem mehr vom völ- kischen Flügel des Nationalsozialismus kommenden Roman einige Differenzen erkennbar sind(583).Jelusich stellt mit seinem Roman die Kämpfe des habsburgischen Feldherrn Prinz Eugen als eine mißglückte Vorstufe des Dritten Reichs dar. Eugen ist ein vorausahnender Führer, dessen einziges Bestreben ein starkes Reich ist. Zur Verwirklichung seiner Pläne ist er allerdings auf den jungen idealistischen Kaiser Joseph I. angewiesen, mit dessen Tod der Traum vom Reich wieder in die Zukunft entweicht. Eugen tröstet den sterbenden Kaiser mit seiner Vision vom kommenden Reich und verweist damit den Leser auf die Verwirklichung 1933: Noch ahnen sie es selbst nicht, noch sind sie nicht geboren, aber dennoch höre ich aus dem Dunkel in unserm Rücken, ihren Schritt. Schon nahen sie, schon schließen sie die Reihen, einer dicht am andern, das heilige Heer der Nation, dem die Mächte der Finsternis erliegen werden.(584)Neben dem Hinweis auf die nationale Revolution der Zukunft fällt besonders die Verwendung des religiösen Vokabulars auf. Eugen fährt fort und beschwört als Symbol die Fahne und das Opfer als Ritual. Wie sehr die Religiosität im Roman auf den politischen Bereich übertragen wird, zeigt eine Äußerung Eugens über den Konfessionstreit im Reich. Auf die Frage, ob er Deutschland eine neue Religion geben wolle. antwortet er: "Nein, eine neue Gläubigkeit: die an das Reich"(585). Kennzeichnend für Jelusichs Reichsbegriff ist, daß er nicht mehr an jungkonsersativ-katholische Reichsvorstellungen gebunden ist, sondern, wie bei Beumelburg, eine bloße Umschreibung für den imperialistisch-zentralistischen Machtstaat ist. Deutlich wird dies unter anderem daran, daß das Wort "Nation", das einem Feldherrn des 18.Jahrhunderts sicher fremd ist, synonym für "Reich" gebraucht wird(586). Genauer entwickelt wird diese Utopie in dem zentralen Kapitel "Der Traum vom Reich"(587), als Eugen und Joseph die politische Struktur ihres Traumes entwerfen: Der Papst muß besiegt und Italien zu einer Außenbastion des Reichs werden, Frankreich muß alle ehemaligen deutschen Gebiete zurückgeben, der Reichstag muß aufgelöst und die Macht der Fürsten auf den Kaiser übertragen werden, das Reich wird nach Stämmen gegliedert und von Statthaltern verwaltet, die dem Kaiser unmittelbar unterstehen, das Volk wird soldatisch im Korpsgeist erzogen, und im Südosten muß dem Reich neuer Lebensraum erschlossen werden. Die Lebensraumgewinnung wird an anderer Stelle verbrämt als die "große Auseinandersetzung zwischen Abendland und Morgenland", und Eugen träumt davon, "der Feldherr Europas zu sein, das zum Gegenangriff übergeht"(588). Die Utopie des Reichs entspricht bis in die Details der Realität des Dritten Reichs. Ein Zeichen der Zeit ist, daß nun auch Europa für die Expansion mobilisiert werden soll. Man könnte diesen Traum vom Reich Adolf Hitlers als den eigentlichen statischen Inhalt des Romans bezeichnen. Eugen und Joseph werden zu bloßen Werkzeugen der schicksalhaften Bestimmung Deutschlands. Sie sind beide völlig typisiert: Eugen als kühler Stratege und militärischer Führer und Joseph als idealistischer Träumer. Jelusich schildert auch nicht, wie zum Beispiel Molo, Eugens Entwicklung oder Karriere; der Roman beginnt mit dem Regierungsantritt Josephs und endet mit dessen frühen Tod und dem vorläufigen Ende des Traums und umfaßt den Zeitraum von nur sechs Jahren. Eugen ist also den ganzen Roman hindurch auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn. Der Roman steht demnach ganz im Gegensatz zum Entwicklungsgedanken, er zeigt ein kurzes Aufbäumen der deutschen Bestimmung in den Träumen der vom Schicksal auserwählten Führer. Da jede Entwicklung, sowohl historische wie auch individuelle, fehlt, zerfällt der Roman in sechzig oft völlig unzusammenhängende Kapitel, von denen einige für die Handlung überflüssig erscheinen, manchmal sogar willkürlich eingeschoben sind, um noch mehr Ideologie unterbringen können; so ein Kapitel über einen Bauernaufstand, das in gewohnter völkischer Weise Blut- und Bodenbauern heroisiert, oder ein Kapitel, das den Volkszorn gegenüber den Wiener Juden verherrlicht(589). Zu dieser Häufung zeitgenössischer Ideologie wäre noch hinzuzufügen, daß die Ungarn - der Kriegssituation angemessen - äußerst positiv beschrieben werden, die Preußen sich den ganzen Roman über durch ihre vorbildlichen Soldaten auszeichnen, und daß Joseph sich, wie seine germanischen Vorfahren, fürchtet, den "Strohtod" zu sterben (590). Es handelt sich bei dieser Häufung unterschiedlichster Kapitel um die von der NS-Literaturkritik geforderte Episodentechnik, mit der Jelusich versucht völkisches Leben zu entfalten. Gerade durch diese Darstellung des Volkes, das als Menschenmaterial den Traum des Führers zu verwirklichen hat, findet der nationalsozialistische Inhalt des Romans eine angemessene, äußerst triviale Form. Während Jelusich seinen Roman auf den Zeitraum von sechs Jahren konzentriert, ufert Schmückles Verherrlichung von Reich und Führer in einer Lebensbeschreibung des Canossagängers Heinrich IV. aus. Der Roman "Heinrich König und Kaiser" nähert sich damit, oberflächlich betrachtet, dem Muster des Entwicklungsromans. Schmückle wird aber zu einer ausführlichen Schilderung der Jugend Heinrichs von den historischen Fakten geradezu gezwungen. Da die Unfähigkeit, Charakterschwäche und vor allem die Genußsucht Heinrichs hinreichend bekannt sind, muß Schmückle nun größere Anstrengungen unternehmen, um diese Fehler seiner schlechten Umgebung aufzubürden. Heinrich ist von Geburt an ein echter König und Führer, in dem immer wieder das Blut seiner großen salischen Ahnen hervorbricht. Daß er seine wahre Größe entwickeln kann, verhindern lange die Erzbischöfe, die ihn gegen seinen Willen erziehen, und die rothaarige Hizela, die immer wieder zu seinem Schaden seine Sinnlichkeit erweckt. Ganz anders seine Frau Berta: In hingebungsvoller, selbstaufopfernder Liebe erträgt sie alle Demütigungen, wartet und vertraut auf Heinrichs Besserung. Als die politische Situation immer verzweifelter wird, bereut Heinrich seine Verfehlungen, wendet sich ganz seiner Frau zu und verstößt voll Abscheu die animalisch-teuflische Hizela(591). Nun endlich erkennt er seine wahre Bestimmung und kann den Kampf um das Reich gegen Partikulargewalten und Papst aufnehmen. Für Schmückle ist das Reich, wie für Jelusich der imperialistische Machtstaat, für den er ebenfalls die Worte "Volk" oder "Nation" synonym verwenden kann, da sie jede Eigenbedeutung verloren haben. Neben der Kirche ist es vor allem der Egoismus der Reichsfürsten, der die Größe des Reichs verhindert. Schmückle bezeichnet sie als "des Reichs Totengräber"(592) und wendet sich in seinem Eifer pathetisch wertend direkt an den Leser: "Schande über die deutschen Fürsten, die ihn so weit gebracht! Schmach über die Bischöfe und Kirchenfürsten, die ihres Königs Hilflosigkeit nutzten!"(593) Der Roman verherrlicht die absolute, religiös begründete Macht des Führers. Das Volk verkommt zur Staffage ohne jeden Eigenwillen, das sich nur in bedingungsloser Liebe und Treue zum Herrscher bewähren kann. Schmückle fordert diese irrationale Hingabe der Beherrschten: "Das Volk warf seinem jungen König sein Herz entgegen." "Die Treu erweist sich, wo sie nicht begreift!"(594) Wie die Ehefrau werden Volk und Fürsten aufgefordert, alle Launen und Fehler demütig hinzunehmen und sich, wenn notwendig, selbst zu opfern. Eigene Interessen verfolgt auch der Lieblingsstamm aller völkischen Autoren, die Sachsen. Sie versuchen, ihre Freiheit zu verteidigen, und werden deshalb vom Autor als Tiere abgewertet: Mit vorgeschobenen Köpfen und Schultern drängten sie heran, unter wulstigen Schläfenknochen funkelten tückische erhitzte Augen, man sah, daß sie sich Mut angesoffen hatten. (595)Der sächsische Volksaufstand wird zum Wüten kulturloser Barbaren. Genußvoll beschreibt Schmückle Heinrichs Rache am unbotmäßigen Volk: "Wie das Vieh wurde das sächsische Fußvolk abgeschlachtet. In Strömen trank die sächsische Erde das Blut ihrer Söhne"(596). Heinrichs Heer plündert und mordet in ganz Sachsen, er selbst wird dabei wohlwollend in eine Linie mit Karl dem Großen gestellt, der auch schon "Sachsenköpfe hat rollen lassen!"(597) Hierzu paßt, daß unter den egoistischen Fürsten der Welf der schlimmste ist. Schmückle verwendet zwar auch weiterhin einzelne völkische Ideologeme, so weit sie in sein imperialistisches Konzept passen, wie bei der Schilderung der "slawischen Bestien", für die Heinrich recht modern erscheinende Lösungen parat hat - "zehntausend, zwanzigtausend von dem heidnischen Gesindel zu Arbeiterheeren zusammengetrieben, die müßten Arbeitskräfte liefern!"(598) -, aber die eigentlichen völkischen Mittelstandsideen werden von ihm zugunsten des totalen Führerstaates abgelehnt. So hat Heinrich seinen Rückhalt nicht in der bäuerlich-germanischen Bevölkerung, sondern in den Reichsstädten, und als wirtschaftliche Utopie entwirft er keinen Bauernstaat, sondern eine Welt des Handels, straff organisiert und durchzogen von Kanälen und Heerstraßen (599). Bei der Führerverherrlichung werden christliche Motive einfach auf den Kaiser übertragen. Er begibt sich nach Italien mit Frau und Kind wie die heilige Familie(600). Der Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem Papst in Canossa erscheint als der Kampf zweier Giganten: Und höher wuchs König Heinrich über sich hinaus: "Du hobst das Kreuz und fordertest den Zoll! Da gab ich Gott, was Gottes ist! Nun hebe ich hoch das Zeichen meines Reiches, das Gott bestätigt durch die Jahrhundert!" Reckte hoch sein Königszepter. - "Gib du dem König, was des Königs, Papst!" - Noch einmal, zum letzten Male bäumte sich Gregor hoch auf: Ein Reich ist nur auf dieser Welt! Das Reich des, der der König aller Könige! Und schallend kam's aus König Heinrichs Mund: "Der sprach: Mein Reich ist nicht von dieser Welt!" Als hätte ein Blitzstrahl vor ihm eingeschlagen, so taumelte Gregor zurück.(601)Das übertriebene Pathos mag auf den heutigen Leser lächerlich wirken, ist aber für den Roman typisch, einerseits als Indiz seiner pseudoreligiösen Weltanschauung, andererseits für die autoritäre Haltung des Autors dem Leser gegenüber, dem manchmal Entscheidungen regelrecht diktiert werden: "Und was die Deutschen selber anbelangt, so es ihm einer verziehe, der wäre kein Deutscher!"(602) Zur Abwertung der Gegner gebraucht Schmückle manchmal einen ätzenden Zynismus: Und das Herz des Mannes, der sich Stellvertreter Gottes nannte, dessen Amt gewesen war, christlicher Liebe und Barmherzigkeit den Weg zu bereiten auf Erden, stand stunden und stundenlang an seinem Fenster und lauschte den Schreckensrufen und den Flüchen der Römer. Und sein Herz jauchzte dabei in gesättigter Rachsucht.(603)Die Grausamkeit, die den politischen Gegner entstellt, wird jedoch der eigenen Partei fraglos zugestanden. Beim Krieg in Deutschland verwendet Heinrich böhmische Truppen, um das eigene Volk zu strafen. Wie ungeheure flackernde Herde lagen nächtlich die Dörfer und Weiler, und ein blutroter Himmel stand über Schwaben. Und König Heinrich lachte dazu.(604)Diese Widersprüchlichkeit ist ein bedeutendes Element der gesamten NS-Propaganda. Damit diese Widersprüche vom Leser akzeptiert werden können, ist es notwendig, ihn gefühlsmäßig in die Handlung zu integrieren. Außerdem wird erkennbar, wie weit sich der Autor von der völkisch-nationalen Literatur entfernt hat, wenn es völlig legitim erscheint, daß der Herrscher das eigene Volk mit ausländischen Truppen bestraft. Schmückle betreibt nur noch reine Machtverherrlichung. Am Ende des Romans reiht Schmückle Heinrich in die endlose Kette der deutschen Herrscher ein. Ein Besuch der Kaisergruft in Speyer wird zum mystischen Ereignis. Heinrich legt an den Gräbern seiner Väter Rechenschaft ab, und das Schicksal deutet bereits auf das kommende Staufergeschlecht. Schmückle verfällt hier endgültig in religiöses Pathos: Und es war die Segnung des Stauferblutes, dem es einst beschieden sein sollte, mit der Saliertochter das stolzeste Herrschergeschlecht zu zeugen, das je die Erde getragen, und das Reich zu vollenden in Herrlichkeit und traumhafter Größe.(605)Heinrich wird ebenfalls in religiöse Sphären entrückt. Er selbst ist ein Werkzeug der Vorsehung und sein Leben ein einziges "Martyrium" für das Reich der Deutschen (606). Schmückle kehrt die Form des Bildungsromans um. Heinrichs "Bildung", die Einflüsse seiner Umwelt, seine Individualität dienen nur der Erklärung seiner Fehlschläge. Je mehr er sich als Herrscher bewährt, desto mehr legt er seine Individualität ab und wird zum Typus, um am Ende völlig in der mythischen Geschlechterkette der deutschen Kaiser aufzugehen. Die Romane von Jelusich und Schmückle verherrlichen den autoritären Führerstaat, in dem Militär und Wirtschaft größere Bedeutung haben als völkische Blut- und Boden-Utopien, die nur noch als Ostimperialismus oder Lieferanten des Menschenmaterials auftauchen. Es dominiert nationalrevolutionäres Gedankengut in trivialster Form. Für ihre Staatsutopien ist Jüngers "Arbeiter" von wesentlich größerer Bedeutung als DarrÜs "Neuadel aus Blut und Boden" oder Rosenbergs "Mythos". Das Elitedenken kulminiert in einem Führerkult und einer Massenverachtung, die mit den völkischen Bauernromane eines Barthels oder Löns kaum noch etwas zu tun haben. Beide verwenden den Reichsbegriff in sakraler Form als Chiffre für ein zentralistisches Imperium. Am Reichsbegriff, der Berufung auf die Kaisergeschichte und die Hohenstaufen, bei Jelusich sogar auf die Habsburger, die in die staufische Tradition gestellt werden(607), zeigt sich die Auswirkung der deutschen Expansion und die damit verbundene völlige Abkehr vom völkischen kleindeutschen Geschichtsbild. Daß diese Abkehr in der nationalsozialistischen Literatur nicht so einmütig geschieht, läßt sich an Fritz Vaters Roman "Herr Heinrich. Die Saga vom ersten deutschen Reich" demonstrieren. Mit der Verherrlichung Heinrich I., des "kleindeutschen Musterkönigs" (608), setzt Vater die Tradition der völkisch-kleindeutschen Geschichtsschreibung fort, für die er schon mit seinem Widukindroman Partei ergriffen hatte. Vaters Heinrich ist Niedersachse, leidenschaftlicher Bauer, heimlicher Heide und ein Feind der Kirche. Der Roman schildert in üblicher Weise Heinrich als gottgesandten Führer- darauf verweist schon ein dem Roman vorangestellte Edda-Zitat -, seine Kämpfe im Osten und seine Abwehr der Ungarn. Der wichtigste inhaltliche Unterschied zu den Romanen von Jelusich und Schmückle liegt in der Auslegung des Reichsbegriffs und der damit verbundenen Beurteilung der Kaisergeschichte. Vater kommt 1941 nicht umhin, Karl den Großen als "großen Kaiser" zu bezeichnen. Er stellt allerdings fest, daß Karls Reich zerfallen mußte, da es viele Völker vereinigte und Karl nicht um das Geheimnis des Blutes - das heißt der Rasse - wußte; Heinrich dagegen will ein deutsches völkisches Reich(609). Die Organisation dieses Reichs ist durchaus förderalistisch. Heinrich macht große Zugeständnisse an die Stammesherzöge und herrscht sozusagen als primus inter pares. Es ist außerdem bezeichnend für die völkische Literatur der Kriegsjahre, daß der Roman nicht damit endet, daß das von Heinrich geschaffene Reich hoffnungsvoll an seinen Sohn Otto übergeht, unter dem es erst seine wirkliche Bedeutung erlangt, sondern damit, daß die Kaiserherrlichkeit Ottos als Bedrohung erscheint. An Otto wird schon früh "seine maßlose Herrschsucht" kritisiert(610). Nach seinem Regierungsantritt unterwirft er die Stammesherzöge, - der Lieblingssohn Heinrichs, Thankmar, fällt als Empörer -, paktiert mit der Kirche und "schielt <...> begehrlich nach jener Kaiserkrone, die Rom vergeben wird"(611). Ottos Imperium mag den Vorstellungen von Jelusich und Schmückle entsprechen, von Vater wird es entschieden abgelehnt. Vor allem durch die starke Betonung der Blut- und Boden-Ideologie und die entsprechende Geschichtsinterpretation ist der Roman dem völkischen Flügel des Nationalsozialismus zuzurechnen, der von den Fraktionen um Himmler und Rosenberg vertreten wird. Man denke hierbei an Himmlers besondere Vorliebe für Heinrich I. Das Titelbild einer Schrift Himmlers über Heinrich I. ist außerdem demselben Bild nachempfunden, wie das auf dem Einband von Vaters Roman(612). Vater bezieht sich auch im Nachwort ausdrücklich auf die Würdigung Heinrichs durch Himmler. Die Positionen Himmlers und Rosenbergs werden auch daran erkennbar, daß der bäuerliche Führer und Heide, der seinen Paladinen große Selbstständigkeit läßt, dem absolutistischen Monarchen gegenübergestellt wird, der sich aus Machtgier sogar mit der Kirche verbündet. Vaters völkische Position äußert sich auch formal. Im Gegensatz zu den aufwendigen Führer- und Reichsepen von Jelusich und Schmückle verwendet er die Saga, mit der nordische Tradition und bäuerliche Schlichtheit beschworen werden soll. Gemeinsam ist allen drei Romanen die pseudoreligiöse Sprache, die mythische Überhöhung und Typisierung der Führer und die völlige Integration des Lesers, dem durch Aussagen der Figuren und Erzählerkommentare die Ansichten des Autors regelrecht aufgezwungen werden. Der direkte Bezug zur Gegenwart ist in allen drei Romanen gegeben. Charakteristisch dafür ist, daß die Ungarn als Gegner immer positiv beschrieben werden. IV.8.2. Völkische RomaneDie Tradition des völkischen Bauernromans setzen nach Kriegsbeginn zwei erfolgreiche Romane fort: Berchtold Gierers " Geschlechter am See"(1940) und Hans Leips "Das Muschelhorn" (1940). Beide verfolgen die Entwicklung einer Familie über mehrere Generationen und orientieren sich schon damit wesentlich mehr an bürgerlichen Entwicklungsroman als an der NS-Epik.Gierer erzählt in seinem Roman ausführlich vom Leben verschiedener Bauerngeschlechter gegen Ende des 14.Jahrhunderts am Bodensee. Das Leben der Bauern ist hart, immer mehr geraten sie in Abhängigkeit der großen Landesherrschaften, besonders der Klöster. Nach und nach verschwinden die letzten Freibauerngeschlechter. Gleichzeitig verarmt der Ritterstand, der nur noch durch Raub und besonders harte Ausbeutung der Bauern überleben kann. Aber auch so ist das Ende abzusehen. Kraft und Entwicklung findet sich nur in den Städten, die zunehmend wirtschaftliche und politische Macht erlangen. Viele Bauern ziehen in die Stadt, um dort als Handwerker ein besseres und freieres Leben führen zu können. Während Gierer mit den Episoden einzelner Familiengeschichten diesen historischen Hintergrund zeigt, greift er immer wieder auf die Geschichte der Familie Schüer (oder Schürer) zurück. Sie ist Opfer der politischen Situation, die sie nicht beeinflussen kann, von der sie vielmehr bestimmt wird. Johann Baptist kann seine erste Geliebte nicht heiraten, da sie Hörige ist und er dadurch seinen Freibauernhof verlieren würde. Sein Leben ist bestimmt vom Kampf um die immer geringeren Rechte der Bauern und seiner Verbitterung gegenüber der Kirche. Er versucht deshalb, ohne "ihren Herrgott" auszukommen und sucht nach einem eigenen, einem "Baurenherrgott"(613). Sein Sohn Veit geht in die Stadt, wird ein bekannter Waffenschmied und verliert dabei jeden Kontakt zu Land und Familie. Veits Sohn Adam nennt sich dann, weil ihm seine Herkunft völlig unbekannt ist, Schwertfeger. Angeekelt von den politischen Auseinandersetzungen und der Weltlichkeit des Klerus, zieht er sich mit seiner Familie auf einen einsamen Bauernhof zurück. Weil er nie die Kirche besucht, wird er als Ketzer verdächtigt und sein Hof von Mönchen mit der Pest verseucht, die er als einziger überlebt. Im letzten Kapitel zieht er, der letzte männliche Nachkomme Johann Baptists, einsam durch die Länder. Den Klerus verachtet er wie "die Götter der Welt": Sie nutzten die Geschöpfesangst der Geknechteten und liefen wie eine Meute feiger Hunde vor den Hetzrufen ihrer Priester. Sie wurden in güldene Käfige gesperrt. Davor standen Prediger und redeten von ihrer Schönheit und Kraft. Sie flüsterten dem Siechen in Herz und Seele ein, wie er den Nachbar verleumden, und dem Habgierigen, wie er ihr, der Götter Reich und seinen Beutel füllen könne.(614)Veit spricht nur "mit dem Gott in seiner Brust", den er selbst geschaffen hat(615). Seine ganze Liebe gilt den Kindern, die er unterwegs trifft, in manche "versenkte er die Hoffnung", da er weiß, daß es für ihn selbst zu spät ist(616). Durch die Sippengeschichte, die Feindschaft gegen die Kirche und die Beschreibung des bäuerlichen Lebens als ewiges Werden und Vergehen belegt der Roman die völkische Position des Autors (617). Andererseits fehlen dem Roman wesentliche nationalsozialistische und radikalvölkische Inhalte. Er enthält keinerlei rassistische Anspielungen, viele positive Figuren haben dunkles Haar, Judenverfolgungen werden wie Hexenverfolgungen mit dem Aberglauben des Volkes erklärt(618). Nationale und heroische Parolen fehlen völlig. Krieg und Kampf sind lediglich eine Bedrohung für die Existenz der Bauern. Gierers Protagonisten wollen ihre ökonomische Unabhängigkeit erhalten und ihr persönliches Glück verwirklichen. Dabei werden sie Opfer des historischen Territorialisierungsprozesses. Den Bauern bleibt nur der Weg in die Abhängigkeit oder die Flucht in die Stadt, die mit dem Verlust der Tradition und dem Zerfall der Familie bezahlt werden muß. Auch die Möglichkeit eines heroischen Aufstandes wird nicht gezeigt - Gierer hätte dazu den Roman nur einige Jahrzehnte später spielen lassen müssen -, dazu sind die politischen Verhältnisse zu festgefügt. Am Ende des Romans steht der letzte kinderlose Enkel, dessen Hoffnung auf die noch ungeborenen Kinder kaum den Niedergang der eigenen Familie und des ganzen Bauernstandes überspielen kann. Leips Roman "Das Muschelhorn" erzählt vom Niedergang der friesischen Familie Abdena. Die Abdena stammen angeblich von geflüchteten Stedingern ab und haben es als erfolgreiche Seeräuber zu einer bedeutenden Position unter den friesischen Häuptlingen gebracht. Die Handlung beginnt mit Imel Abdena, der mächtig und wohlhabend auf seinem burgartigen Hof an der Emsmündung residiert. Er fährt nicht mehr, wie noch sein Vater, zur See, sondern versorgt die Piraten auf Helgoland und handelt mit deren geraubten Gütern. Dieser Prototyp des nordischen Menschen (619) begibt sich in maßloser Selbstüberschätzung an Bord eines hamburgischen Schiffes, wird entführt und stirbt nach 24-jähriger Haft. Sein buckliger Sohn Dirik geht mit Sebalda, Imels zweiter Frau, nach Hamburg, um den Vater freizukaufen. Nachdem er jedoch vergeblich alles Geld ausgegeben hat, bleibt er als Schiffszimmermann in Hamburg und heiratet Sebalda. Beide führen ein äußerst ärmliches Leben, vom Ruhm und Reichtum der Abdenas ist ihnen nur ein Muschelhorn geblieben, das der letzte seefahrende Abdena aus Spanien geschickt hatte. Diriks Sohn Lambert bringt es in der Zunft zum Meister und wird ein angesehener Bürger, während Dirik selbst wegen eines unbedeutenden Diebstahls die Stadt verlassen muß. Der Höhepunkt erreicht die Verbürgerlichung der Abdenas mit Lamberts Sohn Bojer. Hochbegabt erlernt er die Schnitzkunst und wird durch seine Gallionsfiguren, die er in einem eigenen großen Betrieb anfertigt, reich und berühmt. Danach folgt rasch der Niedergang. Bojers unehelicher Sohn Alfonso wird Pirat und ertrinkt beim Versuch, seine Beute zu verstecken; seine Tochter geht wahnsinnig ins Meer. Bojer, der letzte und begabteste seines Geschlechts, wird sehr alt und verbringt seine letzten Jahre als Leuchtturmwärter. Die Familiengeschichte handelt also von der Entwurzelung und Verbürgerlichung eines nordischen Krieger- und Bauerngeschlechts. Bezeichnend für den Roman ist, daß die großen friesischen Häuptlinge, die Ahnen der Abdenas, nur noch in Geschichten und Legenden auftauchen. Imel, der letzte von ihnen, ist nur noch Hehler und Händler und wird deshalb von der monopolistischen Konkurrenz beseitigt: Störenfriede, Zweifler und Eigenbrötler sind schlechte Abnehmer von Massengütern. Um sie auszumerzen wird kein Unrecht gescheut, aber die Macht der Verteiler, die so Preise als Stempel verwalten, stempelt Unrecht um zu Recht. (620)Imels Schicksal ist eigentlich nur die Vorgeschichte, der Großteil der Handlung spielt in Hamburg, was von Leip zu ausführ- lichen Beschreibungen des Stadtlebens und der Arbeitswelt benützt wird. In der Stadt vollzieht sich in dem Künstler Bojer dann auch die "Vollendung" der Abdenas; er ist Höhe- und Endpunkt seines Geschlechts. Was den Roman von der völkischen Literatur unterscheidet, ist neben der Bevorzugung der Stadt seine sachliche, oft leicht ironische Sprache, die den Leser immer von den Protagonisten distanziert und auf deren subjektive Weltsicht verweist. Der vom hanseatischen Kaufmannsgeist geprägten Zeit scheint es angemessen, wenn Leip auf die "blutige Mehrarbeit" und die "größeren Unkosten" einer Enthauptung hinweist oder die Inquisition in Portugal als "wachsende Nachfrage nach Ketzerfackeln" bezeichnet (621). Ebenfalls leicht ironisch beschreibt er die oft heroisierten Landsknechte als "arme Heckenvögel und Sonnenbrüder, die nach der freien friedlichen Landstraße sich zurücksehnten, ohne Neigung, für großer Herren Ehrgeiz ihr bißchen Blut verzapfen zu lassen"(622). Im Kontext der völkischen Literatur ist ebenfalls außergewöhnlich, daß Sebaldas lebhaftes und erotisches Wesen positiv von der "schwerblütigen Blondheit" der Friesinnen abgehoben wird. Voll Spott beschreibt Leip diese "nordischen" Frauen als unerotische "rosige dralle Riesinnen" (623). Lambert ist unter rassischen Gesichtspunkten ein Mischling (624). Kennzeichnend für die Romane Gierers und Leips ist, daß in ihnen weder der Höhepunkt noch der heroische Untergang stolzer Bauerngeschlechter geschildert wird, sondern hauptsächlich deren letzte, bereits verbürgerlichte Nachkommen, die in besitzloser Einsamkeit enden. Diese Entwicklung hängt mit historischen Monopolbildungen zusammen - bei Gierer der Landesherrschaft und bei Leip der Hanse -, die in beiden Romanen die Verbürgerlichung bewirken, die aber auch nicht als positiver Prozeß beschrieben wird. Bei Gierer ist ein stärkerer völkischer Einfluß spürbar, da sein Protagonist die Rückkehr aufs Land versucht, aber auch dort von der Macht der Kirche eingeholt wird. Leip entscheidet sich für die Stadt, dort findet der letzte Abdena die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, aber auch sie wird mit dem Ende des Geschlechts und dem Zerfall der Familie bezahlt(625). Beide verzichten auf politische Anspielungen auf die Gegenwart und NS-Ideologeme, wie Führerverherrlichung, Ostimperialismus und Heroismus. Wesentlich ist jedoch, daß die Romane 1940 erschienen sind, als das Dritte Reich mit einer erfolgreichen Expansion begonnen hat. Sie entsprechen in wesentlichen Elementen dem "Dekadenzroman" der Weimarer Republik. Rolf Geissler hat in seiner Arbeit "Dekadenz und Heroismus" der am Muster des Entwicklungsromans festhaltenden völkisch-nationalen Literatur den "Dekadenzroman" als moderne Reaktion auf Massengesellschaft, Sinnzerfall und Geschichtspessimismus gegenübergestellt. Nach Geissler hält der "Dekadenzroman" formal am Schema des Entwicklungsromans fest, allerdings indem er "Entwicklung nicht als Aufstieg, sondern als Abstieg" versteht, "eine Umkehrung der Gerichtetheit der Entwicklungsromane" (626). Neben der Bevorzugung der Familiengeschichte nach dem Muster der Buddenbrooks finden sich noch andere Übereinstimmungen: Ausführliche Darstellung des Alltags, Verzicht auf einen überragenden Helden (627), Ohnmacht des Helden, Funktion des Zufalls, Zerfall der Handlung ins Episodische - besonders bei Gierer - und Sinnzerfall(628). Die Romane von Gierer und Leip können also durchaus als "Dekadenzromane" bezeichnet werden. Daß der Zerfall der Gesellschaft 1940 nicht im Zeitroman beschrieben werden kann, versteht sich von selbst. Die Autoren wollten wohl keine bewußte Kritik am Dritten Reich formulieren, sondern ein unbewußtes Unbehagen zum Ausdruck bringen. Dieses Unbehagen findet bei den Lesern größere Resonanz als viele vom nationalsozialistischen Literaturbetrieb empfohlene Machwerke. Die ablehnende Reaktion auf die Realität des Dritten Reichs ist in beiden Romanen viel grundlegender und äußert sich deshalb auch in einer anderen literarischen Form als in den Romanen von Bergengruen und Klepper, die sowohl sprachlich wie formal große Gemeinsamkeiten mit der nationalsozialistischen Epik haben. Während von der "Inneren Emigration" oft nur einzelne Auswüchse am imperialistischen Machtstaat kritisiert werden, führt bei Gierer und Leip die Macht immer zum Untergang von Tradition, Familie und Individuum. Trotz der politischen Abstinenz wird die Handlung nicht heilsgeschichtlich verbrämt, sondern unterliegt sozialen Veränderungen. Läßt man also die persönliche Intention der Autoren außer acht und betrachtet die beiden Romane lediglich im Kontext der anderen, während des Dritten Reichs erschienenen historischen Romane, so sind sie inhaltlich und formal eine wesentlich adäquatere Reaktion auf die gesellschaftliche Realität als die Romane der "Inneren Emigration". IV.8.3. Möglichkeiten der KritikAm deutlichsten wird die Ablehnung von Heroismus und Imperialismus in dem bisher von der Forschung nicht beachteten Roman "Königin der Meere" (1940) von Marianne Langewiesche formuliert. Die Autorin beläßt es nicht nur bei inhaltlichen Anspielungen, sondern geht auch formal und sprachlich weiter als die zeitgenössischen in Deutschland geschriebenen historischen Romane.Langewiesche schreibt den "Roman einer Stadt", die Geschichte Venedigs. Schon durch diese Themenwahl hebt sie sich vom gesamten Bereich der völkisch-nationalen Literatur ab. Die Venezianer sind nüchterne Kaufleute, machen vernünftige Politik und Geschäfte, auf deren materieller Basis sich die Größe Venedigs entfaltet. Der Gegensatz zwischen dem rationalen, schaffenden Kaufmann und dem idealistischen, zerstörerischen Krieger wird in dem Kapitel besonders augenscheinlich, in dem Venedig die Kreuzfahrer für seinen wirtschaftlichen Kampf benützt. Langewiesche wird ironisch, wenn sie die Kreuzfahrer schildert: "ohne Sinn für Realitäten, voller Nomadengeist, Abenteuerlust und Fanatismus für eine Idee - und, da es Mittelalter war -, für die religiöse Idee des Christentums." Venedig steht diesem Idealismus gleichgültig gegenüber, macht statt dessen "das beste Transportgeschäft, das die Weltgeschichte kennt" und beseitigt seine wirtschaftliche Konkurrenz (629). Die Ritter, die aus den nebligen Sümpfen und Wäldern des Nordens kommen, sind so lustfeindlich wie ihre Heimat. Wenn Langewiesche schreibt, daß unter dem Tritt der Kreuzfahrer die Pfähle des Markusdoms bei Tag und Nacht zittern, so dürfte dies kaum historisch sein, denn dazu gehört schon der Gleichschritt marschierender Kolonnen. Menschlichkeit ist diesen Kriegern mit den steinernen Herzen fremd, sie sind reine Kampfmaschinen: Aber die vierzigtausend Kreuzfahrer tragen eiserne Rüstungen, und sie haben keine Gesichter, keine Arme, keine Beine, keine Stimmen, sondern nur Eisen, an sich und in sich - ihrer Mutter Schoß war der Amboß.- (630)Während die Kreuzfahrer ihren Fahnenkult pflegen, Lieder von "Kampf und Tod" singen und idealistische Phrasen dreschen, gehen die Venezianer zur Arbeit. "Und im übrigen schien es ihnen absurd, daß man etwas befreien möchte, was einem nie gehört hatte"(631). Aber auch der Idealismus der "ritterlichen Räuber" wird auf seine realen Grundlagen reduziert. Byzanz ist sehr reich, und so siegt die reine Beutegier, die Ritter plündern und vergewaltigen(632). Langewiesche entlarvt nicht nur den Idealismus der nordischen Krieger als Raub- und Eroberungslust, sondern kritisiert auch die Eroberungen der deutschen Kaiser und Alexanders des Großen (633). Im Gegensatz dazu sorgen die Venezianer - sicher stark idealisiert - in ihrem Städtebund für Frieden und Wohlstand (634). Ganz kühl und ausführlich wird dann auch Bilanz gezogen über Vermögen und Handelsbilanz Venedigs (635). Ausführliche Beschreibungen werden vermieden, vor allem Kampfbeschreibungen werden bis zu einem Telegrammstil verkürzt: auf die Mauer steigtGenauso knapp und ohne Pathos beschreibt Langewiesche, unter Verwendung eines Zitats von Friedrich dem Großen, das Ende eines Volksaufstandes: Das Ende ist immer einfacher als der Anfang. Das Ende heißt: Militär rückt heran und schießt. Gott ist immer bei den stärkeren Bataillonen. Und die Waage der Gerechtigkeit ist immer schief. Der Priester krallt seine Zähne in den Leib des Erlösers. Dann schießt man ihn nieder. Man erschießt noch mehr Menschen. (637)Ein wichtiger Unterschied zur zeitgenössischen Literatur ist, daß keine Personengeschichte betrieben wird. Es werden zwar auch große Heerführer und Künstler beschrieben, aber sie sind stets ein Symbol ihrer Zeit, meist der Renaissance. Die Dogen und der Adel, die Venedig undemokratisch regieren, sind oft namenlos, Repräsentanten der Stadt und nicht vom Schicksal gesandte Führer: Die Träger des Staates sind Ausdruck des Staates. Als der Staat groß und kräftig gewesen war, war auch die Aristokratie groß und kräftig gewesen.(638)Mit dem Verfall des Handels kommen auch Korruption und Dekadenz der Führungsschicht. Daran wird zumindest teilweise eine materialistische Geschichtsvorstellung erkennbar. Der Grund für Venedigs Niedergang liegt in der Herausbildung von Nationalstaaten, denen der Stadtstaat auf die Dauer nicht gewachsen ist(639). Die Geschichte der Stadt beschreibt Langewiesche in einzelnen facettenhaften Bildern. Jedes Kapitel wird von zwei kurzen Abschnitten umschlossen, in denen die Autorin kurz auf die historische Zeit verweist, um sich dann recht subjektiv den einzelnen Kapiteln zuzuwenden. Die von Geppert geforderte Trennung von Fiktion und Historie ist deutlich zu erkennen(640). Die Subjektivität und Begrenzheit der fiktiven Geschichte wird dadurch betont, daß oft Briefe, Tagebuchauszüge, lange Monologe oder Dialoge wiedergegeben werden. Auf diese Weise spricht die Geschichte Venedigs für sich selbst, ihre Größe muß nicht momunental oder pathetisch beschworen werden. Dies erscheint auch nicht möglich; die Autorin kann nur Ausschnitte vermitteln, keine Totalität. Da außerdem eine historische Entwicklung gezeigt wird, kann diese nicht an einzelnen Höhepunkten oder Helden festgemacht werden. Allerdings verrät die formale Gliederung des Romans Langewiesches Geschichtspessimismus und damit eine gewisse Nähe zu konservativem Gedankengut. Die Geschichte Venedigs wird organisch in fünf Teile - Kindheit, Jugend, Reife, Alter, Der Tod - geordnet. Auch im Text finden sich Stellen, die vom überreifen Byzanz, das den Tod herbeisehnt, sprechen, oder von Venedig, das alt wie ein Mensch geworden und am Ende seines Weges angekommen ist (641). Wodurch Venedig sich auszeichnet, ist der Stil, mit dem es untergeht, ohne zu hassen, ohne sich selbst untreu zu werden und voller Würde(642). Dieser Untergang scheint zwar schicksalhaft, aber die sozialen Ursachen werden nicht übersehen. Man muß dabei bedenken, daß 1940 einer bürgerlichen Autorin, die im zivilisierten und rationalen Kaufmannsstaat ein Ideal sieht, Verfall und Niedergang schicksalhaft erscheinen können. IV.8.4 UnterhaltungsliteraturIm Dritten Reich erscheint eine Reihe von historischen Romanen, deren Hauptwirkung etwa ab 1940 angesetzt werden kann. Diese Romane - "Eine Pilgerfahrt nach Lübeck"(1935) von Hans Franck, "Der Kerzelmacher von Sankt Stephan"(1937) und "Das Abschiedskonzert"(1944) von Alfons Czibulka, "Der junge Herr Alexius" (1940) von Otto Rombach und "Tage und Stunden aus dem Leben eines leutseligen, gottfröhlichen Menschenfreundes, der Johann Friedrich Flattich hieß"(1940) von Georg Schwarz - zeichnen sich durch einen derart unpolitischen und idyllischen Inhalt aus, daß im Vergleich dazu selbst einige Romane Ganghofers eminent gesellschaftskritisch wirken. Sie erinnern stark an die neuromantischen Trivialromane von Steinhausen und Wolff(643). Auffallend ist dabei, daß gerade historische Romane dieser Art, nach dem Ende des Wilhelminismus, fast ganz verschwunden waren. Selbst die innerlich-neuromantischen Romane der Weimarer Republik thematisieren Religion, Gottsuchertum und Herrschaft und lassen damit immer noch einen stärkeren politischen Einfluß erkennen, als diese "neue" Unterhaltungsliteratur nach den Mustern des neunzehnten Jahrhunderts.Fast alle diese Romane bevorzugen das 18. Jahrhundert, die Zeit des unpolitischen Bürgertums, als historisches Dekor; sie schildern pietistische Frömmigkeit, berühmte Musiker und vor allem Liebesgeschichten. Nur Rombach benützt die Zeit um 1500 zur Darstellung von Reisen und Liebesleben eines Ravensburger Kaufmannssohnes. Alexius, der sich dem deutschen Konquistador Federmann angeschlossen hat, erkennt nach Reisen durch fremde Länder: "War nicht die goldene Stadt in Schwaben stärker als alle goldenen Städte, die Federmann erobern konnte?" Der Roman endet mit einer Beschreibung der heimatlichen Idylle. Alexius und sein Reisekamerad betrachten, beim Erzählen alter Geschichten, ihre Heimatstadt: Fern zog ein weißes Wölkchen in den hellblauen Himmel, der heute ganz unendlich, fröhlich stimmend, feierlich und hoch war. Und drunten leuchtete die goldene Stadt!(644)Czibulka erzählt etwas altertümelnd, im Ton eines heiteren Conferenciers eine Anekdote aus Haydns Musikerleben und die Liebesgeschichte zwischen einer schönen Bürgertöchter und einem Kavallerieleutnant Maria Theresias, zu der schließlich auch die Kaiserin ihr Ja-Wort gibt. Der Krieg wird dabei zu einem netten Abenteuer verniedlicht: Machten einander das Leben schwer, die Reiter des Königs und der Kaiserin. Aber Rabenau liebte dieses Leben, dieses Reiten und Jagen, Trompetenschall und das helle Wirbeln der Pauken, den Kampfruf der Reiter, den Hufschlag der Rosse, das Klirren des Stahls. (645)Sämtliche Ereignisse, die über private Sphäre hinausgehen, können bei Czibulka nicht zum Problem werden, sie werden einfach ausgeblendet. Der gottfröhliche Menschenfreund, der pietistische Pfarrer Flattich, in Schwarz' Roman wird zwar von Steuern und Krieg bedroht, kann diese Probleme jedoch durch munteres Gottvertrauen, kluges Wirtschaften und die Einsicht seines Landesherrn bewältigen. Auch Schwarz bemüht sich um eine gefühlvolle, heitere und altertümliche Sprache. Am weitesten geht dabei Franck in seiner Bachnovelle, die in einem umständlichen und gefühlvollen Barockdeutsch geschrieben ist. Diese unpolitischen, rein auf Unterhaltung abzielenden, historischen Romane decken sich mit den Bemühungen des Regimes die Bevölkerung durch leichte Unterhaltung von der Realität des Krieges abzulenken (646). Siegfried Kracauer bemerkt zu derartig gemütvoller Unterhaltungsliteratur: Das Gefühl ist alles, wenn alles andere fehlt. Es vermensch licht die Tragik, ohne sie aufzuheben, und nebelt die Kritik ein, die der Konservierung überalterter Gehalte gefährlich werden könnte.(647)Geschichte wird zum Spielraum der kleinbürgerlichen Idylle. Abseits der bedeutenden historischen Ereignisse wird der Biedermeier ins 18.Jahrhundert transportiert. Die totale Abwendung von gegenwärtigen Problemen, die gewollte Distanz zur Realität, führt formal und stilistisch zu Imitationen der neuromantischen Literatur um die Jahrhundertwende. In Entwicklungsromanen, Liebesromanen und Novellen versuchen sich die Autoren ganz auf die "kleinen", persönlichen Sorgen ihrer Protagonisten zu konzentrieren. Der einzig bedeutende Unterschied ist, daß jetzt das Mittelalter als historischer Hintergrund aufgegeben werden muß, da es schon zu sehr mit zeitgenössischer Ideologie überfrachtet ist. Im Gegensatz dazu hat sich der nationalsozialistische historische Roman nach Kriegsbeginn endgültig zum statischen Führerepos entwickelt. Bluncks Romane können durchaus als richtungsweisend angesehen werden. Jelusich und Schmückle verherrlichen an einzelnen historischen Höhepunkten den imperalistischen Führerstaat, wobei dem mittelalterlichen Reich der Staufer immer eine Vorbildfunktion zukommt. Die Romane konzentrieren sich ganz auf den Führertypus, der dabei völlig seine Indivualität verliert und ganz zum Werkzeug des Schicksals wird. Das Volk und die übrigen Beteiligten verkommen dabei zu Statisten, zu Material, dessen Wert nur durch seine Beziehung zum Führer bestimmt wird. Am Beispiel von Vaters "Herr Heinrich" kann man eine leichte Kritik von völkischer Seite an manchen Erscheinungsformen des Dritten Reichs erkennen. Sie richtet sich vor allem gegen die zunehmende Zentralisierung der Macht und den über die völkisch-nationalen Grenzen hinausgehenden Reichsbegriff. Allen diesen Romanen ist aber die sakrale Sprache, Führerverehrung und Typisierung und eine statische Darstellung des Protagonisten und der Geschichte gemeinsam. Dadurch hat diese Literatur sowohl die eigentliche Romanform aufgegeben, wie auch den letzten Rest an historischem Bewußtsein. Die Romane von Gierer und Leip weichen dagegen den historischen Höhepunkten geradezu aus und zeigen statt dessen Niedergang und Zerfall. Dabei wird die verengende und statische Darstellung großer, heroischer Personen und Ereignisse ersetzt durch die Entwicklung relativ druchschnittlicher Familien, deren letzte Glieder sich den immer stärker werdenden politischen Systemen nur noch als Einzelgänger entziehen können. Man kann hier darauf verweisen, daß Bergengruen 1940, mit seinem Roman "Am Himmel wie auf Erden" den Sprung von der Renaissanceparabel zur preußischen Geschichte gemacht hat und an ihr gerade die Notwendigkeit des Staates vorführt. Sein Individualist - Carion - gibt am Ende des Romans seine Emigrationspläne auf und stellt sich dem System zur Verfügung. IV.9. Tendenz und WirkungVon den zwischen 1933 und 1945 erschienenen historischen Romanen können 54 aufgrund ihrer Publikumswirksamkeit dazu herangezogen werden, Aussagen über eine allgemeine Tendenz des Genres zu liefern. Zehn Romane davon kann man als typisch nationalsozialistisch bezeichnen, während jeweils ungefähr genausoviel auf die ideologischen Untergruppen, die völkische Blut- und Boden-Ideologie - zehn - und den militanten Nationalismus - elf -, entfallen. In acht Romanen wird ein meist religiöser Konservatismus vertreten, der sich, obwohl er zum Teil gegen das System gerichtet ist, eher systemstabilisierend auswirkt. Ein ausgeprägtes Obrigkeitsdenken und vor allem die, dem nationalsozialistischen Imperialismus genehme, Abendlandideologie ermöglichen diese Rezeption. Fast völlig frei NS-Ideologemen sind immerhin 15 Romane, sie besitzen von einem nationalsozialistischen Standpunkt aus bestenfalls Unterhaltungswert, indem sie sich dem allgemeinen Interesse an der Vergangenheit anschließen. Von diesen elf Romanen wird in einem halben Dutzend eine versteckte, aber zum Teil grundsätzliche Kritik an den herrschenden Zuständen geübt. Diese Kritik wird immer von einer bürgerlich-humanistischen, meist christlichen Position aus vorgenommen, sie richtet sich gegen den brutalen Heroismus, die Unterdrückung im eigenen Land und die kriegerischen Expansion.Dieses Verhältnis ändert sich stark zugunsten der herrschenden Ideologie, wenn man nur die Romane auswählt, die schon bis 1945 eine Auflagenhöhe von mindestens 50 000 erreicht haben. Unter den verbleibenden 35 Romanen verbessern die nationalsozialistischen mit acht, die völkischen mit acht und vor allem die dem militanten Nationalismus zuzurechnenden historischen Romane mit zehn ihren Anteil. Der Anteil der verwendbaren konservativen Romane bleibt mit vier Titeln gleich, während nur noch fünf der erfolgreichen historischen Romane frei von NS-Ideologemen sind, wobei nur in Langewiesches "Königin der Meere" versteckte, aber deutliche Kritik am System geübt wird. Diese deutliche Veränderung zugunsten systemkonformen Romane ist gewiß ein Ergebnis der NS-Literaturpolitik, da die entfallenen Romane dann nach 1945 die entsprechenden Auflagenhöhen erreichen. Ganz verschwunden sind die preußisch-konservativen Romane, in der Tradition Ganghofers oder Schreckenbachs. Selbst Autoren, die einen patriarchalischen Obrigkeitsstaat propagieren, verraten, entweder wie Klepper und Bergengruen mit der Beschreibung von Führerfiguren oder Bäumer und Le Fort mit ihrer Reichsmystik, den Einfluß neuerer Ideologien. Die Romane, die weiterhin an einem patriarchalischen Gesellschaftssystem festzuhalten versuchen, sind meist bestimmt durch das Scheitern der Helden(648). Intakte patriarchalische Systeme sind nur noch mit literarisch völlig antiquierten Formen und im totalen Rückzug ins Private darstellbar, wobei auf Geschichte und Bezug zur Realität verzichtet werden muß. Eine starke Veränderung zeigt sich auch auf dem Gebiet der, in der Weimarer Republik sehr beliebten, religiös-innerlichen Romane. Der Rückzug in mythischen Bereiche der Seele, wie zum Beispiel bei Scholz, ViesÜr, Diehl und Hesse ist nur noch als Ausnahme möglich. Ansonsten werden Mythos und Religion politisiert. In den Romanen von Klepper, Bergengruen und Seidel wird das Christentum in den Dienst von Staat und Obrigkeit genommen, bei Beumelburg, Gmelin und Kolbenheyer dient es der Illustration nationalistischer und völkischer Trivialmythen, während es für Autoren wie Le Fort, Schneider und Weismantel zur letzten Bastion gegenüber einem totalitären und inhumanen System wird. Die Tendenz der nach 1933 erschienenen historischen Romane wird noch durch die Neuauflagen älterer Romane bestätigt und verstärkt. Unter diesen 34 Romanen machen völkische Blut- und Boden-Romane mit sechszehn Titeln den größten Teil aus, fünf kann man den militanten Nationalismus zurechnen und zwei kann man als nationalsozialistisch bezeichnen. In acht Romanen dominiert konservativ-monarchistisches Gedankengut und nur in dreien wird, meist von christlicher Seite, eine humanistische Position bezogen. Das starke Übergewicht der völkischen Romane erklärt sich mit deren langer Tradition. Von den vier meistverkauften historischen Romanen, deren Auflagenzahlen selbst die der beliebtesten nationalsozialistischen historischen Romane weit hinter sich lassen, sind zwei Vertreter der völkischen Blut- und Boden-Ideologie, während in zweien ein heroisch-nihilistisches Kriegertum propagiert wird, was sie zu Vorläufern des militanten Nationalismus macht(649). Daß Antisemitismus kein ausreichendes Kriterium zum Bestimmung nationalsozialistischer Literatur sein kann, wird durch die untersuchten historischen Romane besonders deutlich (650). Positive Judendarstellungen entfallen nun zwar vollständig, antisemitische Anspielungen finden sich jedoch nur in vier erfolgreicheren Romanen, wovon allerdings nur Jelusichs "Traum vom Reich" zur Rassenhetze übergeht(651). Jelusich hat aber schon 1934 in seinem Roman "Hannibal" einen semitischen Führer verherrlicht; der Führerkult ist auch ihm wichtiger als die Rassenlehre. Betrachtet man, einschließlich der Neuauflagen, die 69 während des Dritten Reichs meistverkauften historischen Romane, so wird der überwältigende Erfolg der NS-Literaturpolitik erkennbar (652); mehr als zwei Drittel - 49 - kann man dem Nationalsozialismus direkt oder seinen ideologischen Untergruppen zurechnen, fünfzehn vertreten einen Konservatismus, der fast immer ohne Schwierigkeiten vereinnahmt werden kann, und nur in fünfen ist eine bürgerlich-humanistische Position erkennbar, die zwar nicht im Interesse des Systems sein kann. die aber auch als eine Art neuromantischer Geschichtsbetrachtung rezipiert werden kann (653). Die Anpassung des einst von neuromantischer Gegenwartsflucht, wilhelminischen Obrigkeitsdenken und völkischen Mittelstandsutopien bestimmten Genres an die Bedürfnisse des Propagandaapparates erfolgt allerdings nicht durch Wiederholung von bereits Vorhandenem, sondern macht grundlegende Veränderungen notwendig. So wie die religiöse Innerlichkeit in rassistische Mythen und das patriarchalische Idyll zum militaristischen Führerstaat verändert wird, verliert auch das völkische Mittelstandsmodell an Boden gegenüber den totalitären Staatsvorstellungen nationalrevolutionärer oder nationalsozialistischer Prägung. In der nationalsozialistischen Rezeption kämpfen Dahns Goten und Löns' Heidebauern nicht für eine Kleinbürgeridylle, sondern bieten sich als ausgezeichnetes soldatisches Material an. Die innerhalb des Genres postulierten "ewigen Werte" werden dabei zu leeren Schablonen, die der Ausrichtung des Lesers auf die gegenwärtigen Ziele des Staates dienen. © Frank Westenfelder
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