III.1.DER HISTORISCHE ROMAN ZUR ZEIT DER WEIMARER REPUBLIKDer Weltkrieg und die folgenden Revolutionen verbunden mit dem Verlust der alten Ordnung verändern für die bürgerlichen Autoren und ihre Leser vollständig die sozialen und politischen Orientierungsmuster. Damit ändert sich nicht nur der Kontext, in dem der historische Roman als Parabel gedeutet wird, sondern auch das Verhältnis zur Geschichte. Die Flut der Veränderungen beginnt mit dem Krieg 1914. Er scheint die Lösung aller Probleme zu sein,die längst überfälligen Reformen können verschoben werden, und selbst die bislang am Kulturpessimismus festhaltenden Kreise schließen sich fast vollständig der allgemeinen Aufbruchstimmung an. Das bedeutendste Erlebnis ist aber das scheinbar spontane Entstehen der Volksgemeinschaft aus der vorher in Parteien und Interessengruppen zerpaltenen Nation. Wilhelm II. will nur noch Deutsche und keine Parteien mehr sehen, die Katholiken können endlich ihre vaterländische Gesinnung beweisen(1), und selbst die SPD stimmt in ihrer Mehrheit den Kriegskrediten zu: "Überhaupt soll der Weltkrieg als das große befreiende Erlebnis gelten, das alles Getrennte wieder zur lebendigen Einheit zusammengeschmolzen habe" (2). Die idealisierte Volksgemeinschaft wird zu einer Formel, die man ganz bewußt den individualistisch-materialistischen Ideen der Französischen Revolution entgegensetzt(3). Der von den völkischnationalen Theoretikern immer wieder propagierte Zusammenschluß des Volkes gegen den äußeren Feind hat in einem unerwarteten Ausmaß funktioniert, so daß die bewährte Methode der Integration über Feindbilder nun endgültig zu einem Grundmuster für Problemlösungen wird.Der Krieg verspricht nicht nur Industrie und Landwirtschaft Expansion und den demokratischen Parteien das Wahlrecht; er gibt auch dem in seiner sozialen Stellung bedrohten Bürgertum in ungeahntem Maße die Möglichkeit zur Integration und sozialem Aufstieg. Vor dem Krieg besteht das Offizierskorps aus 22 112 aktiven Offizieren und 29 230 Reserveoffizieren, dem "Ersatzadel" des Bürgertums. Bis Kriegsende sind über die Hälfte der aktiven Offiziere (11 357) gefallen. Diese hohen Verluste und die Vergrößerung des Heeres führen zu einem enormen Bedarf an jungen Offizieren, der fast ausschließlich aus dem Bürgertum gedeckt wird. Während des Krieges bildet man über 200 000 junge Offiziere aus(4). Es handelt sich zwar vorwiegend um untere Offiziersdienstgrade, doch der nächste Krieg zeigt, daß diese Karrieren fortzusetzen sind(5). Im Krieg scheint sich eine dynamische Leistungsgesellschaft abzuzeichnen, in der der Adel nicht mehr in der Lage ist, seiner Führungsrolle gerecht zu werden. Das Versagen Wilhelm II., der vom eigenen Generalstab nicht ernstgenommen wird(6), trägt dazu bei, das Ansehen des Adels weiter zu untergraben. Dagegen entwickeln die jungen, oft durch persönlichen Einsatz beförderten Frontoffiziere ein neues Elitebewußtsein. Die nationalistische Weltkriegsliteratur beschwört neben diesem Elitebewußtsein, zwar auch die Volksgemeinschaft im Schützengraben, wo Student, Arbeiter und Bauer gleichermaßen zusammensaßen. Daß aber nur der Student Offizier werden konnte, wird nicht reflektiert,denn dies hätte das neue Elitebewußtsein relativiert. Die Ursache des sozialen Aufstiegs wäre dann auf die Klassenzugehörigkeit reduziert worden und hätte nicht mehr die eigene Auserwähltheit bestätigt. An der Unfähigkeit der alten Führungsschicht und der idealistischen Orientierung der Aufsteiger, die eine rationale Analyse des Krieges weitgehend verhindert, liegt es, daß die modernen Entwicklungen des Krieges zum Großteil ignoriert werden(7). Ludendorff versucht noch nach dem Krieg, seine Versäumnisse bei der Einführung der Panzerwaffe auf anachronistische Weise zu rechtfertigen: "Die beste Waffe gegen den Tank waren die Nerven, Mannszucht und Unerschrockenheit"(8). Der an konservativen Wertvorstellungen und einem überholten Gesellschaftbild festhaltende preußisch-deutsche Adel wird von dem rasanten Modernisierungsprozeß des Krieges einfach überrollt: " Zu den grundsätzlichen Erkenntnissen, wie sie <...> Lloyd George gewann, daß der Weltkrieg als Waffengang ein `engineers war' sei, fehlten der deutschen Führung alle Voraussetzungen"(9). Die deutsche Führung verrät hier einen antiquierten, individualistischen Heroismus, wie er in den wilhelminischen historischen Romanen üblich ist. Ob die neuen Erfahrungen zu neuen Einsichten führen und damit zu neuen literarischen Darstellungsformen verdient ganz besondere Beachtung. Selbst Ernst Jünger, einer der geistigen Führer der neuen Aufsteigergeneration, feiert den Krieg zunächst noch als Rückkehr zu atavistischen Lebensformen, erst später "erscheint der Krieg als Akt der Modernität"(10). Zwar verstärkt der Krieg die Bedeutung von Großstadt und Industrie, doch die Bevölkerung hat vor allem unter den negativen Auswirkungen auf die Landwirtschaft zu leiden. Das Abziehen von Arbeitskräften - Männer, Frauen, Pferde - für Krieg und industrielle Produktion verursacht einen starken Produktionsrückgang in der Landwirtschaft, was zusammen mit der englischen Blockade zu schweren Hungersnöten führt(11). Während so die Landwirtschaft, wenigstens im Bewußtsein der hungernden Menschen, an Bedeutung gewinnt, gelten die Städte nach den ersten großen Streiks 1917 in Berlin und Leipzig als Keimzellen von Revolution und Umsturz. Der Weltkrieg scheint außerdem Deutschlands Situation als "Land der Mitte", sowohl in strategischer wie in geistiger Hinsicht, zu bestätigen. Diese Ideen waren schon im Kaiserreich aufgrund der politischen Isolation entwickelt worden. Die westlich-kapitalistische Demokratie sah man vor allem in England verkörpert, das jetzt hinter Frankreich zurücktritt. Rußland erscheint als "gelbe Gefahr", gegen die das Abendland unter der Führung des Reichs verteidigt werden muß. Die großen Gebietsverluste im Westen und im Osten durch den Versailler Vertrag, die Unterstützung des Separatismus im Saargebiet und im Rheinland durch Frankreich und die erfolgreiche russische Revolution verstärken nach 1918 noch die Vorstellungen von der bedrohten Mittelstellung Deutschlands. Während nach dem Krieg die SPD und die Gewerkschaften einen enormen Machtzuwachs verzeichnen können, und die Großindustrie riesige Kriegsgewinne gemacht hat, hat sich die Situation des bedrängten Mittelstandes weiter verschlechtert. "Land der Mitte" ist nicht nur geographisch zu verstehen, es bezeichnet auch den nationalkonservativen Mittelstand, der seine Forderungen zur Wiederherstellung alter Privilegien idealistisch verbrämt(12). Den Feinden in Ost und West scheinen auch die gesellschaftlichen Kräfte zu entsprechen, von denen sich der Konservative im eigenen Land bedroht sieht: kapitalistische Demokratie und sozialistische Revolution. Eine weitere Folge des verlorenen Weltkrieges sind Heroismus und Todeskult. Das ganze Volk und besonders die jungen Kriegsfreiwilligen werden durch die unerhoffte Niederlage mit der ganzen Sinnlosigkeit ihrer Opfer konfrontiert, was ein pseudoreligiösen Gefallenenkult kompensieren soll: "Der Gefallenenkult ist nur vor dem Hintergrund dieser Kriegsbegeisterung zu verstehen, denn die Kriegsfreiwilligen hielten sich für eine gottgeweihte Elite"(13). Wollte man mit der Vergangenheit nicht bedingungslos abrechnen, mußte man den Opfertod zum absoluten Wert erheben, ihn in religiöse Bereiche entrücken. Greiffenhagen erläutert diese "konservative Theorie des Opfers", die schon Ende des 19.Jahrhunderts fordert, sich Ziele zu suchen, für die es sich zu kämpfen lohnt, bis im 1. Weltkrieg das Opfer selbst zum höchsten Wert wird(14). Der sich in Kriegerdenkmälern und Heldenhainen manifestierende Gefallenenkult heiligt das Opfer in Fortsetzung säkularisierter christlicher Traditionen(15). Die Volksgemeinschaft zwischen den Lebenden und den Toten wird beschworen; die Toten leben durch ihr Opfer im Volk weiter. Diese Verherrlichung von Kampf und Opfer führt, trotz aller christlichen Verbrämung, zur Aufgabe der christlich-humanistischen Tradition und damit zu einer "Brutalisierung des Bewußtseins"(16). Erst durch den für Deutschland katastrophalen Ausgang des Weltkrieges scheitert der zuvor völlig auf Expansion festgelegte mechanistische Fortschrittsglaube. Der von der Kulturkritik um die Jahrhundertwende entwickelte Kultur- und Geschichtspessimismus findet eine breite Basis und kann sich durchsetzen(17). Man kann wohl annehmen, daß Spenglers "Der Untergang des Abendlandes" ohne die Niederlage von 1918 das Werk eines Sektierers geblieben wäre, so aber wird Spengler zum "Ideologen eines kulturpessimistischen Bürgertums"(18), und das von ihm zur Mahnung propagierte zyklisch-organische Geschichtsbild beeinflußt die gesamte Weimarer Rechte und formuliert ihre wesentlichen ideologischen Grundlagen. Spenglers Geschichtsbild ist im wesentlichen von Nietzsches Vorstellung von der "Wiederkehr des Ewiggleichen" beeinflußt (19), denn er interpretiert Geschichte als ein organisches Werden und Vergehen von Kulturen. Eine wesentliche Grundlage dieser Gedanken und deren Popularität sind Altertumsforschung und Archäologie des 19.Jahrhunderts, die den bekannten Kulturen der Griechen und Römer noch die Entdeckung des alten Ägyptens, Trojas und des Zweistromlandes hinzufügen. Durch den Kolonialismus werden die vergessenen, teilweise vom Dschungel begrabenen Städte in Hinterindien, Mittel- und Südamerika neu entdeckt. Ein Zeichen der davon ausgehenden Faszination sind die beliebten Kolonialromane von Rider Haggard, Edgar Wallace und Edgar R. Burroughs, in denen die Entdeckung versunkener Kulturen oder Städte ein beliebtes Motiv ist. Mythisch fasziniert vom untergehenden Aztekenreich ist auch Eduard Stucken in seinem Roman "Die weißen Götter"(1918). Der um die Jahrhundertwende in den Städten konstatierte und als bedrohlich empfundene Geburtenrückgang, verbunden mit Kultur- und Zivilisationskritik, legt es nahe, in der selbst so empfundenen Dekadenz eine Vorstufe des Verfalls zu sehen. So hatte Spengler sein Buch schon bis 1912 konzipiert, um vor der verhängnisvollen Entwicklung zu warnen. Er definiert "Weltgeschichte" als "Stadtgeschichte": Jede Entwicklung, die gleichzeitig eine Entwicklung hin zum Untergang sein soll, finde in den Städten statt. Der Bauer dagegen sei "geschichtslos": Der Bauer ist der ewige Mensch, unabhängig von aller Kultur, die in den Städten nistet. Er geht ihr vorauf, er überlebt sie, dumpf und von Geschlecht zu Geschlecht sich fortzeugend, auf erdverbundene Berufe und Fähigkeiten beschränkt, eine mystische Seele, ein trockener, am Praktischen haftender Verstand, der Ausgang und die immer fliessende Quelle des Blutes, das in den Städten die Weltgeschichte macht.(20)Die Stadt wird zur Weltstadt, wie Babylon oder Rom, und verbraucht immer mehr die Lebenskraft des umliegenden Landes, sie wird zum Moloch: Nun saugt die Riesenstadt das Land aus, unersättlich, immer neue Ströme von Menschen fordernd und verschlingend, bis sie inmitten einer kaum noch bevölkerten Wüste ermattet und stirbt.(21)Die konsequente Anwendung dieses Denkmodells scheint zur Apathie gegenüber jeglichem politischen Engagement führen, da ja doch alles seinen Weg in den Abgrund geht. Doch meistens führen diese Gedanken gerade nicht zur Gleichgültigkeit. Vor allem die völkischen Gruppen hetzen gegen den Moloch Stadt und preisen ein "gesundes" Bauerntum als Rettung. Im zyklischen Weltbild wird historische Entwicklung durch und durch negativ aufgefaßt; man kann sich bestenfalls mit Hilfe des von ihr unberührten Bauernstandes vor ihr retten. Eine Nation nimmt ihre Kraft nicht aus ihrem fortschrittlichen Staatsmodell oder ihrer leistungsfähigen Wirtschaft, sondern aus der biologischen Substanz ihres Volkes, die trivial als "Blut" bezeichnet wird. Die Rückständigkeit Deutschlands kann so umgedeutet werden zu einem Zeichen seiner Jugendlichkeit, seiner Vitalität. Aus dieser postulierten Stärke leitet man ein "Recht der jungen Völker"(22) auf Expansion ab. Das organische Geschichtsbild ist auch eine Reaktion auf die Theorielosigkeit des Historismus, denn es scheint erstmals Ordnung in die bislang waltenden Geschichtsmächte zu bringen. Dem historischen Prozeß wird eine Bestimmung zugrundegelegt(23); der einzelne Mensch kann dieses Schicksal nur erahnen und heroisch akzeptieren. Das heroische Geschichtsverständnis geht zwar auf die im Kaiserreich beliebte Methode zurück, Geschichte als die Geschichte großer Männer und Taten zu schreiben(24), geht aber in seiner Radikalität weit darüber hinaus. Obwohl es in der Weimarer Republik Bemühungen gibt, dieser Tendenz entgegen zu wirken(25), verstärkt der mystisch verklärte Heroismus des Weltkrieges dieses Geschichtsverständis enorm. Kriegerische Erlebnisse und das vergebliche und allein schon deshalb heroische Ringen um Deutschlands Bestimmung dominieren das Geschichtsbild der Weimarer Republik. Als ersehnter Höhepunkt der deutschen Geschichte gilt die Verwirklichung des Reichs. In dieser nebulösen Utopie vermischen sich eschatologische Geschichtsvorstellungen, romantische Sehnsüchte, imperialistische Großmachtträume und mittelständische Ständestaatsideen: Ständisches Modell und Reichsidee waren im Grunde Ausfluß eines zyklischen Geschichtsbildes, welches grundlegende Veränderungen nicht zuließ, da es in ihm galt, das Alte, ewig wahre, das in Deutschland zeitweise verschüttet war, wieder ins Tageslicht zu holen und weiterhin vor dem Walten "geschichtlichen Unholdentums" zu schützen.(26)Der Weg zum Reich muß von wenigen Führern gewiesen und erkämpft werden, denn weder Volk noch Ökonomie können geschichtsmächtig werden ohne die von Schicksal erwählten Führer: "Sie gerieten in quasi Hegelscher Kultivierung zu Geschäftsführern des Weltgeistes"(27). III.2. Revolution und Verlust der OrdnungFür die Konservativen aller Couleur liegen die Ursachen der militärischen Niederlage nicht in Fehlern der alten Führungsschicht, sondern im erneuten Aufbrechen der alten Klassen- und Parteiengegensätze. Erst dieser Egoismus der einzelnen Interessengruppen führte angeblich zur Revolution und damit zur Niederlage im Krieg. Uneinigkeit und Revolutionsangst sind dann auch zentrale Themen der in den ersten Jahren der Weimarer Republik erscheinenden historischen Romane. Paul Schreckenbach beschreibt in direkter Analogie zur Weltkriegssituation diese ewige Drama der deutschen Uneinigkeit in seinem Roman "Das Recht des Kaisers"(1922). Der Sohn Heinrich des Löwen belauscht ein Gespräch, das die Schwester des dänischen Königs mit ihrem Liebhaber führt:"Die Deutschen sind das dümmste aller Völker, und die deutschen Fürsten sind eigentlich allesamt ehrlose Gesellen. <...> Denn sie sind allzumal Rebellen gegen ihren Herrn, den Kaiser, heute der eine, morgen der andere."Der schweizer Autor Heinrich Federer schreibt vornehmlich christliche Legenden um Heilige, den Knaben Jesus und Mutter Maria, nur in seinem "Fürchtemacher"(1919) zeigt er die Lösung einer revolutionären Situation, allerdings auch in der altertümlichen Form der Heiligenlegende. Im Konflikt zwischen schweizer Bauern und städtischem Patriziat schürt der Teufel, der Fürchtemacher, höchst persönlich die Klassengegensätze, aber der heilige Nikolaus von Flüe vermittelt zwischen der "weißen Herrenpartei" und den "Roten oder Bäuerischen"(29). Einer der Bauernführer wird nach ehrlicher Reue enthauptet; sein in den Schnee vergossenes Blut erweicht die Herzen der Herren, und sie beschließen daraufhin mildere Gesetze(30). Zum Schluß bereut auch der Haupträdels- führer: Er wollte "nach dem Herrentöter selber Herr werden"(31). Im Gegensatz zu den nationalistischen oder völkischen Autoren verzichtet der Katholik Federer auf aggressiven Heroismus. Die ständische Ordnung ist allerdings für ihn gottgewollt und jeder Aufruhr ein Werk des Teufels, vorkommende Ungerechtigkeiten können nur durch ein mitleiderregendes Opfer oder die Vermittlung einer kirchlichen Instanz beseitigt werden. Die revolutionären Unruhen der ersten Jahre der Weimarer Republik und die Erfolge der Roten Armee halten die Furcht des Bürgertums vor Umstürzen wach. Zur Darstellung der Revolutionsproblematik im historischen Roman erweist sich der deutsche Bauernkrieg als besonders geeignet. Für die Zeit nach 1918 ist ein flutartiges Anschwellen der Bauernkriegsliteratur festzustellen(32). Da es im historischen Roman nach wie vor üblich ist, auch Massenbewegungen auf große Führer zu reduzieren, werden zwei historische Figuren zu Gegensätzen des politischen Gegenwartsinteresses hochstilisiert: Thomas Münzer und Florian Geyer(33). Florian Geyer gilt seit Hauptmanns gleichnamigen Drama von 1896 als idealistischer Führer der geknechteten Bauern. Seine adlige Herkunft und die Tatsache, daß er mit seiner schwarzen Schar über die einzige disziplinierte und militärisch tüchtige Truppe der Bauern verfügt hat, erleichtern in bürgerlichen Kreisen seine Anerkennung als tragischer Held. In der Literatur der Weimarer Republik wird er zum Kämpfer gegen die Selbstsucht der Fürsten und für ein einiges, ständisches Reich(34). Doch direkt nach 1918 dominiert noch die Angst vor der Revolution, das Interesse sie ideologisch selbst zu benutzen entsteht auf konservativer Seite erst nach dem gescheiterten Kapp-Putsch; danach erscheinen auch wieder historische Romane um Florian Geyer(35), der zunächst zum Vorbild der Nationalrevolutionäre wird, um dann im Zweiten Weltkrieg zum Namenspatron einer SS-Division aufzusteigen. Dagegen sind "Münzer" und "Mühlhäuser Schwarmgeister" Schlagworte, mit denen schon im Kaiserreich Arbeiterbewegung und Streiks als "revolutionäre Entartung" kritisiert wurden. Nach der Novemberrevolution macht man sie zu Vertretern von Rätesystem und radikalem Sozialismus(36). Die konservativen Autoren suchen die Schuld an den Unruhen nicht nur beim Volk oder den Aufrührern, sondern auch bei der Herrschaft. Eine Erzählung von 1924 bringt dies zum Ausdruck: Es wird hohe Zeit, höchste Zeit, daß wir alle, die wir doch des Volkes Haupt und Hirn sein wollen,ein Einsehen haben und und es also führen, daß es gerecht und verständig bleiben mag - sonst ist allzu gewiß, daß einmal andere kommen, die nicht so sanft die Flöte blasen wie das Pfeiferlein tat, und es wird ein übles Tanzen werden, niemand zu Nutze und allen zum Verderben(37).Als Lösung wird nicht eine demokratische Machtbeteiligung des Volkes gefordert, sondern eine "gute", patriarchalische Herrschaft nach dem Muster von Bismarcks Sozialgesetzgebung. Trotzdem klingt Kritik am Adel an, der in seiner Führungsfunktion versagt habe. Die Hilflosigkeit des konservativen Bürgers verrät sich vor allem dadurch, daß der Adelsherrschaft nichts Eigenständiges entgegengesetzt werden kann und man sich deshalb auf die Forderung nach moralischer Besserung beschränken muß. Die Flucht des Kaisers und der totale Rückzug der Fürsten in der Krise lassen in konservativen Kreisen das Gefühl aufkommen, im Stich gelassen worden zu sein. Hans Franck stellt die Frage nach dem echten Adel der Fürsten: Wieviele aber von diesen Hunderten und Aberhunderten haben solchen Gottesgnadenglauben durch das Siegel eindeutiger Taten bekräftigt? Haben, wenn der Sturm des Aufruhrs ihren morschen Thron umstieß, wenn die Brandfackel des Krieges sie aus ihrem Schloß, ihrer Hauptstadt, ihrem Land vertrieb, angeborenes, von ihnen untrennbares Übermenschentum nicht abgelegt wie einen aus der Mode geratenen Mantel, einen verschlissenen Rock, ein Nessusgewand, das ihr bißchen allermenschlichstes Leben gefährdete?(38)Franck hält diesen Fürsten das Beispiel von Friedrich August von Anhalt-Zerbst entgegen, der im Siebenjährigen Krieg sein Land verläßt, weil er sich gegen die Großmacht Preußen nicht durchsetzen kann, und nach der Enthauptung Ludwigs XVI. bis zum Tod die Nahrungsaufnahme verweigert. Er beweist so "sein wahrhaftes, sein blutgeborenes Herrschertum"(39). Die Thematisierung sozialer Konflikte im historischen Roman ist zu Anfang der Weimarer Republik noch eine Domäne älterer wilhelminischer Autoren, die immer wieder auf die bekannten autoritär patriarchalischen Lösungen zurückgreifen. Die erfolgreichsten Romane sind Ludwig Diehls "Suso"(1921), Paul Schreckenbachs "Michael Meyenburg" und "Wildefüer"(beide 1919) und, eine Sonderstellung einnehmend, Walter Bloems "Gottesferne"(1920). Diehls Roman um den Mystiker Heinrich von Seuse handelt zwar in erster Linie von deutscher Seelentiefe und Innerlichkeit(40), beschreibt aber auch eine Revolte der Konstanzer Bürger gegen das städtische Patriziat. Den Aufstand führt der Stadthauptmann Burgtor; aus "armer, niedriger Familie" hat er sich emporgearbeitet und möchte nun noch höher steigen: "wie viele Strebsame und Tüchtige gibt's aber, die ihr ganzes Leben lang in ihrer Niedrigkeit bleiben müssen, der Hohen wegen"(41). Die Patrizier werden vertrieben, aber der neue Stadtrat, mit Burgtor als Bürgermeister, scheitert an der Selbstsucht und Unfähigkeit der Bürger. So muß man am Ende den Adel reumütig zur Rückkehr bewegen. Schreckenbach beschreibt in "Michael Meyenburg" und "Wildefüer" zwei Machtmenschen, die die Politik ihrer Stadt maßgeblich beinflussen. Der katholische Ratsherr Michael Meyenburg wird durch Luthers Standhaftigkeit in Worms zum Protestantismus bekehrt. Unter seinem Einfluß verbreitet sich die neue Lehre schnell in seiner Heimatstadt Nordhausen. Meyenburg kämpft gegen die "Mühlhäuser Schwarmgeister"(42) im Innern und verteidigt den Protestantismus gegen den Kaiser nach außen und bestimmt so als autoritärer Patriarch maßgeblich das Geschick von Nordhausen. Ein ähnlicher Patriarch ist Wildefüer, der Bürgermeister von Hildesheim. Er hält gegen den Willen der Bevölkerung am katholischen Glauben fest. Er stemmt sich gegen die neue Religion und unterdrückt dabei Stadt und Familie. Erst dem Lutheraner Christof von Hagen gelingt es, Wildefüer durch einen Volksaufstand zu entmachten. Doch auch er beabsichtigt nicht eine Machtbeteiligung des Volkes: "Jetzt, schon wenige Wochen nach dem Aufstande, machte er die bittere Erfahrung, daß jeder, der seine Macht dem Volke verdankt, bald nach der Pfeife des Volkes tanzen muß"(43). Bei Schreckenbach ist das Volk immer egoistisch und kurzsichtig; zur Regierung bedarf es deshalb des vorausschauenden und selbstlosen Führers, den Schreckenbach schon 1911 mit seinem "König von Rothenburg" beschrieben hat. Selbst der reaktionäre Katholik Wildefüer steht noch hoch über dem kleinlich-egoistischen Hildesheimer Bürgertum, von dem "mancher weniger das Evangelium als die Besserung seiner äußerlichen Lage im Auge hatte"(44). Weniger diese Ideale als eben dieses Eigeninteresse ist in Bloems Roman " Gottesferne" das wesentliche Handlungsmotiv. Die Würzburger Bürger erheben sich gegen die Herrschaft des Bischofs. Der Kampf überdeckt aber nicht wie gewohnt die Klassengegensätze, sondern bringt sie erst richtig zum Ausbruch. So steht der erste Teil des Romans unter dem Motto "alle Menschen haben recht", was besagt, alle Menschen urteilen aus ihrer Situation heraus. Der zweite Teil des Romans steht unter dem Motto "alle Menschen haben Unrecht"; das spielt auf den Schluß des Romans an, wo die nackte Gewalt siegt und nach Recht nicht mehr gefragt wird. Der Roman weist des öfteren auf die materiellen Grundlagen hin, die zu den Klassengegensätzen führen. Der eigentliche Streit entsteht wegen einer neuen Steuer, die der Bischof einführen will, und gegen die sich das selbstbewußte Bürgertum wehrt: "Wir arbeiten und die anderen vertun bloß"(45).Aber gleichzeitig fürchten die Patrizier, ihre eigenen Privilegien mit dem niederen Volk teilen zu müssen: "Aber immer noch besser des Bischofs Hand als die Faust der Gasse!"(46) Diese Meinung setzt sich jedoch nicht durch; die Patrizier Fritz Schad und Jacob vom Löwen werden zu den Führern des Volkes im Kampf gegen den Bischof. Der Kampf des Bürgertums wird durchaus als etwas Progressives dargestellt, auch der Anspruch auf Machtbeteiligung scheint berechtigt, während die Ritter schon "verstaubte Vergangenheit" sind(47). Die eigentlichen Verräter sind die alten Patrizier, die fast alle zum Feind überlaufen, während ihre Söhne im Kampf für die Stadt fallen(48). Die Rache der Sieger ist grausam: Die Blüte des Bürgertums liegt erschlagen, viele werden hingerichtet oder zu Tode gefoltert, die Hoffnung auf eine positive Entwicklung scheint für Jahrhunderte erstickt. Während der Adel nur noch seine eigenen Ziele verfolgt, halten die aufstrebenden Städte "in Treue zu Reich und Kaiser"(49). Im Bürgertum, "Trägerin der Reichsmacht" gegen den Partikularismus der Fürsten, artikuliert sich das Selbstbewußtsein des liberalen Bürgertums der wilhelminischen Ära, wie schon Buhr mit Bezug auf die Hanseliteratur dieser Zeit festgestellt hat(50). Auffallend ist auch, daß die Bürger unter einer schwarz-rot-goldenen Fahne kämpfen, womit sich Bloem von der üblichen nationalistischen Position entfernt(51). Was Bloems Roman vor allem von anderen konservativ-nationalen Romanen abhebt, ist sein, zumindest teilweise noch vorhandenes, geschichtliches Fortschrittsdenken, das Bekenntnis zu gesellschaftlichem Wandel sowie die relativ wertfreie Beschreibung der Klasseninteressen. Die Herrschaft der Zünfte nach dem Umsturz hat zwar auch verheerende Auswirkungen, aber die Protagonisten bemühen sich weiterhin um eine Verbesserung der Lage, während der verräterische Stadtadel mit dem Bischof konspiriert. Die Führer der Würzburger sind auch keine Schreckenbachschen Übermenschen; erst in der Krise nehmen sie ihre Position ein. Der Weinhändler Fritz Schad wird in der Schlacht zum richtigen Führer: "und er fühlte, wie irgend etwas in ihm emporstieg, das er nie gekannt, von dem er nie gewußt, daß es in ihm schlief"(52). Er ist aber damit nur ein Exponent seines Volkes, denn fast alle Bürger kämpfen heroisch. Aber gerade in Schilderung von Volk, Führer und deren blutsmäßiger Verankerung verrät Bloem seine Nähe zu völkischem Gedankengut. Alle Würzburger sind "ein Stamm trotziger, der Barbarei ihrer Ahnen noch immer nicht ganz entwachsener Germanen, die sich die Franken, die Freien, nannten, unbändig nur dem eigenen Drange gehorchend"(53). Im Gegensatz zu den germanischen Franken werden die Tschechen rassistisch abgewertet; der kaiserliche geheime Rat Borziwoi ist ein besonders verkommenes Exemplar(54). Während Federer, Diehl und Schreckenbach jeden Umsturz zugunsten der alten Obrigkeit ablehnen, scheint Bloem doch zumindest eine Art ständisch-bürgerlicher Herrschaft anzustreben. Der konservative Katholik Federer wählt zur Darstellung seines religiös begründeten Welt- und Herrschaftsmodells die Heiligenlegende, in der das persönliche Mitwirken des Teufels die Fragen nach Recht und Unrecht erübrigt. Diehl und Schreckenbach halten völlig am Muster des Entwicklungsromans fest, konzentrieren die Handlung um ein herausragendes Individuum, das sich dann innerhalb seines Wertesystems verwirklicht. Sie demonstrieren damit eine Weltsicht, die bemüht ist, die Folgen des Weltkrieges zu ignorieren, obwohl die Sturheit, mit der Schreckenbachs Helden an ihrer Überzeugung festhalten, gewisse Auflösungserscheinungen dokumentiert. Im Vergleich dazu beschreibt Bloems Roman eine Katastrophe. Bloem verzichtet auf einen zentralen Helden, die Liebesgeschichte endet, wie auch der bürgerliche Befreiungsversuch, in Unglück und Tod. Das Wissen um Recht und Unrecht hält den materiellen Interessen nicht stand und wird zuletzt mit Gewalt geregelt, wobei sogar der Bischof zur Erkenntnis kommt, daß auch ihm dieses Wissen verlorengegangen ist. Die besonnenen Führer zeichnen sich über weite Strecken durch ihre Hilflosigkeit aus und werden mehr von den Verhältnissen getrieben, als daß sie diese bestimmen. Gerade durch die Darstellung dieser Hilflosigkeit ist Bloems Roman der einzige der untersuchten, der auf den Zusammenbruch von 1918 wirklich reagiert. III.3. Der Mythos von der deutschen SeeleNeben den Erklärungsversuchen sozialer Konflikte wird der historische Roman von einem weiteren Thema beherrscht: dem Versuch die deutsche, idealistische Seele gegen den rationalen, materialistischen Verstand abzusetzen. Die "Abwendung vom Zivilisatorisch-Rationalem" ist allerdings ein derartiges Charakteristikum der Zeit, daß selbst bürgerlich-liberale Autoren davon beeinflußt sind(55). Rein ideengeschichtlich läßt sich dieser Irrationalismus zwar bis zur Romantik zurückverfolgen, hat aber seine wesentlichen Quellen in den kulturkritischen, neuromantischen und völkischen Strömungen um die Jahrhundertwende, wo seine wesentlichen Ideen schon ausgeformt sind. Seine vehemente Wirkung und Radikalisierung nach 1918 erklärt sich sich jedoch nur aus der Niederlage und dem damit verbundenen Wertezerfall, die das konservative Bürgertum zu einer regelrechten "Flucht in den Mythos" veranlassen(56).Im Nachkriegsdeutschland hat der Mythos auch eine enorme Trostfunktion. Die schon im Kaiserreich beim Bildungsbürgertum beliebte Methode, politische Impotenz mit Seelentiefe zu kompensieren, kann jetzt von einer ganzen Nation angewandt werden. Mittels Geist und Seele will man sich noch einmal über die materialistisch-rationalistischen Systeme in Ost und West erheben. Die Gegnerschaft zum Rationalismus gilt als einzige unumstrittene Definition des Konservatismus(57). Das konservative Bürgertum reagiert damit auch auf den schon vorher als bedrückend empfundenen und durch den Weltkrieg noch einmal beschleunigten Modernisierungsprozeß - vor allem auf Urbanisierung, Monopolbildung, Industrialisierung und Säkularisation. Eine der ersten Reaktionen ist ein stark zunehmendes Religionsbedürfnis, das vor allem dem Katholizismus zugute kommt (58). Daneben gewinnen auch jede Menge christlicher Erneuerungsversuche sowie Okkultismus und Spiritismus an Einfluß. Bei der Darstellung deutscher Seelentiefe greift man auch im historischen Roman auf beliebte Vorkriegsmotive zurück: die deutsche Mystik und den Gott- bzw. Gralssucher, in denen sich angeblich der deutsche, rastlose, faustische Geist manifestiert. Nun werden jedoch heroische und nationalistische Aspekte stärker betont. Die Behauptung Rosenbergs: "Meister Eckehart und der graue Held unter dem Stahlhelm sind eins und dasselbe" ist nur die konsequente Fortsetzung dieser Gedanken(59). Wertezerfall und Säkularisation versucht man durch das bewußte Einsetzen von Mythen zu überwinden: "Die Mythosbesessenheit der Konservativen Revolution trägt alle Zeichen einer Religion des Als-ob.<...> so will auch der konservative Revolutionär den Nihilismus durch Glaubensneuschöpfung überwinden"(60). Am wichtigsten wird der Mythos vom Volk und dessen biologischer Substanz, dem Blut. Der Irrationalismus weiß sich nur noch mit pseudo-wissenschaftlichen Prothesen zu behelfen. Die Volksvergötzung wird für weite Kreise zum Religionsersatz(61). Der einzelne löst sich auf, wird zum Teil eines Überorganismus, Glied einer endlosen Ahnenkette, die als Erbanlage in ihm fortlebt. Mit seinem Tod geht das Individuum in der mythischen Volkssubstanz auf. Da Begriffe wie Seele, Mythos und Volk in der Weimarer Republik von den unterschiedlichsten Gruppen benutzt werden, ist es notwendig zu differenzieren. Vor allem ist zu unterscheiden, ob völkisch-nationale Ideen nur religiös verbrämt werden oder ob aus einer neuromantischen Tradition heraus, ein Rückzug in religiösinnerliche Bereiche stattfindet. Typisch für die Anfangsphase der Republik sind die völkisch-nationalen Interpretationen der deutschen Seele, während die bekannteren, eher neuromantischen Romane erst in den späteren Jahren erscheinen(62). Eine Zwischenstellung nimmt Diehls "Suso"(1921) ein. Bei Diehl steht zwar die christliche Religion und das persönliche Leiden und Ringen des mittelaltlerlichen Mystikers Heinrich von Seuse im Vordergrund, es tauchen jedoch auch eindeutig kulturkämpferische Ideen auf(63). Die mystische Seelentiefe gilt als etwas typisch Deutsches, "als doch der Deutsche an reinem seelischen Empfinden, an tiefem Gemüt hoch über allen anderen Völkerschaften der Welt dasteht"(64). Als ein Paradebeispiel des völkischen Seelenromans gilt Erwin Guido Kolbenheyers Paracelsus-Trilogie (1917 - 25)(65). Es interessieren hier besonders zwei Fragen: die nach dem völkischen Gedankengut und die nach der Spannung zwischen Volk und Individuum, wie es der Kernproblematik des Romans entspricht. Kolbenheyer beschreibt mit dem Muster des Bildungsromans das Leben des Arztes Paracelsus zur Reformationszeit. Die Dreigliederung, die das grundlegende formale Prinzip des Romans ist (66), unterstreichen die einleitenden Kapitel der drei Romanteile, in denen die Problematik allegorisierend dargestellt wird. Im ersten, "Einaug und Bettler", trifft der rastlose Wanderer Odin auf der schwäbischen Alb den halbverhungerten, frierenden Christus. Dieser ist der in Dogmen erstarrten, südlichen Religion entwichen, um am aufbrausenden, deutschen Herzen wieder stark zu werden: Mich durstet nach Herzenslaut und Muttersprache. Sie haben mich so tief in das gläserne Latein egraben, daß mir die Auferstehung und die Flucht schwer geworden ist."(67)Odin, der schon lange vor ihm da war, warnt ihn leicht höhnisch vor diesem Volk, "das keine Götter hat und ewig verlangt, den Gott zu schauen"(68); doch er zeigt ihm auch den frischgeborenen Luther und das sich andeutende Aufbrausen der germanischen Seele. Ihr nächstes Treffen leitet den zweiten Teil ein. Odin sucht Christus auf, der inzwischen stark und satt geworden ist am seelischen Hunger der Deutschen. Christus triumphiert, doch Odin sagt ihm, daß der Hunger, der ihn genährt hat, von ihm sei(69). Sie ringen miteinander um das inbrünstige Herz Luthers und trennen sich unentschieden. In der letzten Begegnung, "Requiem", findet Odin den toten Christus in Augsburg nach dem Religionsfrieden. Die Festlegung des Protestantismus auf Lehrsätze hat ihn wieder getötet, und Odin weiß, daß er ein drittes Mal die Kraft zur Auferstehung nicht finden wird(70). Er nimmt den Leichnam und versenkt ihn im ewigen Eis der Alpen. Die Deutschen können keine Götter haben, aber ihn - als die "ewige Sehnsucht"- müssen sie leben, das zeichnet sie als Volk der Mitte vor allen anderen Völkern aus: ittag und Mitternacht, der Abend und der Aufgang gießt seiner Völker Haß und egierde auf dieses Volk der Mitte, das auch das Volk der Blutesmitte ist, da gleichermaßen nentkeimtes Leben,nachdrängend von tausend Geschlechtern her, in ihm selbstverschlossen zur lüte treibt, als weitentfaltet, offenbart schon eine Blütenlast zu Frucht und Samen will. Andere Völker werden rascher alt und klar,folgen ihren toten Göttern ins Nichts. Dieses Volk muß steigen und fallen wie Ebbe und Flut, wie Tal und Gipfel, und es ist kein Fall so tief, daß dieses Volkes Sehnsucht sich nicht höher aus dem Grund erhöbe, als aller Völker Sehnsuchtstraum reicht (71).In Kolbenheyers organischem Geschichtsbild gilt die Reformation als ein erneuter Aufbruch der germanischen Seele, in der sich das Volkstum manifestiert. Das "Dritte Reich" des Paracelsus ist ein geistiges(72); historische Vorgänge leiten sich von geistigen Strömungen ab, die allerdings als biologisch determiniert gelten. Kolbenheyer leistet eine pseudomaterialistische Absicherung von Geistesgeschichte(73), indem er diese biologischen Konstanten einfach postuliert und dann mit der Geistesgeschichte belegt. Dabei gilt die christliche Religion als etwas Artfremdes, das den Deutschen aufgezwungen wurde und von sie sich in immer neuen Anstrengungen frei zu machen haben. Dieser Kampf ist von der Mystik über die Reformation bis in die Gegenwart immer derselbe(74). Kolbenheyer vertritt einen vulgären Pantheismus, indem er versucht, die biologische Substanz des Volkes zur Gottheit zur erheben(75). Odin ist kein Gott, sondern das Symbol der deutschen Sehnsucht: "Ich bin nichts als ihrer Sehnsucht Spiegel"(76). Wegen der zentralen Bedeutung des Volksbegriffs stellt sich die Frage nach der Beziehung Individuum - Volk. Zur Darstellung der seelischen Qualitäten des deutschen Volkes benützt Kolbenheyer die Form des Bildungsromans. Der erste Band stellt Paracelsus` Kindheit und Jugend dar, der zweite sein Leben als bedeutender Arzt und der dritte die Vollendung als rastloser Wanderer. Immer wieder wird auf die blut- und schicksalhafte Verbindung der Generationen hingewiesen. Paracelsus wird zum Beispiel in dem Augenblick geboren, in dem sein Onkel, der ruhelose Landsknecht Jung-Ruodi stirbt. Jeder trägt seine Ahnen im Blut mit sich: nd sie, in denen die Selbsteinsamkeit aufgebrochen ist, hören das heimliche Rauschen und wissen, aß sie den Laut von zahllosen Geschlechtern her in sich tragen,deren Sprache sie nicht mehr kennen, on deren Lust und Leid sie nichts mehr wissen, deren Staub längst verweht und gewandelt ist, deren Heimlichstes und Letztes doch noch lebt und aus ihnen aufbricht. Wessen Ohr dafür erwacht,der erfällt wie eine reife Frucht, er stirbt indem er lebt, und sucht Erdreich außer sich; er schüttet einen Samen.(77)Paracelsus ist ein unverstandenes Genie, ein einsamer, faustischer Mensch(78). Deshalb stellt sich die Frage, ob sich der Bildungsroman zur Darstellung des Volkes und seiner Überindividualität eignet, da er ja gerade die Ichwerdung beschreibt. Kolbenheyer versucht dieses Dilemma zu lösen, indem der große einzelne als Exponent seines Volkes sich selbst opfert und damit zum Keim neuer Entwicklungen wird: "Das Genie ist nach dieser Auffassung eine Art von Winkelried, der sein Leben in die Schanze schlägt, um die erstarrten Fronten des Denkens aufzubrechen"(79). Es mag sein, daß Kolbenheyer seine eigene Theorie für schlüssig hält, aber daß die neuere Sekundärliteratur sein Werk als antiindivualistisch durchgehen läßt, erstaunt(80). Rein verbal ist das Individuum völlig dem Volk untergeordnet; dabei zeigt sich die Sehnsucht des Intellektuellen nach Gemeinschaft. Da dieses Genie jedoch derartig überhöht und unverstanden ist, ist es selbst sein einziger Maßstab, und das Volk muß sich an seinen individualistisch-bürgerlichen Seinsproblemen orientieren. Das Genie ist als Ausdruck des Volkes zu nichts weiterem als zu seinem Individualismus verpflichtet. Im Gegensatz dazu ist es, Ricarda Huch in ihrem Roman "Der große Krieg in Deutschland" gelungen, das deutsche Volk in zahlreichen Einzelbildern darzustellen. Selbst Kolbenheyers Pausewang kann gerade wegen seiner Mittelmäßigkeit noch als Repräsentant des Volkes gelten. Der NS-Literaturwissenschaftler Gumbel hebt den "Paracelsus" wegen seiner heroischen Sinnsetzung und seines faustischen Individuums gegen den "Pausewang" und Huchs Roman ab. Er bemerkt völlig richtig, daß Paracelsus vom Volk losgelöst ist. Die Lösung liegt für ihn, ganz im Kolbenheyerschen Sinne, in der Ähnlichkeit des Protagonisten mit Christus: "Es gibt da nur eines, Opfer und Hingabe"(81). Neben der Steigerung vom Durchschnittsmenschen zum faustischen Übermenschen fließt im "Paracelsus" wesentlich mehr Gegenwartsideologie ein. So wird im Kapitel "Schwabenkrieg" der heroische Kampf der schweizer Bauern beschrieben, mit Winkelriedmotiv, Führertum und Volksgemeinschaft in der Schlacht. Dieses Kapitel steht allerdings mit der Handlung des Romans in keinerlei Zusammenhang, es ist vielmehr wie ein Versatzstück hineingeflickt, ebenso wie die Gedanken, die Paracelsus in einem ehemaligen Judenviertel befallen: Dort wo das Fremdvolk genistet hatte <...>, das seine goldbeschwerten Fänge ins Gemeinwesen gestreckt hatte, bis endlich die halbe Stadt verbrieft und schuldzinsend auf den Papieren der regensburger Jüdischheit gestanden war.(82)Ein "Volkssturm" hat diesem Unwesen ein Ende gemacht. Der Angriff gegen westlich-rationales Denken liegt schon im Sujet: Paracelsus ist ein intuitiv suchender Naturheilkundiger, der seine junge germanische Kunst dann auch gegen die der alten Völker verteidigt. Dieses alte Bücherwissen ist für ihn lediglich ein "Würmerfraß"(83). Bei dieser Radikalisierung und Anhäufung völkisch-nationaler Ideologeme ist es nicht erstaunlich, daß der NS-Ideologe Alfred Rosenberg den "Paracelsus" als vorbildhaft in seinem "Mythus des 20.Jahrhunderts" erwähnt(84). Ebenfalls mit der deutschen Seele befaßt sich Wilhelm Schäfers geschichtsmythisches Werk "Die dreizehn Bücher der deutschen Seele"(1922). Schäfer interessiert sich nicht für individuelle Probleme und gibt deshalb die Romanform völlig auf. Um sein Volk mystisch in der eigenen Geschichte zu versenken, orientiert er sich in Sprache und Aufbau an der Bibel. Am auffälligsten ist dies beim ersten Buch - "Das Schuldbuch der Götter"-, das der Stellung der Bücher Mose entspricht; ein Buch nennt er sogar "Das Buch der Könige. "Das Buch der Zwietracht" erinnert an die Teilung Israels und das letzte - "Wiederkunft" - an die Johannesoffenbarung. Aber auch die germanischen Mythen werden eingearbeitet. Die beiden letzten Bücher - "Menschendämmerung" und "Wiederkunft" - lehnen sich noch stärker an die Völuspa als an die Johannesoffenbarung an. Schäfer will mit seinem Buch seinem "Volk in seiner bitteren Geschlagenheit Trost bringen"(85). Seine Beziehung zur Geschichte wird in den Rahmenkapiteln "Eingang" und "Ausgang" deutlich. Er möchte zu den unbewußten Tiefen der Seele vorstoßen, in denen alles Geschichtliche schicksalshaft vorhanden ist: Die kreisenden Ströme sind in der Tiefe, wo dein Lebensraum ist, darin alles versank, was deine Gegenwart war, und alles vorbestimmt ist, was deine Zukunft sein wird.(86)Am Ende spenden biologische Metaphern dem Menschen Trost, indem sie ihn zum Teil eines Größeren machen: Deutscher, sei deiner Gegenwart tapfer, weil du Erbhalter bist größerer Dinge, als die an dem Tag hängen:Gutes und Böses will werden, wie Unkraut und Saat wird, und der Acker bist du.(87)Schäfer beginnt mit dem "Schuldbuch der Götter", das "Er", der pantheistische Gott, einleitet, dann folgt ein Abriß der germanischen Göttergeschichte, um über die mit Heldensagen vermischte Geschichte der Völkerwanderung zur konkreteren deutschen Vergangenheit überzugehen. Deren Interpretation erfolgt von einer kleindeutsch-preußischen Position aus. Schäfer verurteilt die Italienpolitik der deutschen Kaiser, die katholische Kirche und Habsburg. Positiv beurteilt werden dagegen Ostkolonisation, deutsche Mystik, Reformation, Preußen und Bismarck. Im "Schuldbuch der Menschen" bezichtigt er "die goldene Spinne", den "schwarzen Verrat" des katholischen Habsburg und vor allem "die rote Zwietracht" als Hauptschuldige der Niederlage im Weltkrieg. Im Schlußkapitel kehrt dann auch nicht Baldur wieder, sondern Deutschlands Größe, aus der Kraft seines Leidens, seines Gangs nach Golgatha und seiner Seelentiefe. Schäfer faßt hier noch einmal sämtliche konservativen Topoi zusammen: Das Land der Mitte zu heißen, ist Deutschlands Geschick, zwischen Versailles und Moskau liegen die Gräber seiner gefallenen Söhne, zwischen Versailles und Moskau liegt seine kommende Not.Wie ernst es Schäfer mit dem Wohl der Menschheit ist, ist nach diesen blutrünstigenn Phrasen jedoch sehr zweifelhaft. Seine zyklischen Geschichtsvorstellungen kommen nicht nur in Metaphern wie "Saat" und "Ebbe und Flut" zum Ausdruck , sondern auch in der geschlossenen Form des Buches, das am Ende mit der Wiederkehr Deutschlands den Kreis zum religionsgeschichtlichen Anfang zu schließen versucht. Das Volk wird zum Ersatz der verlorenen Götter. Nach dem Sündenfall in Form von Egoismus und Zwietracht kann für Schäfer die Erneuerung nur aus den seelischen Tiefen des Volkes kommen. Im Gegensatz zu Kolbenheyer sucht Schäfer den Zugang zur deutschen Seele nicht in Form einer Biographie eines überragenden Genies, sondern im Geschichtsmythos des deutschen Volkes. Dabei nehmen Könige und Fürsten einen breiten Raum ein, auch den Dichtern und Denkern werden als Geistesheroen ganze Abschnitte gewidmet. Das Volk beschreibt Schäfer besonders ausführlich im "Buch der Bürger". Dieses Buch enthält einzelne Kapitel zum Rittertum, zur Hanse, zu den Reichsstädten und den Bauern. Bemerkenswert ist, im Kontext der völkischen Literatur, daß Schäfer das Volk unter dem Begriff des "Bürgers" zusammenfaßt. Er steht damit mehr in einer konservativen, zumindest nicht radikal-völkischen, Tradition. Dem entspricht auch seine Idealisierung des Volkes, von dem jeder Stand für sich beschrieben wird, wobei das Mittelalter den passenden historischen Hintergrund abgibt. Noch stärker als Kolbenheyers Paracelsus-Trilogie ist Hans-Friedrich Bluncks "Urvätersaga"(1926-28) von der völkischen Blut- und Boden-Ideologie geprägt. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine Trilogie, deren einzelne Teilromane sich immer weiter in die Vorgeschichte und den Mythos zurückbewegen(89). Der erste Roman, "Streit mit den Göttern"(1926), spielt in der germanischen Bronzezeit, der nächste, "Kampf der Gestirne"(1926), in der Jungsteinzeit und der letzte, "Gewalt über das Feuer"(1928), beschreibt den Übergang von der Urhorde in die Epoche der Altsteinzeit. Eine Absicht des Autors ist es, den Anfang der deutschen Geschichte um einige tausend Jahre vor der Schlacht im Teutoburger Wald festzulegen(90); allerdings nicht in Form einer belletristischen Geschichtsschreibung, die Geschichte selbst soll zum Mythos werden. Die NS-Literaturwissenschaft bescheinigt Blunck, daß er die Wandlung vom "Psychologischen zum Heroischen, vom wissenschaftlichen Relativismus zum schöpferischen Glauben vollzogen hat"(91). Im ersten Roman wird Wieland der Schmied zum Gottsucher uminterpretiert, der sich in Schuld verstrickt, dann aber wegen seines heroischen Fluges von den Göttern wieder in Gnade aufgenommen wird. Wie wenig die Vorstellungen von Schuld und Sühne mit der germanischen Religion zu tun haben, wurde schon von Meyer-Bensey festgestellt, wie auch die Einarbeitung der Prometheussage. Er weist auch daraufhin, daß Blunck selten eine Idee oder ein Motiv durchhält, sondern diese, je nach Bedarf, aufgreift oder fallen läßt(92). Stellt sich noch die Frage, was dieser fliegende Gottsucher überhaupt mit Geschichte zu tun hat, denn offensichtlich wird ja die konservative Nihilismusproblematik auf banalste Weise zum germanisch-völkischen Mythos seit Urzeiten erklärt. Bluncks nächster Roman "Kampf der Gestirne" wendet sich mehr der Kultur- oder besser gesagt der Kultgeschichte zu. In einer jungsteinzeitlichen Megalithkultur kämpfen die Verehrer der Sonne gegen die des Mondes. Kult und Kampf manifestieren sich in den beiden Führern, die im mystischen Einzelkampf über Religion und Schicksal der Völker entscheiden. Bluncks Sprache offenbart die religiös-pathetische Überhöhung des Führerkampfes: Nur der Glaube war größer bei Ull, dem König, und sein Mitleid mit den führerlosen Völkern war stärker als Golls Kraft aus der mondhellen Nacht. Er würgte Goll und überwand ihn, als das erste Frührot im Osten stand.(93)Ull nimmt den Namen Diuvis an und nennt seine Tochter Ostara, was auf spätere indogermanische Gottheiten hindeutet(94). Religion ist somit nichts schon vorhandenes, sondern entsteht durch die Gottwerdung der Führer. Ull zieht aus, um die Sonne zu finden; diese nutzlose, aber heroische Tat wird für ihn sinnstiftend. Seinem Volk zwingt er den Sonnenkult auf und läßt es Tempel errichten. Der Führer schafft seine eigene Religion, die damit auch für das Volk verbindlich ist. Einige Generationen später wird er selbst als Gott verehrt werden. Blunck beschreibt diesen Vorgang nicht analytisch, er versucht selbst, diesen Mythos zu schaffen. Der Höhepunkt - die Bezeichnung "Gipfel" wäre angebrachter - von Bluncks Gottsuchertrilogie ist der dritte Roman "Gewalt über das Feuer". Der Mensch steht noch auf der denkbar niedrigsten Kulturstufe, die nach Blunck vom Matriarchat bestimmt wird. Eine Urhorde von Frauen, deren Männer nicht von der Jagd zurückgekehrt sind, findet einen schwerverletzten Mann und pflegt ihn gesund. Mit ihm beginnt der gesellschaftliche Fortschritt. Der Verletzte, Börr, entdeckt bzw. erfindet das Feuer, den Bogen, die Haustierhaltung, die Kunst, er erschlägt den Berglöwen und stellt damit den Menschen über das gefährlichste Tier, dann führt er noch den Totenkult, die Einehe und natürlich das Patriarchat ein(95). Nur die Sprache und die Musik werden von Gott selbst verliehen, der zu dieser Zeit noch als "Mannwanderer" sichtbar über die Erde wandelt. In Bluncks Trilogie geht es nicht um die Darstellung von Geschichte oder gar von historischen Prozessen. Blunck taucht in die mystischen Tiefen der germanisch-deutschen Seele; der einzige Archetypus, den er dort entdeckt, "ist der des Kriegers"(96), und der ist unverkennbar von Nihilismus und Weltkriegserfahrung geprägt. Obwohl das Volk immer wieder beschworen wird, ist es selbst doch völlig unwichtig. Im ersten Roman kommt es gar nicht vor, im dritten als weibliche Urhorde und im zweiten als Masse, die die Führer und deren Götzen verehren darf. Die Konzentration ganzer kulturgeschichtlicher Epochen auf eine einzige Person läßt sich nur mit einer generellen Verachtung der Masse - des Volkes - erklären. Trotz des vielen Geredes von Seele und Gott reagieren Kolbenheyer, Schäfer und Blunck auf den Säkularisationsprozeß und den Wertezerfall im zwanzigsten Jahrhundert. Mit einer Mischung aus christlichen und germanischen Mythen unternehmen sie eine religiöse Erneuerung. Während die germanischen Mythen als psychologische Archetypen die biologisch-naturwissenschaftliche Realität der völkischen Religion verbürgen sollen, liefern die christlichen Mythen eher den theoretischen Überbau mit dem Erlösungsgedanken durch Leid und Opfer. Eine Reaktion auf den Wertezerfall - die Wertsetzung - sind auch die Formbemühungen der Autoren und ihre religiös überhöhte Sprache. Diese Formbemühungen sind bei Blunck am geringsten ausgeprägt. Er versucht dann später diesen Mangel auszugleichen, indem er in seinem Versepos "Die Saga vom Reich" die drei Bücher der "Urvätersaga" einarbeitet, was von der NS-Literaturwissenschaft als die "Krönung" von Bluncks epischem Schaffen gefeiert und sogar mit der "Ilias", der "Göttliche Komödie", dem "Parzival" und dem "Faust" verglichen wird(97). Die Bemühungen von Kolbenheyer, Schäfer und Blunck, im zwanzigsten Jahrhundert völkische Mythen zu erschaffen, haben für den historischen Roman unübersehbare formale Konsequenzen. Ganz aufgegeben wird die Romanform von Schäfer. Er orientiert sich an der Bibel und an der Edda, um einen deutschen Geschichtsmythos zu schaffen. Historische Ereignisse und Personen stellt Schäfer damit auf eine Stufe mit der Genesis oder den germanischen Göttersagen. Die Behandlung dieses Werks im Rahmen dieser Arbeit rechtfertigt sich nur durch seinen engen Zusammenhang mit den historischen Romanen von Blunck und Kolbenheyer. Blunck greift auf die nordischen Sagas zurück. Obwohl dabei noch so eine Art Roman zustandekommt, lassen seine Helden weder Individualität noch Entwicklung erkennen. Der von ihm beschriebene Typus des Kriegers und des Führers ist von Roman zu Roman austauschbar und bleibt so unpersönlich und farblos wie das im Hintergrund agierende Volk. Alle drei Romane Bluncks zeigen als Tryptychon große schicksalhafte Ereignisse aus der deutschen Frühgeschichte, inszeniert um denselben Führer, der dabei allerdings nur die vorbestimmte Rolle spielt. Nur bei Kolbenheyer scheint die Romanform noch gegeben: Er zeigt Kindheit, Reifungsprozeß und Vollendung eines Individuums. Doch auch er greift zur religiös motivierten Form der Trilogie und verleiht seinen Protagonisten christusartige Züge. Neben dem Geniekult läßt sich aber gerade mit der Form des Bildungsromans Kolbenheyers bürgerlicher Individualismus belegen. Die Rückbindung des großen einzelnen an sein Volk ist reines Lippenbekenntnis, das seine Entsprechung in den, den einzelnen Romanen vorangestellten, mythischen Vorspielen findet, die für die Handlung völlig irrelevant sind. Die völkische Ideologie ist nicht aus dem Roman ersichtlich, sondern nur aus dem aufgesetzten Rahmen. Das von Hermeneutik und Historismus geprägte Geschichtsverständnis, das für den historischen Roman vor dem Weltkrieg typisch gewesen ist, haben alle drei Autoren verloren. Sie haben kein Interesse daran zu erzählen, "wie es war", sie verwenden im Gegenteil ihre ganze Energie darauf, Geschichte in den Bereich des Mythos zu entrücken, zu erzählen, wie es gewesen sein sollte. Der Zerfall des bürgerlichen deutschen Geschichtsbewußtseins läßt sich auch daran festmachen, daß Schäfer mit seiner völkisch-deutschen Bibel ganz auf die Romanform verzichtet, während sich Kolbenheyer und Blunck mit ihren Romanen von der Gegenwart immer weiter entfernen(98). Freytag hat noch die historische Weiterentwicklung der "Ahnen" beschrieben; bei Ganghofer ist die Geschichte zur Requisitenkammer verkommen; Blunck und Kolbenheyer stoßen dagegen zielgerichtet rückwärts vor. III.4. Alter und "neuer" KonservatismusDa die genauere Bestimmung der Literatur zuerst inhaltlich geschehen muß, um sie dann auf formale Besonderheiten zu untersuchen, ist es notwendig, kurz auf die Spaltung des Konservatismus nach dem Kapp-Putsch einzugehen und auf die sich daraus ergebenden politischen Vorstellungen. Da ein Großteil dieser neuen Ideologeme - Reich, Orden, Mystik oder preußischer Sozialismus - historisch motiviert ist, liegt die Vermutung nahe, daß der historische Roman von nun an auch davon bestimmt wird. Nach dem kläglichen Scheitern des Kapp-Putsches zerfällt die konservative Fronde in Monarchisten und in die sogenannte Konservative Revolution(99). Diese zweite Gruppe spaltet sich ab aus der Einsicht heraus, daß eine reine Restauration nicht mehr machbar ist. Man versucht, eigene revolutionäre Wege zu finden, die sich allerdings meist nicht sehr weit von den üblichen konservativen Wertvorstellungen entfernen. Hinzu kommt, daß man sich auf Seiten der Putschisten von der opportunistischen Realpolitik der Reichswehr im Stich gelassen fühlt. Die Konservative Revolution bildet aber weder eine politische noch eine ideologische Einheit, sondern zerfällt in zahlreiche Gruppen und Zirkel. Den wichtigsten und homogensten Block auf der Rechten bilden die Deutschnationalen, deren wichtigstes politisches Ziel eine umfassende Restauration der Vorkriegszustände ist. Wegen der starken Verbindung zum Protestantismus sieht man die eigene historische Tradition im Aufstieg Preußens aus den Wurzeln der Reformation(100). Der Höhepunkt dieser Entwicklung ist das kleindeutsche Kaiserreich der Hohenzollern unter Bismarcks Führung. Statt Demokratie wird eine ständische Klassengesellschaft gefordert, in der Adel und Besitzbürgertum die Führungsrolle übernehmen sollen. Auf die Schwierigkeiten, die den Deutschnationa- len der Verlust ihrer Privilegien bereitet, auf die sie mit einer Flucht in den Mythos reagieren, hat Anneliese Thimme ausführlich hingewiesen(101).Da die Deutschnationalen bewußt die Tradition des Kaiserreiches fortführen, wäre es an sich zu erwarten, daß sie das alte Geschichtsbild mit übernehmen. Da sie aber nicht mehr die politische Macht ausüben und auch die Legitimation des Herrscherhauses entfällt, ziehen sie wieder in echt preußisch-kleindeutscher Tradition die - unter Bismarck verfemten - Welfen den Hohenstauferkaisern vor(102). Die Mittelalterbegeisterung des Kaiserreiches ist vergessen, man hält politischen Gegnern sogar vor, daß sie "zurück zum Mittelalter und zur Geschlossenheit seiner Einheitskultur"(103) wollten; selbst will man ja nur bis ins Hohenzollernreich zurück. Einen wichtigen Beitrag zum antidemokratischen Denken liefert der konservative Katholizismus(104). Seit dem Beginn der Weimarer Republik findet beim Zentrum eine Hinwendung der Katholiken nach rechts statt, jedoch erst ab 1924 in größerem Maße(105). Viele Katholiken lehnen Demokratie und Liberalismus ab. Der wirksamste katholische Gegenentwurf zum Staat von Weimar ist "der Rückgriff auf das mittelalterliche Reich"(106). Breuning bezeichnet den Rückgriff auf das Sacrum Imperium als ein "Leitmotiv der gesamten katholischen Reichsideologie"(107). Vor allem ab 1929, als der Konkurs der Republik immer offensichtlicher wird, gewinnt diese Reichsideologie eine enorme politische Zugkraft. Das Reich gilt als Einheit aus Politik und Religion. Der "Gleichmacherei" der Demokratie und dem Konkurrenzkampf des Liberalismus wird die hierarchische Ordnung des Ständestaates entgegengestellt: Nirgends hat sich die Idee der Ordnung aber so sehr verwirklicht, als in der Gesellschaft des Mittelalters <...>. Tatsächlich baut sich ja die mittelalterliche Gesellschaft auf in ewiger, weil von Gott gewollter, Dreiteilung der Stände. <...> Jedenfalls gab ihre Ständeordnung der Gesellschaft des Mittelalters eine Statik, den Menschen eine gesellschaftliche Zufriedenheit, die wir nur sehnsüchtig erahnen können.Reichsideologie und Ständestaatsideen wirken vor allem über die Jungkonservativen auf die gesamte Konservative Revolution. Das Reich ist nicht nur Garant von mittelalterlichem Ordo und Religiosität, sondern es legitimiert auch in einer Zeit der politischen Ohnmacht die deutsche Führungsrolle in Europa(109), den Anspruch auf ehemalige Reichslande und dient als Bollwerk des christlichen Abendlandes gegen den heidnischen Osten, "gegen den Antichrist"(110). Die Republik gilt vielen als Interregnum, als kaiserlose Zeit, dem ein neues Reich folgen soll: "Eine neue Ottonen-, eine neue Stauferzeit sehe ich kommen", schreibt der Jungkonservative Othmar Spann enthusiastisch(111). Die Zugkraft der Reichsidee ist groß: Die Reichsidee ist ein Topos deutschen antidemokratischen Denkens, der bei fast allen politischen Publizisten der Zeit in der einen oder anderen Variante erscheint. Sie war so unverzichtbar, weil sich mit ihr am leuchtendsten die Vision einer besseren deutschen Zukunft vor Augen stellen ließ, und weil sie gleichzeitig dem starken Bedürfnis nach Anknüpfung an große historische Tradition entsprach. Die Idee des Reiches ließ sich außerdem zu einem politischen Mythos stilisieren, dessen magische Leuchtkraft die armselige Wirklichkeit des bestehenden deutschen Reiches umso elender erscheinen ließ.(112)Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß das Reich aufgrund seines imperialen Charakters eine "übervölkische Ordnung"(113) darstellt. Der Reichsbegriff setzt das förderalistische Zusammenleben mehrer Völker und Nationalitäten voraus, ist also - solange er nicht zu einer bloßen Chiffre für Größe und Macht verkommt - vom rassistischen Volksbegriff und von der preußischzentralistisch organisierten Nation zu unterscheiden(114). Die jungkonservativen Ständestaatsideen beeinflussen ganz besonders den von Wirtschaftskrisen akut bedrohten Mittelstand (115). Im Bereich des Großkapitals stoßen diese Gedanken dagegen auf wenig Gegenliebe, da sie die Beweglichkeit der Industrie ein- engen müßten. Staatskapitalistische Vorstellungen, von Spengler unter dem Schlagwort des "preußischen Sozialismus" populär gemacht, werdem vor allen von den Nichtselbstständigen - besonders Angestellten - rezipiert(116). Dieses Modell ist den konservativen Katholiken immer noch zu dynamisch, sie setzen die zeitlose christliche Ordnung dagegen(117). Das ständische Modell schließt Konkurrenz und soziale Mobilität aus. Selbst die Schulausbildung soll ständisch geregelt werden(118). Die Realitätsferne dieser Gedanken in einer Industrienation ist offensichtlich, sie gelten als typisch für Nationen mit einer verzögerten historischen Entwicklung(119). Ein bedeutender Ideenlieferant der Konservativen Revolution ist die "Bündische Bewegung". Sie ist politisch kaum näher zu bestimmen, da sich die meisten antidemokratischen Gruppen als Bünde bezeichnen(120). Man kann deshalb leichter typisch bündische Vorstellungen ausmachen, als sie als ideologisch geschlossene Gruppe zu definieren. Die Bünde der Weimarer Republik setzen zwar die Tradition der Jugendbewegung fort; diese erfährt jedoch durch das Kriegserlebnis entscheidende Veränderungen. Ernst Blühers Theorie des vom Eros zusammengehaltenen Männer- bundes aus Führer und Gefolgschaft wird grundlegend für die innere Struktur der Bünde(121). Die Bünde werden jedoch nicht nur von Theoretikern geprägt, sondern vor allem vom Fronterlebnis. Während des Krieges waren viele ehemalige Mitglieder der Jugendbewegung Frontoffiziere geworden. Diese rangniedrigen Offizieren standen oft mit den Mannschaften in recht engem Verhältnis und mußten sich durch eigene Leistung als Führer bewähren. Für sie schien in der Kameradschaft des Schützengrabens der Bund verwirklicht. Die Freikorps der Nachkriegszeit setzen diese Verhältnisse noch extremer fort. Führer werden in der Regel nur berühmte, oft hochdekorierte, Weltkriegsteilnehmer, während sich die Mannschaften - sie bestehen ebenfalls zum Teil aus Offizieren - frei- willig unterordnen. Der Freikorpsapologet Dominique Venner sieht diese Bindung schon in den Eliteeinheiten des Weltkriegs verwirklicht: Der alte Kadavergehorsam den Vorgesetzten gegenüber war hier durch eine mit Blut besiegelte Kameradschaft ersetzt <...> . Oft sagten die Offiziere, die Unteroffiziere und die Mannschaften du zueinander. <...> Für sie war er kein Offizier, der ihnen Befehle erteilte, sondern ihr Führer und sie waren seine Kameraden, die ihm blind vertrauten und mit ihm auch in die Hölle gegangen wären.(122)Das Kriegserlebnis erklärt auch die starken Unterschiede der Bünde zum Wandervogel. War der Wandervogel stark individualistisch mit romantisch-anarchistischen Tendenzen, so stellen die Bünde die Gemeinschaft über das Individuum und zeigen ihre aristokratischen Vorstellungen schon durch die strenge Hierarchie innerhalb des Bundes(123), Gleichzeitig findet eine starke Politisierung statt, die Bünde reagieren nicht mehr mit romantischen Fluchtversuchen, sondern mit vehementen Attacken gegen das bestehende System. Der wichtigste Begriff, den die Bünde zum antidemokratischen Denken beitragen, ist der des charismatischen Führers. Der Führer wird nicht vom Volk gewählt, sonderm diesem bestenfalls in glücklicher Stunde gesandt: "Das Volk wählt seinen Führer nicht, er entsteht ihm durch die Gunst der Geschichte."(124). Ein Führer ist also nicht auf seine Gefolgschaft angewiesen; es wird sogar die Meinung vertreten, daß ein richtiger Führer der Gefolgschaft gar nicht bedarf, diese hingegen froh sein muß, wenn sie einen findet(125). Für die Weimarer Republik ist kennzeichnend, daß die Repräsentanten der parlamentarischen Demokratie keine besonderen Führerfiguren abgeben. Die Sehnsucht nach Autorität, nach einem Vaterbild, findet sich selbst bei den Sozialdemokraten(126). Der Ruf nach dem Führer wird ein herausragendes Leitmotiv der öffentlichen Meinung(127). Die Bünde selbst fühlen sich als Elite, als neuer Adel. Eine beliebte bündische Organisationsform, bei der sich sakrale Motive mit Elitedenken und Ostimperialismus verbinden, ist der Orden. Dabei dient fast immer der deutsche Ritterorden als historisches Vorbild(128). Das Elitegefühl führt bei manchen Bünden und Orden - besonders beim Jungdeutschen Orden- zu einer Ablehnung der NSDAP, die man als Massenpartei verachtet, und zu Differenzen mit der HJ, die eine wesentlich proletarischere Zusammensetzung hat. (129). Diese neue Elite kürt sich selbst nach der altbewährten Methode des Bildungsbügertums, Bildung mit seelischen Qualitäten gleichzusetzen. Hinzu kommt die während des Krieges demonstrierte Opferbereitschaft. Es sind also durchaus Leistungskategorien, die jedoch als Anzeichen einer schicksalshaften Bestimmung gelten. Zur Illustration dieser Vorstellungen greift man gerne auf die Figur des Gottsuchers zurück, die allerdings - den neuen Verhält- nissen entsprechend - dem sich sinnlos opfernden Frontsoldaten angepaßt wird: Aber das Höchste bleibt der Dienst am Gral. <...> So wächst auch heute aus denen, die zur Ritterschaft erkoren sind, und ihre Sendung auch im Sturm der Zeiten treu bewährt haben, das Bild des Menschen reiner und höher empor. Und dies inwendige Sein, das alleine Adel verleiht <...>. Edle Leiber und todgetreue Seelen;den schmutzigsten Winkel mit Schönheit erleuchtend und gebildet genug, um jeden Platz auszufüllen; in Kameradschaft verwachsen mit dem Volk, und zugleich hinreißende Führergestalten; Stolz im Schmucke des Sturmhelms, und demütig mit Helm ab zum Gebet.(130)Bei dieser Schwärmerei für Gralsritter, Lehenstreue, Ritterorden, deutsche Mystik und das Reich wird das Mittelalter zum historistischen Hauptausstatter der bündischen Jugendbewegung(131). Diese Mittelaltervorstellung ist genauso ahistorisch wie die Beschwörung des Glaubens im Mythos areligiös, oder nach Walter Laquer:"es hat wenig Zweck dort nach einem Sinn zu suchen, wo es keinen Sinn gibt, sondern nur den Rausch der Phrasen und Symbole" (132). Zur Untersuchung der der "Konservativen Revolution" zuzurechnenden Literatur ist das komplexe Spektrum der einzelnen politischen Gruppen und Vereinigungen wenig geeignet, es sollen deshalb die zwei Hauptströmungen betrachtet werden, in denen die extremsten Positionen formuliert werden - die Völkischen und die Nationalrevolutionäre(133). Trotz starker gegenseitiger Einflüsse liegen hier zwei unterschiedliche Lösungsansätze vor, die auch noch als Spannungselement in der nationalsozialistischen Weltan- schauung weiterwirken. Dieser Widerspruch entsteht im wesentlichen daraus, daß die völkische Weltanschauung von den Interessen des bedrohten Mittelstandes und konservativ-agrarischer Kreise geprägt ist. Die dabei angestrebten, historisch antiquierten Ständestaatsmodelle versuchen, die soziale Dynamik der modernen Industriegesellschaft auszuschalten, was in der Regel zu einer Verdammung der Moderne führt. Die nationalrevolutionäre Weltanschauung geht dagegen eher auf die dynamischen Momente der Jugendbewegung zurück, erhält aber ihre wesentliche Ausprägung durch das Kriegserlebnis. Sie fordert einen starken zentralistischen Staat und sogar staatssozialistische Maßnahmen. Die Frontgemeinschaft mit ihren charismatischen Führern und die totale Mobilmachung des modernen Industriestaates stehen in krassem Gegensatz zu den ständischen und dezentralen Mittelstandsmodellen der Völkischen. Der Unterschied zeigt sich auch in den jeweils bevorzugten literarischen Genres, dem Bauernroman der Völkischen und dem Weltkriegs- und Freikorpsroman der Nationalrevolutionäre. Der historische Roman bietet die Gelegenheit, beiden Richtungen gerecht zu werden. Für die Völkischen ist dies einfacher, da sich zwei ihrer wichtigsten Themen - das deutsche Bauerntum und die Eroberung von Lebensraum im Osten - zur Bearbeitung im historischen Roman geradezu anbieten. Da die nationalrevolutio- näre Kriegs- und Nachkriegsliteratur hier nicht behandelt werden kann, konzentriert sich diese Arbeit zum Nachweis nationalrevolutionärer Gedanken auf historische Romane, die charismatische Führer, Soldatentum oder zentralistische Staaten thematisieren. III.4.1. Themen völkischer historischer RomaneWollte man alle historischen Romane,die Begriffe wie Blut, Volk oder Rasse verwenden, als völkisch bezeichnen, so hätte man sicher ca. 90% der zu untersuchenden Literatur erfaßt. Darum sind zuerst die Schwerpunkte in Ideologie und Geschichtsbild der Völkischen aufzuzeigen, die eine eindeutige Zuordnung der entsprechenden Literatur erlauben.Grundlegend für die Völkischen sind ihre organischen Geschichtsvorstellungen. Aber im Gegensatz zu Spengler sind sie der Ansicht, daß der Untergang des Abendlandes nicht nur aufzuhalten ist, sondern daß neue Höhepunkte angestrebt werden können(134). Die Lösung, um den als verhängnisvoll empfundenen historischen Prozeß zu entgehen, liegt in der Realisierung der Blut- und Boden-Ideologie, die zum umfassendsten "Angriff auf die Moderne" wird(135). Diese Moderne bedeutet: Liberalismus, Demokratie, Sozialismus, Industrialisierung, Urbanisierung, Säkularisation und Rationalismus. Die völkische Ideologie ist also wie schon im Kaiserreich ein Ausdruck der bedrängten Situation des bürgerlichen Mittelstandes und der Landwirtschaft, die der Weltkrieg besonders hart getroffen hat(136). Nach der Niederlage des wilhelminischen Imperialismus und während der Weimarer Dauerkrise finden die völkischen Theorien besonders günstigen Nährboden. Sie bieten dem Bürgertum vor allem den Vorteil, Systemkritik üben zu können, ohne dabei die Besitzverhältnisse antasten zu müssen. Nach völkischer Ansicht ist der Kulturverfall mit einem Niedergang der biologischen Substanz - dem Blut - eines Volkes verbunden. Dieser kann nur durch ein gesundes Bauerntum verhindert werden. Zu dessen Verbreitung wird Grimms Schlagwort vom "Volk ohne Raum" aufgegriffen. Man fordert allerdings nicht zur Siedlung in den Kolonien auf, sondern zur Landnahme im Osten. Daß es sich hierbei mehr um alldeutsche Großmachtträume handelt als um biologische Notwendigkeiten, zeigt die Tatsache, daß der Ruf nach Lebensraum in krassem Gegensatz zur Realität der Landflucht - besonders in den Ostgebieten steht(137). Ein hervorstechendes Merkmal völkischer Literatur ist ihr extremer Antikatholizismus, der sogar weit über die preußisch-konservative Position hinausgeht. Der Katholizismus wird als römisch-jüdisch abgelehnt, ebenso der übervölkische Reichsbegriff. Die völkischen Religionsvorstellungen reichen von einem sehr nationalen Protestantismus bis hin zu Neubelebungsversuchen germanisch-heidnischer Mythen(138). Manchmal sind die völkischen Gruppen auch von einer gewissen Adelsfeindlichkeit gekennzeichnet. Der Adel gilt ihnen als dekadent und international versippt; der Blut-und Boden-Ideologe W.Darr‚ fordert statt dessen einen "Neuadel aus Blut und Boden"(139). Im völkischen historischen Roman wird so der Adel oft zur Chiffre für das Großkapital, das sich egoistisch auf Kosten des bäuerlichen Mittelstandes und des Kaisers bereichert. Die völkische Geschichtswissenschaft gibt sich modern, wenn sie die "dynastisch-territorialistische Geschichtsauffassung" ablehnt und statt dessen die Einbeziehung naturwissenschaftlicher Methoden fordert(140).Ferner gelten als zentral das "Kämpferische" und "Heldenhafte", die deutsche Vorgeschichte und die "Geschichte des deutschen Ostens"(141). Trotz aller wissenschaftlichen Verbrämung wird das völkische Geschichtsbild zum konstruierten Mythos von germanisch- preußisch-kleindeutscher Kontinuität. Die Ahnenreihe beginnt oft direkt in Walhall und geht über Armin den Cherusker und den Sachsenherzog Widukind zu Heinrich I., in dem man den Gründer des deutschen Reiches verherrlicht:"Es wird dann eine Geisterreihe entstehen, von Odin, Siegfried, Widukind, Friedrich II. dem Hohenstaufen, Eckehart, dem von der Vogelweide, Luther, Friedrich dem Einzigen(142). Für das Hochmittelalter gibt man, in kleindeutscher Tradition, den Welfen den Vorzug vor den Hohenstaufen. An der Italienpolitik der deutschen Kaiser wird vor allem der Kampf gegen das Papsttum betont; deshalb ist auch - im Gegensatz zum Wilhelminismus - Friedrich II. wesentlich beliebter als Barbarossa. Mit dem Ende der Staufer erlischt auch das Interesse an den politischen Führern des Reiches und setzt erst mit dem Aufstieg Preußens wieder ein. Die Reformation dazwischen gilt als germanische Befreiung vom "artfremden" Katholizismus. Die katholischen Habsburger werden entsprechend hart verurteilt(143).Trotz aller Germanentümelei der Völkischen ist ihre Vorliebe für deutsche Frühgeschichte nicht überzubewerten. Im historischen Roman wird zur Interpretation der Gegenwart eher das Mittelalter und die frühe Neuzeit verwendet(144). Die bevorzugten Themen der völkischen Belletristik sind auch nicht die Völkerwanderung, sondern "Not und Kampf deutscher Bauern - Bauernkriege"(145) und die mittelalterliche Ostkolonisation. III.4.1.a. Bedrohtes Bauerntum
Ende der zwanziger Jahre ist die Großstadtfeindschaft endgültig in "Großstadthaß" umgeschlagen(146).
Dem entspricht eine wahre Flut von Bauernromanen(147). In Schleswig-Holstein wehrt sich die Landvolkbewegung mit Gewalt
gegen Pfändung und Versteigerung, dabei werden die historischen Kämpfe der Bauern wieder populär.
Man demonstriert unter einer Schwarzen Fahne, die Schwert und Pflug zeigt, mit dem Schlachtruf "slaa doot"(148).
Das waren gefährliche Gesellen, die da um die Brandstätten lagerten,hochgewachsene, freie fränkische Bauern mit breiten Schultern und keckem Blick, viele alte Kriegsleute und Landsknechte darunter, alle wohlgerüstet und in Ordnung, <...> wie gewaltig sich dies finstere, erprobte Volk von den verhungerten Waldbäuerlein, den trunkenen Winzerknechten des hellen Haufens unterschied.(152)Besonders stark wird in dem Roman die katholische Kirche angegriffen:" Der Pfaffe da ist aber des Hasses voll bis an den Rand, schreit <...>plärrt als ein rechter Römling sein unsinnig ruchloses Zeug.(153) Die wahren Feinde des Volkes sind der Adel und die Pfaffen, aber auch die Fugger und Welser. Als Gegenbild wird die bekannte konservativ-völkische Utopie angeboten: "ein freies waffentragendes Volk unter seinem Kaiser, ein deutsches Volk ohne römisches Recht und römische Pfaffen, ein glückliches, einiges Volk, gleich nach innen, stark nach außen"(154). Als der Aufstand niedergeschlagen ist, geht Ritter Felix mit seiner Madlene in die Schweiz, um dort "auf freiem Boden und in freiem Volk"(155) zu leben. Mit diesem leicht veränderten Faust-Zitat entlarvt Stratz Felix als verhinderten deutschen Bildungsbürger. Daß es sich dabei um ein reines Lippenbekenntnis handelt, zeigt, daß die Bauern, von einer kleinen kriegerischen Kaste abgesehen, eigentlich nichts wert sind. Als völkischen Mythos beschwört Wilhelm Schäfer in seinen "Dreizehn Büchern der deutschen Seele"(1922) den heroischen Kampf und den Untergang der Stedinger Bauern im Hochmittelalter. Der Konflikt entsteht nicht, wie bei den historischen Stedingern, durch die Verweigerung der Abgaben an den Bischof von Bremen - also durch einen sozialen Emanzipationsprozeß -, sondern durch Eingriffe der römischen Kirche in das alte Recht: So gingen die Stedinger ein in den Gottesstaat kreuzfahrender Henker, als Ketzer verbrannt, gleich tollen Hunden erschlagen; sie büßten den Bann der kirchlichen Mächte und schmeckten die irdische Acht; sie webten mit blutigen Fäden ihr Bild in den Teppich der Freiheit.(156)Schäfer verherrlicht an den Stedingern nicht den Versuch ihrer Befreiung vom Bistum Bremen, er preist nur ihr Beharren auf ihrem - real nie vorhandenen - tausendjährigen Recht. Ihr heroischer, aber sinnloser Untergang erhält durch das Blut seine sakrale Weihe und wird als propagandistisch nutzbarer Opfertod im nachhinein sinnstiftend. Die Befreiung der schweizer Bauern "von der habsburgischen Plage" schildert Schäfer mit pathetischer Genugtuung(157). Auch der grosse Bauernkrieg erscheint als gerechte Bewegung, die von Luther ausgelöst wird. Sie scheitert nur an den "Schwarmgeistern" und der "Brunst ihrer unreinen Machtgier"(158). Während Stratz mit seinen adligen Helden und seiner Verachtung der Masse, trozt der völkischen Thematik, seinen konservativen Standpunkt nicht verhehlt, erstellt Schäfer einen völkischen Mythos. Seine Protagonisten sind die einzelnen Bauernvölker, deren Kampf um ein imaginäres Recht religiös überhöht wird. Das beste Beispiel eines von Weltkrieg und Revolution beeinflußten Bauernromans ist aber August Hinrichs'"Das Volk am Meer" (1929). Er beschreibt den Befreiungskampf der Blutjadinger Friesen gegen den Oldenburger Grafen. Dieser Kampf wird in die Reihe der großen bäuerlichen Freiheitskämpfe gestellt: "Sage und Geschichte erzählen von den Freiheitskämpfen der Stedinger, der Dithmarschen, der Schweizer, tragischer noch war der Verzweiflungskampf der Blutjadinger"(159). Hinrichs erwähnt den Bauernkrieg von 1525 mit keinem Wort; sicher nicht weil er ihm nicht "tragisch" genug war,sondern wegen des Mangels an Heroismus(16O). Die Friesen sind stolz und selbstbewußt, sie denken an ihren Vorteil und an ihre Heimat. Krämer, Bischöfe und Fürsten sind eine ständige Bedrohung ihrer Freiheit: Sie haben schon lernen müssen, sich selber zu helfen - an einer Seite die See, an der anderen die beutegierigen Großen - man weißt nicht, wer schlimmer ist, die See, die ihre Deiche zernagt und ihnen das Land unter den Füßen wegfrißt, oder die geistlichen und weltlichen Herren,die mit bewaffneten Horden über die Grenzen brechen. Jeder Fußbreit ist blutgedüngt.(161)Der blutgedüngte Boden weist in Richtung der völkischen Blut- und Bodenideologie. Es gibt nur die Interessen der Bauern und die entgegengesetzten Interessen der Großen. Deutschland bzw. das Reich existieren nicht. Aus Dickschädeligkeit sind die Bauern zu einer vernünftigen Politik unfähig, aber im Kampf werden sie zu wahren Urgewalten(162). Von der Verherrlichung der Stärke ist die Verachtung für Feigheit und Schwäche nicht zu trennen. Ein Gaukler, "ein zerlumpter Kerl, gelb und schielend, schwarze Haarsträhnen über der Stirn" (163), sticht einen Friesen mit dem Messer. Zur Strafe "wird man ihm sein eigenes Messer durch die Hand stoßen, die Schneide nach den Fingern gerichtet,da mag er am Pfahl stehen, bis er den Mut findet sich loszureißen"(164). Die bäuerliche Gesellschaft ist eine Klassengesellschaft; es wird zwischen den armen Fischern und den reichen Großbauern unterschieden. Der Konflikt wird vor allem daran aufgezeigt, daß der Fischer Bole nicht Tale, die Tochter eines Großbauern, heiraten kann. Doch die Verbindung scheitert nicht am Standesunterschied, sondern daran, daß sich Tale "standesgemäß", aber von den Eltern auch unerwünscht, in einen Junker verliebt. Aber diese Gegensätze verschwinden sofort, als der äußere Feind auftaucht; sie schaffen zwar Probleme, aber sie sind nicht der Grund für den Untergang. Die Ursache liegt vielmehr darin, daß die Bauern in ihrem Eigensinn nicht auf ihre Führer hören. Erst in der äußersten Not wenden sich die Bauern neuen Führern zu; die Chance der Bewährung und des Aufstiegs für die Fischer. Boles Vater wird zum Führer auf dem Deich im Kampf gegen das Meer, und Bole selbst führt die Friesen in die letzte Schlacht. "Sie haben ihn zum Führer gewählt, und er weiß was das bedeutet" (165). Der Hauptgegner der Bauern im Kampf ist die schwarze Garde. Die Landsknechte werden nicht ohne Verständnis beschrieben, ihre Lust am Plündern und am Töten erscheint als etwas völlig Normales. Im Endkampf sind sie aber der urwüchsigen Kraft der Bauern unterlegen. Diese Kraft, die den Kampf zum Naturereignis und militärische Tüchtigkeit zum menschlichen Qualitätsmerkmal werden läßt, verrät die völkische Position des Autors(166). Dabei wiederholt Hinrichs in seinem Roman nicht die billige Schwarz-Weiß-Malerie von Löns. Er zeigt die Klassenkonflikte, der Gegner wird nicht verteufelt, und die Bauern sind unvernünftig und stur. Während Löns eigentlich den kostümierten wilhelminischen Bürger im Krieg vorführt, will Hinrichs vitales Volkstum beschreiben; die Tiermetaphorik wird deshalb auf die "in-group" angewandt und gilt, wie die unbewußte - unvernünftige - Wut als Merkmal der Kraft des noch gesunden Volkes. Es steht auch nicht wie bei Stratz ein einzelner Protagonist oder eine kleine Elite im Mittelpunkt, sondern das Friesenvolk. Die Führer entstammen diesem Volk und erreichen ihre Position im Kampf. Der Roman ist grundlegend von der Blut- und Bodenideologie geprägt, die jedoch mit dem Gedankengut der Konservativen Revolution - Führertum, ekstatischer Kampf und soziale Problematik - angereichert wird. Noch 1924 hatte sich Hinrichs in seinem historischen Bauernroman "Die Hartjes" ganz auf persönliche Probleme der Bauern beschränkt. Verschuldung und sozialer Niedergang haben ihre Ursachen lediglich in der Spielleidenschaft und der Genußsucht einzelner Bauern. Der Tüchtige ist durchaus, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, noch in der Lage als Einzelner sein Leben zu meistern. Wie groß der "Bedarf" an heroischen Bauern ist, ist daraus zu ersehen, daß der fünf Jahre später erschienene Roman "Das Volk am Meer" den ebenfalls erfolgreichen Vorgänger "Hartjes" in seinen Auflagenzahlen überholt. III.4.1.b. OstkolonisationIm Gegensatz zum Bauerntum war die deutsche Ostkolonisation kein Thema, das bis 1918 im historischen Roman größere Beachtung gefunden hat. Wicherts "Heinrich von Plauen"(1881) ist der einzige bekanntere, im Kaiserreich erschienene Ordensroman. Aber Wichert ging es mehr um die innenpolitischen Spannungen einer Klassengesellschaft als um Eroberungen. In den Zwanziger Jahren erfreuen sich historische Romane, die die deutsche Ostexpansion verherrlichen zunehmender Beliebtheit. Diese Umorientierung des deutschen Imperialismus ist ein Resultat des Weltkrieges, in dem die Expansion nach Westen und der Erwerb von Kolonien noch Vorrang hatten. Doch "die Träume von großer Landnahme jenseits der Meere und einer wirtschaftlichen Vorherrschaft in der Welt schienen mit der Flotte bei Scapa Flow untergegangen zu sein" (167). Hinzu kommt, daß der Krieg an der Ostfront sehr erfolgreich verlaufen ist. Mit dem Frieden von Brest-Litowsk versucht sich Deutschland eine Reihe östlicher Satellitenstaaten zu schaffen (Finnland, Baltikum, Polen, Ukraine).Die starke Aggression in Richtung Osten entpuppt sich weniger als historische Kontinuität denn als Notlösung(168); da die Industriegebiete und Häfen im Westen nicht zu haben sind, beschränkt man sich auf den Lebensraum im Osten, der unter den Kriegszielforderungen noch zweitrangig gewesen ist. Die großen Gebietsverluste an Polen und die Nachkriegskämpfe der deutschen Freikorps im Baltikum und in Schlesien halten das Interesse an einer Revision der Ostgrenzen zusätzlich wach. Neben der fragwürdigen Erkenntnis, daß Deutschland eine expansive Ostpolitik an Stelle der Kolonialpolitik hätte betreiben müssen, rückt durch den Weltkrieg ein neuer Aspekt in den Vordergrund: das Selbstbestimmungsrecht der Völker. So atavistisch die propagierte Siedlungspolitik auch klingt, sie ist unter anderem die logische Konsequenz der Auflösung der Donaumonarchie. Will man Gebiete erfolgreich annektieren, so geht das nicht mehr wie zur Zeit der polnischen Teilungen; man muß die einheimische Bevölkerung vertreiben und durch Menschen der eigenen Nationalität ersetzen. Die Romantiker sind einem eigenständigen Slawentum noch positiv gegenübergestanden. Der antislawische Rassismus ist erst als Reaktion auf die Autonomiebestrebungen der slawischen Völker entstanden. Rasse bedeutet hier zunächst Nationalität, wie "Germanisierung" eigentlich "Eindeutschung" bedeutet. Die zahlreichen slawischen Namen im Ruhrgebiet oder im preußischen Offizierskorps stören ja offensichtlich niemanden, wichtig sind nur Sprache, Religion und Nationalgefühl. Die nationale, eventuell rassisch legitimierte Siedlungspolitik ist also - trotz ihres Irrationalismus - ein Ergebnis moderner Staatsräson. Während der Weimarer Republik verstärkt sich die Landflucht, und die Landwirtschaft muß immer stärker auf polnische Wanderarbeiter zurückgreifen. Dagegen propagieren völkische Kreise immer wieder die Notwendigkeit einer Siedlung im Osten. Als historisches Vorbild wird dabei auf den deutschen Ritterorden verwiesen, der einerseits die gewaltsame Landnahme legitimiert, andererseits die Funktions eines Bollwerks gegen die "Flut" aus dem Osten gehabt haben soll(169). Am deutlichsten kommt dies in der Artamannenbewegung zum Ausdruck, in der beide Ideen zusammenfallen. Man definiert sich selbst als "ritterliche Kampfgemeinschaft auf deutscher Erde", der Kampfplatz soll der deutsche Osten sein (170). Ganz in der Tradition der mittelalterlichen Ostkolonisation bereitet man sich auf die Rolle als Wehrbauern vor(171): Es konnte nicht ausbleiben und war bei der Befangenheit in einem fiktiven deutschen Mittelalter nur konsequent, daß die Artamanen bei den Aufrufen für eine "Ostlandzukunft" des deutschen Volkes immer wieder auf die mittelalterlichen Kolonisationszüge nach Osten hinwiesen.(172)Der Pole, der Slawe, wird im historischen Roman zum Feindbild, dem nur Negativeigenschaften angehängt werden. Polen werden als dunkle, feige, sinnliche und zigeunerhafte Typen beschrieben (173). Daß die polnische Bevölkerung im Durchschnitt wesentlich heller und blaublonder ist als zum Beispiel die süddeutsche, weiß zwar die völkische Rassenkunde, die Literatur verzichtet jedoch auf diese Einsicht, damit das Feindbild stimmig bleibt(174). Durch die Bedeutung einer expansiven Ostpolitik und die vehemente Ablehnung westlich-römischer Zivilisation bekommt das sybelsche kleindeutsche Geschichtsbild für die Völkischen zentrale Bedeutung. Karl der Große - als "Sachsenschlächter" diffamiert - unterdrückt im Namen der katholischen Kirche die heidnischen Niedersachsen. Die Niedersachsen sind für die Völkischen der germanische Stamm par excellence. Eine typisch völkische Geschichtsinterpretation zu diesem Thema ist Hermann Löns' Erzählung "Die rote Beeke"(1912). Löns beschreibt die Hinrichtung der 4500 gefangenen Niedersachsen durch die Henker Karls des Großen: Viertausendfünfhundert blonde Köpfe sind fällig. Viertausendfünfhundert Hälse sind in Gefahr. Viertausendfünfhundert Männerherzen stehen still. Neuntausend blaue Augen brechen. (175)Die stete Wiederholung der großen Zahl im Zusammenhang mit blauen Augen und blondem Haar soll Karls ungeheures Verbrechen an der germanischen Rasse hervorheben. Karl, der "aiske Schlächter" (176), ist für Löns längst kein Germane mehr. Er gleicht einem orientalischen Herrscher und umgibt sich mit "Knaben mit geschminkten Gesichtern", "gallischen Metzen" und Mohren; im Gegensatz zu den gesunden Niedersachsen ist er bereits total degeneriert. Er ist ein "fetter Mann" mit einem "blassen dicken Gesicht", und "Südlands Wein und Südlands Weiber machten seine Glieder lahm"( 177). Ähnliche Positionen zu Karls Sachsenkriegen findet man in den allerdings weniger erfolgreichen Romanen von Blunck und Jansen(178). Den Konflikt zwischen Heinrich dem Löwen und Barbarossa beschreibt aus extrem völkischer Sicht Werner Jansen in seinem Roman "Heinrich der Löwe"(1923). Barbarossa ist hier zwar ein großer Mensch, aber jede Realpolitik scheint ihm fremd zu sein. Einmal setzt er sich sogar - der mittelalterliche Kaiser als Humanist - für das "Recht der Vielen" ein, worauf Heinrich die völkisch-antidemokratische Position vertritt: "Welche Vielen meinst du? Die Fürsten? Die Kirche? Den Adel? Bauern oder Unfreie? Die Klugen, die Dummen? Die Guten, die Schlechten? Willst du ihre Stimmen zählen? Dann würden die Schafe den Hirten hüten! Und Hirt und Herde stürben Hungers. Nein, Friedrich, der Stärkste hat Recht, und nur der einzelne ist stark."( 179)Während die anderen Reichsfürsten - Adel und Klerus - nur egoistisch ihre eigenen Interessen verfolgen und das Bündnis zwischen Friedrich und Heinrich zum Schaden des Reiches zerstören, ist Heinrich ein "Bauernherzog", der sich nur für die Aufzucht germanischer Menschen interessiert: "Ich will nichts als ein mächtiges Stammland, einen deutschen Norden,einig vom Rhein bis zur Weichsel, einen gesunden Boden voll drängenden Blutes, eine Quelle deiner Heere, wenn du welche brauchst, einen Wall für deine Feinde, wenn sie dich allzu stark pressen. Soll ich nach den Welschen schauen,indes mir oben die slawischen Horden das deutsche Edelblut erdrücken? Ich habe genug an meinen eigenen dunklen Haaren und will meine Völker rein und licht."(180)Die Slawen sind alle "ekle Schwarzköpfe"(181) bis auf Heinrichs slawischen Schwiegersohn; der Renegat ist blond und tapfer. An der Italienpolitik Barbarossas ist der Kampf gegen den Papst das einzig positive(182). Jansens Religionsvorstellungen, die er in Heinrich hineinprojiziert, sind offensichtlich vom Fronterlebnis des Weltkrieges geprägt. Heinrich bewundert eine geschnitzte Christusfigur als Sinnbild nordischen Glaubens: "dieser tapfere Heiland aus den Eichenwäldern Niedersachsens" ist kein Gott der Gnade, "der aus offenem Munde in seiner Stummheit gellend und laut Triumph lacht über die Welt und ihre aller Opfer spottende Torheit"(183). Zur Beschreibung der Ostkolonisation werden jedoch Romane über den deutschen Ritterorden bevorzugt; dabei verbinden sich Expansionsforderungen mit Elitevorstellungen, preußische Geschichtstraditionen mit aktuellen politischen Ereignissen. Die beiden bekanntesten Ordensromane - Werner Jansens "Geier um Marienburg" (1925) und Wilhelm Kotzdes "Die Burg im Osten"(1925) - behandeln ungefähr denselben Zeitraum wie Wicherts "Heinrich von Plauen", der beiden wohl als Vorlage gedient hat, was in Jansens Roman bis zur Gestaltung einzelner Figuren nachzuweisen ist(184). Bei Jansen deutet schon der Titel auf die bedrohte Situation des Ordens, der von der Gier des Polenkönigs und dem Egoismus der Stände bedroht ist. Der deutsche Ritterorden ist zwar auf dem Höhepunkt seiner Macht, denn das Ordensziel ist erreicht, aber gerade durch den Mangel an Aufgaben breiten sich Dekadenz und Zuchtlosigkeit unter den Rittern aus, worin die Haupturache für ihr Scheitern liegt. Der Roman beginnt bezeichnenderweise mit dem Satz: "Das Fest ward Trunkenheit"(185) und der Beschreibung eines Gelages auf der Marienburg. Dieser Sittenverfall verhindert die Retttung des Ordens durch Heinrich von Plauen: "Aber nun müssen Jahrhunderte an diesen stinkenden Schlemmern scheitern" (186). Der zweite große Fehler des Ordens ist sein Festhalten am Zölibat, durch das wertvolles Blut vergeudet wird: "Zweihundert Jahre lang habt ihr die Blüte des deutschen Adels entmannt, und jetzt wundert ihr euch über die Früchte"(187). Aus diesem Grund hält Heinrich von Plauen seinen Vetter davon ab, Ordensmitglied zu werden. Der einzige Ausweg wird in der Umwandlung des Ordensstaates in ein weltliches Herzogtum - Preußen - gesehen: "-säße ich an euerer Stelle, ich tauschte das Mönchskleid mit dem Herzogsmantel. Tuts, und Preußen ist Euer!"(188). Diejenigen, die laufend diese guten Ratschläge verteilen, sind das positive Gegenbeispiel zu den Ordensrittern, die bäuerlichen Blut- und Bodenritter von Tepper: "Von den dürren Gelenken hingen die schaufelförmigen Hände schwer und bäuerlich wie bei dem Sohn"(189). Die Hoffnung des Romans ist der unehelich im Gefängnis gezeugte Sohn von Heinrich von Plauen und Swolke von Tepper. Swolke - die reine, junge, blonde Frau( 190)- erkauft sich einen Gefängnisaufenthalt bei Heinrich von Plauen, um seinen Erben zu empfangen: "Aber ich will sein Blut in meinem Blute fühlen, ich will - ja Vater, ich will ein Kind von seinem Fleisch und Blut!" (191).Zum Zwecke der Fortpflanzung ist die körperliche Liebe das einzige Mal positiv besetzt, sonst tritt sie nur in der Negativgestalt der schwarzhaarigen Frau in Erscheinung. Die Polin Jascha wird als Gegenbild zu Swolke dargestellt: "Er dachte kaum an Orden und Gelübde, doch daß er die Süße und Reine, daß er Swolke in den Armen einer polnischen Dirne in den Staub gezogen hatte, das war seine Qual und Marter"(192). Der Verführte ist nicht Heinrich von Plauen, sondern der Hochmeister Ulrich von Jungingen. Das zweite Mal verführt ihn Leonore von Renys - auch sie ist dunkel und hat "große, leidenschaftliche, saugende Augen"(193)-, die Tochter des Führers des Eidechsenbundes Nikolaus von Renys. So wird die Libido mit zur Ursache des Verrats der Eidechsenritter während der Schlacht von Tannenberg; Ulrich von Jungingen erlangt seine Reinheit erst durch den Heldentod wieder. Auch mit anderen Topoi geht Jansen nicht kleinlich um. Der Hinweis auf das Reich entfällt zugunsten Preußens und Deutschlands: "Es geht nicht mehr um den Orden, nicht mehr um das gegenwärtige Geschlecht - es geht um Preußen, um mehr, um Deutschland"(194). Heinrich von Plauen ist der übermenschliche Führer, an dessen eisernem Willen der polnische Sturm auf die Marienburg scheitert: "Der eine Mann ist mehr als ein Heer"( 195). Das Volk, die Bürger und Bauern, ist gesund, nimmt aber im Roman keinen großen Raum ein..Es geht mehr um die Ursachen der Niederlage, und die liegen beim Orden, der durch sein schlechtes Beispiel die Selbstsucht der Untertanen provoziert hat: "Wir, wir selbst geben das schlechte Beispiel. Nichts ist trauriger als eine Herrschaft, die nicht dienen kann und will. <...> Herrschaft muß sein, aber sie muß dem gemeinen Wohl dienen - ja, sie muß dienen."(196)Heinrich von Plauen propagiert hier Spenglers "preußischen Sozialismus". Heroismus und Kriegsverherrlichung sind ebenfalls ein wesentliches Element des Romans. Seitenlang wird pathetisch die Schlacht von Tannenberg beschrieben. Der naive, sich an Heldensagen orientierende Stil offenbart den reaktionären, anti-modernistischen Charakter des Romans. Rings um ihn sanken die Freunde, er aber focht mit leuchtenden Augen, und mit jedem Schlage dünkte ihn seine Seele heller. Mit einem Male fuhr ein feurige Lohe mitten in seine Brust, er fühlte sich pfeilschnell emporgehoben, und lächelnd trat er vor Gott.(197)Obwohl es auch unter den Polen ritterliche Helden gibt, ist die Botschaft des Romans rassistisch. Der deutsche Ritterorden wird nicht als mittelalterliches Fürstentum gesehen, er hat nur die Aufgabe, das deutsche Volk "gegen die mordgierige Welle der Slawen"(198) zu verteidigen. Bei der Beschreibung eines Verräters am eigenen Volk - bezeichnenderweise ein Bischof - verfällt Jansen völlig in rassistische Trivialwertungen: Inzwischen stand vor dem Statthalter der Bischof Johannes von Kujavien, schwarzhaarig, mausäugig, die breiten gelben Backenknochen vom fetten Leben vertalgt,mit Spangen und Ringen behangen wie eine Dirne.(199)An der Charakterisierung der Bischöfe, die fast alle mit den Polen paktieren, erkennt man die kirchenfeindliche Haltung. Im Gegensatz zu ihrem verlogenen Katholizismus steht die tiefe - völkische - Frömmigkeit Heinrichs, der "ohne die Krücken des geschriebenen Wortes"(200) Gott in seinen tausend Gestalten sieht. Jansen häuft Ideologeme aus dem Umfeld der gesamten Konservativen Revolution: Führerprinzip, preußische Dienstauffassung, Innerlichkeit, Heroismus und Rassismus. Das und die unerträgliche Schwarzweißmalerei machen die Trivialität des Romans aus. Wegen der Dominanz der Blut- und Boden-Ideologie kann man ihn als völkisch bezeichnen, obwohl mit der Propagierung des preußischen Dienst- und Staatsgedankens bereits Übergänge zum nationalsozialistischen Roman erkennbar sind. Noch eindringlicher für die völkischen "Anliegen" der Gegenwart wirbt Wilhelm Kotzde mit seinem Roman "Die Burg im Osten". Eine Widmung läßt keinen Zweifel, welchen Ideen und Zielen der Roman dienen soll. Kotzde huldigt jenen Männern, welche den deutschen Osten vor der Vernichtung durch asiatische Horden mit dem Schwert bewahrten, Paul von Hindenburg und Erich von Ludendorff, danke ich den vielhunderttausend Toten aus unserm Blut, die des weiten Ostens Erde deckt, grüße ich jenen Kommenden, der verlorenen deutschen Volks- und Kulturboden zurückgewinnen und uns das Tor nach dem Osten aufschlagen wird - ein Land gehört jenem, der ihm die höchste Kultur gibt.Der Ritterorden hat nicht nur die Funktion eines Bollwerks, sondern dient auch der expansiven Landnahme, die von Kotzde mit der angeblichen Überlegenheit der deutschen Kultur legitimiert wird. Die Hinweise auf die eigene Überlegenheit sind fast immer mit einer haßerfüllten rassistischen Abwertung der Polen verbunden: Das Land wäre lange zugrunde gegangen, wenn die deutschen Bürger nicht hereingekommen ären. Denn dieses Volk (=Polen,d.Verf.) hat mitten in seiner Seele eine Kraft, die nicht aufbaut, sondern zerstört, die Siege feiert und danach alles zersprengt: das ist der Haß. Dieses Volk lebt vom Haß und wird an ihm sterben.(201)So wie diese Attacken vom Ende des Weltkrieges geprägt sind, weiß der Hochmeister auch schon um die zukünftigen Gegenmaßnahmen - die polnischen Teilungen(202). Unter dem Eindruck der Nachkriegskämpfe deutscher Freikorps im Baltikum steht die positive Bewertung der Litauer. Sie kämpfen eigentlich nur wegen der verfehlten Politik ihrer Fürsten gegen die Deutschen, denn ihre historische Bestimmung - ihr "Heil" - liegt im Anschluß an das deutsche Reich(203). Daß es sich bei dem Krieg zwischen Polen und dem deutschen Ritterorden eigentlich um einen Rassenkampf handelt, verdeutlicht Kotzde damit, daß der Polenkönig seine Männer auffordert, deutsche Frauen zu vergewaltigen, um das deutsche Volk zu verderben(204). Eine Kritik an der Politik des Ordens oder an seinen überholten sozialen Strukturen findet nicht statt. Der Orden erliegt heroisch dem feindlichen Verrat und einer erdrückenden Übermacht. Die schweren sozialen Spannungen, die letztendlich zum Bündnis des Landadels und der Städte mit Polen führen, werden von Kotzde ausgeklammert - der Roman endet mit der erfolgreichen Verteidigung der Marienburg. Was an inneren Konflikten nicht zu unterschlagen ist, entrückt Kotzde in den Bereich des Mythos. In dem Kapitel"Die Töchter des Trugs"(2O5) beschreibt er zwei dunkle, sinnliche Frauen - offensichtlich Polinnen -, die wie apokalyptische Reiter das Land durchstreifen und Zwietracht säen. Unbeirrt kann sich der Hochmeister über die Ansprüche der Stände hinwegsetzen, das Klasseninteresse wird im völkischen Mythos zum Sündenfall: Es gehen zwei Dirnen durch die Welt, sie heißen Lüge und Verrat. Sie buhlen mit trügerischer Schönheit <...>.Die Dirnen fanden den Weg in unser Land, ich weiß es wohl. Nichts hat mein Herz also erschüttert, denn daß auch Deutsche mit ihnen buhlten. Solange die beiden nicht aus der Welt geschafft sind, wird es keinen wahrhaften Frieden geben.(206)Mit dem Hinweis auf Wicherts "Heinrich von Plauen"(207) läßt sich am besten die neue politische Zielsetzung des Ordensromans der zwanziger Jahre belegen. Für Wichert liegt die Ursache für die Niederlage des Ordens im Versäumen von innenpolitischen Reformen; der positive Mahner des Romans ist deshalb der Danziger Bürgermeister Konrad Letzkau, den Jansen als Verräter vorführt. Der Roman fordert als Konsequenz der Ordensgeschichte die Machtbeteiligung des Bürgertums. Auch Jansen zeigt "Fehler" des Ordens, in der Dekadenz der Elite, dem krankhaften Festhalten am Zölibat und der damit verbundenen Vernachlässigung des völkischen Zuchtgedankens. Sein Heinrich von Plauen überwindet das Gelübde und hat, nach seiner Niederlage, zumindest sein "Blut" weitergegeben. Für Kotzde gibt es keinerlei Zweifel an der Struktur und den Zielen des Ordens, er wird nur von den teuflischen Trieben Selbstsucht und Verrat aufgehalten, hinterläßt aber den gegenwärtigen Deutschen die Verpflichtung seine Politik wieder aufzunehmen. Kotzdes Roman enthält auch die stärksten rassistischen Angriffe gegen die Polen und die "asiatischen Horden". Bei Jansen äußert sich der Rassismus eher im Zuchtgedanken, während Wicherts Roman noch frei davon ist. III.4.1.c. Literarische BearbeitungVerdienen die eben behandelten Romane auf Grund ihrer starken Wirkung Beachtung, so darf man aus ihnen nicht den Schluß ziehen, daß die völkische Literatur sich immer derartig direkt der aktuellen Politik zuwendet; dies ist im Grunde eher verpönt. Denn Kotzde und Jansen erhalten in den nationalsozialistischen Literaturgeschichten zwar ihren Platz, die bedeutenden Ehrungen - z.B. Aufnahme in die preußische Akademie der Dichtkunst - erfahren sie aber nicht. Dies gelingt zwei anderen völkischen Autoren, Paul Ernst und Agnes Miegel, die ihre Literatur eben nicht zu politischen Propagandaschriften machen und für die literaturwissenschaftliche Rezeption von größerer Bedeutung sind.Liest man Ernsts Roman "Der Schatz im Morgenbrotstal"(1926) oder Miegels "Geschichten aus Altpreußen"(1926) nur unter dem Gesichtspunkt, völkische Gegenwartsideologeme anzutreffen, so wird man sie nur schwer zuordnen können; man muß sich statt dessen mehr auf die unterschwellig vorhandene Weltanschaung und die damit verbundene Form stützen. Ernsts Roman erzählt die Geschichte eines ehemaligen Soldaten - Herman Wied -, der kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg bei einer alten Frau auf einem abgebrannten Bauernhof bleibt und mit dessen Wiederaufbau beginnt. Die Folgen des Krieges sind noch überall als Zerstörung und Elend gegenwärtig. Mit dem Auftauchen von fünf ehemaligen Soldaten scheint der Krieg wiederzukehren. Diese Marodeure ermorden aus alter Gewohnheit einen Bauern und dessen Knecht und brennen den Hof nieder. Auf der Suche nach einem im Krieg versteckten Schatz ermorden sie sich auf viehische Weise gegenseitig. Den Schatz findet Hermann Wied, der ihn zum Wiederaufbau verwendet. Das Grundthema des Romans ist der Gegensatz zwischen Soldaten und Bauern, zwischen Zerstörenden und Schaffenden. Es wird gleichnishaft an zwei ungefähr gleichaltrigen Soldaten - Wied und Sommer - festgemacht. Sommer hetzt seine eigenen Kameraden zum Kampf gegeneinander, ermordet zwei mit eigener Hand und erhängt sich am Ende selbst; er ist somit der zerstörerische Gegensatz zum aufbauenden Hermann Wied. Der Roman endet mit der Beschreibung der toten Soldaten, von denen drei von den Wölfen gefressen werden, so daß im Frühjahr nur "einige stinkende Knochen"(208) übrigbleiben. Ebenfalls im Frühjahr krönt eine Doppelhochzeit symbolträchtig den Erfolg der Schaffenden. Ein Zeichen von Ernsts humanistischer Bildung ist, daß die Roheit der Soldaten nicht, wie in Löns' "Werwolf", zum Vorwand genommen wird, die eigene Mordlust zu legitimieren. Die Soldaten sind bei Ernst ebenfalls Opfer des Krieges; unfähig zur Umstellung bleiben sie auch im Frieden brutale Mörder. Wied tötet seine Gegner nicht, er zeigt sogar Verständnis: "die Soldaten haben mich einmal mitgenommen, wie ich vier Jahre alt war. Was kann da aus einem Menschen werden? Wenn ich einmal Kinder habe, die werden besser erzogen"(209). Obwohl das Schatzmotiv eher "novellistischer Natur"(210) ist, kann man von einem Roman sprechen. Ernst erzählt in karger, einfacher Sprache und orientiert sich am Aufbau des klassischen Dramas(211). Dadurch soll das Leben auf seine wesentlichen Aussagen reduziert werden. Das Chaos und die Zerstörung des Krieges werden von der einfachen und klaren Ordnung abgelöst. Die bäuerliche Familie wird zur Idylle, in die das problematische Individuum integriert wird(212). Der Schatz ist eigentlich Nebensache, er fördert nur noch einmal die Konflikte. Der Wiederaufbau hängt mehr von der Kraft des einzelnen ab als vom Geld des Schatzes. Vor allem die Utopie des bäuerlichen Idylls und die idealisierte Beschreibung des blaublonden Paares(213) verraten die völkischen Tendenz des Romans. Agnes Miegels "Geschichten aus Altpreußen" bestehen aus vier Novellen, von denen die bekannteste - "Die Fahrt der sieben Ordensbrüder" - hier kurz behandelt werden soll. Ihr historischer Hintergrund ist die frühe Ordenszeit. Sieben Ordensritter, der Hauskomtur und zwei ausländischen Gäste des Ordens - ein Englän- der und ein Franzose - haben sich im Samland verirrt und müssen auf dem Hof eines einheimischen Fürsten, der im Sterben liegt, übernachten. Miegel beschreibt diese eine Nacht, die Gespräche der Ritter und das Totenopfer. Sie legt dabei großen Wert auf die genaue Schilderung der einheimischen Preußen. Diese Preußen gleichen nicht Jansens oder Kotzdes Finsterlingen, sie sind - historisch korrekt - weißblond und blauäugig und durchweg- stark idealisiert - edle, vornehme Menschen(214). Die Ordensritter werden nicht ideologisch überhöht: Sie haben Probleme mit dem Klosterleben und dem Zölibat. Der Orden wird als Versorgungsan- stalt für die überzähligen Söhne des Adels beschrieben(215). Während des Totenopfers werden die Enkel des Fürsten getötet. Miegel symbolisiert damit den Untergang eines tapferen Volkes. Die Frage nach dem Recht der Eroberung wird nicht gestellt. Sieger und Verlierer sind mystisch durch das Land verbunden, dessen Besitzrecht mit Blut erworben werden muß (216). Für Miegel zählt weniger die rein arische Rasse als die Rassenmischung, die das Land hervorgebracht hat(217). Die Ordensritter entstammen sämtlichen Gebieten des Reiches, die Mutter des Hauskomturs ist Sarazenin und die eines anderen Ritters Wendin. Nach der tragischen Nacht begegnen die Ordensritter bezeichnenderweise einigen schönen, stolzen Mischlingskindern, die einem Lehrbuch für Rassenfragen entstammen könnten: "Es war ein gutes, helles, blondes Gesicht, langgezogen mit schmalem Kopf"(218). Miegel zeigt an den Ereignissen der Nacht den Untergang der pruzzischen Kultur, aber auch ihr Verschmelzen mit den Eroberern zum ostpreußischen Volk. Diese Verbundenheit wird stark idealisiert. Pruzzen und Ordensritter begegnen sich mit Hochachtung, während die beiden Ausländer niedrige Menschentypen darstellen. Der Franzose giert nur nach den Frauen. "Ich hätte nie gedacht, daß diese Tiere so hübsch sind"(219). Der Engländer ist ein dumpfer Materialist; als die Ordensritter erschüttert am Bett des toten Fürsten stehen, befingert er nur den Stoff des Vorhangs und schneidet ein Stück ab: "Gutes Tuch, hä? <...> Tolle Webart! Aber sehr gut, sehr reell". Als ihn daraufhin einer der pruzzischen Knechte niederstechen will, hält ihn ein Ordensritter zurück und sagt nur: "Laß ein Fremder!" Der Knecht verschont den Engländer, "dann neigte er das fahlhaarige Haupt. Und plötzlich bückte er sich und küßte den Ärmel des deutschen Herrn"(220). Miegels Sympathie für das pruzzische Volkstum ist, im Kontext der völkischen Literatur, durchaus hoch zu bewerten, sie ist das konsequente Ergebnis historisch-ethnologischer Erkenntnisse, die sie - im Gegensatz zu den meisten ihrer völkischen Schriftstellerkollegen - micht ignoriert. Das charakteristischen Freund-Feind-Denken kommt allerdings in der klischeehaften Abwertung der beiden westlichen Ritter zum Ausdruck. Der Gedanke, daß Volkstum durch Rassenmischung entsteht, kommt auch in der dritten Geschichte - "Engelkes Buße" - vor. Eine blonde, niedersächsische Magd heiratet einen preußischen Jäger mit dunklem, krausen Haar und braunen Augen, den sie zärtlich "Polack" nennt. In der ersten Geschichte - "Landsleute" - treffen sich in einem byzantinischen Gefängnis eine zum Tode verurteilte germanische Frau und ein germanischer Söldner. Beide fliehen aus der verkommenen Großstadt in die reine nordische Heimat. Miegel stellt geschickt der morbiden Großstadt,mit Zirkusspielen, Huren, Korruption, weibischen Männern und einer falschen Kirche, die gesunden germanischen Menschen gegenüber. Aufgelockert wird diese Darstellug von den positiven Figuren einer alten, mütter-lichen Hure und eines Judenmädchens im Kerker. Wie Ernst bemüht sich Miegel um eine strenge neuklassische Form. In ihren ersten drei Novellen werden sogar weitgehend die drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung gewahrt. Daß mit einer derartigen Beschränkung bewußt eine Idealität und keine Realität beschrieben werden soll, ist wohl offensichtlich. Für die Qualität der Bücher von Ernst und Miegel - im Vergleich mit der anderen völkischen Literatur - spricht, daß die Gegenwartsideologie nicht so direkt angesprochen werden muß und auf die übliche billige Freund-Feind-Unterscheidung weitgehend verzichtet wird. Ebenfalls nicht vorhanden sind die sonst so beliebten heroischen Kampfbeschreibungen. Ernst und Miegel gestalten einfache, an sich durchschnittliche Menschen. Ihre Hinwendung zum Volk ist glaubhafter als zum Beispiel in Kolbenheyers "Paracelsus" oder in Bluncks "Urvätersaga", wo nur das große, heroische Genie zum Repräsentanten des Volkstums taugt. Beide aber zeigen keine wirklichen Probleme; in gleichnishaften Beispielen werden eindeutige Lösungen vorgeführt. Das krampfhafte Festhalten an den Überschaubaren Werten von Land und Volkstum äußert sich in den Bemühungen um eine strenge, geschlossene Form und einen gewollt einfachen Sprachstil. Hier wird nicht in epischer Breite das Aufbruchspathos der Gottsucher dargestellt, sondern der Rückzug in eine geordnete Welt. Beide schildern eine Nachkriegszeit, und beide wünschen den Frieden, aber die vergangenen Kriege werden nicht analysiert; sie haben den Charakter von Naturkatastrophen. III.4.2. Themen nationalrevolutionärer RomaneDer revolutionäre Nationalismus ist in erster Linie eine literarische Bewegung, als deren herausragendster Vertreter Ernst Jünger gilt. Von ihm werden die wichtigsten theoretischen Positionen formuliert(221). Im Gegensatz zu den Völkischen und den Deutschnationalen versuchen die Nationalrevolutionäre nicht die Veränderungen des 20. Jahrhunderts zu ignorieren oder gar rückgängig zu machen, sondern wollen die ihrer Meinung nach entsprechenden Konsequenzen ziehen. Dies führt literarisch zu anderen Ausdrucksformen als in der oft antiquierten völkischen oder konservativen Literatur(222). Ketelsen hat diesen Ansatz bei Benn und Jünger nachgewiesen, bei denen sich der "Sprung in die neue Epoche" auch literarisch auswirkt, wofür Ketelsen die Bezeichnung "regressiver Modernismus" einführt. Zurecht bemerkt Ketelsen, daß es eine "Verniedlichung des deutschen Faschismus" wäre, seine Literatur nur mit der kleinbürgerlichen, antimodernistischen Opposition zu erklären(223).Sind die Zusammenhänge zwischen Expressionismus und Faschismus schon seit der Expressionismusdebatte ein vieldiskutiertes Thema, so wendet sich die neuere Forschung auch der Neuen Sachlichkeit zu. Für Lethen steckt hinter dem Kampf der Faschisten gegen die sogenannte Asphaltliteratur die Absicht, ihre technokratischen Pläne vor dem Mittelstand zu verschleiern(224). Schon 1939 wird der Einfluß der Neuen Sachlichkeit auf den Stil der Jugendbewegung der Weimarer Republik - im Gegensatz zum Wandervogel - festgestellt, wobei man im Schlichten, Soldatischen, Sachlichen - gegenüber dem individuell Expressionistischen - eine "Wendung vom Ich zum Wir" sieht(225). Sachlichkeit bedeutet in diesem Falle allerdings nicht Rationalismus, sondern eine Beschränkung auf das knapp-soldatische, das preußisch-spartanische. Obwohl keiner der bedeutenderen Vertreter des revolutionären Nationalismus historische Romane geschrieben hat, ist doch anzunehmen, daß das von ihnen vertretene Gedankengut in historischen Romanen verarbeitet wird. Dieses Gedankengut ist deshalb besonders unter dem Gesichtspunkt seiner Stellung zur Moderne - das heißt selbstverständlich auch seiner Stellung zur Geschichte - zu beleuchten. Grundsätzlich gehen auch die Nationalrevolutionäre von einem zyklischen Geschichtsbild aus, durch den Weltkrieg und die Revolution kommen sie jedoch - im Gegensatz zu den Jungkonservativen, Deutschnationalen und Völkischen - zu der Einsicht, daß viele Veränderungen nicht aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen sind. Man hat das Moderne des Krieges erlebt; Begeisterung und Idealismus waren an dem "unwiderlegbaren Gegenstand eines Maschinengewehrs" gescheitert(226). Auch auf das Versagen der alten Oberschicht wird hingewiesen: "Daher ist es eines der wichtigsten Ergebnisse des Krieges, daß diese, nicht einmal den Wertungen des Fortschritts gewachsene, Führerschicht in der Versenkung verschwand"( 227). Bei den Nationalrevolutionären handelt es sich im wesentlichen um jene Bürgersöhne, denen der Krieg die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg gegeben hat. Durch Leistung und Tapferkeit sind sie Frontoffiziere geworden und verherrlichen daher eher einen neuen Leistungsadel als das starre, alte wilhelminische System(228). Aber auch dieser revolutionäre oder dynamische Konservatismus ist eigentlich fortschrittsfeindlich. Er versucht durch ein radikales Bekenntnis zur Moderne, diese zum Abschluß zu bringen; er möchte sich sozusagen nach vorne aus dem ebenfalls, als verhängnisvoll empfundenen, historischen Prozeß retten. Schüddekopf spricht von einer vom Nihilismus ausgelösten "Verzweiflung, die die Entwicklung vorantreiben wollte, um nach vorne durchbrechen zu können"(229). Auch Jüngers nach vorne gerichtete Utopie strebt ein Ende der Geschichte an(230). Ebenso läßt sich die Vorliebe mancher neuerer Konservativer für die Technokratie nur mit der Idee von der "Kristallisation" des historischen Prozesses erklären(231). Mit anderen Gruppen der konservativen Revolution verbindet die Nationalrevolutionäre deshalb eher eine gewisse Prozeßfeindlichkeit als ein einfacher "Antimodernismus"(232). Das Bekenntnis zur Moderne greift auf die dynamische Tradition der Jugendbewegung und Teile des Expressionismus zurück(233). So setzt zum Beispiel Moeller van den Bruck schon 1916 den sachlichen "preußischen Stil" gegen Mythe und Romantik ab: "Das Preussentum war der Geist, der in Deutschland die Schwärmerei durch den Willen, den Schein durch die Sache und Sachlichkeit ablöste"(234). Der Nihilismus soll durch einen "heroischen Existentialismus" (235) überwunden werden, den der Willensakt einer Elite ermöglicht. Darin zeigt sich der idealistische Ansatz dieser Gedanken. Trotz der häufigen Verwendung sozialistischer Begriffe und Parolen verwirft man die materialistische Methode. "Letztlich ging es ihnen nicht um die nur politische, sondern um die religiöse, geistige und moralische Erneuerung des deutschen Volkes"(236), auf der dann das neue politische System aufbauen sollte. So sehr sich manchmal die Unterscheidung zwischen rechts und links aufzulösen scheint, so empfiehlt es sich doch an dem grundsätzlichen Gegensatz von Materialismus, Rationalismus und einem fortschrittsorientierten Geschichtsbild einerseits und Idealismus, Irrationalismus und einem eschatologischen oder zyklischen Geschichtsbild andererseits festzuhalten. Die Nationalrevolutionäre kritisieren mit dem Begriff Romantik unpolitische Schwärmerei. Die Berufung auf den Irrationalismus, besonders die deutsche Mystik, ist dagegen eine Grundbedingung ihrer Ideologie (237). Neben dem Kriegserlebnis sind die Revolutionen in Rußland und Deutschland von entscheidendem Einfluß auf das Denken der Nationalrevolutionäre. Man bewundert die Macht und die Dynamik der Massenbewegungen, den Widerstand der Sowjetunion gegen den Westen und sieht in der Kaderpartei die ideale Herrschaft einer Elite. Die bolschewistische Revolution scheint ein Weg zu neuer nationaler Größe Rußlands zu sein; man fordert deshalb einen eigenen nationalen Sozialismus.In erster Linie versucht man jedoch, sich dabei die Zugkraft sozialistischer Parolen zunutze zu machen. Das populärste Beispiel ist Spenglers 1920 erschienenes Buch "Preußentum und Sozialismus". Für ihn ist preußischer Sozialismus der Dienst am Ganzen: "Friedrich Wilhelm I. und nicht Marx ist in diesem Sinne der erste bewußte Sozialist gewesen"(238). Es wird auch keine klassenlose, pazifistische Gesellschaft, die dem Glück des Einzelnen dient, angestrebt: "Jeder erhält seinen Platz. Es wird befohlen und gehorcht", denn "Krieg ist die ewige Form höheren menschlichen Daseins und Staaten sind um des Krieges willen da"(239). Ein so verstandener Sozialismus dient einzig der totalen Militarisierung, vor der selbst die Altkonservativen zurückschrecken. Den Nationalrevolutionären ist klar, daß die Revision des Versailler Vertrages nur mit einer totalen Mobilmachung der Gesamtbevölkerung erfolgen kann, die über die allgemeine Wehrpflicht weit hinaus geht(240). Die russische Revolution wird zum Vorbild, von dem man sich die notwendige Resonanz in der Bevölkerung erhofft: "Es sind hier Aktionen von einer Brutalität erforderlich, wie sie nur 'im Namen des Volkes`, niemals aber im Namen eines Königs auszuführen sind"(241). Auch Jünger ist nicht für eine klassenlose Gesellschaft: "das Muster jeder Gliederung ist die Heeresgliederung, nicht aber der Gesellschaftsvertrag"(242) Historische Vorbilder sind für ihn der Militärstaat Sparta, der deutsche Ritterorden, die preußische Armee und die Societas Jesu(243). Freilich führen diese Gedanken oft in die Nähe staatssozialistischer Ideen. Um 1932 formiert sich in der technischen Intelligenz eine starke Technokratiebewegung, die sich, besonders durch die Erfahrungen des Weltkrieges, für eine Lenkung der Wirtschaft stark macht und auch Beziehungen zur "Konservativen Revolution" unterhält(244). Prümm verweist darauf, daß diese Sozialismuskonzepte mehr in die Richtung "staatlicher Dirigismus und Etatismus" gehen(245). Trotzdem werden dabei die Unterschiede zu den rein mittelständischen Abwehrideologien deutlich. Man fordert kein föderalistisches Reich und auch keine bäuerliche Mittelstandsgesellschaft, sondern den zentralistischen, totalen Staat, der sich moderner Techniken und Strukturen bedienen muß. Ernst Jünger zum Beispiel lehnt, mit dem Hinweis auf die moderne technisierte Landwirtschaft, die Unterscheidung zwischen Stadt und Land ab(246). Ähnlich verhält es sich mit dem Rassebegriff. Rasse ist für den Nationalrevolutionär eher ein Qualitätsurteil als ein biologischer Begriff. Jünger spricht von den Söhnen französischer Emigranten und märkischer Junker, die erst in den Kadettenanstalten - den "Priesterschulen" - zur Elite werden(247). Moeller van den Bruck verweist auf den starken slawischen Einschlag; für ihn prägt die kulturelle Einheit und nicht die Rassenmischung das Volkstum: "Wir werden deshalb nicht das Wendische im Preußischen bestreiten brauchen"(248). Das Bekenntnis zur Moderne ist ein schmerzhafter Willensakt, der unter dem Druck der Tatsachen äußerst unfreiwillig vollzogen wird, dann allerdings mit aller Radikalität(249). Daß es durch die Ablehnung von Prozeßdenken und Rationalismus, die die Moderne im wesentlichen bestimmen, unmöglich ist, diese adäquat zu erfassen, ist wohl offensichtlich. Die Technik wird nicht nüchtern im Rahmen ihrer Möglichkeiten gesehen, sondern mystifiziert. Prozeßfeindlichkeit kennzeichnet auch das nationalrevolutionäre Geschichtsbild. Geschichte wird immer zyklisch gesehen, oft erscheint sie als sinn- und gesetzloses Chaos, aus dem sich aber immer wieder eine große Idee, ein Prinzip oder ein übermenschlicher Führer herausheben. Konkret wird auf ein kleindeutsch-preußisches Geschichtsbild zurückgegriffen, wobei das Preußen des 18. Jahrhunderts das zentrale Vorbild ist: "Preußen wird zu einem überzeitlichen Prinzip, einem zeitlosen Erbe"(250). Mohler stellt dazu fest: "Was für die Völkischen die germanische Vorzeit und für die Jungkonservativen das mittelalterliche Reich, das ist für sie das Preußen des Soldatenkönigs und Friedrichs des Großen" (251). Neben der Vorliebe für totalitäre Militärstaaten - Preussen und Sparta - verherrlichen die Nationalrevolutionäre gerne den Typus des "ewigen" Kriegers. Dominique Venner beschreibt "diese ewigen Landsknechte" mit unverhohlener Begeisterung: Denn sie waren geborene Soldaten, der Krieg hatte sie aus der Herde der Krämer, Fabriksarbeiter und Buchhalter in Uniform ausgesucht, aus denen die Masse der nationalen Armeen besteht. In ihnen brannte das heiße Blut der Reiterei Karls V.,der Landsknechte des Dreißigjährigen Kriegs und der Piraten Störtebekers.(252)Jünger vergleicht die Freikorps mit der "wunderlichen Auferstehung der alten Landsknechte"(253). Ernst von Salomon bezeichnet sie als "verlorenen Haufen", und sein populärer Freikorpsroman "Die Geächteten" bezieht sich mit dem Titel auf die Geächteten der isländischen Sagas(254). An der Verherrlichung des Kriegers kann man die stark nihilistische Komponente der Freikorps erkennen. Diese nihilistischen Krieger stehen in einem unübersehbaren Gegensatz zur völkischen Lieblingsfigur des bewahrenden Bauern. Man muß sich vergegenwärtigen, mit welchem Genuß ein konservativ-völkischer Autor wie Hermann Löns seine Protagonisten Landsknechte abschlachten läßt. Bei ihm kämpft eben der wilhelminische Bürger um Besitz und Familie und nicht der nihilistische Freikorpsmann, für den Frieden nur das Ende seiner Karriere bedeutet. Die Darstellung von Kampf und Familie ist neben dem Auflösen sozialer Konflikte ein wichtiges Indiz bei der Untersuchung nationalrevolutionärer Literatur. Hier verraten Autoren und Rezipienten unbewußt oft mehr über ihr Verständnis der Moderne als in aufgesetzten Bekenntnissen, Die ekstatische Verherrlichung des Kampfes findet sich schon in Rilkes "Cornet" und in Molos "Fridericus". Beide lassen sich auch formal von der üblichen wilheminischen Kriegsliteratur unterscheiden und können als Vorläufer einer regressiv modernistischen Literatur bezeichnet werden. An die Stelle der bäuerlichen Mittelstandsideologie rücken sie ein existentialistisches Aufbruchspathos. III.4.2.a. Krieger und soziale KonflikteZur Darstellung der für den revolutionären Nationalismus interessanten Problematik bietet sich die Zeit der spätmittelalterlichen Hanse geradezu an. Eine expandierende, für ihre Zeit sehr fortschrittliche Stadtgesellschaft, mit den sozialen Konflikten zwischen Patriziat und Zünften und dem Landsknechttum von Störtebekers Piraten, führt zu anderen Gegenentwürfen als der historische Bauernroman oder die neuromantische Mittelalterschwärmerei. Dienten Hanseromane im Kaiserreich hauptsächlich dazu, bürgerliche Emanzipationsbestrebungen zu illustrieren, so rücken nach 1918 mehr die sozialen Revolutionäre - die Likendeeler - ins Zentrum des Interesses(255).Am einfachsten läßt sich diese Landsknechtromantik im Jugendbuch unterbringen, wie in Wilhelm Lobsiens "Klaus Störtebeker" (1927). Dabei wird jedoch jegliche soziale Problematik ausgeklammert. Aus Rache schließt sich der Ritter Störtebeker einer Schar an, " die auszog, an aller Welt für alles begangene Unrecht Vergeltung zu üben"(256). Trotz - oder gerade wegen seiner Trivialität ist dieses Buch durchgehend beliebt und hat, wie viele andere seiner Art, dazu beigetragen, Jugendlichen romantische Vorstellungen von Krieg und Rache nahezubringen. Die beiden wichtigsten Romane der Zeit zu diesem Thema sind Hans-Friedrich Bluncks "Hein Hoyer"(1920) und Hans Leips "Godekes Knecht"(1925). Bluncks "Hein Hoyer" entsteht 1919 unter dem direkten Einfluß der Novemberrevolution und der Freikorpskämpfe(257). Die Handlung des Romans spielt in Hamburg um 1400. Die Stadt wird von den Seeräubern vor ihrer Küste und der Expansionspolitik Dänemarks bedroht, gleichzeitig ist sie von inneren Ständekämpfen zerspalten. Während die Patrizier engstirnig darauf bedacht sind, ihre Privilegien zu wahren, fordern die Zünfte eine Machtbeteiligung. Die Unruhen werden von "Schwarmgeistern" dazu benützt, das Volk sinnlos aufzuhetzen(258). Der Landsknechtführer und ewige Krieger(259) Hein Hoyer ist nach langen Diensten in Italien und England in seine Heimatstadt zurückgekehrt und versucht, die Konflikte zu schlichten. Er zwingt den Rat zur Aufnahme von Zunftmitgliedern und besiegt die Aufrührer, allerdings "um der echten Freiheit willen, für die er fürchtete und die er über alles liebte"(260). Diese vielbeschworene Freiheit versteht Blunck im Sinne einer totalen Mobilmachung. Dementsprechend sehnt sich Hoyer - ganz unhanseatisch - nach einem starken Reich(261). Das Volk weiß von dieser Freiheit nichts. Um sie weiß nur Hoyer, der sie dem Volk als übermenschlicher Führer aufzwingen muß, denn: "Das Volk von Hamburg war noch taub und dumpf(262). Der bucklige Hein Hoyer wird zum Dämon der Stadt. Zeitweilig zieht er sich mit seinen Männern zurück, die Stadt dem Chaos überlassend, um dann schließlich die Führung zu übernehmen. Im Krieg gegen Dänemark gelingt es ihm, die Hanse zu einigen und zu mobilisieren: Aber die Städte schütteten Schar um Schar ins Land, für die Freiheit zu reiten, und Hein Hoyer schlug aus Holsten und Hansen ein Heer von seinem Geist. Gegen Gettorp stieß er und und entsetzte die treue Burg. Wie ein Stier brach er gegen Norden vor. Und er traf den übermächtigen König bei Tondern. Aber der Deutschen Wille um die Heimat war unbändiger als alle Macht,der Hamburger Ratsherr schlug ihn aufs Haupt. Bis Jütland ritt Hein Hoyer, den König zu fangen, um der Freiheit willen.(263)Bluncks pathetischer Stil macht offensichtlich, wie die Menschen der Städte zu Kriegsmaterial werden, die Freiheit zur Mobilisierungsparole und Hein Hoyer zum Übermenschen, in dem das ganze Geschehen kulminiert. Bemerkenswert ist auch, daß eine neue Gesellschaftsform angestrebt wird, die nicht mit mittelständischen oder monarchistischen Modellen zu verwechseln ist. Es handelt sich dabei um eine Art Populismus, der als "junge Zeit"(264) umschrieben wird. Blunck nimmt die spätere nationalsozialistische Hanseinterpretation vorweg, die an der Hanse vor allem Führertum, Wehrgeist und die innere Struktur, die den Bürger zum Soldaten macht und den totalen Krieg ermöglicht, hervorhebt(265). Bei der Frage nach Bluncks Geschichtsbild ist eine andere Stelle von zentraler Bedeutung. Hoyer steht vor dem von ihm erschlagenen Herzog von Holstein und spricht zu dem Toten: "Wisset, Eure Zeit ist vergangen.; die alte Erde, die ich nicht erklären konnte,stirbt. Aber sie ruft nach einer anderen aus unseren Händen. Ihr, die ihr glaubt, daß die Welt ein ewig drehender Kreisel sei, müßt mit dem Leben büßen."(266)Schon die Verwendung der Worte "jung", "alt" und "sterben" deutet auf Bluncks organische Geschichtsvorstellungen; er will eine neue - junge - Zeit. Auch Blunck muß sich im klaren darüber gewesen sein, daß die große Zeit der Hanse nach 1600 vorbei war. Er stellt also keine historische, für die Gegenwart bedeutende Entwicklung dar, sondern einen abgeschlossenen Höhepunkt. Dazu paßt, daß Blunck den Roman durch zwei spätere Gottsucherromane zu einer Trilogie ergänzt hat(267): In jeder dieser drei Zeiten steht ein Mann, der als Urbild des niederdeutschen, ja des deutschen Menschen schlechthin gerade dieser Zeit und ihrer Bewegung mehr oder weniger das Gepräge gibt(268).Dennoch versucht Blunck, die Geschichte nach vorne zu einem Höhepunkt zu treiben, wozu, nach seiner Ansicht, ein charismatischer Führer notwendig ist. Bluncks Sprache ist expressionistisch beeinflußt; der Roman droht sich in einzelne Szenen und Bilder aufzulösen. Sprache und Aufbau hüllen die Handlung in eine Art mystisches Dunkel und verleihen ihr ein pseudoreligiöses Pathos . Sehr konventionell ist dagegen die eingeflochtene Liebesgeschichte. Die als Knappe verkleidete Avelke begleitet Hoyer auf seinen Kriegszügen; nach einem schweren Streit folgt am Schluß die Hochzeit. Blunck verzichtet allerdings auf das bei den völkischen Autoren beliebte Muster des Bildungsromans. Hoyer ist von Anfang an ein festgefügter Typus, der nur seiner Umwelt seinen Willen aufzwingen muß. Die Ablehnung des Entwicklungsgedankens führt zum Verzicht auf den typisch bürgerlichen Protagonisten. Ein anderer, in vielem konsequenterer Hanseroman ist Hans Leips "Godekes Knecht". Der ehemalige Magister Wikbold ist der Schreiber des Piratenführers Godeke Michels und erzählt vom Leben und Untergang der letzten Vitalienbrüder. Die Piraten sind "Likedeeler"(Gleichteiler); "Mein ist auch dein" lautet ihr Motto, ihr Ziel ist es, "arm und reich gleichzumachen", "denn es gäbe dann weder Besitz noch Armut"(269). Ihr Gegner ist der frühkapitalistische Kaufmann, von dem weltliche und geistige Autorität längst abhängig sind: "Richtschwert und Hochaltar bauen sich vor seinem Schmalznapf, dem Ansatz seines Doppelkinns Gewähr zu leisten: denn sie fressen beide aus des Krämers Hand"(270). Leip selbst bezeichnet die Piraten im Nachwort als "Kommunisten", als "Aufrührer, Umstürzler, Schwärmer und Sektierer"(271). Sie scheitern an diesem "großen Mein und Dein", für das die Zeit noch nicht reif ist(272). Aber gerade diese schwärmerisch-anarchistischen Forderungen führen zu einem antibürgerlichen Leben, dessen Darstellung das eigentliche Anliegen des Romans ist. Der ehemalige Magister - der verkrachte Intellektuelle - verliebt sich in die entlaufene Regine Hilgesill, die ihm, als Mann verkleidet, zu den Seeräubern folgt. Die Gliederung des Romans ist der Thematik angepaßt. Die drei Hauptkapitel - "Der Wind", "Triebsand", "Die See" - kennzeichnen das jeweilige Verhältnis des Protagonisten zur bürgerlichen Gesellschaft. "Der Wind" beschreibt die unruhige, aber tatenlose Zeit im Piratennest Helgoland. In "Triebsand" wird der Versuch beschrieben, eine eigene Familie zu gründen. Im Kapitel "Die See" sind beide zu den Vitaliern zurückgekehrt, erleben deren letzte Ausfahrt, während der Hilgesill ertrinkt. Es endet mit der Hinrichtung der letzten Seeräuber in Hamburg. Religiösität oder der Glaube an "höhere" Werte scheinen Leip fern zu liegen; der Roman ist ein Aufruf zum rauschhaften diesseitigen Leben. Es scheint zwar so, als ob im einführenden Kapitel "Erweckung" der längst verstorbene Wikbold erwacht und sich erinnert, aber an der durchaus ästhetischen Beschreibung des modernen, industrialisierten Hamburg wird deutlich, daß Leip den Leser nur auffordert, sich mit seiner Phantasie in die Vergangenheit zu versetzen(273). Wikbolds Erinnerung wird von einem seltsam modernistischen Bild eingeleitet und abgeschlossen: "Klirr, Kette Hirn"(274). Ebenfalls umschlossen wird der Roman von der Botschaft: "Gering ist der Mensch, ein Spott sind die Jahre, doch unendlich ist die Süße des Lebens"(275). Die Erzählhaltung ist zwar manchmal von einer leicht ironischen Distanz geprägt, verleitet aber andererseits durch die "Ich-Form" zum Mitfühlen mit dem Protagonisten. Durch die vorherrschende erlebte Rede ist es für den Leser einfach, die Erlebnisse dieses Schwärmers zu verfolgen, der nie zum faustischen Gottsucher wird und oft nicht in der Lage ist, seinen hohen Idealen gerecht zu werden, der auch gelegentlich egoistisch handelt und sich dann seinem schlechten Gewissen hingibt. Der "Held" des Romans ist nicht Godeke Michels, sondern nur dessen Knecht, der sich vorkommt als "eine elende Windel vor seinen Füßen"(276). Die stark expressionistische Sprache dient nicht der Überhöhung eines pseudoreligiösen Pathos, sie ist Ausdruck von Wikbolds Gefühlsschwankungen und der starken äußeren Eindrücke. Besonders das chaotisch geschäftige Hamburg hat es Leip angetan. Die spätmittelalterliche Stadt "brummte von Lastwagen". Ein Geißlerprozession wird zum überwältigenden Erlebnis(277). Widmet sich der historische Roman normalerweise mit Vorliebe Schlachtenschilderungen,so erlebt Wikbold die einzige Seeschlacht krank und elend unter Deck, wo er aus Angst und Verzweiflung Hilgesill vergewaltigt. Die Liebesgeschichte zwischen Wikbold und Hilgesill nimmt einen breiten Raum ein, sie wird dabei ständig von der "ehelichen Kohlsuppe"(278) bedroht und bewährt sich, als Hilgesill Wikbold ohne Zögern zurück zur See folgt. Dort wo Pathos obligat wäre - bei Hilgesills Tod -, berichtet Wikbold knapp wie ein Buchhalter: <...> alles andere hatte die See geholt, und es waren das 18 Mann, und sowohl der Zimmermann als auch der Segelmacher, dazu zwei Kanarenweiber, drei Leichname, und der Schreibknecht Hilgesill.(279)Es folgen ausführliche Angaben über den Zustand des Proviants. Schmerz über den Verlust des geliebten Menschen klingt erst auf den nächsten Seiten an. Für Leip ist die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert von wesentlichen historischen Veränderungen bestimmt, die unaufhaltsam das Ende des feudalistischen Mittelalters herbeiführen(28O). Leip lehnt die moderne Stadt nicht ab, er ist von ihrem pulsierenden Leben fasziniert und sieht in ihr die Fortsetzung der aus menschlicher Not und Sehnsucht geborenen revolutionären Bewegungen: Da waren viele Hände von Weinen und Streit so gierig als milde und langten nach Brot und schlugen die Reichen und verschwemmten in den Städten und wurden wieder still.(281)Leips Roman ist nicht nur ein Gegenbeispiel zur wertsetzenden Literatur des revolutionären Nationalismus, sondern auch zur gutbürgerlichen, meist neuromantischen Literatur. Was ihn davon abhebt, ist seine vollkommene Diesseitigkeit, die - nicht nur verbale - Verneinung ewiger Werte und der schwache und deshalb menschliche Held. Pathos und Innerlichkeit werden durch lakonische und ironische Sätze zerstört. Der Roman verfolgt nicht mehr die Entwicklung und Selbstverwirklichung eines Individuums, sondern zeigt dessen Geworfensein in eine sinnlose, brutale Welt, in der es, durch sein Verlangen nach Glück, zugrunde gehen muß. Man denke im Vergleich zu Wikbolds mühsam versuchter Antibürgerlichkeit an Hein Hoyers Eheglück oder an die Weinerlichkeit und Selbstbeweihräucherung von Hesses "Steppenwolf". Was den Roman trotzdem von konservativer Seite lesbar macht, ist seine Landsknechtthematik, die Ablehnung der Bürgerlichkeit, die Forderung nach ekstatischen Erlebnissen, die Lust am Kampf und vor allem die im Nachwort getroffene Feststellung, die Hanse hätte die Tatkraft der Vitalienbrüder zu einer eigenen Kolonialpolitik benützen sollen(282). Man kann aus dem Roman auch folgern, daß die Geschichte im Grunde sinnlos ist, und nur das ewige Aufbegehren gegen die äußeren Umstände bleibt. III.4.2.b. Führer und StaatFührer- und Preußentum sind neben dem Kampf die zentralen Themen der nationalrevolutionären Literatur. Bluncks Hein Hoyer ist einer dieser vom Schicksal gesandten Führer, dessen politische Vorstellungen dem Preußenbild Spenglers und Jüngers ziemlich nahekommen. Die übermenschlichen - fast schon gottähnlichen - Führer verherrlicht Otto Gmelin in seinen Romanen, während sich Eckart von Naso dem Preußentum zuwendet.Ein deutlicher Gegensatz zu den völkischen Blut- und Boden-Romanen ist Gmelins "Das Angesicht des Kaisers"(1927). Gmelin beschreibt das Leben des Hohenstauferkaisers Friedrich II. Die völkische Geschichtsinterpretation lehnt eben diese Hohenstaufen wegen ihrer Italienpolitik und der vernachlässigten Ostkolonisation vehement ab. Gmelins Friedrich ist auch alles andere als ein völkisch-deutscher Kaiser. Sein Einzug in Deutschland gleicht dem eines orientalischen Herrschers, dessen Karawane ein Völkergemisch ohnegleichen bildet, der außer exotischen Tieren auch Eunuchen und seinen Harem mit sich führt. Man muß sich an dieser Stelle Löns' völkische Beschreibung und Abwertung Karls des Großen als orientalischen Herrscher vergegenwärtigen(283). Gmelin ist auch nicht bemüht, aus Friedrich einen deutschen Kaiser zu machen; "der Herr der Christenheit war gekommen, seine deutschen Völker zu begrüßen, seine deutschen Länder zu sehen" (284). Er unterdrückt den Aufstand seines Sohnes Heinrich, der sich als naiv schwärmender Deutscher gegen den abendländischen Kaiser auflehnt(285). Der Kaiser selbst sieht die Deutschen als "andere Menschen unter einem anderen Himmel"(286). Er glaubt weder an die unbefleckte Empfängnis noch an eine unsterbliche Seele, für ihn gibt es nur den Dienst an den "ewigen Dingen": "Amt war da, Dienst war da, heilig und hoch. Es blieb nur steter Treue stiller, starker Schritt. Ohne Träume keine Sehnsucht. Träume waren gut, auch sie gab Gott, die Köstlichkeit der Schöpfung zu erfüllen, doch aus dem Meer der Träume wuchs die Burg in den Abend, stand im Lichte der ewigen Dinge, die von Gott ihren Glanz hatten. Entzaubert ward die Welt. Erfüllter Wunsch anders als geträumter. Alles stand klar und kühl da,ohne Überschwang,mit harten Umrissen. Voll des Glaubens an sich und Gott hieß es sein Werk tun. Ohne Höllenangst, ohne Seligkeitshoffnung. Einfach nur hier sein!"(287)Friedrich denkt hier im Tonfall eines preußischen Offiziers, der die Gralsromantik der Jugendbewegung wiedergibt. Diese seltsame Mischung schlägt sich auch stilistisch nieder. Die kurzen, knappen Sätze, mit Worten wie Dienst, Amt, kühl und hart, entstammen der Vorliebe der Nationalrevolutionäre für das Nüchterne und Sachliche, während das "Meer der Träume" und die abendliche Burg auf Jugendbewegung und Expressionismus verweisen. Noch deutlicher wird dies an einer anderen Stelle, als dem Kaiser im Fiebertraum der Gralsritter erscheint. Der Gralsritter hat weniger Ähnlichkeit mit Wolframs Parzival als mit einem jungen Existentialisten des 20. Jahrhunderts, der von seiner Nietzsche-Lektüre geprägt ist: Mensch ist verstrickt in die Wirrung; Wandlung ist schwer, Wandlung des Herzens, Wandlung der Welt. Kampf ist ewig, nie Irrtum besiegt.<...> Auge schloß sich, eingehüllt in Dröhnen hohen Mittags entsank sich der Mensch.(288)Friedrich verhält sich in vielen Dingen als aufgeklärter Monarch; er empfiehlt zur Bekämpfung einer Heuschreckenplage rationale Mittel an Stelle einer Prozession und beschützt die vom abergläubischen Volk verfolgten Juden(289). Besonders deutlich wird der Unterschied zu den oft um naturalistische Wiedergabe bemühten völkischen Romanen in der Beschreibung des Kampfes: <...> um den Wagen knirschte ungeschwächte Kampfeswut in die sinkende Nacht. Fackeln, auflodernder Brand naher Palisaden, Zelte, warf manchmal rotgelben Flackerschein für Augenblicke über den Koloß. Dann entbrannte neu die Wut der Angreifer, spritzte bis zum schwarzen Untier.<...> Geheul hallte wieder, die Mailänder, in letzter Kraft ausholend, warfen die Angreifer zurück. Rasselndes Getöse, Schreie,anfeuerndes Gebrüll sprühten in die Nacht.(290)Hier wird nicht die Aktion eines Einzelnen verfolgt oder die geniale Strategie des Führers vorgezeigt, der Kampf selbst wird zum dämonischen - durchaus ästhetisch beschriebenen - Naturereignis. Im Roman fehlen Beschreibungen der Umwelt fast völlig, auch die die direkte Rede wird sehr selten gebraucht, statt dessen herrscht die erlebte Rede vor, so daß die seelischen Vorgänge als eigentliches Geschehen erscheinen. Sinn oder Entwicklung ist für Gmelin in der Geschichte nicht zu erkennen, es bleibt nur die heroische und damit sinnstiftende Tat des Einzelnen, sein Durchbruch nach vorne. Der Roman ist deshalb in seinen Kapiteln steigernd angelegt: "Erweckung", "Der junge Sieger", "Mittag", "Der Kaiser", "Verwandler der Welt", "Entrückung". Friedrich wird nicht von den sozialen Umständen geformt, diese tragen nur dazu bei, seine Aufgabe, sein Schicksal herauszukristallisieren, bis er der Welt entrückt ist(291). Friedrich wird im letzten Kapitel gottgleich; entsprechend häuft sich die Verwendung des Titels "Das Angesicht des Kaisers"(292). Seine Untergebenen sehen immer öfter dieses gottähnliche Angesicht; sein treuester Diener - Petrus von Vinea - wird zum Verräter, weil er die Gottesnähe nicht erträgt und den eigenen Unglauben nicht überwinden kann. Außer Friedrichs Gottwerdung zeigt der Roman keine Entwicklung; die politische Situation ist am Ende genauso desolat wie zu Anfang. Friedrchs Sohn Manfred, der dem Vater am Totenbett geloben möchte, sein Werk zu vollenden, hört von ihm noch einmal tadelnd die Botschaft des Romans: "Ihr seid ungläubig. Wißt ihr nicht,daß nie etwas vergeblich war,das ein Mensch tat um der ewigen Dinge willen? Nicht zum Sieg sind wir gesandt, nur zum Kampf."(293) Der Glaube an die ewigen Dinge verschleiert kaum den vom Weltkrieg geprägten heroischen Existentialismus. Das Thema vom ewigen Ringen um das Reich hat Gmelin in seinem Roman um den Westgotenkönig Alarich, "Das neue Reich"(1930), noch einmal aufgegriffen. Der Roman liest sich allerdings wie ein blasser Abklatsch seines Hohenstaufenromans. Nur daß jetzt auch noch Rassenideologie und Gegenwartsparolen einfließen. So bezeichnet der Vandale Stilicho seinen gotischen Gegner Alarich als "Volksgenosse"(294). Beide kämpfen für das Reich: "Ich will ein neues Reich, ein vandalisch-gotisch-fränkisch-allemanisches, kein römisches, ich will unser Reich, wie es in unserem Blut ist" (295). Diesen germanischen Volkskönigen und Söldnerführern den Glauben an ein zukünftiges Reich zu unterstellen, ist sogar der NS-Literaturgeschichtsschreibung zu penetrant(296). Der Romanschluß postuliert den überzeitlichen Charakter der Reichsidee: Reiche erstanden und stürzten zusammen. Die Städte zerfielen, die fruchtbaren Landschaften verödeten. Verwüstung, Plünderung, Armut zog durch die Länder. Aber der Glaube an das Neue Reich ging nicht unter.(296)Aufschlußreicher ist die kurze Erzählung "Konradin reitet"(1933), die sich deutlich an Rilkes "Cornet" anlehnt. Konradin wird zum Symbol der ewig aufbrechenden Jugend. Daß der Sturmritt Konradins nach Italien mit seinem Tod endet, verrät die nihilistische Grundhaltung des Autors. Der Erzähler ist immer anwesend, erklärt und deutet; es geht weniger um historische Genauigkeit; er schafft sich bewußt ein Traumbild seiner Sehnsucht: Wer du auch warst Unbekannter, längst Versunkener, wer du auch warst, ich schaue dich nach meinem Gesetz, schaffe dich nach meinem Glauben, schaffe dich aus meinem Blut aus dem Hufschlag, der in meinem Herzen hämmert.(297)Gmelin greift als fast Fünfzigjähriger das Pathos der Jugendbewegung auf, doch man wird den Verdacht nicht los, daß diese Jugend für die neuen nationalen Ziele mobilisiert werden soll. Bemerkenswert ist dabei, daß Gmelin Parallelen zur sonst verdammten Industriegesellschaft zieht. Er will nicht den Bauern oder Bürger ansprechen, sondern den Lehrling. So endet die Erzählung mit einem pathetischen Aufruf an die moderne Jugend: Solange Jugend sucht und leidet, träumt und flammt, glaubt und handelt, bist du nicht tot, Konradin. Ihr alle, auf Schlachtfeldern und an Drehbänken, hinter Schreibmaschinen und Pflügen, die ihr die Glut im Herzen tragt und ins Leben reitet, zu leiden und zu kämpfen, zu werden und zu wirken, ihr alle seid meine Brüder.Das Ungewöhnliche an dieser "historischen" Erzählung ist, daß der Autor ganz unbefangen und offen über seinen historischen Stoff verfügt und ihn im Interesse der Gegenwart einsetzt. Das geschieht zwar in fast allen historischen Romanen, doch verwenden vor allem die völkischen Autoren, große Mühe darauf, historische Authenzität vorzugaukeln; so zum Beispiel Kolbenheyer, der sogar die Sprache den beschriebenen Epochen angleicht. Solche Bemühungen sind Gmelin fremd. Ebenfalls einen rastlosen, sich selbst verzehrenden Reiter schildert Eckart von Naso in "Seydlitz. Roman eines Reiters" (1932). Naso hat seinen Roman zwar publikumswirksam angelegt(300) und entspricht mit seiner Darstellung von Preußen- und Soldatentum weitgehend den üblichen Vorstellungen. Doch er berichtet kühl und distanziert, ohne das entsprechende Pathos. Der Roman enthält auch keine direkten Anspielungen auf die Gegenwart, wesentlich sind aber zwei - für Naso überzeitliche - Themen, der soldatische Mann und Preußen, wobei der preußische Offizier wohl als ideale Seinsform des Mannes gilt. Weder Seydlitz noch Friedrich der Große werden als Übermenschen beschrieben. Friedrich macht Fehler in der Schlacht und ist im Umgang mit Seydlitz manchmal ungerecht und persönlich verletztend. Seydlitz selbst ist "kein scharfer Kopf, aber ein guter Soldat"(301). Er ist als Reiterführer ein Naturtalent, aber keineswegs tiefgeistig-innerlich, eher kühl und rational. Als er von einer Höhe aus die schlesische Landschaft betrachtet, stellt Naso nüchtern fest: Nicht gewohnt, sich optischem Reiz lange hinzugeben, stellte Seydlitz sein Pferd zurecht und ritt weiter, auf Trebnitz zu. Aber er dachte wenigstens dabei, daß Schlesien ein Land sei, um das es sich lohne Krieg zu führen.(302)Sehr nüchtern ist auch sein Verhältnis zur Sexualität; die Libertinage ist lediglich ein körperliches Bedürfnis. Seydlitz geht an diesem Bedürfnis, nachdem er sich in ungarischer Gefangenschaft mit der Syphilis infiziert hat, zugrunde. Dies wird allerdings nicht wertend beschrieben; es ist typisch für den Werdegang eines Reiters - zuerst die Pferde, dann die Frauen, zuletzt der Wein(303). Die Infektion des jungen Kornetts scheint seinen kometenhaften Aufstieg zu initiieren, der dann mit seiner körperlichen Zerstörung endet. Der Verfall, das Aufbäumen nach den Krisen zeigen wesentlich deutlicher den Verschleiß eines unbändigen Lebens als ein abrupter Heldentod: Das ist der Untergang eines Mannes und Kriegers, der ein Reiter war, wie Preußen keinen zweiten hatte. Er wurde durch den Körper groß und fiel durch den Körper. Er tat der Pflicht genüge. Er erhöhte sich selbst und richtete sich selbst.<...> Es war das Schicksal des preußischen Menschen, daß aus ihm herausschwären mußte und abfaulen, was unbezähmbar war. Und es wurde alles mit seinem Tode auf das Maß zurückgeführt.(304)Naso stellt das preußische Militär als reine Männergesellschaft dar. Die Reiter sprechen von Pferden und Frauen in einem Atemzug: "Das Wesen der Frau reichte nicht bis in den Kreis der Männer. Hier ging die Frau nicht als Erscheinung um, nur als Abenteuer und Wirklichkeit der Sinne"(305). Die wirklichen Gefühle spielen sich nur zwischen Männern ab. Zwischen Seydlitz und seinem Adjutanten Tschirschky, "der jung und dunkel war, asketisch, fromm, tapfer und ein guter Reiter, dabei ein Pedant im Dienst und den Frauen Feind", oder dem Kornett von Reibnitz(306). Doch die wirkliche, große, männerbündische Liebe besteht zwischen Seydlitz und dem König. Als Seydlitz heiratet, empfindet Friedrich dies als ein Vergehen am Staat, ist allerdings vor allem persönlich verletzt. Nach der Scheidung und der Versöhnung mit dem Monarchen spricht Seydlitz mit dem jungen österreichischen Erzherzog, worauf Friedrich gereizt reagiert. Seydlitz "hörte aus des Königs Worten die Eifersucht des Freundes auf den Freund - und schwieg aus Dankbarkeit"(307). Am Ende nimmt Friedrich Abschied von dem entstellten, sterbenden Freund, dies ist die große Liebesszene des Romans: Der Blick des Königs wurde weit. Es war der Blick der Liebenden, wenn die letzten Grenzen zwischen den Körpern fallen. Der dort war ein Mann und starb als Mann. Es gab nichts Besseres. Es blieb solange man selber bleiben mußte.<...> Danach blieben sie nebeneinander schweigsam, und die Ewigkeit des preußischen Menschen stand zwischen ihnen.(308)Die Verherrlichung Preußens führt zu einer Ablehnung Habsburgs und des Katholizismus(309), sonst enthält der Roman weder rassische - die preußischen Husaren haben oft einen slawischen Einschlag - noch nationale Tendenzen. Preußen ist ein Prinzip und der Mann ein Qualitätsbegriff, was weder völkisch noch national gebunden scheint. Der Roman beginnt mit einem "Auftakt" in der Gegenwart: "Ein Europäer von Geschmack und Kultur, deutsch erzogen, kam gegen das Jahr 1932 nach Berlin, um Preußen zu suchen." Dieser Europäer findet Preußen schließlich in der Statue des Generals Seydlitz: Er sah den wundervollen Mund, der den Frauen gefiel und den die Frauen verdarben. Über die Jahrhunderte blieb die Erscheinung des Reiters Seydlitz jung, karg, ebenmäßig und knabenhaft, in sich selber ruhend wie die Bronze nach dem Marmor von Tassaert.(310)Der Roman schließt: "Es blieb von ihm zurück die Erbschaft eines schlesischen Gutes und das europäische Erbe eines Führers der Reiterei"(311). Das Thema des preußischen Soldaten prägt den Stil des Romans, er ist sachlich, oft in der Form eines Berichts, ohne Pathos und Innerlichkeit. In den Schlachtbeschreibungen dominiert nicht das heroische Gemetzel, sondern der "Mechanismus" der preußischen Armee, die wie ein "Uhrwerk" funktioniert(312). Infanteriebataillone fallen um wie "Bleisoldaten"(313). Es siegen Disziplin und Präzision und nicht persönliche Tapferkeit und Heldentum. Naso beschönigt auch nicht das grausame und blutige Gemetzel der Schlachten. Obwohl Naso auf Gegenwartspropaganda verzichtet, kann man den Roman nicht als politisch völlig indifferent bezeichnen(314); denn mit seiner Verherrlichung des preußischen Menschen und Kriegers liegt er innerhalb des nationalrevolutio- nären Wertesystems. III.4.3. Reaktion auf die ModerneDie Haltung zur Moderne und den damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen ist die interessanteste, aber auch schwierigste Frage bei der Beurteilung der Literatur der "Konservativen Revolution". Im Gegensatz zur "altkonservativen" oder wilhelminischen Literatur ist sie bereit, aus den Erfahrungen des Weltkrieges, dem Zusammenbruch der alten Ordnung und den neuen revolutionären Massenbewegungen gewisse Konsequenzen zu ziehen. Bei einem Großteil führt dies lediglich zu einer noch vehementeren Ablehnung des Modernisierungsprozesses und seiner Auswirkungen, während der geringere Teil dessen Unabwendbarkeit einsieht und von den Möglichkeiten der Industriegesellschaft teilweise fasziniert ist.Den reaktionärsten Teil der konservativ-revolutionären Literatur bildet ohne Zweifel ihre völkische Ausprägung. Hier werden die Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten, antimodernistischen Mittelstandsutopien weiter radikalisiert. Für Ernst und Miegel fungiert das einfache, heimatgebundene Landleben als Gegenutopie zur komplexen, wandelbaren, modernen Gesellschaft; Miegel führt mit dem spätantiken Byzanz, sogar das Schreckensbild einer Großstadt vor. Bei beiden Autoren ist die Sehnsucht nach überschaubaren, traditionellen Verhältnissen mit einer absichtlich vereinfachenden Sprache und dem Rückgriff auf "klassische", historisch überholte Formen verbunden. Die Ordensromane von Jansen und Kotzde gehen in ihren außenpolitischen Forderungen nicht über die des Alldeutschen Verbandes hinaus. Bei der Beurteilung der Ursachen für die Niederlage des Ordens bleibt Kotzde bei der Dolchstoßlegende - für ihn handelt es sich dabei nur um materialistischen Egoismus und Verrat -, während Jansen zumindest noch die Dekadenz des Ordens kritisiert. Beide erreichen jedoch bei der Analyse der innenpolitischen Situation, die ja immer auf 1918 bezogen wird, nicht annähernd die Klarheit von Wicherts 1881 erschienenen Ordensroman, der unterlassene innenpolitische Reformen für die Niederlage verantwortlich macht. Klassenkonflikte und revolutionäre Bewegungen werden zwar in Bauernromanen von Stratz und Hinrichs beschrieben, aber es geht in beiden um die Erhaltung einer autoritären, ständischen Gesellschaftsordnung - um das "alte Recht". Eben diese statisch-konservative Ordnung wird in den nationalrevolutionären Romanen zugunsten eines dynamisch-kriegerischen Systems aufgegeben. Hein Hoyer bekämpft die alten Adelsprivilegien, da sie eine zeitgemäße Mobilisierung der Massen verhindern. Wikbold, Friedrich II., Konradin und Seydlitz verzehren sich in einem ekstatischen, antibürgerlichen Leben. Ihr Selbstopfer ist die einzige sinnstiftende Tat in einer Welt ohne Götter und höhere, ewige Werte. Kennzeichnend dabei ist, daß bei dreien dieser Romane - "Godekes Knecht", "Konradin reitet", "Seydlitz" - der Bezug zur Gegenwart hergestellt wird, wobei Geschichte sich als aus den Interessen der Gegenwart ergebende Fiktion des Autors zu erkennen gibt. Es verrät Bluncks reaktionäre literarische Auffassung und seine Übergangsposition zur völkischen Literatur, daß er wie diese dem Leser die Echtheit seiner Geschichtsinterpretation vorgaukelt. Ebenso endet sein Held, im Gegensatz zu den anderen nationalrevolutionären historischen Romanen, als bürgerlich-völkischer Ehemann. Ein charakteristischer Unterschied ist auch an den Kampf- und Schlachtenbeschreibungen zu erkennen. Die naivsten finden sich bei den völkischen Autoren Stratz, Kotzde und Jansen, während die nationalrevolutionären Autoren Leip, Gmelin und Naso den Kampf zumindest nicht mehr als fröhlich-heroisches Gemetzel beschreiben können. Die verräterischsten, weil unreflektiertesten Reaktionen auf die Moderne lassen jedoch die Darstellungen von Frauen und Sexualität erkennen. Die Veränderung der Geschlechterbeziehungen, vor allem die Auflösung der bürgerlich-patriarchalischen Familie, ist eine der wesentlichen, für jedermann unübersehbaren Auswirkungen des Modernisierungsprozesses. Auf den Umsturz der Frauenbilder in der Unterhaltungsliteratur und den dafür hauptverantwortlichen "Wandel des gesellschaftlich akzeptierten Sexualverhaltens" wurde schon hingewiesen(315). Diese Entwicklung wird von konservativer Seite vehement bekämpft, wobei sich die Völkischen besonders hervortun. Zerfall der Familie, Geburtenrückgang, Abtreibungen, Emanzipation und freizügige Sexualität sind für sie Anzeichen von Dekadenz und Niedergang der biologischen Volkssubstanz(316). Typisch dafür sind Himmlers haßerfüllte Angriffe gegen Homosexualität und Abtreibung, die für ihn die Hauptursachen des Geburtenrückgangs sind(317). Dabei deutet sich jedoch als unübersehbare Auswirkung der gesellschaftlichen Veränderungen, trotz aller rührseligen Beschwörung der Familie, eine Versachlichung der Sexualität an(318). Wenn sich die völkische Zielsetzung und die nationalrevolutionäre Radikalität verbinden, wie dies im Nationalsozialismus der Fall ist, dient die Verbindung zwischen Mann und Frau weniger der bürgerlich-konservativen Familie als dem rein praktischen Zweck der Fortpflanzung und Menschenproduktion. Die Mutter wird zur "Gebärerin des Menschenmaterials" reduziert (319). Ganz pragmatisch erwägt später Hitler, zur "Blutauffrischung" in rassisch stark durchmischten Gebieten Deutschlands SS-Einheiten zu stationieren oder für verdiente Kämpfer die Doppelehe einzuführen(320). Daß die Liebe der Fortpflanzung dienen kann, oder daß mit ihr überhaupt biologische Vorgänge verbunden sind, wird von der wilhelminischen Literatur weitgehend negiert. Koch stellt zu Ganghofers zeittypischen Romanen fest. "Die Liebe existiert ausschließlich als sakrale Institution. <...> der Beischlaf wird ignoriert"(321). Im Roman "Die Trutze von Trutzberg" sagt Hilde ihrem drängenden Liebhaber, was in allen Ganghoferschen und wilhelminischen Romanen von Sexualität zu halten ist: "So tun die Knecht' mit den Mägden." Und an seinem gierig verzerrten Gesicht erkennt sie instinktiv seinen niedrigen Charakter: "Solche Gesichter müssen böse Menschen haben, wenn sie morden wollen. Ein Grauen rieselte durch ihre Seele"(322). Die völkische Literatur übernimmt diese prüden und äußerst trivialen Wertungen fast vollständig; man denke dabei an die sauberen, drallen Frauen in Löns'"Werwolf" oder an Jansens Neubearbeitung der Gudrunsage. Die ganze Schwülstigkeit und künstliche Sauberkeit dieser völkischen Erotik findet in Jansens Roman "Heinrich der Löwe"(1923) ihren adäquaten Ausdruck. Heinrich kehrt erschöpft von seinem Kriegszug zurück und wagt kaum sich zu seiner "reinen" Frau ins Bett zu legen: "Aber sie drängte ihren Leib an seine erstarrten Glieder und wärmte ihn mit mütterlicher Lust, bis der Schlaf sein Herz erlöst und entrückt"(323). Die neue, sachliche Lebensborn-Moral erkennt man in Jansens Ordensroman "Geier um Marienburg"(1925). Die Pflicht zur Arterhaltung, die laufend erwähnt wird, ist nur mit der reinen, blonden, völlig entsexualisierten Frau zu erfüllen, wohingegen die dunklen, sinnlichen Polinnen den deutschen Rittern zum Verhängnis werden; der Geschlechtsakt mit ihnen erscheint als Sündenfall(324). Kotzde gebraucht das Bild der fremdrassigen, erotischen Frau, um allegorisierend Egoismus und Verrat zu umschreiben. Die Sexualität wird zur Bedrohung der alten Ordnung und Wehrkraft; sie vergiftet das Blut der Männer und weckt deren niedrigste Instinkte: Er blickte von dem Weibe, das an seiner Brust lag, auf und sah in zwei schwarze, glutvolle Augen, sah nachtschwarzes Haar sich lösen und auch auf seine Schultern niederfallen.Der Topos der dunklen, sinnlichen und bedrohlichen Frau findet sich bereits in einigen historischen Romanen des Kaiserreichs, wo er die Doppelfunktion erfüllt, die prüde Reinheit der Protagonisten gegenüber Wollust und Dekadenz zu demonstrieren und gleichzeitig die politischen Gegner des deutschen Reiches rassisch abzuwerten. So verrät die Geilheit der Franzosen und Italiener vor allem Dekadenz und sittliche Entartung, die der Slawen dagegen ihre niedrigen, tierhaften Triebe(326). Nach 1918 gehört dieser Topos zum festen Inventar der Trivialliteratur und wird sogar gerne in der proletarischen Literatur verwendet(327). Am beliebtesten ist er aber in der völkischen Literatur, die sich damit vehement gegen die modernen "moralischen Auflösungserscheinungen" und die Emanzipation der Frau zur Wehr setzt(328). Dem völkischen Zuchtwart Heinrich Himmler bereitet der eigene Glaube an die stärkere sexuelle Attraktivität "rassisch weniger wertvoller Mädchen" gegenüber den blaublonden "Mauerblümchen" sogar noch 1936 gewisse Probleme(329). Aber auch von katholischer Seite wird der überzeitlichen Gestalt der Mutter und Jungfrau - Maria - die der "großen Hure" - Eva - gegenübergestellt, die unmißverständlich auf die modernen Emanzipationsbestrebungen bezogen wird: Nicht die emanzipierte, dem Manne gleichgestellte Frau, sondern das Ewig-Weibliche wird in der kommenden Periode der Geschichte eine größere Bedeutung gewinnen.(330)Das Bild der Mutter ist der zweite völkisch-konservative Gegenentwurf zur modernen Entwicklung der Geschlechterverhältnisse. Dabei vermischen sich konservative Familienvorstellungen mit christlichen Mythen. Einen besonders starken Einfluß hat 1926 die Wiederentdeckung von Bachofens Mutterrechtstheorie(331). Zu dieser zeittypischen Mischung von Muttermythen bemerkt Glaser: Die völkische Heimat- und Bauernliteratur betrieb einen besonderen Kult mit dem Mütterlichen, wobei pantheistische (Mutter Natur!), christliche (Mutter Gottes!) und tiefenpsychologische Elemente (die große Mutter!) verwendet und verfälscht wurden.(332)Während christlich-konservative Muttervorstellungen die Regel sind - selbst die Völkischen benützen trotz ihres Antikatholizismus gerne das Bild der Gottesmutter Maria(333) -, findet man das neue, von Bachofen geprägte Mutterbild nur in Gmelins Hohenstaufenroman von 1927. Ein Bauer erblickt früh am Morgen die Geliebte Friedrichs II.: <...> vom weißen Angesicht gingen Strahlen aus, als wärs die Mutter Gottes selber. Er fiel nieder, kniete, schaute im Antlitz beglückenden Traum der ewigen Mutter.(334)Für die völkischen Romane sind Ehe und Familie die wesentlichen sozialen Strukturen. Am auffälligsten ist diese kleinbürgerliche Familienideologie und die damit verbundene Geschichtsklitterung, wenn in Bluncks Vorgeschichtsroman "Gewalt über das Feuer"(1928) der Mann Börr zum Führer der matriarchalischen Urhorde wird und diese nicht nur zu den ersten Kulturtaten befähigt, sondern auch mit der Monogamie beglückt. Eine zeitgemäßere Einstellung zur Sexualität und eine überwiegende Ablehnung von Familie und Ehe kennzeichnet die dynamische nationalrevolutionäre Literatur und macht auch dadurch den Unterschied zur kleinbürgerlichen, antimodernistischen völkischen Literatur deutlich. In den noch im Kaiserreich erschienenen historischen Romanen, die man wegen ihrer heroisch-existentialistischen Botschaft zu den Vorläufern der nationalrevolutionären Literatur rechnen kann - Rilkes "Cornet" und Molos "Fridericus" - kann man diese neue Bewertung der Sexualität schon nachweisen. Für Rilkes Cornet wird das Liebeserlebnis sowie der folgende Heldentod zum orgiastischen, abschließenden Höhepunkt seines kurzen, ekstatischen lebens. Molos Friedrich zeigt zwar keinerlei Interesse an Frauen, demonstriert aber mit seiner Einstellung zur Sodomie ein nüchternes und sachliches Verhältnis zur Sexualität. Der unversöhnbare Gegensatz zwischen dem "Triebsand" des Familienlebens, der "ehelichen Kohlsuppe", und einem ekstatischen, sich selbst zerstörenden Leben ist das Grundthema von Leips Seefahrerroman "Godekes Knecht". Auch für Gmelins Hohenstaufenkaiser ist wilde, ausschweifende Sexualität ein Kennzeichen seines rauschhaften Lebens, das mit bürgerlich-völkischen Moralvorstellungen nicht zu bewerten ist. Sinnliche arabische Frauen sind für ihn keine Bedrohung, sondern exotischer Reiz, den er ohne Zögern auskostet: Es gab Tage, an denen er vom Leib innerlich nicht loskam, wo der Tag nur eine Unterbrechung der Nacht war. Die Nacht war lustvoll freudespendend, Meer von Glut und Wonne, Spiel der Liebe zwischen Leib und Seele. (335)Ein elementares Grundbedürfnis ist die Liebe für Nasos Reiter Seydlitz. Ganz Mann und Soldat beschränkt er sie auf ihren körperlichen Bereich und verzichtet auf die störenden Emotionen. Der Tod durch die Syphilis scheint seinem ekstatischen, selbstzerstörerischen Leben fast noch angemessener als ein abrupter Heldentod. Eine Mittelposition zwischen nationalrevolutionärer und völkisch-konservativer Literatur nehmen die Romane von Blunck und Hinrichs ein, wobei die Darstellung der Sexualität ein Kriterium der literarischen Wertung sein kann. Bluncks Übermenschen- und Führerroman "Hein Hoyer" endet mit Ehe und Happy-End und entlarvt damit zumindest teilweise Bluncks neue Gesellschaftsvorstellungen als triviale Lippenbekenntnisse. Ganz anders Hinrichs Bauernroman, hier scheitert die Liebesgeschichte an den nicht überbrückbaren Klassengegensätzen, die auch durch Tapferkeit im Kampf nicht ausgeglichen werden können. Die relativ freie und unkomplizierte Sexualität der einfachen Fischer beschreibt der Autor nebenbei(336). Hinrichs zeigt, trotz der postulierten Volksgemeinschaft, daß er die sozialen Realitäten - im Gegensatz zu Blunck - nicht ganz übergehen kann. III.5. Die ungeliebte DemokratieDie Jahre zwischen 1923 und 1929 sind von einer relativen Stabilität geprägt. Während die Außenpolitik von einem zunehmenden Ausgleich mit den Westmächten bestimmt ist, geht im Inneren mit der Abnahme der Arbeitslosigkeit der Einfluß der radikalen Parteien zurück. Aber diese Stabilitätsphase ist nicht gekennzeichnet von einer zunehmenden Demokratisierung, sondern mehr von einem Sich-Einrichten mit den immer noch als unbehaglich empfundenen politischen Gegebenheiten. Bei den Wahlen im Mai 1924 erleidet die SPD starke Einbußen, und die DNVP wird zur stärksten Partei des Reichstages. Nach den Dezemberwahlen desselben Jahres beteiligt sich die DNVP erstmals an der Regierungsbildung: Die für die kommenden Jahre typische Rechtskoalition entsteht. Dies und die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten signalisieren den Rechtsruck während der Stabilitätsphase der Weimarer Republik.Das konservative Gedankengut bleibt nicht nur auf die Rechtsparteien beschränkt, es beeinflußt auch stark die Wertvorstellungen der demokratischen Parteien. Karl Rohe hat darauf hingewiesen, daß Begriffe wie "Soldat" oder "soldatisch" als Kennzeichen einer wertvollen Haltung auch im Reichsbanner und in der SPD verwendet werden (337). Bei den Katholiken finden ab 1924 in größerer Zahl Übertritte zur DNVP statt, und die katholische Literatur wird im wesentlichen von antidemokratischer Gesinnung, in deren Mittelpunkt die Reichsideologie steht, geprägt(338). Eine großen Einfuß bei der Verbreitung völkisch-nationaler Ideologie hat die Schul- und Bildungspolitik, die noch stark von den Kontinuitäten der wilhelminischen Zeit bestimmt ist und nie zu einem Instrument der Demokratie wird(339). So wie die politischen Vorstellungen breiter Bevölkerungsschichten von irrationalen Sehnsüchten nach mythischer Geborgenheit, Ordnung und Obrigkeit bestimmt sind, dominiert im Bereich der Literatur nicht die als "Asphaltliteratur" geschmähte Neue Sachlichkeit, sondern Neuromantik und Neuklassik. Der historische Roman ist dabei eine beliebte literarische Form, mit der sich schöne, großartige Gegenbilder zur ungeliebten Demokratie entwerfen lassen. Während die Autoren der Neuen Sachlichkeit den Zeitroman bevorzugen, bleibt der historische Roman fast ausschließlich eine Domäne der Neuromantiker, die die Geschichte allerdings weniger, wie die völkisch-nationalen Autoren, für die politischen Ziele der Gegenwart bemühen, sondern sie dazu benutzen, der grauen und unheroischen Gegenwart auszuweichen. Dieser Eskapismus ist zwar frei vom aggressiven Heroismus der völkisch-nationalen Literatur, er verdeutlicht und verstärkt aber die Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen politischen System und gerät mit seinen Wertvorstellungen fast immer in die Nähe der antidemokratischen Rechtsgruppierungen. III.5.1. Innerlichkeit und ObrigkeitInnerlichkeit und Religiösität sind mit die wichtigsten Merkmale der neuromantischen historischen Romane. Hans Franck vermischt in seinem Band "Der Regenbogen"(1927) mystische und märchenhafte Erzählungen mit historischen Geschichten und Anekdoten(340). Obwohl die in einzelnen Hauptteilen zusammengefaßten Geschichten grob chronologisch geordnet zu sein scheinen, verraten die Titel dieser Hauptteile - Mythe, Mittelalter, Lutherzeit, Fridericus - eher Francks selektives Interesse an der deutschen Geschichte. Und so ergibt sich eine seltsame Mischung aus Heiligenlegenden, Schauermärchen und preußischem Heroismus gepaart mit Obrigkeitskult. Ganz von dieser innerlich-protestantischen Frömmigkeit bestimmt ist Käthe Papkes Roman "Das Forsthaus im Christianenthal"(1920). Die Liebesgeschichten des Romans bleiben alle unerfüllt, da die jeweiligen Partner zu früh sterben; den Überlebenden bleibt der Trost auf eine Vereinigung im Jenseits.Aus katholischer Gesinnung heraus entsagt Dolores Viesér mit ihrem Roman "Das Singerlein"(1928) dieser Welt. Der junge, elternlose Hansl wird Novize in einem Kloster. Die Außenwelt erscheint nur als bösartige, teuflische Versuchung in Gestalt einer verführerischen deutschen Adeligen und eines italienischen Gegenspielers. Hansl kann diese Anfechtungen überwinden, kommt aber nach einem Sturz tödlich verletzt ins Kloster. Dort überzeugt er auf dem Totenbett seinen Freund Georg, den Sohn eines preußischen Offiziers, Franziskaner zu werden. Wie in den Romanen der Handel-Mazetti tritt auch bei ViesÜr die Gestalt des sanften Märtyrers an die Stelle des heroischen Kriegers. Damit befindet sich der Roman in einem starken Gegensatz zur völkischen Literatur, mit der ihn allerdings seine Bevorzugung des Irrationalen verbindet. Das Singerlein kommt intuitiv zur Erkenntnis: "Seine Seele erfaßt, was sein Verstand nicht erdenken kann"(341). Die Gesellschaftsvorstellungen aller drei Autoren sind undemokratisch und partriarchalisch. Völlig unproblematisch, noch ganz im Stil der wilhelminischen Zeit, schildert Papke diese Idylle. Graf und Förster haben ein freundschaftliches Verhältnis, und im Krieg bewährt sich die Treue des Volkes und die Fürsorge des Adels: "Fest und treu standen Herrschaft und Volk zusammen, füreinander und miteinander"(342). Franck und Viesér würden die sozialen Konflikte auch auf diese Weise lösen, können aber ein gewisses Mißtrauen dem Adel gegenüber nicht verleugnen. Beide greifen dabei auf die schon im Kaiserreich bewährten Muster der Adelskritik zurück, indem sie seinen Hochmut, sein "kaltes Herz" und seine moralische Dekadenz angreifen(343). ViesÜrs Ideal ist die christliche Ordnung des Klosters, während Franck den Staat Friedrichs des Großen verherrlicht, in dem der Adel seinen Pflichten noch nachgekommen sein soll. Ebenfalls eine Rückwärtsbewegung zum mystisch-irrationalen vollzieht Wilhelm von Scholz mit seinem Roman "Perpetua"(1926). Ganz ohne politische Anspielungen erzählt Scholz die Geschichte eines Augsburger Zwillingsschwesternpaares, von denen die eine - Katharina - zu Beginn des 16. Jahrhunderts als Hexe verbrannt wird, während die andere - Perpetua - als Äbtissin wie eine Heilige verehrt wird. Scholz wendet sich zwar gegen die Hexenprozesse, aber im Gegensatz zu den "Hexen" in Ricarda Huchs "Der große Krieg in Deutschland" sind seine Hexen wirklich der Zauberei fähig. Hier wird nicht der religiöse Fanatiker überzeugt, sondern der "Humanist" Veit muß seine Ablehnung des Aberglaubens revidieren(344). Die alte, ebenfalls mit übersinnlichen Kräften begabte Äbtissin Perpetua hat noch die völkische Vision von Luthers großer Mission. Er steht für sie in der Reihe der großen deutschen Mystiker "Meister Eckhart, Tauler, Seuse"(345). Auch der Erzbischof von Mainz und Kanzler Rudolfs von Habsburg, Heinrich von Isny, in Emanuel Stickelbergers Roman "Der graue Bischof"(1930) verfügt über eine besondere Macht. Als Sohn einer Hexe, arm und verfolgt, lernt er schon früh die geheimnisvolle Macht seiner Augen zu benützen, mit der er anderen seinen Willen aufzwingen kann. Nach dem Ratschlag der Großmutter - "Laß nie ein Gefühl über den Verstand Herr werden. Opfere Empfindungen, opfere Menschenleben, opfere dein eigen Herz! <...> Kalt - rücksichtslos. Nur so kannst du herrschen über die, die dich und deine Mutter verachten"(346) - beginnt er früh mit seiner Karriere, die ihn, den Sohn eines Schmiedes, bis in die Position eines Kurfürsten und Reichskanzlers führt. Er stirbt von Zweifeln und von Ehrgeiz gepeinigt. Stickelberger enthält sich wie Scholz politischer Anspielungen, auch seine Schilderung des charismatischen Machtmenschen ist durchaus ambivalent. Heinrich dient dem Willen zur Macht und geht am Ende daran zugrunde, aber er ist wie Rudolf von Habsburg durch seine Begabung vom Schicksal auserwählt. Daß die Verehrung großer Männer auch von demokratischer Seite aus möglich ist, zeigt Bruno Frank mit seinen Erzählungen über "Friedrich den Großen", "Tage des Königs"(1924). Schon im Vorwort betont Frank die Vorbildfunktion seiner Friedrich-Interpretation: An Friedrichs Furchtlosigkeit, seiner Härte gegen sich selbst, seinem unbeugsamen Sinn mag eine Jugend erstarken; sein Vermögen, unermeßliche Arbeit und kulturelles Bedürfnis zu verbinden, predigt den reifen Jahren; mit seiner phrasen losen Wahrhaftigkeit, seinem schauerlichen Klarblick, seiner großartigen Resignation ergreift er die wissenden Alten: als eine Einheit von Humanität, Geist und Stärke hat ihn jedes Volk zum Vorbild nötig, und sein eigenes heute am meis ten.(347)Frank verherrlicht allerdings nicht, wie zum Beispiel Walter von Molo, Friedrichs kriegerische Leistungen; er zeigt den müden, alten König und dessen humanitäre Bemühungen um eine Reform des Gerichts- und des Heeressanitätswesens. Trotz des Aufzeigens von Friedrichs Fehlern und Schwächen ist die "Tendenz zur Idealisierung des Königs nicht zu verkennen"(348). Was diese Erzählungen jedoch grundlegend von der konservativen Literatur abhebt, sind die Gedanken des jungen de Lafayette, der in Amerika für die neue Demokratie gekämpft hat und in Friedrich den letzten Großen der "alten Ära" sieht. De Lafayette reist dann von Preußen nach Polen in jenes Reich, "das vom Eigennutz der großen Mächte, ein Jahrzehnt war es her, zerschnitten und zerkleinert worden" war(349). Neben dieser Sympathieerklärung für Polen und der Andeutung eines möglichen historischen Fortschritts bezieht Franks Friedrich auch ausdrücklich Stellung gegen Nationalismus und Rassismus, wobei sich diese Stellungnahme mehr gegen die völkische Gegenwartspropaganda richtet als gegen die Territorialpolitik des 18.Jahrhunderts, der Begriffe wie Slawentum. Volk oder Nation noch fremd sind: Ja, hier in der Mark, hier in seiner Urprovinz saßen eigentlich keine Deutschen, da saßen Slawen, östliche Völker, Asiaten womöglich. Man sah`s an ihren Backenknochen, an den hinaufgeschobenen, zusammengepreßten Augen. <...> Aber da faselten sie nun von Nation, da wurde er, just er, zum nationalen Helden proklamiert! Oh, man konnte den Menschen vieles einreden. <...> Aber ein Volk war eben leichter zu leiten, wenn es sich für ein Ganzes und zumal für ein auserwähltes Ganzes hielt. Das taten alle. Seine wendisch-sorbischen Märker hielten sich sogar für ganz besonders auserwählte Deutsche, obgleich sie das traurigste Land von der Welt bewohnten.(350)Zur Dekoration romantisch-abenteuerlicher Schicksale benützen Juliana von Stockhhusen und Karl Hans Strobl den historischen Roman. Stockhausens "Die Soldaten der Kaiserin"(1924) ist die rührselige Geschichte einer verbotenen Liebe zwischen dem Pandurenoberst Franz von der Trenck und einer Hofdame Maria Theresias. Die uneheliche Tochter der beiden dient verkleidet als Husar und begeht am Ende des Romans Selbstmord. Über dieser trivialen Handlung steht die innere Wandlung Maria Theresias von der pflichtbesessenen, harten Herrscherin zur milden Mutter ihrer Landeskinder und Soldaten. Der Roman "Die Fackel des Hus"(1929) von Strobl schildert die Abenteuer eines deutschen Studenten in Prag zu Beginn der Hussitenkriege. Ein junger Nürnberger Kaufmannssohn verfällt dem wilden Prager Studentenleben, säuft, verpraßt sein Geld, begeht Eid- und Ehebruch und hat ein Liebesverhältnis mit einer Dirne. Dieses bunte Leben wird erst durch die Vertreibung der deutschen Universität aus Prag unterbrochen. Er kämpft tapfer im ersten Feldzug gegen die Hussiten, an denen Strobl vor allem das böhmisch-nationale, antideutsche und die daraus resultierenden Greueltaten an der deutschen Bevölkerung hervorhebt. Häufen sich bei Stockhausen die idealisierten Beschreibungen des Hof- und Soldatenlebens, einschließlich des Gustav-Adolfs-Page-Motivs, so macht Strobl, ein bekannter Autor phantastischer Geschichten dasselbe mit dem Studentenleben und dem geheimnisvollen, mittelalterlichen Prag, das er dazu benützt, einige schaurig-makabre Szenen einzuflechten(351), mitsamt einer Golem-Geschichte. Obwohl beide Erzeugnisse reine Unterhaltungsromane sind, fließt doch nationalistisches Gedankengut in sie ein. In Stockhausens Roman wird fragend festgestellt, daß hinter Polen "Asien liegt, ein gefräßiges Tier, das eines Tages aufwachen wird, um Europa zu überschwemmen"(352), und auch Strobls Beschreibung der böhmischen Nationalbewegung enthält revanchistische Anspielungen im Zusammenhang mit der Loslösung Böhmens von Österreich 1918 und dem Verlust des Sudetenlandes. Die Mischung aus romantischer Idylle und ständischem Ordnungsdenken findet ihre extreme Ausprägung in Paul Ernsts 1933 erschienenen Krisenmärchen "Das Glück von Lautenthal". Ende des 17. Jahrhunderts sind große Teile des Harzes vom Elend der Arbeitslosigkeit betroffen(353). Die Laute ist versiegt, dadurch steht die Mühle still, und in der Silbergrube ist der Erzgang zu Ende. In dieser Situation treffen drei Paare zusammen, an denen Ernst gleichzeitig Ordnung und Harmonie der Stände aufzeigt: der Müllerbursche Franz Bacher und die Müllerstochter Käthe, der Bürgermeistersohn und Bergmann Kurt Pfeffer und Marie Wiedenhöfer sowie der Junker Thilo von Uslar mit der Gutsbesitzerin Eva Koch. Während Franz und Kurt von der Arbeitslosigkeit direkt betroffen sind, droht der von Thilo geliebten Eva die Enteignung, da sie den Kaufbrief ihres Gutes nicht mehr findet. Da betritt das Fräulein von Glück die Bühne, und da sie erkennt, daß alle dringend etwas Glück brauchen, bringt sie nach und nach alles in Ordnung. Sie findet mit der Wünschelrute einen neuen Erzgang. Bei den beginnenden Bergarbeiten wird zwar ein Stollen überschwemmt, aber das Wasser fließt in die Laute, und die Mühle kann wieder arbeiten. Schließlich entdeckt Fräulein von Glück noch in einem Geheimfach den verschollenen Kaufbrief. Am Ende des Romans können alle drei Paare glücklich heiraten. Ernst bedient sich des historischen Romans, um ein Märchen zu schreiben(354). Die sozialen Probleme werden nicht analysiert, sie gelten als göttliche Prüfung: "Gott schickt uns die schweren Zeiten, damit wir klug werden, sonst bleiben wir dumm" (355). Dieses Klugwerden kann allerdings nach dem Muster des Romans nur im naiven Hoffen auf ein Wunder und dem Festhalten an der ständischen Ordnung bestehen. Angesichts der sozialen Probleme nach 1930 bleibt der völkische Literatur neben der totalen Mobilmachung anscheinend nur der Rückzug in die Idylle des Märchens. Vorgezeichnet ist dieser Weg schon bei Papcke, Scholz, Franck und Viesér, bei Ernst ist der Bruch zwischen der Realität, durch den direkten Bezug auf die Krise, und den mythischen Lösungsangeboten am offensichtlichsten. III.5.2. Konstruktion und Destruktion des MythosDaß diese mythisch-innerlichen Reaktionen auf die Moderne zwar die Regel, aber nicht unbedingt zwangsläufig sind, läßt sich mit zwei der bekanntesten historischen Romane der Weimarer Republik, Hermann Hesses "Narziß und Goldmund"(1930) und Lion Feuchtwangers "Die häßliche Herzogin"(1923), belegen. Sie demonstrieren geradezu beispielhaft die Unterschiede zwischen Neuromantik und Neuer Sachlichkeit, mit ihrer Haltung zu Individuum, Gesellschaft und Geschichte.Hesses "Narziß und Goldmund" thematisiert an den unterschiedlichen Charaktern und Lebensläufen zweier Klosterschüler den Zwiespalt von Geist und Seele, Verstand und Emotion. Während der Verstandesmensch Narziß diszipliniert die Klosterlaufbahn bis zum Abt durchläuft, verläßt Goldmund das Kloster, um sich dem Leben hinzugeben. Sein Leben wird zur Suche nach der großen Mutter, die er immer wieder in verschiedenen Frauen zu entdecken glaubt und als Holzbildhauer darzustellen versucht. Ins Kloster zurückgekehrt stirbt er verklärt in den Armen des Freundes; er weiß, daß ihn die große Mutter aufnimmt. Es geht also ganz nach dem Muster des Bildungsromans um die Entwicklung eines Individuums, und zwar um die Entwicklung Goldmunds. Narziß ist nicht viel mehr als seine Kontrastfolie. Er entwickelt sich nicht, er steigt nur höher auf der Leiter der Klosterhierarchie und wird dabei etwas strenger und älter. Am Schluß des Romans bleibt er betroffen zurück, als ihm der glücklich sterbende Goldmund die Grenzen seiner Rationalität zeigt: "Aber wie willst du denn einmal sterben, Narziß, wenn du doch keine Mutter hast? Ohne Mutter kann man nicht lieben. Ohne Mutter kann man nicht sterben".(356)Im Klappentext wird das Buch als "unzeitgemäße Poesie" gepriesen, da es der Mode der Nivellierung und Mittelmäßigkeit das Einmalige gegenüberstelle. Eben diese Behauptung läßt sich im Kontext des historischen Romans widerlegen. Viele Romane, die Nivellierendes oder Mittelmäßiges darstellen, findet man zur Zeit der Weimarer Republik nicht. Dagegen entpuppt sich Hesses Roman geradezu als Anhäufung trivialster Mythen. Die zeitgenössische Literatur wimmelt von faustisch-innerlichen Gottsuchern, der Gang zur großen Mutter ist eine Modeerscheinung. Der Geist als Widersacher der Seele ist eines der Hauptthemen der völkisch-konservativen Literatur. Hesse erklärt diesen vermeintlichen Gegensatz auch nicht, er legt ihn archetypisch in seinen Figuren an. Bei dieser Vereinfachung läßt er kaum ein gängiges Klischee aus. Der väterlich-männliche Luftgeist prädestiniert zum Denker, die mütterliche Erdseele dagegen zum Künstler( 357). Hesse hat im "Steppenwolf" noch versucht, die Spannung zwischen Bewußtem und Unbewußtem in einer Person aufzuzeigen und in dieser eine Synthese angestrebt. In "Narziß und Goldmund" bleibt nur noch die Möglichkeit sich seinen Gefühlen hinzugeben, denn Narziß ist zwar auch eine positive Figur, aber der Leser kann sich nur mit Goldmund identifizieren und in Narziß bestenfalls rudimentäre Teile seiner selbst erkennen. Dadurch, daß Hesse jede soziologische Erklärung seiner Figuren ablehnt, bekommen sie - ebenfalls zeitgemäß - einen besonders elitären Charakter. Beide sind schon als Knaben "Auserwählte", die weit aus der Masse herausragen. Narziß ist zum Herrschen bestimmt, wäre er nicht im Kloster, müßte er "Richter oder Staatsmann" werden(358). Er ist der geborene Führer. Pflicht dieser "wertvollen und besonderen Menschen" ist es, sich selbst zu verwirklichen, dazu ist alles erlaubt: "Auch wenn du morgen unser ganzes hübsches Kloster niederbrennen würdest, irgendeine tolle Irrlehre in der Welt verkündigen, ich würde keinen Augenblick bereuen, dir auf den Weg geholfen zu haben"(359). Dieser bestimmenden Veranlagung entspricht auch Goldmunds Begabung zum Holzbildhauer, auch das ein beliebtes Klischee(360). Die Geschichte des entlaufenen Klosterschülers, der auf einer Burg Schreibarbeiten macht und sich dabei in die Tochter des Hausherren verliebt, ist eine Anleihe bei Steinhausens "Irmela". Durch die Leugnug der Umwelteinflüsse wird die Welt zur Bühne, auf der der Protagonist seine höhere Bestimmung verwirklicht. Hesse hat diese Bühne enthistorisiert, das fiktive Mittelalter ist romantische Dekoration. Wenn zum Beispiel ein Vagabund von der "Paviaschlacht" singt, sollten eigentlich auch Bauernkrieg und Reformation eine gewisse Rolle spielen, aber alles, was nicht zu subjektiven Entwicklung Goldmunds beiträgt, wird ausgeklammert. Vor allem die Enthistorisierung zeigt, neben dem elitären Gottsuchermotiv, die Gemeinsamkeit des Romans mit der übrigen konservativ-völkischen Literatur. Hesse läßt sogar deutlich organische Geschichtsvorstellungen anklingen. Der Roman beginnt mit einer Metapher: An der jährlichen Veränderung eines Kastanienbaumes wird das ewige Werden und Vergehen im Ablauf der Klostergeschichte vorgeführt. Auch Feuchtwangers Roman "Die häßliche Herzogin" benützt den historischen Hintergrund im wesentlichen als Kulisse eines gegenwärtigen Konfliktes(361). Im 14.Jahrhundert gerät das Herzogtum Tirol in die Auseinandersetzung der Großmächte Wittelsbach, Habsburg und Luxemburg. Die junge sensible Herzogin Margarete Maultasch ist bemüht, die Geschicke ihres Landes zum Besten zu lenken; zum größten Hindernis wird dabei ihre angeborene Häßlichkeit, die ihr wegen ihres äffischen Gesichts den Übernamen Maultasch eingebracht hat. Ihr ganzes Liebesbedürfnis widmet sie idealistisch der Pflege ihres Landes: Das Land war ihr Fleisch und Blut. Seine Flüsse, Täler, Städte, Schlösser waren Teile von ihr. Der Wind seiner Berge war ihr Atem, die Flüsse ihre Adern. <...> Sie gab sich ganz hin, wuchs hinein. Mußte das Land das nicht spüren, soviel Liebe zurückgeben, sie in sich hineinwachsen lassen? Ja! Ja! Ja! (362)Zu ihrer politischen Gegenspielerin wird die schöne Agnes von Flavon, der aufgrund ihrer Schönheit, trotz ihres egoistischen Charakters und ihrer mittelmäßigen Intelligenz, alles zufällt, worum Margarete vergeblich kämpft. Margaretes Liebhaber, Konrad von Frauenberg, verkörpert mit seinem brutalen Materialismus den weltanschaulichen Gegenpol. Er, ebenfalls häßlich wie die Maultasch, hat sich auf die Gemeinheit der Welt eingestellt und strebt nur noch "sachlich" und rücksichtslos nach körperlichem Wohlbefinden: Er wußte um seine Häßlichkeit, er hielt es für ganz in Ordnung, daß alle ihn stießen. Er hätte, wäre er nur weiter oben, auch die anderen getreten. Er glaubte an nichts auf der Welt. Geld, Macht, Besitz, Lust war das Ziel aller Menschen, Geldgier, Machtgier, Geilheit ihre Motive. Es gab nicht Lohn, nicht Strafe, nicht Gerechtigkeit, nicht Tugend. Das ganze Getriebe war ohne Sinn.(363)Politisch gescheitert, verzichtet Margarete auf Liebe und dealismus und lebt ganz nach der Devise des Frauenbergers. Alt und fett verkauft sie ihr Land an die Habsburger und lebt nur noch zur Befriedigung ihrer Lüste. In der Auseinandersetzung zwischen romantischem Idealismus und sachlichem Materialismus liegt der Hauptunterschied des Romans zum ganzen Bereich der völkisch-konservativen Literatur. Die Ideale erweisen sich entweder als hohl und unzeitgemäß oder als verbale Tarnung handfester materieller Interessen(364). Die Idealistin Margarete stößt auf eine Welt brutaler Sachlichkeit, an der ihre Liebesversuche kläglich abprallen und scheitern. Man liebt nicht ihre inneren Werte, sondern die schöne, falsche Fassade der Agnes von Flavon. Wie weltfremd das dealistische Pathos ist, zeigt Feuchtwanger am Heldentod des blinden Königs Johann. Romantik und Heroismus werden dabei voll Genugtuung demontiert. Auch an dieser Schlachtbeschreibung zeigt sich die einzigartige Position, die dieser Roman unter der behandelten Literatur einnimmt: Er wurde umzingelt, herausgehauen, nochmals umzingelt. Vor allem zwei schottische Ritter, jüngere Söhne, Habenichtse, hatten es auf seinen Schmuck und den prachtvollen Brustpanzer abgesehen.<...> Da lag er still und jämmerlich im Staub, der beweglichste Mann und Fürst der Zeit, sein eleganter Bart war übel zerrauft und mit Blut verklebt, die schäbigen Ritter zerrten ihm den silbernen Panzer von der Brust, der Ring wollte nicht los von der steifen, im Staub verkrampften Hand, so hackten sie den ganzen Finger ab. Dann zog sich der Kampf weg, und die Franzosen, für die der Blinde ohne Sinn und ohne Zweck gekämpft hatte, wurden zersprengt und besiegt.Zwar ist auch in Feuchtwangers Roman das Volk keine geschichtsbestimmende Kraft - die historische Entwicklung wird von einzelnen vorangetrieben oder scheitert mit ihnen, wobei dem Volk im wesentlichen die Rolle von "Statisten" bleibt (366) -, aber diese einzelnen sind keine idealisierten Helden oder Führer. Feuchtwanger wendet sich mit diesem "Heldenmangel" direkt gegen den Personenkult des Historismus. "Statt großer Männer bedingen bei Feuchtwanger letzten Endes humanistische Ideen, Vernunft und Fortschritt den Geschichtsablauf und die ökonomischen Verhältnisse"(367). Margarete vertritt die historisch fortschrittliche Position, sie stützt das Bürgertum, insbesondere die jüdischen Händler, um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu beschleunigen. Agnes von Flavon dagegen verkörpert die Welt des untergehenden Feudalismus. Der Roman zeigt zwar das persönliche Scheitern Margaretes, aber an der historischen Entwicklung zur bürgerlichen Gesellschaft aufgrund ökonomischer Veränderungen wird kein Zweifel gelassen: Die alte Zeit war vorbei. Rittertum und Rittersitte waren wohlfeil geworden und Attrappe. Man konnte nicht mehr so einfach und geradezu in die Welt hinausziehen und drauflosschlagen; gleich kam die Polizei. Mit Abenteuern war jetzt, in dieser farbloseren Zeit, weder Ehre noch Besitz zu holen. Es war vielleicht schöner gewesen früher, bunter, ehrlicher. Aber die Welt war verwickelter geworden. An Stelle der Burg trat die Stadt, an Stelle des kräftigen einzelnen die Organisation. Wenn der fahrende Ritter Herberge verlangte, Speis und Trank, forderte man von ihm - Gotts Marter! - Bezahlung. Nicht ihm gehörte die Zukunft, sondern dem Bürger, nicht der Waffe, sondern der Ware, dem Geld.(368)Die Frage nach dem sinnvollen politischen Handeln des Individuums wird pessimistisch verneint. Auch hiermit nimmt Feuchtwanger eine Gegenposition zum heroisch wertsetzenden Nihilismus ein. Margarete scheitert und fügt sich in ihr Schicksal,was jedoch an der materialistischen historischen Entwicklung auf Dauer nichts ändert. Noch deutlicher wird der Konflikt zwischen Handeln und Nichthandeln in Feuchtwangers Roman "Jud Süß"(1925) dargestellt. Am Hofleben des frühen 18.Jahrhunderts führt Feuchtwanger noch gnadenloser das auf die Moderne bezogene Streben nach Erfolg, Reichtum , Macht und Sex vor(369). Auch Süß endet beim Nichthandeln, er akzeptiert sein Schicksal und den Märtyrertod. Was den "Jud Süß" ebenfalls von der völkisch-konservativen Literatur abhebt, ist weniger der jüdische Protagonist, der sich auch dort finden läßt( 370), als die materialistische Bedingtheit der Charaktere. Süß ist von Geburt kein Jude - er lebt nur in diesem Glauben -, sondern der uneheliche Sohn eines christlichen Feldmarschalls. Er wird erst durch seine Situation, besonders durch die Haft, zum "Juden". In ihm verwirklichen sich nicht die Anlagen der Seele, des Blutes oder des Erbguts; die "inneren Werte" werden von der sozialen Umgebung gesetzt. Weder Hesses noch Feuchtwangers Protagonisten können sich selbst in der Welt behaupten, das althergebrachte Wertesystem aus Familie, Beruf und Religion ist unwiederbringlich verloren. Beide Autoren bleiben jedoch, oberflächlich betrachtet, beim Muster des Bildungsromans, um die Entwicklung ihrer Individuen zu beschreiben. Goldmund kann sich zwar nicht mehr in der bürgerlichen Außenwelt verwirklichen - diese erscheint ihm leer und hohl -, aber ihm gelingt die Konstruktion eines eigenen Mythos und damit die Sinnstiftung im nachhinein. Die Suche nach der großen Mutter wird für ihn, den Auserwählten, zu Sinn und Erfüllung seines Lebens. Hesse benützt das auf völkisch-konservativer Seite so beliebte Muster des innerlichen Bildungsromans, den Gottsucherroman. Bei Feuchtwanger dagegen wird das begabte und sensible Individuum entweder wie Margarete von der brutalen Realität zerstört, oder es besteht wie Süß nur noch aus karriereund konsumbewußten Äußerlichkeiten, um letzten Endes eine falsche Identität zu akzeptieren. Feuchtwanger zerstört damit nicht nur den Glauben an das sich selbst bestimmende Individuum, sondern auch an dessen unabhängige seelische Werte. Damit fällt auch die Form des Bildungsromans. Am sichtbarsten wird dies im "Jud Süß", der, die Formbestrebungen der konservativen Neuklassiker aufnehmend, wie ein klassisches fünfaktiges Drama gegliedert ist. Doch der Aufstieg von Süß, seine Karriere, geht einher mit dem Verlust seiner Individualität, die er durch banale Statussymbole zu ersetzen versucht, während ihm sein selbstgewählter Fall und seine Passivität zumindest eine Art von Individualität und geistiger Heimat wiederzugeben scheinen. Ein weiterer grundlegender Unterschied zwischen beiden Autoren ist die Sprache. Hesse verwendet, ähnlich wie die meisten völkischen Autoren, eine leicht pathetisch-religiöse Sprache, die keine kritische Distanz zuläßt, während Feuchtwanger mit seiner zwischen Ironie und Zynismus schwankenden Sprachgebung den Leser immer wieder auf Distanz bringt und so das falsche Pathos von Moral, Politik und Religion entlarvt. Der Unterschied zwischen Integration und Distanzierung des Lesers wird auch dadurch veranschaulicht, daß Goldmund - bezeichnenderweise wegen seiner angeblichen Einzigartigkeit - völlig auf die Identifikation des Lesers angelegt ist, während dies bei Feuchtwangers Protagonisten tunlichst vermieden wird. III.6. Aufstieg des NationalsozialismusMit der Weltwirtschaftskrise 1929, dem Zusammenbruch der großen Koalition im März 1930 und den für die bürgerlichen Parteien katastrophalen Wahlen vom September 1930(371) beginnt die Endphase der Weimarer Republik, die vom unaufhaltsamen Aufstieg der NSDAP geprägt ist. Die Massenbasis dieser Partei bildet vor allem das Kleinbürgertum und, zu Lasten der DNVP, die protestantische Landbevölkerung. Allerdings gelingt es auch, unter der Arbeiterschaft, besonders den Arbeitslosen, Wähler zu mobilisieren.Die NSDAP beginnt als rein völkisch-antisemitische Partei, wobei die völkischen Ideen zunächst bestimmend sind(372). Je mehr die NSDAP aber Ende der zwanziger Jahre zu einer dynamischen Massenbewegung wird, um so mehr verliert das völkische Element an Bedeutung, statt dessen erlangen die Ideen des revolutionären Nationalismus immer größeren Einfluß(373). Auf die Spannungen, die sich aus "völkischer Weltanschauung und nationalsozialistischer Kampfbewegung" ergeben, hat schon Martin Broszat hingewiesen. Er geht zwar von einer weitgehenden weltanschaulichen Identität aus, zeigt aber, wie die NSDAP aus taktischen Gründen völkische Grundsätze aufgibt und sich durch die neue Organisation immer weiter von typisch völkischen Kreisen entfernt(374). Für die NSDAP um 1930 ist gerade dieses Doppelgesicht charakteristisch; ideologisch stützt man sich vorwiegend auf die antimodernistische völkische Blut- und Boden-Ideologie des von den Erscheinungsformen des modernen Kapitalismus bedrohten Mittelstandes und agrarischer Interessengruppen, andererseits sind Wahlkampf und Massenorganisation völlig auf der Höhe des Industriezeitalters: Die von Hitler geprägte NSDAP stand zwar ideologisch auf den Schultern bürgerlichen-alldeutscher Nationalisten und antisemitisch-völkischer Sektierer der Vorkriegszeit. Nach Stil, Organisation und propagandistischer Dynamik war sie jedoch Avantgarde, von Hitler, Goebbels und ihren Helfern bewußt nach den Kriegs- und Revolutionserfahrungen des 20. Jahrhunderts geformt.(375)Die nationalsozialistische Propaganda greift Ideen aus dem gesamten Bereich der Konservativen Revolution auf, denen nichts hinzugefügt wird, die - im Gegenteil - trivialisiert und banalisiert werden, um eventuelle Widersprüche zu unterdrücken. Die nationalsozialistische Weltanschauung ist "eine Weltanschaung für viele"(376); sie muß es sein. Aus wahltaktischen Gründen werden die radikalsten Positionen aufgegeben. 1929 erfolgt der Ausschluß des radikalvölkischen Thüringer Gauleiters Artur Dinter, der sich für eine Vermischung von germanischer und christlicher Religion eingesetzt hat. Statt dessen formuliert man die Parole vom "positiven Christentum", unter der alles verstanden werden kann, von einem deutschen "Kristentum" bis hin zum Katholizismus(377). Auf der anderen Seite folgt 1930 der Bruch mit dem teilweise nationalbolschewistisch beeinflußten "linken", norddeutschen NSDAP-Flügel, der Austritt Otto Strassers und die Ersetzung des obersten SA-Führers Pfeffer von Salomon durch Ernst Röhm(378). Selbst die antisemitische Propaganda wird ab 1930 im Zeichen des Legalitätskurses zurückgenommen(379). Es wäre jedoch falsch wegen der taktischen Kompromisse der NSDAP-Führung davon zu sprechen, daß es eine nationalsozialistische Weltanschauung nie gegeben hätte oder diese reiner Opportunismus gewesen wäre(380). Eberhard Jäckel belegt - ausdrücklich gegen diese Thesen -, daß Hitler eine schlüssige und in sich logisch geschlossene Weltanschaung besessen hat(381). Diese Weltanschaung, die von Antisemitismus und dem Streben nach Lebensraum am entscheidensten geprägt ist, schlägt sich in Hitlers Geschichtsbild nieder(382). Geschichte ist für ihn der stete Kampf von Völkern um Lebensraum. Völker sind dabei keine sozio-kulturellen Einheiten, sondern ethnisch-biologische Gruppen, Rassen. Dabei "werden gesellschaftlich-politisch bedingte Unterschiede zwischen den Völkern <...> ontologisiert und zu `Wesensverschiedenheiten' erklärt"(383). Dieser primitive Sozialdarwinismus, bei dem der Kampf zum höchsten Sinn wird, gilt als Grundlage jeder historischen Entwicklung. Der Staat, die Nation werden "Mittel zum Zweck", die die Machtmittel und das Menschenpotential zur notwendigen Expansion bereitstellen müssen (384). Die Rasse muß sich im Lebenskampf aber nicht nur ständig ausbreiten, sie ist auch von innerer Auflösung und Zersetzung bedroht. Alles, was die Geschlossenheit des Volkskörpers bedroht, oder seine Grenzen nach außen verwischt, wird auf die Rassenvermischung, auf das Judentum zurückgeführt, wobei man auf die schon im Kaiserreich beliebten Thesen des Alldeutschentums zurückgreifen kann. Kapitalismus, Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus und Pazifismus gelten durchweg als Erscheinungsformen des jüdischen materialistisch-rationalen Geistes. Wie sehr diese Vorstellungen auf säkularisierte christliche Ideen zurückgreifen, wurde schon mehrfach betont(385). Der paradiesische Urzustand der Rassenreinheit ist durch die Rassenmischung oder die Sodomie - den Sündenfall - beendet worden. Er kann erst wieder erreicht werden, wenn die reine, blonde Rasse allein die Welt beherrscht. Über all dem steht der Grundgegensatz Arier-Nichtarier, Gut - Böse. Es ist offensichtlich, daß diese vermeintliche Rassenlehre dazu dient, ein psychopathisches Freund-Feind-Denken - Xenophobie - pseudowissenschaftlich zu verbrämen(386). Die herausragende Stellung Hitlers in der NSDAP(387) verstärkt die Bedeutung der Rassenlehre innerhalb der nationalsozialistischen Weltanschauung. Das bedeutet jedoch nicht, daß Rassismus und Antisemitismus für einen Nationalsozialisten notwendige Kriterien sein müssen. Nicht zu bestreiten ist allerdings, daß sich in ideologischen Streitfragen meistens Hitlers Vorstellungen durchgesetzt haben. Versucht man die elementaren, nicht variablen Grundzüge der nationalsozialistischen Weltanschaung zu beschreiben, so ergibt sich: 1. Eine Gemeinschaftsideologie: Alles außerhalb dieser Gemeinschaft gilt als feindlich. Der innere Zusammenhalt wird über Feindbilder hergestellt. Die Gemeinschaft strebt nach Expansion und Eroberung. 2. Die innere Struktur der Gemeinschaft entspricht der straffen, hierarchischen Gliederung des Militärs. Die Bindung erfolgt nicht über demokratische Abstimmung, sondern nach dem Prinzip von Führer und Gefolgschaft. 3. Der Zusammenhalt wird über mystisch-irrationale Begriffe hergestellt, die der Weltanschaung den Charakter einer Ersatzreligion geben, die keiner rationalen Analyse unterworfen werden darf(388). An dieser Zusammenstellung wird erkennbar, daß es sich hierbei am ehesten um ein Staatsmodell nationalrevolutionärer Prägung handelt. Die völkische Ideologie liefert mehr die Schlagworte: Volk und Rasse als Synonyme für Gemeinschaft, den Osten als Expansionsziel und die Mythen vom deutschen Blut und deutscher Seele. Die eigentliche völkische Utopie vom patriarchalischen, förderalistischen Ständestaat mit seinen kleinbürgerlichen Bauernhöfen und neubelebter Innerlichkeit wird zwar immer noch propagiert,steht aber für die führenden Nationalsozialisten längst nicht mehr zur Diskussion. Broszat hält die völkischen Sektierer, die anfangs den Stamm der NSDAP gebildet haben, nur noch für eine "Randerscheinung", die allerdings aufgrund ihrer Narrenfreiheit das äußere Bild des Nationalsozialismus noch stark mitbestimmen(389). Es ist sicher zu einfach, wie Wolfgang Emmerich aus den völkischen Parolen der NSDAP zu schließen, daß völkische und nationalsozialistische Weltanschauung identisch sind, und die Blut- und Boden-Ideologie als "Kernstück" der faschistischen Ideologie auszugeben( 390). In einer sehr detaillierten Arbeit, die diese Ideologie als Leitbild nationalsozialistischer Propaganda am Beispiel Niedersachsens untersucht, wird das Bekenntnis zu Blut und Boden als ein reines "Lippenbekenntnis <...> als ein Mittel für rein propagandistische Zwecke" entlarvt(391). Das nationalsozialistische Geschichtsbild ist allerdings noch bis nach 1933 mit dem völkischen weitgehend identisch. Obwohl man das Volk über die Nation stellt und deshalb die Unterscheidung zwischen großdeutscher und kleindeutscher Geschichtsschreibung ablehnt(392), greift man doch auf die kleindeutsch-borussische Geschichtsinterpretation zurück. Auf die Bevorzugung der völkischen Ahnenreihe - Widukind und Heinrich der Löwe an Stelle Karls des Großen und der Hohenstaufen - durch Hitler, Himmler und Rosenberg soll bei der Behandlung der sich daraus ergebenden Konflikte noch näher eingegangen werden(393). Da man jedoch die historische Utopie als Drittes Reich vor sich sieht, wendet man sich vom Spenglerschen Pessimismus ab und sieht statt dessen in dem ewigen Auf und Ab den "ständigen Kampf um die Verwirklichung von Werten"(394). Das heißt, da angeblich schon immer um dieselben Werte gekämpft worden ist, erscheint Geschichte immer als Spiegel der Zeit um 1930, mit den gleichen Menschen, Kämpfen und Zielen. Man flieht nicht mehr romantisch in die Geschichte, man holt sie heran, gebraucht sie für die politischen Ziele der Gegenwart. Gegenüber den Völkischen tritt die Militär- und Führergeschichte in den Vordergrund. Führertum und Heroismus werden sogar noch vor der Rasse zu entscheidenden Merkmalen der nationalsozialistischen Geschichtsschreibung. Für die nationalsozialistische Literatur ist auf die Verknüpfung von völkischen Blut- und Boden-Romanen und nationalrevolutionärer Freikorps- und Weltkriegsliteratur schon hingewiesen worden (395). Benützt man die Verbindung dieser beiden ideologischen Ansätze und der entsprechenden literarischen Formen als grundlegende Definition für nationalsozialistische Ideologie und Literatur, so muß sie auch nach diesen Seiten abgegrenzt werden. Der nationalsozialistische historische Roman hat in der Zeit der Wirtschaftskrise und des Kampfes um die politische Macht die nationalsozialistische Ideologie zu propagieren und dabei die ihr innewohnenden Widersprüche zu verdecken. Der völkische Teil ist im wesentlichen eine mittelständische Verteidigungs- und Integrationsideologie, deren Hauptvorstellungen Blut und Boden, Rasse, aber auch ein verschleierter bürgerlicher Individualismus sind, der sich in romantisch-kitschigen Fiktionen von Bauern oder der deutschen Seele äußert. Der andere, der nationalrevolutionäre Teil besteht hauptsächlich aus der Propagierung von Heroismus und Führertum. Die harmonische Volksgemeinschaft, der sämtliche individuellen Interessen unterzuordnen sind, orientiert sich am preußischen Staatsmodell. Man erstrebt nicht die Konservierung eines Mittelstandsparadieses, sondern die historische Endzeit, die totale Mobilmachung. Beiden gemeinsam sind die prozeßfeindlichen Geschichtsvorstellungen, die Verherrlichung ewiger Werte, die Ablehnung des Rationalismus und die Vorliebe für selbsterschaffene Mythen. Werden diese beiden Themenkreise in einem historischen Roman kombiniert und wird gleichzeitig versucht, gegenwärtige Wertvorstellungen als zeitlosen, ewigen Mythos in die Vergangenheit zu transformieren, so ist die Bezeichnung "nationalsozialistisch" zutreffend. Dominiert die Blut- und Boden-Ideologie vor Führertum und Kriegsverherrlichung, handelt es sich um einen völkischen Roman. Kotzdes und Jansens Ordensromane können somit ohne weiteres als nationalsozialistisch bezeichnet werden, obwohl sie sicher dem völkischen Flügel innerhalb der NSDAP zuzurechnen sind. Kolbenheyers "Paracelsus" ist dagegen immer noch von einem zu starken Individualismus bestimmt, auch tritt der Heroismus fast nur als seelischer Konflikt auf. Bluncks Urvätersaga ist wiederum ebenfalls ein Beispiel nationalsozialistischer Literatur, hier werden geradezu vorbildlich Heroismus, Führerkult, Bluts- und Geschichtsmythen kombiniert. Die Romane von Bartels, Löns und Hinrichs sind eigentlich typisch völkisch, enthalten bestenfalls durch ihre Radikalität einen nationalsozialistischen Anstrich. Fehlt dagegen die Blut- und BodenIdeologie und konzentriert sich die Handlung um kriegerische Ereignisse, verbunden mit dem Herausstellen einer zentralen Führerfigur, so ist die Bezeichnung nationalrevolutionär zu bevorzugen, so zum Beispiel bei den Romanen von Molo, Naso und Gmelin. Mit dem zunehmenden Führerkult um Adolf Hitler steigert sich allerdings auch die Bedeutung der Führergestalten im nationalsozialistischen Roman. Der neue Typus des NS-Romans, die Mischung aus Bauern- und Kriegsroman, läßt sich für die Zeit vor 1933 am besten an zwei Beispielen demonstrieren, an Georg Schmückles "Engel Hiltensperger"(1930) und an Will Vespers "Das harte Geschlecht"(1931). Schmückles Roman spielt zur Zeit der Bauernkriege im Allgäu und in Süddeutschland. Engel Hiltensperger, ein einfacher Priester und Bauernsohn, wird dabei zum Führer des Aufstandes. Er reist nach Italien, nimmt dort an der Schlacht von Pavia teil und durchwandert halb Deutschland. Er, der blonde "Leutpriester vom Auerberg, der einen eisernen Würfel im Zeitspiel zu werfen berufen war"(396), ist der vom Schicksal gesandte Führer und Organisator; er mobilisiert Sickingen, Hutten und als "armer Kunrat" die Bauern. Daß die Figur des einen großen Bauernführers die historischen Tatsachen etwas zu sehr strapaziert, bemerkt sogar die NS-Literaturgeschichte(397). Das große Ziel Hiltenspergers ist ein neues starkes Reich, die sozialen Parolen dienen ganz offen nur der Mobilisierung der Massen: "Ein Reich, niemert untertan dann Gott und dem Kaiser! Ein Volk so zusammensteht in Not und Fahr wider Tod und Tuifel. Freiets der Luther von Rom, so freiets der Hiltensperger von Herrenfron und Fessel! Kein ander Lieb und Ziel gehabt, den die deutsche Nation frei zu machen unter eim starken Kaiser <...>!(398)Dieses neue Reich soll ständisch geordnet sein, Bauern, Bürger und Ritter gliedern sich unter einer starken Spitze. Dementsprechend werden auch die Bürger positiv dargestellt, bis auf die Großkapitalisten Fugger, die ebenfalls am Elend Deutschlands schuld sein sollen. Die Ritterschaft ist dagegen schon sehr verkommen, meistens besteht sie aus Raubrittern und Säufern. "Und dennoch stecket viel gueter Sinn und onverbraucht Kraft in denen Kerlen, fehlt bloß ein recht Ziel und einer, so's ihnen weiset"(399). Die Gegner des gesunden Volksorganismus sind Hochadel und Klerus:"Pfaffen und Fürsten seind des Kaisers Totengräber! Ritter, Pauren und die in den Städten müssen uffstahn und dem Kaiser wiedrum geben was des Kaisers"(400). Fürsten und Pfaffen gebrauchen das römische Recht - "das fremde,wurzellose"-, um die alten Freiheiten von Bauern und Rittern einzuschränken (401). Die Bauern, obwohl dem großen Ziel untergeordnet, werden als unwüchsige Kraft dargestellt. Sie sind nicht, wie bei Ganghofer, gute Untertanen und gläubige Christen, in ihnen lebt noch alter Brauch und Bauerntrotz: Seit zehn Jahren war kein Pfarrer mehr auf der Kanzel gestanden, war keine Messe mehr gelesen worden. So hatte es Johannes von Riedheim, Fürstabt von Kempten befohlen! Und die Bauern verhielten in wildem Trotz. Sie stiegen ins Ehebett, bis ein vagierender Priester sie segnete, und sie starben zähneknirschend ohne Sakrament - aber sie unterschrieben ihre Leibeigenschaft nicht.(402)Was ihnen vorgeworfen wird, ist, daß sie während des Aufstandes das große Ziel vergessen und jede Disziplin verlieren: "<...> im Fressen und Saufen stecken blieben, beim Fressen und Saufen totgschlan"(403). Schmückle kritisiert ihr mangelndes Durchhaltevermögen, wobei durchaus auch Parallelen zur Dolchstoßlegende gezogen werden(404). Außerdem muß er das militärische Versagen der Bauern, ihren fehlenden Heroismus verarbeiten, was ihm nicht ohne moralinsaure Vorwürfe möglich ist. Gelingt es den Bauern allerdings, sich unter einem richtigen Führer zu sammeln, so kämpfen sie wie ihre Vorfahren; nicht das soziale Milieu bestimmt die Tapferkeit, sondern die Erbanlagen und der Führer: Wildes Heldentum ist erwacht in den Seelen der Geknechteten. Tapferer und todestreuer haben die größten Helden der Ge schichte nicht gekämpft.(405)Das Scheitern des Aufstandes ist nur zum Teil die Schuld der Bauern; weit mehr verantwortlich sind Sickingen, der das "Spill verdorben" hat und Luther: Erst Öl ins Fuir gossen, hernach zetermordio geschrieen, da die Flammen gepraßlet. Hundertundzwanzigtausend tote Pauren, Herr Doktor Martinus, klagent vor Gottes Richterstuhl!(406)In Hiltenspergers Abwesenheit hören die Bauern auf die falschen Führer und scheitern(408). Über weite Strecken des Romans werden Landsknechte geschildert und Krieg und Kampf verherrlicht. Hiltensperger ist mit Georg von Frundsberg, dem Vater der Landsknechte, befreundet. Am deutlichsten wird die nihilistische Landsknechtsideologie an der Beschreibung der schwarzen Knechte, einem Haufen deutscher Landsknechte, die auf französischer Seite gegen das Reich kämpfen: "Keinen anderen Glauben hatten sie als den an ihr Unglück, kein ander Evangelium als ihren Treueid"(408). Damit stellt Schmückle den Heroismus über die völkisch-konservativen Werte, wie Familie, Vaterland und Religion. Die schwarzen Knechte sühnen ihr Vergehen an der Nation durch ihren heroischen Opfertod, der zur letzten Instanz wird. Die schwarze Fahne der Knechte wird im Tod geweiht zur Blutfahne, die Hiltensperger als sakrales Symbol nach Deutschland mitnimmt,um damit den Aufstand zu führen: Aber mitten im Haufen der Schwarzen flatterte hoch noch eine Fahne. Die hielt der Christoph von Lupfen getreu, wie's der Landsknechte Eid befahl. Als sie ihm die Hand abschlugen, hielt er sie mit den Zähnen und wickelte seinen todwunden Leib darein, als er von drei Hellebarden durchbohrt zu Boden sank.(409)Längst bevor die SS ihre Bedeutung erlangt, beschreibt Schmückle Rituale, Motto und Symbolik dieses Kriegerordens. Mit der schwarzen Fahne nimmt Hiltensperger noch den verletzten Florian Geyer - der später zum Namenspatron einer SS-Division werden soll- als Bauernführer mit nach Deutschland. Die Einstellung zur Religion zeigt den Übergang vom nationalen Protestantismus zur Beschwörung völkischer Mythen. Hiltensperger ist ein "Leutpriester", der wie Luther dem Volk in seiner Muttersprache predigt. Er ist außerdem verheiratet, national und romfeindlich. Doch damit nicht genug: Schmückles wirkliche Liebe gilt dem germanischen Heidentum, von dessen fortwirkender Tradition im Bauerntum er anscheinend überzeugt ist: Wie ein Bild im Bilde wandelnd grasten die beiden Schafe des alten Stechelin um den uralten Opferstein, auf dem einst das Blut von Wutes Rossen dampfte. Hier war der Urväter geheiligte Malstatt, ein bessere Thingstätte hätte der Bauernmeister und Leutpriester Hiltensperger nicht finden können. (410)Hiltenspergers Hunde heißen wie Odins Wölfe, Geri und Freki. Der Kampf gegen das Christentum wird jedoch nicht nur aus nationalen Gründen geführt; Schmückle stört die humanistische Tradition des Christentums, während das alte Heidentum seinem völkischen Heroismus mehr zu entsprechen scheint: Kein Allgäuer hat je den rechten Backen geboten, wenn man ihn auf den linken schlug, und im tiefsten Innern stand's fest, daß der rotbärtige Gott, wenn er über die Fluren brauste, ein zornmütiger Gott war.(411)Typisch für den Roman ist die triviale Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Auf der einen Seite gibt es die edlen, starken Gestalten, mit den "treuherzigen blauen Augen, die, wenn es sein mußte, Blitze schleudern konnten, vor denen der härteste Landsknecht das Zittern bekam"(412). Unter solchen Menschen ist die Verständigung einfach, denn "wenn sich aber zwei offene Männer mit klaren ehrlichen Augen gegenübersitzen, so wissen sie bald, woran sie miteinander sind"(413). Ganz anders verhalten sich die Negativcharaktere: "Der Raitenauer aber war ein hämisch grausamer Mann, und sein unstetes Auge konnte keinen freien Blick aushalten." Er stirbt dann auch "wie ein räudiger Hund"(414). Ein weiteres Indiz für die Trivialität des Romans ist, daß Schmückle die ganze Handlung auf seinen Helden konzentriert. Damit soll wohl seine überragende Stellung als Führer unterstrichen werden, aber es wirkt einfach übertrieben, wenn Hiltensperger fast mit allen großen Männern des frühen 16.Jahrhunderts verkehrt: mit Florian Geyer, Ulrich von Hutten, Franz von Sickingen, Frundsberg, Luther, Leonardo da Vinci, Kaiser Maxmilian - ihm hat er sogar persönlich das Leben gerettet - und Karl V. . Hiltensperger schnitzt bei Leonardo ein Bildnis seiner Frau als Gottesmutter. Diese Frau wird zum Opfer eines geilen Abtes, der sie als Hexe foltern und verbrennen läßt. Das Motiv des Hexenprozesses, an dem im historischen Roman immer Toleranz und Humanismus demonstriert wurde, dient hier dazu, den Haß auf den kirchlichen Gegner zu schüren. Schmückle bedient sich Vergangenheit wirklich nur, "um seine Vorstellungen von der Gegenwart zu propagieren"(415). Geschichtliche Entwicklung wird negiert, der Ruf nach dem Führer ist damals wie in der Gegenwart derselbe, nur ein "verstauchter Fuß hets ze Fall gebracht"(416), und so geht am Schluß symbolisch über Deutschland die Sonne unter, aber die Hoffnung auf einen neuen Führer bleibt. Schmückle benützt nur zum Teil, hauptsächlich zu Anfang, das Genre des Bauernromans, sonst handelt es sich bei "Engel Hiltensperger" viel mehr um einen Landsknechts- oder Führerroman. Auf dem Totenbett verpflichtet dann auch der Bauernsohn Hiltensperger seinen Sohn, Kriegsmann zu werden, da der Bauernstand fortan unwichtig sein wird. Die wichtigsten Werte entstammen dem ideologischen Umfeld der Nationalrevolutionäre. Heroismus, Führertum und ein militärisch straff organisiertes Reich stehen vor den konservativen Wünschen des bedrohten Mittelstandes, der lediglich als biologisch gesundes Bauerntum das Material bildet, mit dem der Führer seine großen Ziele verwirklicht. Die Kombination von Heroismus und Führertum mit der totalen Mobilmachung des Mittelstandes für die eschatologischen Ziele der völkisch-nationalen Geschichtsmystik kennzeichnet den nationalsozialistischen historischen Roman, der seine völkischen Ursprünge noch weiter als Jansens oder Kotzdes Romane hinter sich gelassen hat. Mit dem Verzicht auf das Historische und der Konzentration auf die Führerfigur, der, da sie ganz ihrer historischen Mission lebt, wirkliche Individualität fehlt, nähert sich Schmückles "historischer Roman" dem ahistorischen Epos. Hans Georg Meier stellt fest, daß, im Gegensatz zu Kolbenheyers "Pausewang" und "Paracelsus", die eine individuelle Entwicklung durchlaufen, in Bluncks Roman "Die große Fahrt" ein Idealtypus beschrieben wird, der von Anfang an über ein höheres Bewußtsein verfügt und deshalb keine Entwicklung mehr durchmacht(417). Hiltenspergers Charakter ist ebenfalls von Anfang an fest, er hat weder individuelle Wünsche noch Probleme oder ordnet diese zumindest seiner historischen Mission unter, an der er dann heroisch, aber unverändert scheitert. Auf Schmückles nationalsozialistisches Führerepos trifft auch zu guten Teilen zu, was Inge Herrle an Stifters "Witiko" festgestellt hat, dessen Rezeption erst nach erstem Weltkrieg beginnt(418): Ein allgemeingültiges Gesetz steht über dem Individuum, trotz realistischer Darstellung wird eine "ideale Welt" geschildert, es fehlen Dynamik und Entwicklung. Die wesentliche Funktion des Epos besteht nach Herrle darin, die Handlung aus der Zeit in den Mythos zu entrücken: "Die epische Welt wird ein sakraler Bezirk"(419). Will Vespers Roman "Das harte Geschlecht" erzählt die Geschichte des Wikingers Ref und spielt vorwiegend in Nordeuropa. Im Gegensatz zu Schmückles Roman enthält er keine direkten Anspielungen auf die politische Situation der Gegenwart. Worin die Funktion des Romans besteht, macht Vesper jedoch gleich zu Anfang deutlich und offenbart damit einen anderen wesentlichen Aspekt nationalsozialistsicher Geschichtsinterpretation: Die Geschichten, die ich berichten will, geschahen vor nun tausend Jahren. Da könnte man meinen: Was gehen uns so alte Geschichten an? Aber tausend Jahre, heißt es mit Recht, sind vor Gott wie ein Tag, und die Menschen von damals und die von heute sind so verschieden nicht. Auch damals gab es Gute und Böse, Kluge und Dumme, Fleißige und Faule, Helden und Hasenfüße, Wahrhaftige und Lügner,ehrliche Kerle und gemeine Schufte, und manche brachten es sogar fertig - damals wie heute -, von alledem etwas zu gleicher Zeit zu sein. Auch damals hieß es: Jeder ist seines Glückes Schmied - wenn Gottes Sonne ihm dazu scheint.<...> Und dann - ist es ja unser eigenes Blut, das auch in jenen Zeiten in den Herzen der Menschen floß und lebte. Das Blut strömt,ein unversiegbarer Strom, von den ältesten Zeiten zu uns her. Und so leben in den fernsten Geschlechtern der Väter auch schon wir, und in uns leben heute und gegenwärtig sie, von denen wir stammen, deren Blut in uns fließt, auch nicht als unser Eigentum. Sondern wir sind nur wie das Flußbett, durch das der ewige Blutstrom dahinbraust, von den Vätern zu unseren Kindern und Enkeln bis in die fernste Zukunft.(420)Vesper will vorbildliches Verhalten aufzeigen, das wegen der Blutsbande im gegenwärtigen Deutschland immer wieder auftreten kann und - dazu will der Roman beitragen - soll. Daß dies keine historische Sichtweise ist, muß nicht näher erläutert werden. Der junge Ref, ein von der Familie unverstandener Taugenichts und Tagträumer, wächst auf einem isländischen Bauernhof auf. Nach dem Tod seines Vaters versucht ein starker Nachbar, Refs Mutter die besten Weiden abzunehmen und erschlägt dabei einen ihrer Schafhirten. In diesem Moment scheint Ref zu erwachen, er tötet den Nachbarn und beweist nun den ganzen Roman hindurch seine überragenden Fähigkeiten. Er übt mehrmals Rache an scheinbar überlegenen Feinden und wird einer der berühmtesten Bootsbauer Skandinaviens. Diese Kunst hat er nur anhand eines kleinen Modells erlernt. Ref macht keine richtige Entwicklung durch, er wird auch nicht erzogen, den äußeren Einflüssen entzieht er sich, und als dies nicht mehr geht, scheinen seine inneren Anlagen hervorzubrechen. Vom einfachen Bauernsohn bringt es Ref zu einem reichen Gefolgsmann König Knuts von Dänemark und stirbt schließlich bei seinem Sohn Björn, der inzwischen Marschall bei Wilhelm dem Eroberer ist. Ref hat drei Söhne, "einen Bauern, einen Viehzüchter und einen Kriegsmann"(421). Alle drei ahnen schon als Kinder ihre Veranlagung und ihren späteren Stand. Vesper wertet nicht direkt, aber der Roman endet mit der Aufforderung des Kriegers Björn an seine Frau ihm "Jungens" zu schenken, "daß die gute Rasse nicht ausstirbt"(422). Hier erkennt man den Unterschied zur typisch völkischen Literatur, obwohl der Roman von dieser Seite auch stark beeinflußt ist. Ref siedelt zwar immer wieder, ist aber viel mehr Seemann und Krieger als Bauer, und am Ende steht die rasante militärische Karriere seines Sohnes, der die von den Völkischen bevorzugten Angelsachsen als normannischer Eroberer bekämpft. An der Einteilung der Söhne ist zu erkennen, wie sehr der Mensch zu Typus wird, der kaum noch individuelle Züge trägt. Vesper bewertet eher das Menschenmaterial als das Individuum: Grims Söhne, Skuf, Bjarni und Gaut kamen auch herein. Es waren große kräftige Burschen, ein wenig ungewandt, aber stark wie Bären, eine gute Zucht.(423)Ähnlich soldatisch hält es Ref mit der Religion. Zuerst bleibt er lange den germanischen Göttern treu; aber als er sich dann in Dänemark bekehren lassen muß, wird die Bibel heroisch uminterpretier: Jesus wird zum Führer und die Jünger zu treuen "Gefolgsmannen ihres Herrn"(424). In Stil und Form greift Vesper ganz bewußt auf die isländischen Sagas zurück. Er beschreibt kaum innere Vorgänge oder historische Details. die Sprache wird auf ein möglichst einfaches Niveau reduziert; fast alle Dialoge werden mit dem Wort "sagte" geführt. An Stelle der charakterlichen Entwicklung oder eines historistischen Kulturbildes werden die Taten eines innerlich statischen Menschen - eines Typus - dargestellt. Die Saga soll so zur passenden ewigen Form des kargen, harten, soldatischen Lebens werden, das keiner historischen Wandlung unterworfen ist, so wie Ref zum Typus des ewigen Kriegers wird. Einer der Hauptunterschiede zwischen den Romanen von Schmückle und Vesper ist, daß Schmückle den Kampf ums Reich zum zentralen Thema macht, während sich Vesper mit der Darstellung des heldischen Menschen begnügt. Schmückles Roman ufert zum Epos aus, in dem alles angehäuft wird, was dem Autor wichtig und verwertbar erscheint. Durch ausführliche Darstellungen des Lokalkolorits und durch eine altertümelnde Sprache versucht Schmückle, Authenzität zu vermitteln. Vesper dagegen verknappt und reduziert seinen Stoff, um die wesentlichen archetypischen Grundzüge seines Typus vorzuführen. Beide beschreiben Typen, die zwar weit aus der Masse herausragen, aber doch nicht zu richtigen Individuen werden. Kolbenheyer ist in seinem völkischen Romanen nie wirklich über den bürgerlichen Bildungsroman hinausgekommen und kann seinen Individualismus und den seiner Protagonisten allenfalls durch theoretische Anmerkungen verschleiern. Schmückle und Vesper dagegen machen gerade durch ihre Rückgriffe auf vorbürgerliche literarische Formen - Epos und Saga - deutlich, wie stark sie von der Massengesellschaft geprägt sind. Beide Romane sind ohne die völkische Blut- und Boden-Ideologie nicht denkbar, diese ist aber nicht das Ziel, sondern der Ausgangspunkt. Es dominiert die Ideologie des revolutionären Nationalismus; ihre Helden sind zwar Bauernsöhne, werden aber zu Führern und Soldaten, und auch ihre Erben werden Krieger, die völkischen Bauern dagegen sind lediglich Menschenmaterial. In den völkischen Romanen von Bartels , Löns und Hinrichs wurde der Bauer nur für eine Krisenzeit mobil gemacht, um dann wieder in seine zivile Existenz zurückzukehren. Für Schmückle und Vesper ist der Krieg jedoch offensichtlich der höchste Daseinszweck, dem sie bedenkenlos das Glück ihrer Protagonisten opfern. Vesper schildert die glänzende Karriere eines Genies und Schmückle den Kampf eines charismatischen Führers um die Verwirklichung einer eschatologischen Utopie. Bei beiden sind die Geschichtsvorstellungen prozeßfeindlich; es geht um ahistorische, ewige Werte. Wegen dieses Geschichtsbildes, der zentralen Bedeutung von Krieg und Kampf und den Einflüssen der Blut- und Boden-Ideologie kann man beide Romane als typisch nationalsozialistisch bezeichnen. Dabei ist zu beachten, daß sich diese nationalsozialistische Literatur von der üblichen Romanform entfernt, wie sie auch die Geschichte negiert. III.7. Tendenz und WirkungAm auffälligsten ist, daß von den 36, der für den Zeitraum der Weimarer Republik ausgewählten, historischen Romanen nur die beiden von Feuchtwanger unbedenklich als fortschrittlich-demokratisch bezeichnet werden können. Dieses Ergebnis mag etwas dadurch beeinflußt sein, daß einige Romane während des Dritten Reiches hohe Auflagen erreichten und deshalb ausgewählt wurden. Zum Ausgleich wurden aber auch die Auflagenhöhen bis 1960 festgestellt, die dieses Ergebnis bestätigen.Unter den Neuerscheinungen dominieren eindeutig Romane mit völkischen Inhalten - zehn können als "völkisch" bezeichnet werden, zehn sind stark völkisch beeinflußt - dagegen sind, verglichen mit dem Kaiserreich, Romane, die einen monarchisch-obrigkeitsorientierten Altkonservatismus vertreten, stark zurückgegangen. Nur drei Romane, die am Anfang der Republik erschienen sind, kann man dieser preußisch-konservativen Position zurechnen, die für die historischen Romane bis 1918 vorherrschend gewesen ist (425), obwohl deren Ideologie weiterhin das ganze Genre beeinflußt. Die heroisch-existentialistische Weltanschauung des revolutionären Nationalismus ist nur für drei Romane charakteristisch(426), sie wirkt allerdings stark bei der Herausbildung des nationalsozialistischen historischen Romans - schon in den noch mehr völkischen Romanen von Jansen und Kotzde, Mitte der Zwanziger Jahre -, dem sie dann die entscheidende Prägung gibt. Diese den nationalsozialistischen historischen Roman kennzeichnende Mischung aus heroischem Führerkult, Blut- und Boden-Ideologie und prozeßfeindlicher Geschichtsmystik läßt sich in Reinform nur an drei Romanen gegen Ende der Republik nachweisen(427), obwohl die Romane von Jansen, Kotzde und Blunck durchaus als Vorformen gelten können. Man kann also nicht behaupten, daß ein Großteil der nationalsozialistischen Literatur bereits vor 1933 geschrieben worden ist(428). Der historische Roman der Weimarer Republik ist von Anfang an von Teilen der späteren nationalsozialistischen Weltanschauung geprägt, erhält aber erst nach einer längeren Entwicklung seine genuin nationalsozialistischen Inhalte mit den entsprechenden statischen Formen, die den sich oft noch am Bildungsroman orientierenden völkischen Romanen nicht mehr entsprechen. Diese Veränderung steht in Zusammenhang mit der Entwicklung der NSDAP von einer völkisch-kleinbürgerlichen Partei zu einer durchorganisierten Massenbewegung, in der die Position des Führer entscheidend gestärkt ist. Acht Romane mit vorwiegend religiös-innerlicher Thematik markieren eine andere wichtige Tendenz der Weimar Republik. Die Positionen reichen hier vom Katholizismus bei Federer und ViesÜr und Papkes Protestantismus, über eine bereits leicht völkisch säkularisierte Religiösität bei Diehl, Scholz, Franck und Hesse, bis zu Kolbenheyers nordischem Gottsucher Paracelsus. Man könnte diese Reihe bis zu Bluncks "Urvätersaga" fortsetzen, aber hier dienen die mythisch-religiösen Ergüsse nur noch zur pseudoreligiösen Erhöhung des Führerkultes. Irrationale Erkenntnis und Wertsetzung sind Hauptmerkmale des historischen Romans der Weimarer Republik, die nur in einem einzigen Roman - Feuchtwangers "Häßlicher Herzogin" - ironisch demontiert werden. Selbst Feuchtwangers Jud Süß findet eine Art Identität in der Religion und in der Mystik des Judentums. Außer in Feuchtwangers Romanen ist der Antisemitismus im historischen Roman der Weimarer Republik kein Thema. Dabei entfallen allerdings auch weitgehend Toleranzbekundungen, wie sie von den monarchistischen Autoren Ganghofer und Schreckenbach noch vorgenommen wurden. Nur Wilhelm von Scholz wendet sich in seinem Gottsucherroman "Der Weg nach Ilok"(1930) dezidiert gegen Juden- und Ketzerverfolgungen(429). Ansonsten schildert nur Hesse mehrmals kurz Juden als positive Figuren, Gmelins Friedrich II. schützt sie vor dem abergläubischen Volk. Nur in Kolbenheyers "Paracelsus" ist vom "Fremdvolk", das in deutschen Städten "nistet", die Rede(430). Der in der tagespolitischen Propaganda gebräuchliche Antisemitismus findet immer noch keinen Zugang zum historischen Roman. Untersucht man nur die elf historischen Romane, die in der Zeit von 1919 bis 1932 höhere Auflagen - das heißt um die 50 000 und mehr - erreichten, so bleiben die völkische Blut- und Boden-Ideologie und eine religiöse Innerlichkeit als Hauptmerkmale des historischen Romans der Weimarer Republik. Zwei Romane sind geradezu völkische Propagandaschriften(431), und in zweien ist ein stark völkischer Einfluß spürbar(432). Religion und Irrationalismus sind das Thema von vier Romanen, wovon zwei eine katholische Position vertreten(433). Einer der altkonservativen Romane - Schreckenbachs "Wildefüer" - erreicht ebenfalls höhere Auflagen, was allerdings zum Teil mit der Beliebtheit des Autors zu erklären ist. Ebenso steigt die Bedeutung von Feuchtwangers Romanen, die beide recht hohe Auflagen erreichen; was zeigt, daß fortschrittliche Inhalte durchaus publikumswirksam verpackt werden können(434). Verändert werden diese Ergebnisse allerdings durch die Neuauflagen älterer, im Kaiserreich erschienener Romane. Mit 27 historischen Romanen, deren Neuauflagen 50000 übersteigen, erfreut sich diese Literatur immer noch einer weit größeren Publikumsgunst als die zeitgenössische. Die größte Gruppe - zwölf Romane - stellen hier Romane mit altkonservativen oder preußisch-konservativen Inhalten, vor allem der Autoren Ganghofer, Schreckenbach und Wolff, wovon Ganghofers Mittelalteridylle "Der Klosterjäger" in ca. 260 000 Exemplaren aufgelegt wird. Zum Vergleich sei darauf hingewiesen, daß der erfolgreichste historische Roman der Weimarer Republik - Feuchtwangers "Häßliche Herzogin" - "nur" in ca. 150 000 Exemplaren aufgelegt wird. Als nächstgrößere Gruppe folgen mit sieben Romanen die Völkischen, von denen Dahns "Kampf um Rom" mit ca. 300 000 und Löns' "Werwolf" mit ca. 260 000 Exemplaren ebenfalls eine eminente Wirkung haben (435). Sehr erfolgreich sind außerdem die heroisch-existentiali- stischen Romane, die, ausgehend von der geistigen Situation der Jugendbewegung, eine direkte Vorstufe zur nationalrevolutionären Literatur bilden. Hierzu ist, mit einer Neuauflage von über 250 000 eines der erfolgreichsten Bücher der Weimarer Republik, Rilkes "Cornet" zu rechnen. Daneben unterstreichen drei beliebte Romane der Handel-Mazetti die Bedeutung des Katholizismus. Von den fortschrittlichen historischen Romanen des Kaiserreichs erreicht nur Huchs "Der große Krieg in Deutschland" in Form einer gekürzten Fassung höhere Neuauflagen. Die antidemokratische Tendenz des historischen Romans in der Weimarer Republik wird durch die andauernde Beliebtheit wilhelmischer Romane noch weiter verstärkt, wobei nicht berücksichtigt wurde, daß die bis 1918 verkauften Romane oft weiterhin gelesen werden. Sehnsucht nach Obrigkeit und Ordnung, Religiösität und Irrationalismus, Heroismus und Blut-und Boden-Ideologie bestimmen somit im wesentlichen die Inhalte dieser beim Publikum sehr beliebten Gattung. © Frank Westenfelder
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